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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_37/2023  
 
 
Urteil vom 13. Juni 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Müller, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Kölz, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ Sàrl, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christian Lüscher, 
 
gegen  
 
B.________, 
Beschwerdegegner, 
vertreten durch Rechtsanwälte Dr. Nicolas Bracher und/oder Lukas Groth, 
 
Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich, Qualifizierte Wirtschaftskriminalität und internationale Rechtshilfe, 
Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Akteneinsicht, Aktenentfernung 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 1. Dezember 2022 (UH210408-O/U/HON). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Ill des Kantons Zürich führt eine Strafuntersuchung gegen B.________ wegen Verdachts auf ungetreue Geschäftsbesorgung, insbesondere zum Nachteil der A.________ Sàrl. B.________ soll als Vermögensverwalter Sorgfaltspflichten verletzt und seinen Auftraggebern dadurch einen grossen Schaden verursacht haben. Überdies soll er seinen Auftraggebern den Erhalt von Retrozessionen und Provisionen verschwiegen und diese rechtswidrig für sich behalten haben. 
 
B.  
Am 24. August 2021 ersuchte B.________ die Staatsanwaltschaft um Edition verschiedener Bankunterlagen der A.________ Sàrl. Nach deren Edition beantragte die A.________ Sàrl, B.________ die Einsicht in sämtliche edierte Bankunterlagen zu verweigern, die vom 1. April 2017 oder später datierten. Sie begründete ihren Antrag damit, dass sie den an B.________ erteilten Vermögensverwaltungsauftrag am 29. März 2017 mit sofortiger Wirkung gekündigt habe und später erstellte Bankunterlagen damit nicht mehr verfahrensrelevant seien. Die Staatsanwaltschaft wies diesen Antrag mit Verfügung vom 4. November 2021 ab und entschied, B.________ vollumfängliche Einsicht in die edierten Bankunterlagen zu gewähren. Die von der A.________ Sàrl dagegen erhobene Beschwerde wies die III. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich mit Beschluss vom 1. Dezember 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt die A.________ Sàrl vor Bundesgericht sinngemäss, der Beschluss vom 1. Dezember 2022 sei aufzuheben und B.________ sei nur in die Bankunterlagen "bis und mit März 2017" Einsicht zu gewähren. Weiter seien die Bankunterlagen, "soweit sie sich auf die Zeit nach März 2017 beziehen", vollständig aus den Akten zu entfernen und ihr auszuhändigen. Eventualiter sei die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft verzichten ausdrücklich auf Vernehmlassung. Der Beschwerdegegner beantragt, nicht auf die Beschwerde einzutreten, eventualiter sie abzuweisen. 
Das präsidierende Mitglied der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung hat der Beschwerde mit Verfügung vom 11. April 2023 die aufschiebende Wirkung zuerkannt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das Bundesgericht prüft von Amtes wegen und mit freier Kognition, ob auf die Beschwerde eingetreten werden kann (Art. 29 Abs. 1 und Art. 106 Abs. 1 BGG; BGE 145 I 239 E. 2; 143 IV 357 E. 1 mit Hinweisen). Die Sachurteilsvoraussetzungen sind in der Beschwerdeschrift darzulegen, soweit sie nicht offensichtlich erfüllt erscheinen (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 148 IV 155 E. 1.1; 141 IV 289 E. 1.3; je mit Hinweisen).  
 
1.2. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend Beschränkung der Akteneinsicht. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG grundsätzlich offen.  
 
1.3. Der angefochtene Beschluss schliesst das gegen den Beschwerdegegner geführte Strafverfahren nicht ab und betrifft weder die Zuständigkeit noch ein Ausstandsbegehren im Sinne von Art. 92 BGG. Demnach ist er gemäss Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG nur dann unmittelbar mit Beschwerde an das Bundesgericht anfechtbar, wenn er einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann. Beim drohenden nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne dieser Bestimmung muss es sich um einen solchen rechtlicher Natur handeln. Nicht wieder gutzumachend bedeutet, dass er auch mit einem für die beschwerdeführende Person günstigen Endentscheid nicht oder nicht vollständig behoben werden kann. Ein lediglich tatsächlicher Nachteil wie die Verteuerung oder Verlängerung des Verfahrens genügt nicht (BGE 148 IV 155 E. 1.1; 144 IV 321 E. 2.3; je mit Hinweisen).  
Die Beschwerdeführerin macht geltend, mit der Herausgabe ihrer Bankunterlagen an den Beschwerdegegner würde ihr Anspruch auf Schutz ihrer Privatsphäre nach Art. 13 BV unheilbar verletzt. Nach der Rechtsprechung droht ihr insofern ein nicht wieder gutzumachender Nachteil rechtlicher Natur (siehe Urteile 1B_112/2019 vom 15. Oktober 2019 E. 1.2; 1B_245/2015 vom 12. April 2016 E. 1). 
Dagegen droht ihr kein solcher Nachteil, soweit sie die Entfernung aus den Akten und Rückgabe von Bankunterlagen beantragt. Der blosse Umstand, dass ein Beweismittel, dessen Gültigkeit bestritten ist, bei den Akten verbleibt, stellt noch keinen nicht wieder gutzumachenden Nachteil dar (BGE 144 IV 90 E. 1.1.3; 143 IV 387 E. 4.4; 141 IV 284 E. 2.2; je mit Hinweisen). Die Beschwerdeführerin legt nicht dar, weshalb die streitgegenständlichen Bankunterlagen wegen angeblich fehlender Verfahrensrelevanz ausnahmsweise sofort aus den Akten zu entfernen und ihr zurückzugeben wären. Dies ist auch sonst nicht ersichtlich, weshalb auf diesen Antrag nicht einzutreten ist. 
 
1.4. Nach Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG ist die Privatklägerschaft nur zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wenn sich der angefochtene Entscheid auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Die Beschwerdeführerin macht dies mit Verweis auf den angefochtenen Entscheid hier geltend, ohne ihre Behauptung jedoch weiter zu substanziieren. Dass diese zutrifft, ist auch nicht ohne Weiteres klar, bringt doch die Beschwerdeführerin gerade vor, die ab März 2017 edierten Bankunterlagen seien für das Strafverfahren irrelevant. Ob die Beschwerdeführerin unter den vorliegenden Umständen dennoch zur Beschwerde legitimiert ist, braucht nicht beurteilt zu werden, da sich die Beschwerde - wie hiernach darzulegen ist - ohnehin als unbegründet erweist.  
 
2.  
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, welche die beschwerdeführende Partei geltend macht und begründet, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 144 V 388 E. 2). 
 
3.  
 
3.1. Die Parteien haben Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK). Dieser Anspruch wird für den Strafprozess in Art. 3 Abs. 2 lit. c und Art. 107 Abs. 1 StPO wiederholt. Gemäss Art. 108 Abs. 1 StPO können die Strafbehörden das rechtliche Gehör einschränken, wenn der begründete Verdacht besteht, dass eine Partei ihre Rechte missbraucht (lit. a); oder dies für die Sicherheit von Personen oder zur Wahrung öffentlicher oder privater Geheimhaltungsinteressen erforderlich ist (lit. b). Einschränkungen gegenüber Rechtsbeiständen sind dabei nur zulässig, wenn der Rechtsbeistand selbst Anlass für die Beschränkung gibt (Abs. 2). Die Einschränkungen sind zu befristen oder auf einzelne Verfahrenshandlungen zu begrenzen (Abs. 3).  
Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst insbesondere das Recht, sämtliche verfahrensbezogenen Akten einzusehen, die geeignet sind, Grundlage des Entscheids zu bilden (sog. Akteneinsichtsrecht, vgl. Art. 107 Abs. 1 lit. a StPO; vgl. BGE 144 II 427 E. 3.1; Urteil 6B_1238/2022 vom 21. Dezember 2022 E. 3.4.3; je mit Hinweis). Nach Art. 102 Abs. 1 StPO entscheidet die Verfahrensleitung über die Akteneinsicht; sie trifft dabei die erforderlichen Massnahmen, um Missbräuche und Verzögerungen zu verhindern und berechtigte Geheimhaltungsinteressen zu schützen. Bei der Einschränkung des Akteneinsichtsrechts kommt den Strafbehörden ein gewisses Ermessen zu (Urteil 1B_350/2020 vom 28. Mai 2021 E. 6.3; vgl. auch Urteil 1B_601/2021, 1B_602/2021, 1B_603/2021 vom 6. September 2022 E. 3.2.1). Die Massnahmen sind jedoch mit Zurückhaltung und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit anzuordnen (BGE 146 IV 218 E. 3.1.2 mit Hinweisen). 
 
3.2. Die Vorinstanz erwägt im angefochtenen Beschluss, grundsätzlich umfasse das Akteneinsichtsrecht der Parteien des Strafverfahrens die Gesamtheit der Untersuchungsakten. Vorbehalten bleibe dabei aber namentlich die Beschränkung des Einsichtsrechts wegen überwiegender privater Geheimhaltungsinteressen. Im vorliegenden Fall sei das Interesse des Beschwerdegegners an der vollumfänglichen Einsichtnahme in die edierten Bankunterlagen aber weit grösser als die Interessen der Beschwerdeführerin an der Geheimhaltung ihrer Vermögensverhältnisse: Der Beschwerdegegner bringe zu Recht vor, dass zur Feststellung des angeblich von ihm verursachten Schadens Einsichtnahme in Bankunterlagen, die sich auf die Zeit nach Ende März 2017 beziehen, erforderlich sei. Bei der Berechnung des Schadens seien nämlich allfällige aus seinen Handlungen resultierende Vorteile zu berücksichtigen. Die Schadenshöhe habe unter anderem Einfluss auf die Strafzumessung. Das Interesse des Beschwerdegegners an der Einsichtnahme in die fraglichen Bankunterlagen sei dementsprechend gross.  
 
3.3. Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung des Schutzes ihrer Privatsphäre nach Art. 13 BV. Sie macht geltend, die Bankunterlagen ab 1. April 2017 seien für die Feststellung des Schadens "im strafrechtlichen Sinne" nicht nötig und für die Strafuntersuchung deshalb ohne Bedeutung. Pflichtwidrig getätigte Anlagen des Beschwerdegegners, die zu Verlusten geführt hätten, seien ungeachtet der Tatsache, dass ihr über die gesamte Laufzeit des Vermögensverwaltungsauftrags des Beschwerdegegners ein Gewinn resultiert habe, "strafrechtlich relevant". Zudem entstehe der Schaden nicht erst bei der Realisierung eines Verlusts, sondern bereits bei der "Gefährdung" des Vermögens. Im Übrigen sei es Sache der Staatsanwaltschaft bzw. der Privatklägerschaft und nicht Sache des Beschwerdegegners, den entstandenen Schaden nachzuweisen. Sollten die fraglichen Akten für die Beweisführung von Bedeutung sein, müsse sie (die Beschwerdeführerin) diese im weiteren Verfahren ohnehin offenlegen.  
 
3.4. Die Rüge erweist sich ohne Weiteres als unbegründet: Mit ihren knappen Ausführungen vermag die Beschwerdeführerin nicht darzulegen, inwiefern die Staatsanwaltschaft ihr Ermessen hinsichtlich der Beschränkungsmöglichkeiten des Akteneinsichtsrechts unterschritten bzw. missbraucht hätte (vgl. E. 2 hiervor). Die fraglichen Bankunterlagen sind untersuchungsrelevant und müssen vom Beschwerdegegner eingesehen werden können. Inwieweit sie im Einzelnen zur Feststellung des angeblich vom Beschwerdegegner verursachten Schadens von Bedeutung sind, wird das Sachgericht zu beurteilen haben. Das Akteneinsichtsrecht der beschuldigten Person ist ein zentraler Teilgehalt ihres Anspruches auf rechtliches Gehör. Das Interesse des Beschwerdegegners an dessen vollumfänglicher Wahrnehmung überwiegt im vorliegenden Fall die kaum substanziierten privaten Geheimhaltungsinteressen der Beschwerdeführerin.  
 
4.  
Nach dem Erwogenen ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird die unterliegende Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Sie hat dem obsiegenden, anwaltlich vertretenen Beschwerdegegner eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat den Beschwerdegegner für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'500.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, der Staatsanwaltschaft III des Kantons Zürich und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. Juni 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Müller 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern