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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_958/2023  
 
 
Urteil vom 8. März 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Kölz, Hofmann, 
Gerichtsschreiber Stadler. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch 
Rechtsanwalt Dr. Kenad Melunovic Marini, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, Schwere Gewaltkriminalität, Güterstrasse 33, 
Postfach, 8010 Zürich, 
 
1. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dario Zarro, 
2. C.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Sara Plozza. 
 
Gegenstand 
Haft; Vollzugslockerungen, 
 
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, Präsident, vom 31. Oktober 2023 (SB210296-O/Z15). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil vom 17. Juni 2020 sprach das Bezirksgericht Affoltern A.________ der eventualvorsätzlichen Tötung seiner Ehefrau D.________ schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von elf Jahren. Dieses Urteil fochten A.________ und die Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich mit Berufung beim Obergericht des Kantons Zürich an, Letztere lediglich hinsichtlich der Strafzumessung. 
 
B.  
A.________ befindet sich im vorzeitigen Strafvollzug. Mit Eingabe vom 20. Oktober 2023 ersuchte er um die Gewährung von Vollzugslockerungen im vorzeitigen Strafvollzug, konkret um die Versetzung in den offenen Vollzug in der Strafanstalt E.________, nachdem ein gleichlautendes Gesuch mit Präsidialverfügung der II. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Zürich vom 16. Juni 2023 abgewiesen worden war. Mit Verfügung vom 31. Oktober 2023 wies der Präsident der II. Strafkammer das Gesuch vom 20. Oktober 2023 ab. 
 
C.  
A.________ gelangt mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht und beantragt, die Präsidialverfügung vom 31. Oktober 2023 sei aufzuheben und die Vorinstanz sei anzuweisen, das Gesuch um Gewährung von Vollzugslockerungen in Form eines offenen vorzeitigen Strafvollzugs zu bewilligen; eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Ausserdem sei ihm für das Verfahren vor Bundesgericht die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung zu gewähren. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bundesgericht beurteilt Beschwerden gegen Entscheide in Strafsachen (Art. 78 Abs. 1 BGG). Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend den Vollzug von strafprozessualer Haft (vgl. Art. 80 BGG). Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind erfüllt. Auf die Beschwerde ist - unter Vorbehalt der folgenden Erwägungen - einzutreten. 
 
 
2.  
Der Beschwerdeführer macht zusammengefasst geltend, die Abweisung seines Gesuch um Gewährung von Vollzugslockerungen für die Dauer des Berufungsverfahrens stelle eine unverhältnismässige Einschränkung in das Grundrecht der persönlichen Freiheit im strafprozessualen Strafvollzug dar. 
 
2.1.  
 
2.1.1. Die inhaftierte Person darf in ihrer persönlichen Freiheit nicht stärker eingeschränkt werden, als es der Haftzweck sowie die Ordnung und Sicherheit in der Haftanstalt erfordern (Art. 235 Abs. 1 StPO). Im vorzeitigen Strafvollzug untersteht die beschuldigte Person nur insofern dem Vollzugsregime, als der Zweck der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft dem nicht entgegensteht (Art. 236 Abs. 4 StPO; vgl. Urteile 1B_142/2023 vom 19. April 2023 E. 3.4; 1B_641/2022 vom 12. Januar 2023 E. 2.1; 1B_122/2022 vom 20. April 2022 E. 3.2).  
Anstelle von Untersuchungs- oder Sicherheitshaft werden nach dem Verhältnismässigkeitsprinzip (Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c StPO) eine oder mehrere mildere Massnahmen angeordnet, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen (Art. 237 Abs. 1 StPO). In Art. 237 Abs. 2 lit. a bis g StPO werden - nicht abschliessend - Ersatzmassnahmen aufgezählt. Ob man die Gewährung des offenen Vollzugs während des Strafverfahrens als Ersatzmassnahme oder als Vollzugsform qualifiziert, hat das Bundesgericht bislang offengelassen, zumal in beiden Fällen das Verhältnismässigkeitsprinzip den Beurteilungsmassstab bildet (vgl. Urteile 1B_34/2022 vom 11. Februar 2022 E. 3.5; 1B_636/2021 vom 21. Dezember 2021 E. 4.3 mit Hinweisen). 
Die Kontrolle, der ein Häftling im offenen Vollzug unterliegt, vermag zwar eine grosse Fluchtgefahr nicht zu bannen. Hingegen kann sie sich im Einzelfall dort als ausreichend erweisen, wo die Fluchtgefahr weniger ausgeprägt ist, gleichzeitig aber (andere) Ersatzmassnahmen nach Art. 237 StPO nicht genügen. Gestützt auf die konkreten Umstände und insbesondere das bisherige Verhalten der betroffenen Person während dem strafprozessualen Freiheitsentzug muss hinreichend Gewähr bestehen, dass der Lockerungsschritt nicht missbraucht und die im offenen Vollzug geltenden Regeln eingehalten werden. Die Beurteilung dieser Voraussetzung ist einfacher möglich, wenn die betroffene Person sich bereits seit längerer Zeit in strafprozessualer Haft bzw. im vorzeitigen Strafvollzug befindet (Urteil 1B_34/2022 vom 11. Februar 2022 E. 3.5; vgl. auch Urteile 1B_636/2021 vom 21. Dezember 2021 E. 4.5; 1B_98/2022, 1B_100/2022 vom 16. März 2022 E. 6.3; 1B_206/2021 vom 18. Mai 2021 E. 4.3). 
 
2.1.2. Die Beschwerde an das Bundesgericht ist zu begründen (Art. 42 Abs. 1 BGG). In der Begründung ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Akt Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2). Die Begründung muss sachbezogen sein und erkennen lassen, dass und weshalb nach Auffassung der beschwerdeführenden Partei Recht verletzt ist (BGE 142 I 99 E. 1.7.1). Die beschwerdeführende Partei kann in der Beschwerdeschrift nicht bloss erneut die Rechtsstandpunkte bekräftigen, die sie im kantonalen Verfahren eingenommen hat, sondern hat mit ihrer Kritik an den als rechtsfehlerhaft erachteten Erwägungen der Vorinstanz anzusetzen (BGE 146 IV 297 E. 1.2 mit Hinweisen). Eine qualifizierte Begründungspflicht besteht, soweit die Verletzung von Grundrechten einschliesslich Willkür behauptet wird (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 148 IV 39 E. 2.3.5). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1; je mit Hinweisen).  
 
2.2. Die Vorinstanz verweist hinsichtlich des Vorliegens von Fluchtgefahr auf die Begründung ihrer Verfügung vom 16. Juni 2023, mit welcher sie bereits ein (gleichlautendes) Gesuch des Beschwerdeführers um Vollzugslockerungen abgewiesen habe. Seither hätten sich die Verhältnisse nicht wesentlich zu Gunsten des Beschwerdeführers verändert, mithin drohe ihm nach wie vor eine empfindliche Freiheitsstrafe (provisorisches Strafende am 24. Oktober 2028). Insofern sei ein Fluchtanreiz weiterhin vorhanden und könne diesem auch mit Ersatzmassnahmen nicht hinreichend begegnet werden. Daran änderten auch die Beteuerungen der Verteidigung nichts, der Beschwerdeführer wolle sobald wie möglich wieder ein geregeltes Leben führen und für seinen Sohn da sein, wobei er seine Zukunft mit diesem nicht aufs Spiel setzen würde und ihm überdies die frühere eheliche Wohnung weiterhin zur Verfügung stünde. Auch das dem Beschwerdeführer im Vollzugsbericht vom 5. Juni 2023 attestierte grundsätzlich gute Verhalten im bisherigen geschlossenen Vollzug vermöge - so die Vorinstanz weiter - an der Fluchtgefahr nichts wesentlich zu ändern, weshalb mit Blick auf das vorliegende Gesuch auf die Einholung eines neuen Vollzugsberichts verzichtet werden könne. Das Gesuch um Versetzung in den offenen Vollzug sei deshalb abzuweisen. Im Übrigen seien weitere Vollzugslockerungen wie insbesondere Hafturlaube selbst vom Justizvollzug und Wiedereingliederung, Bewährungs- und Vollzugsdienste (nachfolgend: "JuWe"), im besagten Vollzugsbericht als verfrüht bezeichnet worden.  
 
2.3. In ihrer Verfügung vom 16. Juni 2023 hatte die Vorinstanz namentlich festgehalten, der JuWe habe in seiner Stellungnahme vom 9. Juni 2023 die Versetzung des Beschwerdeführers in den offenen Strafvollzug in der Strafanstalt E.________ "angesichts des bisherigen Vollzugsverlaufs" zwar als vertretbar erachtet und empfohlen. Indes erscheine die fast schon lapidar wirkende und ohne weitere Begründung gemachte Feststellung des JuWe, wonach "keine Hinweise auf eine konkrete Fluchtgefahr" bestehen würden und "allenfalls verbleibenden Bedenken hinsichtlich Flucht- und Wiederholungsgefahr" entsprechend problemlos mit den im offenen Vollzug bestehenden Aufsichts- und Kontrollmechanismen begegnet werden könne, wenig nachvollziehbar. Vielmehr müsse weiterhin von einer erheblichen Fluchtgefahr des Beschwerdeführers ausgegangen werden.  
 
2.4. Wenn der Beschwerdeführer behauptet, "gemäss den Berichten und Empfehlungen der kantonalen Vollzugsbehörden" seien die Voraussetzungen für die Weiterführung der Haft im Vollzugsregime des offenen vorzeitigen Strafvollzugs möglich, setzt er sich nicht rechtsgenüglich mit der vorinstanzlichen Verfügung vom 16. Juni 2023, auf welche die angefochtene Verfügung verweist, auseinander. Dem Beschwerdeführer ist zwar zuzustimmen, dass er bereits mehr als sechs Jahre inhaftiert ist. Die Vorinstanz legt (und legte) aber ausführlich dar, weshalb sie von einem weiterhin hohen Fluchtanreiz ausgeht. Der Beschwerdeführer geht darauf nicht nachvollziehbar ein, sondern unterbreitet dem Bundesgericht lediglich seine eigene, frei gehaltene Beurteilung, wonach keine relevante Fluchtgefahr bestehe. Dabei übersieht er notabene, dass gemäss vorinstanzlicher und für das Bundesgericht verbindlicher Feststellung (Art. 105 Abs. 1 BGG) sein Sohn mittlerweile nicht mehr in der Schweiz lebt. Die Bejahung der (ausgeprägten) Fluchtgefahr durch die Vorinstanz ist aufgrund der gegebenen Umstände nicht zu beanstanden, weshalb die Abweisung des vom Beschwerdeführer beantragten offenen Strafvollzugs nicht Bundesrecht verletzt.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung ist wegen Aussichtslosigkeit der Beschwerde abzuweisen (vgl. Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Auf die Erhebung von Gerichtskosten kann ausnahmsweise verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft I des Kantons Zürich, B.________, C.________ und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, Präsident, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. März 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Stadler