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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
8C_683/2010 
 
Urteil vom 5. November 2010 
I. sozialrechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Ursprung, Präsident, 
Bundesrichterin Niquille, Bundesrichter Maillard, 
Gerichtsschreiber Jancar. 
 
Verfahrensbeteiligte 
L.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Bruno Häfliger, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen 
 
Helsana Unfall AG, Versicherungsrecht, Postfach, 8081 Zürich Helsana, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Unfallversicherung (Versicherungsleistungsverweigerung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau vom 8. Juli 2010. 
 
Sachverhalt: 
 
A. 
Der 1959 geborene L.________ war Schadeninspektor bei der Firma G.________ und seit dem Jahr 2005 arbeitslos. Er war bei der Firma Helsana Unfall AG (nachfolgend Helsana) AG obligatorisch unfallversichert. Am 20. März 2007 teilte er einem Freund telefonisch mit, er wolle sich die Pulsadern aufschneiden. Die alarmierten Rettungskräfte fanden den Versicherten in einer von ihm gemieteten Garage. Er liess sie nicht hinein und drohte, zwei Propangasflaschen zur Explosion zu bringen. In der Folge explodierte das Gas, wobei der Versicherte und ein Polizist verletzt wurden. Der Versicherte zog sich Verbrennungen (11 % der Körperoberfläche) und eine Schnittverletzung am linken Handgelenk zu. Mit Verfügung vom 20. Mai 2009 verweigerte ihm die Helsana die Ausrichtung von Geldleistungen. Die dagegen erhobene Einsprache wies sie mit Entscheid vom 31. August 2009 ab. 
 
B. 
Die hiegegen eingereichte Beschwerde wies das Versicherungsgericht des Kantons Aargau mit Entscheid vom 8. Juli 2010 ab. 
 
C. 
Mit Beschwerde beantragt der Versicherte, in Aufhebung des kantonalen Entscheides sei die Helsana zu verpflichten, ihm die gesetzlichen Geldleistungen aus dem Unfall vom 20. März 2007 zuzusprechen; für diesen Unfall seien ihm eine Rente und eine angemessene Integritätsentschädigung auszurichten. 
Die Helsana und das Bundesamt für Gesundheit verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzung (Art. 95 f. BGG) erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Immerhin prüft es, unter Berücksichtigung der allgemeinen Begründungspflicht der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die Rechtsmängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 133 II 249 E. 1.4.1 S. 254). 
Im Beschwerdeverfahren um die Zusprechung oder Verweigerung von Geldleistungen der Unfallversicherung ist das Bundesgericht nicht an die vorinstanzliche Feststellung des rechtserheblichen Sachverhalts gebunden (Art. 97 Abs. 2 und Art. 105 Abs. 3 BGG). 
 
2. 
Die Vorinstanz hat die Regelung, wonach bei Nichtberufsunfällen, die auf ein Wagnis zurückgehen, die Geldleistungen um die Hälfte gekürzt und in besonders schweren Fällen verweigert werden (Art. 39 UVG in Verbindung mit Art. 50 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 UVV; BGE 97 V 72; SVR 2007 UV Nr. 4 S. 10 E. 1 f. [U 122/06]; Urteil 8C_504/2007 vom 16. Juni 2008 E. 2.2 und 6 f.) richtig dargelegt. Gleiches gilt betreffend den im Sozialversicherungsrecht üblichen Beweisgrad der überwiegenden Wahrscheinlichkeit (BGE 134 V 109 E. 9.5 S. 125). Darauf wird verwiesen. Lehre und Rechtsprechung unterscheiden zwischen absoluten und relativen Wagnissen. Ein absolutes Wagnis liegt vor, wenn eine gefährliche Handlung nicht schützenswert ist oder wenn die Handlung mit so grossen Gefahren für Leib und Leben verbunden ist, dass sich diese auch unter günstigsten Umständen nicht auf ein vernünftiges Mass reduzieren lassen. Ein relatives Wagnis ist gegeben, wenn es die versicherte Person unterlassen hat, die objektiv vorhandenen Risiken und Gefahren auf ein vertretbares Mass herabzusetzen, obwohl dies möglich gewesen wäre (BGE 97 V 72 ff.; SVR 2007 UV Nr. 4 S. 10 E. 2.1; Urteil 8C_504/2007 E. 6.1). 
 
3. 
Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur soweit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 135 V 194). Solche Umstände können namentlich in formellrechtlichen Mängeln des angefochtenen Entscheides liegen, mit denen die Partei nicht rechnete und nach Treu und Glauben nicht zu rechnen brauchte, oder darin, dass die Vorinstanz materiell in einer Weise urteilt, dass bestimmte Sachumstände neu und erstmals rechtserheblich werden. Der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein bildet noch keinen hinreichenden Anlass nach Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven, die bereits im kantonalen Verfahren ohne Weiteres hätten vorgebracht werden können (nicht publ. E. 2.3 des Urteils BGE 135 V 163, in SVR 2009 BVG Nr. 30 S. 109 [9C_920/2008]). Das Vorbringen von Tatsachen, die sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereigneten oder entstanden (echte Noven) ist vor Bundesgericht unzulässig (Urteil 8C_652/2010 vom 22. September 2010 E. 3.1). Der Versicherte reicht neu ein Produktdatenblatt betreffend Propan C3H8 der Firma P.________ ein, macht hiefür aber keine nach Art. 99 Abs. 1 BGG relevanten Gründe geltend. Dieses Aktenstück ist somit nicht zu berücksichtigen; hievon abgesehen könnte der Versicherte daraus nichts zu seinen Gunsten ableiten. 
 
4. 
4.1 Die Vorinstanz liess es offen, ob es am 20. März 2007 wegen des Zündvorgangs des elektrischen Heizofens oder wegen des Gebrauchs des Feuerzeugs durch den Versicherten zur Gas-Verpuffung gekommen sei. Sie hat erwogen, unter Berücksichtigung der Einschätzung der Brandexperten der Kantonspolizei X.__________ habe er so viel Gas ausströmen lassen, dass das Gas-/Luftgemisch über der oberen Explosionsgrenze von 10 Volumenprozenten gelegen habe. Es sei ausserordentlich risikovoll, während mehr als einer Stunde in einer ca. 42 m2 kleinen und 2,25 m hohen Garage mit mindestens einem elektrischen Heizgerät Gas aus zwei Flaschen ausströmen zu lassen. Die Heizgeräte seien mit einen Thermostaten ausgerüstet und damals sei es kalt gewesen. Ein Öffnen der Gasflaschen unter diesen Umständen bewirke eine potenziell unkontrollierbare Situation, die ein rechtzeitiges Reagieren äusserst schwierig mache und ungewollt zur Explosion führen könne. Selbst wenn die möglichen Explosionsursachen - Zündvorgang der elektrischen Heizung, Betätigen des Feuerzeugs durch den Versicherten, statische Aufladung - weggedacht würden, verbliebe wegen der hohen Gaskonzentration in der Luft immer noch eine besonders grosse Gefahr für Leib und Leben. Somit sei das Öffnen der Gasflaschen als absolutes Wagnis einzustufen, das eine besonders schwere Gefahr bewirkt habe. Auch die subjektiven Motive des Versicherten - Hinderung der Rettungskräfte am Eindringen in die Garage - wiesen auf eine erhöhte Schwere der Gefahr hin. Dieses Ziel wäre wohl auch zu erreichen gewesen, wenn er nur damit gedroht hätte, das Gas zur Explosion zu bringen, ohne es tatsächlich entweichen zu lassen. Demnach erscheine das Öffnen der Gasflaschen als unsinnig. Gestützt auf die psychiatrische Begutachtung sei der Versicherte trotz der Alkoholintoxikation und Belastungsreaktion überwiegend wahrscheinlich (zumindest teilweise) urteilsfähig gewesen, was für die Bejahung eines Wagnisses genüge. Wegen der besonderen Schwere des Falles habe der Versicherte keinen Anspruch auf Geldleistungen. 
 
4.2 Der Versicherte wendet im Wesentlichen ein, er habe am 20. März 2007 mit dem Entweichenlassen von wenig Propangas eine Gefahr geschaffen, die aber nicht als Wagnis qualifiziert werden könne. Die geschaffene Gefahr sei - falls sie denn als Wagnis qualifiziert werden sollte - keinesfalls dermassen "besonders gross" gewesen, dass ihm die Geldleistungen verweigert werden könnten, zumal die Leistungsverweigerung die Ausnahme und die Kürzung die Regel darstellen solle. Schliesslich sei dem Umstand der verminderten Urteilsfähigkeit Rechnung zu tragen; sollte die Rechtmässigkeit der Leistungskürzung angenommen werden, sei diese wegen seines Gemütszustands und seiner Alkoholintoxikation verhältnismässig herabzusetzen. 
 
5. 
Der Vorinstanz ist beizupflichten, dass sich der Versicherte beim Öffnen der Gasflaschen einer erheblichen Gefahr für Leib und Leben aussetzte, die sich in der Folge in Form einer entsprechenden Gesundheitsschädigung verwirklichte. Ein schützenswerter Grund für dieses Verhalten ist nicht ersichtlich, und es war unter den gegebenen Umständen auch nicht möglich, die Gefahr auf ein vernünftiges Mass zu reduzieren (vgl. E. 7 f. hienach). Sein Vorgehen ist daher als absolutes Wagnis einzustufen, wie die Vorinstanz richtig erkannt hat (vgl. auch Urteil 8C_504/2007 E. 6.2). 
 
6. 
Praxisgemäss liegt kein zu einer Leistungskürzung oder -verweigerung berechtigendes Wagnis vor, wenn die versicherte Person im massgebenden Zeitpunkt vollständig zurechnungs- bzw. schuldunfähig war. Eine bloss teilweise Schuldunfähigkeit führt demgegenüber nicht dazu, dass die versicherungsrechtlichen Konsequenzen des Wagnisses ausbleiben würden (BGE 98 V 144 E. 4a S. 149; Urteil 8C_504/2007 E. 6.3). Gestützt auf das überzeugende Gutachten der Psychiatrischen Dienste Y._________, vom 17. April 2008 und die Gutachtensergänzung vom 30. April 2008 ist davon auszugehen, dass die Urteilsfähigkeit des Versicherten beim Öffnen der Gasflaschen am 20. März 2007 trotz der Alkoholintoxikation und der Belastungsreaktion überwiegend wahrscheinlich nicht vollständig aufgehoben war. Die Voraussetzungen für eine Leistungskürzung oder -verweigerung wegen eines Wagnisses nach Art. 39 UVG in Verbindung mit Art. 50 UVV sind somit erfüllt. 
 
7. 
Der Versicherte kritisiert vor allem - wie vorinstanzlich -, dass ein "besonders schwerer Fall" des Wagnisses angenommen worden sei. 
Ein besonders schwerer Fall kann einerseits in einem besonders grossen zusätzlichen Verschulden des Versicherten liegen. Anderseits kann die besondere Schwere auch in der Grösse der Gefahr bestehen (ALEXANDRA RUMO-JUNGO, Die Leistungskürzung oder -verweigerung gemäss Art. 37-39 UVG, Diss. Freiburg 1993, S. 310; MAURER, Schweizerisches Unfallversicherungsrecht, Bern 1985, S. 512). Die Vorinstanz bejahte die besondere Schwere des Falles wegen der Grösse der Gefahr. Sie stützte sich auf den Bericht der Kantonspolizei X.__________ vom 26. März 2007. 
Der Beschwerdeführer bestreitet dies in erster Linie damit, dass nicht soviel Gas ausgetreten sei, wie die Vorinstanz angenommen habe. Basis seiner Überlegung ist, dass die Garage ein Volumen von 95 m3 aufgewiesen habe, was zutrifft und wovon auch die Vorinstanz ausging (42 m2 Grundfläche x 2,25 m Höhe). Der Versicherte macht geltend, selbst wenn die maximal mögliche Menge von 9,5 kg ausgetreten wäre, könnte nur ein Gas-Luftgemisch von 5 Volumenprozenten entstanden sein. Ein Gemisch von über 10 Prozent, wie von der Vorinstanz angenommen, könne daher unmöglich entstanden sein. Sodann habe unbestritten keine eigentliche Gasexplosion stattgefunden. Eine solche hätte aber bei einem Gemisch zwischen 2 und 10 Volumenprozenten stattfinden müssen. Also sei davon auszugehen, dass eine Mischung unter 2 Volumenprozenten vorgelegen habe. Das belege, dass er nur sehr wenig Gas habe entweichen lassen. Für eine geringe Gasmenge spreche auch, dass er das Gas nicht gerochen habe. Somit treffe es zu, wie er geltend gemacht habe, dass er nur das Ventil kurz geöffnet habe, wenn sich jemand der Tür genähert habe. 
Bei dieser Argumentation des Versicherten stimmt die Grundannahme nicht, nämlich dass das Gas auf das ganze Garagenvolumen von 95 m3 umzurechnen sei. Propan ist schwerer als Luft und senkt sich dadurch auf den Boden, wie auch im Polizeibericht vom 26. März 2007 explizit festgehalten wurde. Es ist somit davon auszugehen, dass im unteren Teil des Raumes eine hohe Dichte bestand, weshalb das ausgeflossene Gas nicht auf die ganzen 95 m3 Garagenvolumen umgerechnet werden kann. Damit ist mit dem Polizeibericht - aufgrund der Spuren (z.B. den vereisten Behältern) - und der Vorinstanz davon auszugehen, dass jedenfalls dort, wo die Verpuffung ausbrach, über 10 Volumenprozenten vorlagen. Ebenfalls spricht nichts gegen die Feststellung im obigen Polizeibericht, die starke Vereisung der Flaschen deute daraufhin, dass die beiden Ventile über längere Zeit geöffnet waren, und nicht nur ganz kurz, wie der Beschwerdeführer geltend macht. Mit der Vorinstanz ist somit von der besonderen Schwere des Wagnisses auszugehen. 
Die Verweigerung der Geldleistungen ist mithin nicht zu beanstanden, zumal auch die subjektiven Motive des Beschwerdeführers nicht geeignet sind, sein Verschulden insgesamt nicht als schwer zu qualifizieren (vgl. Urteil 8C_504/2007 E. 7.2; MAURER, a.a.O., S. 512). 
 
8. 
Der unterliegende Beschwerdeführer trägt die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1, Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2. 
Die Gerichtskosten von Fr. 750.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3. 
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
Luzern, 5. November 2010 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Ursprung Jancar