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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_464/2023  
 
 
Urteil vom 20. Oktober 2023  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Kiss, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Hohl, 
Bundesrichter Rüedi, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. B.________ Sp. z. o. o., 
2. Fédération Internationale de Football Association (FIFA), 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Internationale Schiedsgerichtsbarkeit; Fristwiederherstellung, 
 
Beschwerde gegen den Schiedsentscheid des Tribunal Arbitral du Sport (TAS) vom 21. August 2023. 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 30. Mai 2023 reichte A.________ (Beschwerdeführer) beim Tribunal Arbitral du Sport (TAS) Berufung ein gegen den Entscheid der FIFA-Disziplinarkommission vom 13. April 2023. Gleichzeitig ersuchte er wegen Erkrankung seines Rechtsvertreters um Wiederherstellung der am 26. Mai 2023 abgelaufenen Berufungsfrist. 
 
B.  
Mit Schiedsentscheid vom 21. August 2023 trat das TAS nicht auf die Berufung ein bzw. eröffnete kein Verfahren in dieser Sache. Es befand, die Berufung sei zugestandenermassen verspätet eingereicht worden. Dem Antrag auf Wiederherstellung der Frist könne nicht stattgegeben werden, da der Beschwerdeführer bzw. sein Rechtsvertreter, Herr C.________, nicht unverschuldet verhindert gewesen sei, fristgemäss zu handeln. Die Erkrankung des Rechtsvertreters werde nicht in Frage gestellt. Indessen leide er bereits seit drei Jahren an der Krankheit, und die beklagten Schmerzen und Symptome hätten bereits am 2. Mai 2023 begonnen. Am 8. Mai 2023 habe er die Resultate des Bluttests erhalten, nachdem die Berufungsfrist am 5. Mai 2023 begonnen habe. Die gesundheitlichen Probleme seien bereits zu Beginn der Berufungsfrist aufgetreten, weshalb nicht von einer unvorhergesehenen Verhinderung ausgegangen werden könne. Der Rechtsvertreter hätte rechtzeitig während der laufenden Berufungsfrist seinen Klienten informieren oder einen Stellvertreter beiziehen können, wie er dies in anderen Fällen getan habe, was zeige, dass er dazu in der Lage war. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Zivilsachen beantragt der Beschwerdeführer dem Bundesgericht, es sei der Schiedsentscheid des TAS vom 21. August 2023 aufzuheben, es sei die Berufung vom 30. Mai 2023 gegen den Entscheid der FIFA-Disziplinarkommission vom 13. April 2023 für zulässig zu erklären, eventualiter sei das TAS anzuweisen, die Berufungsfrist wieder herzustellen, subeventualiter sei die Sache an das TAS zurückzuweisen zu neuem Entscheid über das Restitutionsgesuch im Sinne der bundesgerichtlichen Erwägungen. Ausserdem ersucht er um Bewilligung der unentgeltlichen Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. 
Das Bundesgericht führte keinen Schriftenwechsel durch. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Nach Art. 54 Abs. 1 BGG wird das Verfahren in einer Amtssprache geführt, in der Regel in der Sprache des angefochtenen Entscheids. Verwenden die Parteien eine andere Amtssprache, so kann das Verfahren in dieser Sprache geführt werden. 
Vorliegend ist der angefochtene Entscheid in Englisch abgefasst, ebenso die Beschwerde, was in der vorliegenden internationalen Schiedssache zulässig ist (Art. 77 Abs. 2bis BGG). 
Der Beschwerdeführer ersucht darum, dass der Entscheid des Bundesgerichts auf Englisch ergeht. Dem Antrag kann nicht stattgegeben werden. Nach Art. 54 BGG läuft das bundesgerichtliche Verfahren und damit auch die Abfassung des Entscheids in einer Amtssprache ab (vgl. BGE 142 III 521 E.1). Da Englisch keine solche ist, entscheidet das Bundesgericht nach Ermessen, in welcher Sprache der Entscheid ergeht. Vorliegend erfolgt dies aus Gründen gleichmässiger Belastung der Sprachsektionen auf Deutsch. 
 
2.  
 
2.1. Die vorliegende Streitsache betrifft die internationale Schiedsgerichtsbarkeit, sodass die Bestimmungen des 12. Kapitels des IPRG anwendbar sind. Im Bereich der internationalen Schiedsgerichtsbarkeit ist die Beschwerde in Zivilsachen unter den Voraussetzungen der Art. 190-192 IPRG (SR 291) zulässig (Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG).  
Ein Entscheid des TAS, mit dem dieses wegen verspäteter Einreichung des Rechtsmittels und unter Abweisung eines Restitutionsgesuchs nicht auf das Rechtsmittel eintritt bzw. kein Verfahren eröffnet, ist mit Beschwerde an das Bundesgericht nach Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG anfechtbar (Urteil 4A_316/2021 vom 3. August 2021 E. 3 mit Hinweisen). 
Die erhobene Beschwerde ist daher grundsätzlich zulässig. 
 
2.2. Die Beschwerde im Sinne von Art. 77 Abs. 1 BGG ist grundsätzlich rein kassatorischer Natur, das heisst, sie kann nur zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führen (vgl. Art. 77 Abs. 2 BGG, der die Anwendbarkeit von Art. 107 Abs. 2 BGG ausschliesst, soweit dieser dem Bundesgericht erlaubt, in der Sache selbst zu entscheiden). Hier nicht relevante Ausnahmen bestehen, soweit es um die Zuständigkeit des Schiedsgerichts oder die Ablehnung eines Schiedsrichters geht (BGE 136 III 605 E. 3.3.4 mit Hinweisen). Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass das Bundesgericht die Sache an das Schiedsgericht zurückweist (Urteile 4A_180/2023 vom 24. Juli 2023 E. 2.2; 4A_446/2022 vom 15. Mai 2023 E. 2.2).  
Die Beschwerdeanträge, welche über die Aufhebung des angefochtenen Schiedsentscheids bzw. die Rückweisung hinausgehen, mithin das Bundesgericht habe die Berufung als rechtzeitig zu erklären bzw. das TAS anzuweisen, die Berufung als rechtzeitig entgegenzunehmen, sind daher unzulässig. Darauf ist von vornherein nicht einzutreten. 
 
2.3. Nach Art. 77 Abs. 3 BGG prüft das Bundesgericht nur die Rügen, die in der Beschwerde vorgebracht und begründet worden sind; dies entspricht der in Art. 106 Abs. 2 BGG für die Verletzung von Grundrechten und von kantonalem und interkantonalem Recht vorgesehenen Rügepflicht (BGE 134 III 186 E. 5 mit Hinweis). Appellatorische Kritik ist unzulässig (BGE 142 III 239 E. 3.1; 141 III 495 E. 3.1).  
 
3.  
Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil das Schiedsgericht verkannt habe, dass die Verhinderung seines Rechtsvertreters unvorhersehbar gewesen sei. 
 
3.1. Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG lässt die Anfechtung allein wegen der zwingenden Verfahrensregeln gemäss Art. 182 Abs. 3 IPRG zu. Danach muss das Schiedsgericht insbesondere den Anspruch der Parteien auf rechtliches Gehör wahren. Dieser entspricht - mit Ausnahme des Anspruchs auf Begründung - dem in Art. 29 Abs. 2 BV gewährleisteten Verfassungsrecht. Die Rechtsprechung leitet daraus insbesondere das Recht der Parteien ab, sich über alle für das Urteil wesentlichen Tatsachen zu äussern, ihren Rechtsstandpunkt zu vertreten, ihre entscheidwesentlichen Sachvorbringen mit tauglichen sowie rechtzeitig und formrichtig angebotenen Mitteln zu beweisen, sich an den Verhandlungen zu beteiligen und in die Akten Einsicht zu nehmen (BGE 147 III 379 E. 3.1, 586 E. 5.1; 142 III 360 E. 4.1.1; 130 III 35 E. 5; je mit Hinweisen). Der Anspruch auf rechtliches Gehör in einem kontradiktorischen Verfahren nach Art. 182 Abs. 3 und Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG umfasst nach ständiger Rechtsprechung nicht auch den Anspruch auf Begründung eines internationalen Schiedsentscheids (BGE 134 III 186 E. 6.1 mit Hinweisen). Dennoch ergibt sich daraus eine minimale Pflicht der Schiedsrichter, die entscheiderheblichen Fragen zu prüfen und zu behandeln. Diese Pflicht verletzt das Schiedsgericht, wenn es aufgrund eines Versehens oder eines Missverständnisses rechtserhebliche Behauptungen, Argumente, Beweise oder Beweisanträge einer Partei unberücksichtigt lässt. Das bedeutet jedoch nicht, dass sich das Schiedsgericht ausdrücklich mit jedem einzelnen Vorbringen der Parteien auseinandersetzen muss (BGE 142 III 360 E. 4.1.1; 133 III 235 E. 5.2 mit Hinweisen).  
 
3.2. Der Beschwerdeführer bestreitet, dass die gesundheitliche Verhinderung seines Rechtsvertreters bereits zu Beginn der Berufungsfrist voraussehbar gewesen sei. Erst am 24. Mai 2023 seien die starken Schmerzen aufgetreten, die ihn am rechtzeitigen Handeln gehindert hätten, und erst am 25. Mai 2023 sei evident geworden, dass er die Berufung nicht werde einreichen können. Vorher sei er nicht dauernd an der Arbeit verhindert gewesen, und die erfolgten Delegationen hätten nichts mit seinem Gesundheitszustand zu tun gehabt. Das TAS habe seinen Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil es das entscheidende Argument übergangen habe, dass Grund für die verpasste Berufungsfrist das plötzliche Wiederaufflammen der Symptome in heftigster Weise am Nachmittag des 24. Mai 2023 und die Verschlechterung (mit erstmals aufgetretenen Blutungen) am 25. Mai 2023 gewesen sei. Diese am 24./25. Mai 2023 aufgetretene Verschlechterung sei plötzlich und unvorhersehbar gewesen. In den Jahren zuvor hätten ihn die diesbezüglichen Beschwerden nicht durchgehend am Arbeiten gehindert. Er habe daher keine Veranlassung gehabt, zu Beginn der Berufungsfrist Vorsichtsmassnahmen zu treffen.  
Das Schiedsgericht wies ausdrücklich auf die im Restitutionsgesuch angeführten Gründe für die Verspätung und die eingereichten Dokumente sowie die zusätzlich gelieferten Informationen hin und zitierte ausführlich aus den Schriftsätzen. Es trifft daher nicht zu, dass es die Argumente und Angaben des Beschwerdeführers nicht gehört habe. Im Gegenteil, hat es diese explizit berücksichtigt. 
Indessen zog es daraus andere Schlussfolgerungen als der Beschwerdeführer. Darin liegt keine Gehörsverletzung. Mit seinen Ausführungen in der Beschwerde, weshalb das Restitutionsgesuch hätte gutgeheissen werden müssen, übt der Beschwerdeführer richtig besehen unzulässige inhaltliche Kritik an der schiedsgerichtlichen Würdigung. Damit kann er nicht gehört werden. Denn der Anspruch auf rechtliches Gehör in einem kontradiktorischen Verfahren nach Art. 182 Abs. 3 und Art. 190 Abs. 2 lit. d IPRG enthält nach ständiger Rechtsprechung keinen Anspruch auf einen materiell richtigen Entscheid, sondern sichert allein das Recht auf Beteiligung der Parteien an der Entscheidfindung (BGE 127 III 576 E. 2b und 2d). Dieses wurde vorliegend gewahrt. 
 
4.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG) und sein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist zufolge Aussichtslosigkeit abzuweisen (Art. 64 Abs. 1 BGG). Indessen kann mit Blick auf die gegebenen Umstände ausnahmsweise auf die Erhebung von Kosten verzichtet werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Damit wird das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege mit Bezug auf die Gerichtskosten gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen, soweit es nicht gegenstandslos ist. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Tribunal Arbitral du Sport (TAS) schriftlich mitgeteilt. Mangels Erreichbarkeit (Nichtabholung der PrivaSphere-Zusendungen) wird das Exemplar für die Beschwerdegegnerin 1 zu ihren Handen im Dossier einbehalten (vgl. Art. 39 Abs. 3 BGG). 
 
 
Lausanne, 20. Oktober 2023 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Kiss 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle