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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_444/2022  
 
 
Urteil vom 1. März 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Dormann. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Helsana Versicherungen AG, Zürichstrasse 130, 8600 Dübendorf, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Basel-Landschaft vom 31. März 2022 (730 21 113/65). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Der 1947 geborene A.________ ist der Helsana Versicherungen AG (nachfolgend: Helsana) für die obligatorische Krankenpflegeversicherung angeschlossen. Im September 2015 verlegte er seinen Wohnsitz vom Kanton Basel-Landschaft nach Portugal. Mit Schreiben vom 7. Januar 2019 teilte die Helsana A.________ mit, dass er ab dem 1. August 2018 über einen bilateralen Vertrag versichert sei und er die Wahl habe, sich in Portugal nach den dort geltenden Bestimmungen oder in der Schweiz im Rahmen des Krankenversicherungsgesetzes (KVG) behandeln zu lassen. Rechnungen von Portugal müsse er künftig der portugiesischen Krankenkasse einreichen. Dort angefallene Kosten für Privatärzte und Medikamente sowie Kosten, die die portugiesische Versicherung ablehne, liessen sich nicht geltend machen; es seien keine Pflichtleistungen. Mit Verfügung vom 16. Juli 2020 bekräftigte sie diese Auffassung mit dem Hinweis, dass in Portugal erfolgte Behandlungen bei Ärzten und Therapeuten, Medikamentenbezüge und stationäre Spitalaufenthalte ausschliesslich die portugiesische Trägerkasse ISS Instituto da Segurança abrechne. Dementsprechend verweigerte sie die Übernahme der Kosten für ab dem 1. Januar 2018 in Portugal bezogene Medikamente und durchgeführte Behandlungen. Daran hielt sie mit Einspracheentscheid vom 13. Januar 2021fest. 
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Kantonsgericht Basel-Landschaft mit Urteil vom 31. März 2022 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
C.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten resp. "subsidiär Verfassungsbeschwerde", unter Aufhebung des Urteils vom 31. März 2022 sei die Helsana zu verpflichten, ihm einerseits die Kosten für ambulante Behandlungen in Portugal (solange diese Leistung den Umfang und die Höhe der adäquaten Leistung eines schweizerischen Arztes in der Schweiz nicht übersteigt und gemäss KVG zu vergüten ist) und anderseits jene für in Portugal bezogene rezeptpflichtige Medikamente (solange diese dem Umfang gemäss KVG entsprechen und das Rezept von einem portugiesischen oder schweizerischen Arzt ausgestellt ist) direkt zurückzuerstatten. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen das angefochtene Urteil steht die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten, mit der gemäss Art. 95 lit. a BGG auch Grundrechtsverletzungen gerügt werden können, grundsätzlich offen. Die Verfassungsbeschwerde als subsidiäres Rechtsmittel ist damit von vornherein unzulässig (Art. 113 BGG e contrario; Urteil 9C_105/2021 vom 21. April 2021 E. 2.1).  
 
1.2. Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann eine Rechtsverletzung nach Art. 95 f. BGG gerügt werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Dennoch prüft es - offensichtliche Fehler vorbehalten - nur die in seinem Verfahren gerügten Rechtsmängel (Art. 42 Abs. 1 f. BGG; BGE 135 II 384 E. 2.2.1). Es legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Es kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Es liegt ein länderübergreifender Sachverhalt vor, der auf der Grundlage von Art. 8 FZA (SR 0.142.112.681) und Art. 1 Abs. 1 Anhang II FZA in Verbindung mit Art. 11 ff. der Verordnung (EG) Nr. 883/2004 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 29. April 2004 zur Koordinierung der Systeme der sozialen Sicherheit (SR 0.831.109.268.1; nachfolgend: VO Nr. 883/2004) und den diese konkretisierenden Vorgaben der Verordnung (EG) Nr. 987/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. September 2009 zur Festlegung der Modalitäten für die Durchführung der VO Nr. 883/2004 (SR 0.831.109.268.11; nachfolgend: VO Nr. 987/2009) zu beurteilen ist. Das ergibt sich auch aus Art. 95a KVG.  
 
2.2. Die VO Nr. 883/2004 bezweckt nicht die inhaltliche Angleichung nationaler Systeme sozialer Sicherheit im Sinne einer Harmonisierung, sondern - wie schon ihr Titel besagt - ihre Koordination (BGE 143 V 1 E. 5.2.3; 141 V 246 E. 5.1). Ihr sachlicher Geltungsbereich umfasst unter anderem gemäss ihrem Art. 3 Abs. 1 lit. a die Leistungen bei Krankheit. Im Titel III finden sich sodann Kollisionsnormen für besondere Situationen im jeweiligen Zweig des Systems der sozialen Sicherheit, so in Kapitel 1 (Art. 17-35 VO Nr. 883/2004) für Leistungen bei Krankheit sowie Leistungen bei Mutterschaft und gleichgestellten Leistungen bei Vaterschaft. Der Charakter als Kollisionsnorm ergibt sich nicht immer bereits aus dem Wortlaut. Bei diesen Bestimmungen (des Titels III) handelt es sich im Unterschied zu Titel II regelmässig nur um punktuelle Regelungen bezüglich einzelner Zweige der sozialen Sicherheit oder einzelner Rechtsgebiete (BGE 147 V 94 E. 3.2.1 mit Hinweis).  
 
2.3. Die Art. 23-30 VO Nr. 883/2004 betreffen insbesondere die Leistungen bei Krankheit von Rentnern (und ihren Familienangehörigen). Eine Person, die eine Rente oder Renten nach den Rechtsvorschriften eines oder mehrerer Mitgliedstaaten erhält und die keinen Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften des Wohnmitgliedstaats hat, erhält dennoch Sachleistungen für sich selbst und ihre Familienangehörigen, sofern nach den Rechtsvorschriften des für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaats oder zumindest eines der für die Zahlung ihrer Rente zuständigen Mitgliedstaaten Anspruch auf Sachleistungen bestünde, wenn sie in diesem Mitgliedstaat wohnte. Die Sachleistungen werden vom Träger des Wohnorts für Rechnung des in Absatz 2 genannten Trägers erbracht, als ob die betreffende Person Anspruch auf Rente und Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften dieses Mitgliedstaats hätte (Art. 24 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 [sog. Sachleistungsaushilfe]). Hat der Rentner nur Anspruch auf Sachleistungen nach den Rechtsvorschriften eines einzigen Mitgliedstaats, so übernimmt der zuständige Träger dieses Mitgliedstaats die Kosten (Art. 24 Abs. 2 lit. a VO Nr. 883/2004). Art. 24 VO Nr. 883/2004 umfasst somit den Fall, dass ein Rentner mangels hinreichender Beziehungen zum Rentensystem seines Wohnortstaats keinen originären Anspruch auf Sachleistungen bei Krankheit im Wohnortstaat hat. Beim Bezug nur einer Rente ist für Leistungen bei Krankheit der Träger desjenigen Staats, der die Rente leistet, kostenpflichtig. Dem Rentner wird gegenüber dem Träger des Wohnortstaats ein Anspruch auf Sachleistungsaushilfe gewährt (BGE 146 V 152 E. 4.2.2.2; vgl. auch BGE 144 V 127 E. 6.3.2.1). Der in einem anderen Mitgliedstaat wohnende Rentner hat auch während des Aufenthalts in dem zuständigen Mitgliedstaat Anspruch auf Sachleistungen, wenn dieser Mitgliedstaat sich dafür entschieden hat und in Anhang IV aufgeführt ist (was für die Schweiz zutrifft). In diesem Fall werden die Sachleistungen vom zuständigen Träger für dessen Rechnung nach den für ihn geltenden Rechtsvorschriften erbracht, als ob die betreffende Person in diesem Mitgliedstaat wohnen würde (Art. 27 Abs. 2 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 VO Nr. 883/2004).  
 
3.  
 
3.1. Es steht fest, dass der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz seit September 2015 in Portugal hat, Altersrenten aus der Schweiz bezieht und keine portugiesische Rente erhält. Unbestritten ist auch, dass er deshalb der schweizerischen obligatorischen Krankenpflegeversicherung untersteht. Zu prüfen war und ist, ob er gegenüber der Helsana Anspruch auf (direkte) Erstattung der Kosten für die in Portugal bezogenen Sachleistungen (ärztliche Behandlungen und Medikamente) hat.  
 
3.2. Diesbezüglich hat die Vorinstanz erwogen, der Beschwerdeführer erhalte bei Krankheit die gleichen Sachleistungen, wie wenn er in Portugal nach den portugiesischen Rechtsvorschriften (obligatorisch) versichert wäre. Die umstrittenen Leistungen würden ihm im Rahmen der Sachleistungsaushilfe vom zuständigen Träger vor Ort, d.h. vom ISS Instituto da Segurança Social erbracht. Dieses habe die Ansprüche zu überprüfen und die Rechnungen gegebenenfalls an die schweizerische Verbindungsstelle (Stiftung für die gemeinsame Einrichtung gemäss Art. 18 Abs. 1 KVG; nachfolgend: Gemeinsame Einrichtung KVG) weiterzuleiten. Dieses Vorgehen sei durch Art. 24 VO Nr. 883/2004 zwingend vorgeschrieben. Der Beschwerdeführer habe gegenüber der Helsana keinen Anspruch auf direkte Rückerstattung der hier interessierenden Krankheitskosten.  
 
4.  
 
4.1. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, die Vorinstanz habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, indem sie zu Unrecht von ihm vorgelegte Beweise - insbesondere Auszüge aus Internetseiten resp. "Portugal News" vom 6. Februar 2021 sowie "Portugal Resident" vom 8. Januar und 18. April 2021- nicht berücksichtigt und sein Gesuch um Einholung einer Stellungnahme von der Gemeinsamen Einrichtung KVG ignoriert habe. Daraus hätte sich ergeben, dass in Portugal keine angemessene Gesundheitsversorgung in staatlichen Institutionen möglich sei. Ausserdem sei es ihm aufgrund seines Alters verwehrt, eine Privatversicherung abzuschliessen. Die EU-Verträge würden aber Freizügigkeit und eine Gesundheitsversorgung im Gastland garantieren. Wenn diese - wie in Portugal - fehle, müsse die Rechtsprechung eine alternative Lösung schaffen und eine direkte Kostenerstattung zulassen. Zudem sei es diskriminierend, dass für einen im Ausland tätigen Angestellten einer schweizerischen Firma alle im Ausland angefallenen Behandlungskosten von der schweizerischen Krankenkasse voll übernommen, aber ihm als einem in der EU lebenden Altersrentner solche Privilegien verweigert würden. Es verstosse gegen Treu und Glauben, wenn die Vorinstanz nicht erkenne, dass der vom Gesetz vorgesehene Weg zur Rückerstattung der Behandlungskosten nicht funktioniere bzw. in Portugal unmöglich sei.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Sowohl das Verwaltungsverfahren wie auch der kantonale Sozialversicherungsprozess sind vom Untersuchungsgrundsatz beherrscht (Art. 43 Abs. 1 und Art. 61 lit. c ATSG). Danach haben Verwaltung und Sozialversicherungsgericht den rechtserheblichen Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen. Rechtserheblich sind dabei alle Tatsachen, von deren Vorliegen es abhängt, ob über den streitigen Anspruch so oder anders zu entscheiden ist (BGE 146 V 240 E. 8.1; Urteil 8C_163/2022 vom 11. August 2022 E. 3.2).  
 
4.2.2. Art. 24 und Art. 27 Abs. 1 VO Nr. 883/2004 (vgl. vorangehende E. 2.3) vermitteln dem Beschwerdeführer das Recht, sich zulasten der Sozialversicherung sowohl in der Schweiz nach den Vorgaben des KVG als auch - im Rahmen der Leistungsaushilfe - in Portugal nach den dort geltenden sozialversicherungsrechtlichen Regeln behandeln zu lassen. Die medizinischen Behandlungen in der Schweiz übernimmt der schweizerische Krankenversicherer direkt; die Leistungen in Portugal werden vom ISS Instituto da Segurança Social erbracht und vom schweizerischen Krankenversicherer indirekt getragen (vgl. auch Art. 24 VO Nr. 987/2009). Daran ändert nichts, dass das Leistungsangebot und der Umfang der Versicherungsdeckung in der Schweiz und in Portugal unterschiedlich sind, zumal das in der Natur der Sache liegt und die VO Nr. 883/2004 keine Harmonisierung nationaler Systeme sozialer Sicherheit bezweckt (vgl. vorangehende E. 2.2).  
Demnach spielt die vom Beschwerdeführer bemängelte Qualität der staatlichen Gesundheitsversorgung in Portugal für den hier zur Diskussion stehenden Anspruch keine Rolle. Indem die Vorinstanz diesbezüglich keine Abklärungen oder Feststellungen getroffen hat, hat sie weder den Untersuchungsgrundsatz noch den Anspruch auf Beweisabnahme und rechtliches Gehör (Art. 61 lit. c ATSG; Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 6 Ziff. 1 EMRK) verletzt. 
 
4.3. Das FZA und die VO 883/2004 bezwecken insbesondere die Verhinderung einer Diskriminierung resp. die Gleichbehandlung mit Blick auf die Staatsangehörigkeit (vgl. Art. 2 FZA und Art. 4 VO 883/2004). Dass bei fortgeschrittenem Alter der Abschluss einer Privatversicherung nicht mehr (oder nur zu kaum tragbaren Bedingungen) möglich ist, trifft unabhängig von der Staatsangehörigkeit zu. Art. 24 VO Nr. 883/2004 garantiert eine "Gesundheitsversorgung im Gastland" lediglich insoweit, als sie im Sozialversicherungssystem dieses Staates vorgesehen und erhältlich ist. Die vorinstanzliche Auffassung steht im Einklang mit den Zielen der hier einschlägigen "EU-Verträge".  
Soweit der Beschwerdeführer lediglich mit der pauschalen Behauptung, die schweizerische Krankenversicherung übernehme für ins Ausland entsandte Arbeitnehmer (vgl. Art. 4 KVV [SR 832.102]) alle dort angefallenen Behandlungskosten, eine Diskriminierung (vgl. Art. 8 BV) geltend macht, genügt dies den qualifizierten Anforderung an die Begründung (vgl. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 147 I 478 E. 2.4; 143 I 1 E. 1.4) nicht. Darauf ist nicht weiter einzugehen. Gleiches gilt hinsichtlich des gerügten Verstosses gegen Treu und Glauben (vgl. Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV). 
 
4.4. Bundesgesetze und Völkerrecht, wozu Art. 95a KVG und Art. 24 VO Nr. 883/2004 gehören, sind für das Bundesgericht und die anderen rechtsanwendenden Behörden massgebend (vgl. Art. 190 BV). Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers kann über die Rechtsprechung keine "alternative Lösung" geschaffen werden. Die Beschwerde ist unbegründet.  
 
5.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Kantonsgericht Basel-Landschaft und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 1. März 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dormann