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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_492/2022  
 
 
Urteil vom 9. November 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jametti, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, Müller, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Untersuchungsamt Altstätten, 
Luchsstrasse 11, Postfach, 9450 Altstätten. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Beschlagnahme, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid der Anklagekammer des Kantons St. Gallen vom 10. August 2022 (AK.2022.204-AK (ST.2022.16514)). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 13. Mai 2022 hielt die Kantonspolizei St. Gallen einen Personenwagen der Marke Hyundai, welcher auf die A.________ AG eingelöst ist, zur Kontrolle an. Hierbei stellte sie fest, dass der Fahrzeuglenker B.________, Geschäftsführer der A.________ AG, mit einem Führerausweisentzug für sämtliche Fahrzeugkategorien belegt ist. In der Folge wurde der Personenwagen sichergestellt. Am 31. Mai 2022 erliess die Staatsanwaltschaft, Untersuchungsamt Altstätten, einen schriftlichen Beschlagnahmebefehl. Die A.________ AG erhob am 2. Juni 2022 Beschwerde gegen den Beschlagnahmebefehl bei der Anklagekammer des Kantonsgerichts St. Gallen und beantragte die Rückgabe des Personenwagens. Mit Entscheid vom 10. August 2022 wies die Anklagekammer das Rechtsmittel ab. 
 
B.  
Die A.________ AG führt am 19. September 2022 Beschwerde beim Bundesgericht und beantragt die Aufhebung des Entscheids der Anklagekammer vom 10. August 2022 und des Beschlagnahmebefehls der Staatsanwaltschaft vom 31. Mai 2022. Die Anklagekammer und die Staatsanwaltschaft haben auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist somit gemäss Art. 80 BGG zulässig. Die Beschwerdeführerin hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Beschlusses. Sie ist daher gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt (Urteil 1B_418/2021 vom 2. Juni 2022 E. 2.1 mit Hinweis). Der angefochtene Beschluss stellt einen Zwischenentscheid dar, welcher für die Beschwerdeführerin einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG bewirken kann (BGE 140 IV 57 E. 2.2; 128 I 129 E. 1 S. 131 mit Hinweisen). Die Beschwerde ist somit auch insoweit zulässig. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist - unter Vorbehalt der folgenden Erwägungen - einzutreten.  
 
1.2. Anfechtungsobjekt des vorliegenden Verfahrens bildet allein der Entscheid der Vorinstanz vom 10. August 2022. Soweit die Beschwerdeführerin auch die Aufhebung des Beschlagnahmebefehls der Staatsanwaltschaft vom 31. Mai 2022 beantragt, ist darauf nicht einzutreten. Diese Verfügung ist durch den Entscheid der Vorinstanz ersetzt worden und gilt als inhaltlich mitangefochten (sog. Devolutiveffekt; vgl. BGE 146 II 335 E. 1.1.2; 136 II 539 E. 1.2; 177 E. 1.3; je mit Hinweisen).  
 
1.3. Das Bundesgericht hat die Akten beigezogen. Dem entsprechenden Verfahrensantrag der Beschwerdeführerin ist damit Genüge getan.  
 
2.  
Die Beschwerdeführerin bestreitet das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen zur Beschlagnahme ihres Fahrzeugs. Die Einziehung sei weder gestützt auf Art. 90a SVG noch auf Art. 69 StGB zulässig. Zudem sei die Beschlagnahme ihres Fahrzeuges unverhältnismässig. 
 
2.1. Jede strafprozessuale Zwangsmassnahme - und bei der Beschlagnahme handelt es sich um eine solche (vgl. Art. 263 Abs. 1 StPO) - muss gesetzlich vorgesehen sein (vgl. Art. 197 Abs. 1 lit. a StPO), bedarf also einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage.  
Nach Art. 90a Abs. 1 SVG kann das Strafgericht die Einziehung eines Motorfahrzeugs anordnen, wenn (lit. a) damit eine grobe Verkehrsregelverletzung in skrupelloser Weise begangen wurde, und (lit. b) der Täter durch die Einziehung von weiteren groben Verkehrsregelverletzungen abgehalten werden kann. Die Einziehungsvoraussetzungen von Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG dürften bei qualifiziert groben Verkehrsdelikten (im Sinne von Art. 90 Abs. 3 und Abs. 4 SVG) in der Regel erfüllt sein. Eine mögliche Einziehung ist aber nicht auf diese Fälle beschränkt, sondern fällt nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung auch bei (nicht qualifiziert) groben Verkehrsregelverletzungen im Sinne von Art. 90 Abs. 2 SVG in Betracht (BGE 140 IV 133 E. 3.4; 139 IV 250 E. 2.3.3). Dasselbe gilt gemäss bundesgerichtlicher Rechtsprechung auch für das Führen eines Fahrzeugs ohne entsprechenden Führerausweis (Art. 95 Abs. 1 SVG), wenn die betreffende Person aus demselben Grund schon verurteilt worden ist (Urteil 1B_556/2017 vom 5. Juni 2018 E. 4.2 mit Hinweis). 
In sachverhaltlicher Hinsicht hat die Vorinstanz folgende Feststellungen getroffen: Gemäss dem aktenkundigen Polizeirapport sei anlässlich der polizeilichen Patrouillentätigkeit am 13. Mai 2022 beobachtet worden, wie der Fahrzeuglenker des Personenwagens Hyundai Tucson, SG xxx'xxx, während der Fahrt telefonierte. Sodann sei während der nachfolgenden Kontrolle festgestellt worden, dass der beschuldigte Fahrzeuglenker mit einem Führerausweisentzug für sämtliche Fahrzeugkategorien belegt sei. Daraus folgerte die Vorinstanz, dass derzeit unter anderem ein hinreichender Tatverdacht auf das Führen eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs, Verweigerung oder Aberkennung des Führerausweises nach Art. 95 Abs. 1 lit. b SVG bestehe und eine Einziehung nach Art. 90a SVG gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung möglich sei. 
Diese Ausführungen, denen die Beschwerdeführerin nichts entgegenzusetzen vermag, sind nicht zu beanstanden. Die Vorinstanz durfte sich bei der Beschlagnahme mithin auf Art. 90a SVG (i.V.m. Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO) stützen, ohne Bundesrecht zu verletzen. 
 
2.2. Die Beschwerdeführerin bestreitet weder, dass B.________ trotz Entzugs des Führerausweises das vorgenannte Fahrzeug gelenkt hat, noch, dass er während der Fahrt telefoniert hat. Damit räumt sie insoweit das Bestehen eines hinreichenden Tatverdachts (Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO) ein. Sie ist indes der Auffassung, B.________ habe damit nicht "skrupellos" im Sinne von Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG gehandelt; das Fahrzeug dürfe daher nicht gestützt auf diese Bestimmung beschlagnahmt werden.  
Nach den verbindlichen Feststellungen der Vorinstanz (vgl. Art. 105 Abs. 1 BGG) ist der automobilistische Leumund von B.________ mehrfach und stark getrübt. Da die Beschwerdeführerin die entsprechenden Ausführungen im angefochtenen Entscheid nicht bestreitet, kann darauf verwiesen werden (vgl. Art. 109 Abs. 3 BGG) : Nach Auflistung der gegen B.________ verhängten Vorstrafen und verkehrsrechtlichen Massnahmen (vgl. angefochtener Entscheid E. 4b/bb) gelangt die Vorinstanz zusammenfassend zum Schluss, die zahlreichen Vorfälle über einen längeren Zeitraum zeigten auf, dass B.________ offensichtlich nicht gewillt und in der Lage erscheine, die Strassenverkehrsvorschriften einzuhalten. Das erneute Führen eines Motorfahrzeugs trotz Entzugs des Führerausweises wiege daher besonders schwer und skrupellos. Er sei als uneinsichtig und in hohem Grade rückfallgefährdet einzustufen. Entsprechend bestehe klarerweise die Gefahr einer weiteren deliktischen Verwendung des Personenwagens und damit auch eine Gefahr für den Verkehr. B.________ sei unter diesen Umständen eine schlechte Prognose zu stellen. 
Die Beschwerdeführerin bestreitet die von der Vorinstanz angeführten Tatsachen nicht. Sie teilt deren Bewertung durch die Vorinstanz zwar nicht, bringt aber auch nichts vor, das die von der Vorinstanz getroffenen Feststellungen und Schlussfolgerungen als bundesrechtswidrig erscheinen liesse. Insbesondere durfte die Vorinstanz von der konkreten Möglichkeit eines skrupellosen Vorgehens von B.________ im Sinne von Art. 90a Abs. 1 lit. a SVG ausgehen. Damit ist ein hinreichender Tatverdacht im Sinne von Art. 197 Abs. 1 lit. b StPO i.V.m. Art. 90a SVG erstellt. 
 
2.3. Die Beschwerdeführerin bestreitet schliesslich die Verhältnismässigkeit der Beschlagnahme. Zwangsmassnahmen, welche in die Grundrechte Dritter (also nicht der beschuldigten Person) eingriffen, seien zudem besonders zurückhaltend anzuwenden (vgl. Art. 197 Abs. 2 StPO).  
Jede Zwangsmassnahme muss, neben dem Vorliegen einer gesetzlichen Grundlage (vgl. E. 2.1 hiervor) und eines hinreichenden Tatverdachts (vgl. E. 2.2 hiervor), verhältnismässig sein (Art. 197 Abs. 1 lit. c und d StPO). Zwangsmassnahmen, die in die Grundrechte nicht beschuldigter Personen eingreifen, sind besonders zurückhaltend einzusetzen (Art. 197 Abs. 2 StPO). 
 
2.3.1. Vorab ist festzuhalten, dass nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung eine Sicherungs-Einziehungsbeschlagnahme auch bei Motorfahrzeugen im Eigentum von Drittpersonen (Art. 263 Abs. 1 Ingress und lit. d StPO) grundsätzlich zulässig sein kann, wenn das verwendete Fahrzeug weiterhin für den Lenker verfügbar ist und die Beschlagnahme geeignet erscheint, weitere grobe Verkehrsregelverletzungen zu verhindern bzw. zumindest zu verzögern oder zu erschweren (BGE 140 IV 133 E. 3.5 mit Hinweisen; Urteil 1B_556/2017 vom 5. Juni 2018 E. 4.3).  
 
2.3.2. Die Vorinstanz hat zur Verhältnismässigkeit der Massnahme festgehalten, der streitbetroffene Personenwagen wäre für den Beschuldigten ohne Weiteres weiterhin verfügbar, weil dieser der Geschäftsführer und Delegierter des Verwaltungsrats der Beschwerdeführerin sei. Der Einwand der Beschwerdeführerin, es würden Massnahmen getroffen wie der Einzug des Schlüssels und die Veräusserung des Fahrzeugs, vermögen nach Auffassung der Vorinstanz daran nichts zu ändern. So sei etwa unklar, wie der Schlüssel eingezogen werden solle, damit B.________ als Geschäftsführer der Beschwerdeführerin keinen Zugang mehr zu ihm habe, zumal noch ein Zweitschlüssel für das Fahrzeug vorhanden sein könnte. Sodann dürfte es zufolge der Vorinstanz bis zu einer Veräusserung des Fahrzeugs eine Weile dauern, während welcher nicht garantiert werden könne, dass B.________ keinen Zugang zum Personenwagen habe. Zudem sei aktenkundig, dass er am 3. April 2021 bereits einmal mit dem beschlagnahmten Personenwagen der Beschwerdeführerin ohne Führerausweis unterwegs gewesen sei; die Beschwerdeführerin habe aber offenbar trotzdem keine Massnahmen getroffen, um dies zu verhindern, wie der neuerliche Vorfall zeige. Schliesslich sei nicht ersichtlich, weshalb die Beschwerdeführerin den vorsorglich beschlagnahmten Personenwagen zurzeit benötige, zumal nach ihren eigenen Angaben der Betrieb so angepasst werden könne, dass das Fahrzeug nicht mehr benötigt werde. Zusammenfassend erweise sich die Beschlagnahme unter den gegebenen Umständen als erforderlich, um einerseits eine allfällige spätere Einziehung sicherzustellen, andererseits aber auch, um bis zu diesem Zeitpunkt die Gefährdung der Sicherheit von Menschen wie auch die Gefahr einer weiteren deliktischen Verwendung abzuwehren.  
 
2.3.3. Es ist fraglich, ob Art. 197 Abs. 2 StPO (besondere Zurückhaltung bei Zwangsmassnahmen gegenüber nicht beschuldigten Personen) in Fällen wie dem vorliegenden überhaupt zur Anwendung gelangt: Nach den unbestrittenen Feststellungen der Vorinstanz ist B.________ einzelzeichnungsberechtigtes Mitglied des Verwaltungsrats und zugleich - als dessen Delegierter - Geschäftsführer der von der Beschwerdeführerin betriebenen Unternehmung. In einer vergleichbaren Konstellation hat es das Bundesgericht abgelehnt, die beschwerdeführende juristische Person als unbeteiligte Drittperson zu behandeln (vgl. BGE 140 IV 57 E. 4.1.2; Urteile 6B_332/2022 vom 2. Juni 2022 E. 2.3; 1B_208/2015 vom 2. November 2015 E. 5; je mit Hinweisen). Indes kann die Frage vorliegend offenbleiben. Die Beschwerdeführerin bringt nämlich nichts vor, das die Feststellungen und Argumente der Vorinstanz entkräften würde. Dass sie die - auch von ihr selbst unbestritten gebliebenen - Tatsachen anders bewertet als die Vorinstanz, genügt nicht, um deren Entscheid als bundesrechtswidrig oder gar willkürlich erscheinen zu lassen. Die Beschlagnahme erscheint mit Blick auf das automobilistische Verhalten von B.________ vielmehr als erforderlich und geeignet und damit verhältnismässig; dies würde auch dann gelten, wenn die Beschwerdeführerin als Drittperson gälte und dem Gebot der zurückhaltenden Anordnung von Zwangsmassnahmen gegen Drittpersonen gemäss Art. 197 Abs. 2 StPO vorliegend Rechnung zu tragen wäre.  
 
2.4. Damit sind die Voraussetzungen zur vorläufigen Beschlagnahme des Fahrzeugs nach Art. 263 Abs. 1 lit. d StPO i.V.m. Art. 90a SVG gegeben. Die Bestimmungen von Art. 69 Abs. 1 StGB betreffend Sicherungseinziehung gelangen demgegenüber in solchen Fällen nicht mehr zur Anwendung (vgl. BGE 140 IV 133 E. 3.1; Urteil 1B_133/2017 vom 16. Mai 2017 E. 2.2); deren Voraussetzungen sind demnach nicht zu prüfen.  
 
3.  
 
3.1. Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit darauf eingetreten werden kann.  
 
3.2. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die unterliegende Beschwerdeführerin kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG); Parteientschädigung ist keine zu sprechen (Art. 68 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Der Beschwerdeführerin werden Gerichtskosten in der Höhe von Fr. 3'000.-- auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Untersuchungsamt Altstätten und der Anklagekammer des Kantons St. Gallen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. November 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Jametti 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern