Avis important:
Les versions anciennes du navigateur Netscape affichent cette page sans éléments graphiques. La page conserve cependant sa fonctionnalité. Si vous utilisez fréquemment cette page, nous vous recommandons l'installation d'un navigateur plus récent.
 
Urteilskopf

149 I 366


31. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_523/2021 vom 25. April 2023

Regeste

Art. 5 Ziff. 1 lit. e und Ziff. 5 EMRK; Art. 59 StGB; Art. 236 Abs. 4 StPO; Frage der Staatshaftung wegen Unterbringung eines Massnahmeunterworfenen in ungeeigneten Einrichtungen.
Bestimmung der Dauer, während der der Beschwerdeführer in einer für den Vollzug der angeordneten Massnahme ungeeigneten Einrichtung untergebracht war; Mitberücksichtigung der Phase des vorzeitig angeordneten Massnahmenvollzugs (E. 7).
Die resultierende Wartezeit bzw. Organisationshaft von rund 17 Monaten kann unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Falls nicht mehr als vereinbar mit den konventionsrechtlichen Vorgaben betrachtet werden (E. 8).

Sachverhalt ab Seite 367

BGE 149 I 366 S. 367

A. Mit Urteil vom 9. Dezember 2014 ordnete das Regionalgericht Bern-Mittelland gegenüber A. eine ambulante Massnahme nach Art. 63 StGB sowie Bewährungshilfe an. Es stellte fest, dass die objektiven Tatbestandsmerkmale mehrerer Delikte erfüllt waren, A. im Zeitpunkt der Tatbegehung jedoch schuldunfähig im Sinne von Art. 19 StGB war. Das für das Urteil in Auftrag gegebene psychiatrische Gutachten diagnostizierte bei ihm eine paranoide Schizophrenie.

B. Am 28. April 2015 wurde A. aufgrund des dringenden Tatverdachts der Körperverletzung vorläufig festgenommen und am Tag darauf in Untersuchungshaft versetzt. Am 26. Oktober 2015 hiess die Staatsanwaltschaft Bern-Mittelland ein Gesuch um vorzeitigen Massnahmenvollzug gut, woraufhin ihn die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug (heute: Bewährungs- und Vollzugsdienste) des Amtes für Freiheitsentzug und Betreuung (heute: Amt für Justizvollzug) am 2. November 2015 zum vorzeitigen Massnahmenvollzug in die Justizvollzugsanstalt Thorberg (nachfolgend: JVA Thorberg) einwies. Es folgten Aufenthalte auf der Bewachungsstation am Inselspital (nachfolgend: Bewachungsstation), in den Regionalgefängnissen Burgdorf und Thun, erneut (kurz) auf der Bewachungsstation sowie auf der forensisch-psychiatrischen Spezialstation Etoine der Universitären Psychiatrischen Dienste Bern (nachfolgend: Station Etoine).
Mit Urteil vom 10. Juni 2016 ordnete das Regionalgericht Bern-Mittelland (definitiv) eine stationäre Massnahme nach Art. 59 StGB an. Es hielt dabei fest, dass A. 2015 unter anderem eine vorsätzliche schwere Körperverletzung, Sachbeschädigung und Drohung begangen
BGE 149 I 366 S. 368
hatte, im Tatzeitpunkt jedoch aufgrund einer akuten Episode paranoider Schizophrenie schuldunfähig im Sinne von Art. 19 Abs. 1 StGB war.
Am 12. April 2017 trat A. in die Klinik für Forensische Psychiatrie Königsfelden (nachfolgend: Klinik Königsfelden) zwecks Vollzugs der stationären Massnahme ein.

C. Am 21. Februar 2018 reichte A. bei der Polizei- und Militärdirektion des Kantons Bern (heute: Sicherheitsdirektion) ein Staatshaftungsgesuch ein. Er beantragte, der Kanton Bern sei zu verpflichten, ihm Schadenersatz von Fr. 30'000.- sowie eine Genugtuung von Fr. 184'450.-, beides zuzüglich Zins zu 5 % seit 12. April 2017, zu bezahlen. Zur Begründung brachte A. vor, er sei im Zeitraum vom 2. November 2015 bis am 12. April 2017 in einer für den Vollzug der stationären therapeutischen Massnahme ungeeigneten Einrichtung untergebracht gewesen. Die Polizei- und Militärdirektion wies das Staatshaftungsgesuch mit Verfügung vom 19. Dezember 2019 ab. Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Verwaltungsgericht des Kantons Bern mit Urteil vom 19. Mai 2021 ab.

D. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 28. Juni 2021 gelangt A. ans Bundesgericht. Er verlangt, das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 19. Mai 2021 sei aufzuheben und die Beschwerde im Sinne der vorinstanzlichen Anträge gutzuheissen. Eventualiter sei das angefochtene Urteil aufzuheben und die Sache zur neuen Begründung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen.
Im Rahmen der Vernehmlassung beantragen sowohl das Verwaltungsgericht als auch die Sicherheitsdirektion des Kantons Bern, die Beschwerde sei abzuweisen.
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde gut und weist die Sache zu neuem Entscheid im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurück.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

7. Vor dem Hintergrund des Gesagten ist in einem ersten Schritt die Dauer der Organisationshaft bzw. Wartezeit des Beschwerdeführers zu bestimmen, bis er in einer für den Vollzug der angeordneten Massnahme geeigneten Einrichtung untergebracht wurde.
BGE 149 I 366 S. 369

7.1 Zu berücksichtigen gilt es in dieser Hinsicht, dass es sich in einer ersten Phase um einen vorzeitigen Massnahmenvollzug im Sinne von Art. 236 StPO handelte: Gestützt auf die Bewilligung der Staatsanwaltschaft verfügte die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug am 2. November 2015 den vorzeitigen Massnahmenvollzug und wies den Beschwerdeführer in die JVA Thorberg ein; die gerichtliche Anordnung der stationären Massnahme nach Art. 59 StGB erfolgte erst am 10. Juni 2016 durch das Regionalgericht Bern-Mittelland.
Eine beschuldigte Person bleibt im vorzeitigen Straf- bzw. Massnahmenvollzug Partei des hängigen Strafprozesses, der von der jeweiligen Verfahrensleitung zu führen ist (BGE 143 I 241 E. 4.4; Urteil 1B_122/2022 vom 20. April 2022 E. 3.4; vgl. ferner zur Rechtsnatur des vorläufigen stationären Massnahmenvollzugs als strafprozessuale Massnahme BGE 126 I 172 E. 3 und 4). Die Rechtsprechung zur Frage der Zulässigkeit der vorübergehenden Unterbringung eines rechtskräftig verurteilten Massnahmeunterworfenen in einer ungeeigneten Einrichtung kann deshalb auch nicht ohne Weiteres auf den vorzeitigen Massnahmenvollzug angewendet werden (vgl. Urteil 1B_251/2020 vom 17. Juni 2020 E. 5.2 und 5.3). Gemäss Art. 236 Abs. 4 StPO untersteht jedoch auch der Betroffene einer vorzeitigen Massnahme vom Zeitpunkt seines Eintritts in die Vollzugsanstalt dem Vollzugsregime, wenn der Zweck der Untersuchungs- oder der Sicherheitshaft dem nicht entgegensteht (vgl. BGE 145 I 318 E. 2.3; BGE 143 I 241 E. 4.2; Urteile 1B_211/2022 vom 18. Mai 2022 E. 3.1 sowie 1B_122/2022 vom 20. April 2022 E. 3.2).
Es ist vorliegend weder ersichtlich, noch machen die kantonalen Behörden geltend, dass bzw. inwiefern die Untersuchungs- oder Sicherheitshaft einer Unterstellung des Beschwerdeführers unter das Vollzugsregime, einschliesslich der hierzu geltenden Grundsätze betreffend Organisationshaft (vgl. nicht publ. E. 5), entgegengestanden hätte. Folglich gilt es im vorliegenden Fall für die Phase des vorzeitig angeordneten Vollzugs wie auch für die Zeitspanne danach (gemeinsam) zu prüfen, ob der Beschwerdeführer in einer geeigneten Einrichtung untergebracht war (vgl. BGE 148 IV 419 E. 1.7, insb. 1.7.3; Urteile 1B_251/2020 vom 17. Juni 2020 E. 5.2 und 5.3; 6B_486/2007 vom 15. Februar 2008 E. 2).

7.2 Konkret ergibt sich aus den vorinstanzlichen Feststellungen sodann, dass der Beschwerdeführer ab der Anordnung des vorzeitigen
BGE 149 I 366 S. 370
Massnahmenvollzugs vom 2. November 2015 bis am 12. April 2017 warten musste, bis er zum Antritt der Massnahme in die Klinik Königsfelden eintreten konnte:
In einer ersten Phase befand sich der Beschwerdeführer während vier Monaten in der JVA Thorberg, wo er psychiatrisch begleitet wurde; eine interne Verlegung auf die damalige therapeutische Abteilung kam nicht zustande. Am 19. Februar 2016 wurde der Beschwerdeführer aufgrund akuter Selbst- und Fremdgefährdung in der Sicherheitsabteilung der JVA Thorberg isoliert. Es folgte eine erste Verlegung auf die Bewachungsstation, da sich der Beschwerdeführer zunehmend psychotisch verhielt und in Bezug auf die Behandlung seiner Diabeteserkrankung nicht kooperierte. In einer zweiten Phase verbrachte der Beschwerdeführer knapp 10 Monate in Regionalgefängnissen. In diesem Zeitraum war der Beschwerdeführer in regelmässiger psychologischer und ärztlicher Behandlung, erhielt aber lediglich eine psychiatrische und medizinische Basisversorgung. Per 4. Januar 2017 musste der Beschwerdeführer sodann erneut auf die Bewachungsstation und am 12. Januar 2017 für drei Monate auf die Station Etoine verlegt werden, nachdem er im Regionalgefängnis ein medizinisches Risiko darstellte. In dieser dritten Phase hat man den Beschwerdeführer psychiatrisch und medizinisch umfassend versorgt. Neben der notwendigen Kontrolle des Blutzuckers wurde insbesondere versucht, beim Beschwerdeführer eine antipsychotische Medikation zu etablieren und die für eine Therapie erforderliche Behandlungseinsicht und -motivation herzustellen.

7.3 Gestützt auf diese Feststellungen hielt die Vorinstanz verbindlich fest, dass der Beschwerdeführer in den genannten Institutionen keine spezifische, d.h. auf den Beschwerdeführer bezogene delikt- und störungsorientierte Therapie erhalten hat; die mit dem Massnahmenentscheid angeordnete Therapie erfolgte erst mit dem Eintritt in die Klinik Königsfelden. Die Vorinstanz erwog in diesem Zusammenhang auch, dass die Polizei- und Militärdirektion nicht geltend gemacht habe, dass vorliegend die Voraussetzungen für eine Unterbringung und Behandlung des Beschwerdeführers in einer Strafanstalt nach Art. 59 Abs. 3 StGB i.V.m. Art. 76 Abs. 2 StGB erfüllt gewesen seien und dort die nötige therapeutische Behandlung durch Fachpersonal gewährleistet gewesen sei.
Mit der Vorinstanz ist deshalb davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer bis zum Eintritt in die Klinik Königsfelden nicht in
BGE 149 I 366 S. 371
einer zum Vollzug der angeordneten Massnahme geeigneten psychiatrischen Einrichtung untergebracht war. Daran ändert grundsätzlich nichts, dass der Beschwerdeführer auch während seiner Aufenthalte in Strafvollzugseinrichtungen stets Zugang zu grundlegender psychiatrischer und umfassender medizinischer Versorgung hatte und er zudem während insgesamt sieben Monaten in Kliniken, darunter drei Monate auf der forensisch-psychiatrischen Station Etoine, untergebracht war. Denn auch dort stand für ihn kein Therapieplatz entsprechend der angeordneten Massnahme zur Verfügung.

7.4 Es ist folglich davon auszugehen, dass die Organisationshaft bzw. Wartezeit des Beschwerdeführers von der Anordnung des vorzeitigen Massnahmenvollzugs vom 2. November 2015 bis zum Eintritt in die Klinik Königsfelden am 12. April 2017 und damit rund 17 Monate dauerte.

8. Zu prüfen ist im Folgenden, ob die resultierende Wartezeit bzw. Organisationshaft von rund 17 Monaten bis zum Eintritt in die Klinik Königsfelden mit Blick auf die bundes- und konventionsrechtlichen Vorgaben (vgl. nicht publ. E. 5) noch als zulässig zu betrachten ist.

8.1 Zusammengefasst erwog die Vorinstanz im angefochtenen Entscheid, dass das Verhalten der Vollzugsbehörden im Zusammenhang mit der Organisationshaft von rund 17 Monaten weder ungenügende Bemühungen für eine adäquate Unterbringung des Beschwerdeführers noch anderweitige Sorgfaltspflichtverletzungen erkennen lasse. Vielmehr habe die Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug unter den gegebenen Umständen ihren Handlungsspielraum ausgeschöpft, um den Beschwerdeführer so schnell wie möglich in einer geeigneten Institution unterzubringen. Der Zweck der Massnahme sei jederzeit die Etablierung einer adäquaten Behandlung resp. die auf eine Resozialisierung des Beschwerdeführers ausgerichtete Therapierung gewesen. Ein struktureller Mangel an Therapieplätzen sei in der Schweiz trotz bestehender Wartezeiten nicht auszumachen. Weiter sei zu beachten, dass der Beschwerdeführer im fraglichen Zeitraum über insgesamt sieben Monate in Kliniken behandelt worden sei. Auch während seiner Aufenthalte in Strafvollzugseinrichtungen sei er zudem jederzeit medizinisch und zumindest grundlegend psychiatrisch versorgt gewesen. Die Schwierigkeiten bei der Unterbringung des Beschwerdeführers in einer geeigneten Einrichtung hätten weniger in einem allfälligen strukturell bedingten Mangel an Therapieplätzen gelegen, sondern vielmehr in seinem eigenen
BGE 149 I 366 S. 372
Verhalten im Vollzug. Die übergangsweise Platzierung in ungeeigneten Einrichtungen erweise sich im Ergebnis zwar als lang, jedoch als erforderlich, damit eine geeignete Vollzugseinrichtung habe gefunden werden können.

8.2 Der Beschwerdeführer bringt dagegen im Wesentlichen vor, es bestehe einerseits ein struktureller Mangel an Therapieplätzen im Kanton Bern, womit den Behörden von vornherein klar gewesen sei, dass die angeordnete Massnahme nicht wie geplant habe durchgeführt werden können. Bereits deshalb sei die Organisationshaft des Beschwerdeführers unzulässig gewesen. Andererseits macht er zusammengefasst geltend, die Bemühungen der Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug seien ungenügend gewesen: Insbesondere seien zunächst lediglich 3 von 8 potenziellen Einrichtungen angefragt worden und diese erst Monate später ein zweites Mal kontaktiert worden. Es gehe zudem nicht an, dem Beschwerdeführer seine Erkrankung als Grund anzulasten, weshalb er über 17 Monate nicht in eine geeignete Einrichtung habe übertreten können. Die angeblich fehlende Behandlungseinsicht und Therapiemotivation sei vielmehr gerade auf die falsche Platzierung zurückzuführen.

8.3 Im Ergebnis erweist sich diese Kritik des Beschwerdeführers als berechtigt.

8.3.1 Gemäss dem psychiatrischen Gutachten des Forensisch-Psychiatrischen Dienstes der Universität Bern vom 5. Oktober 2015 galt es eine Unterbringung in einem Gefängnis (auch zur Zwischenplatzierung) zu vermeiden, weil sich eine solche ungünstig auf den Krankheitsverlauf des Beschwerdeführers auswirken würde (vgl. ferner zu den Auswirkungen einer unbehandelten Psychose bzw. eines längeren Aufenthalts in einem Untersuchungsgefängnis oder in einer Strafanstalt von schizophrenen Straftätern HEER/HABERMEYER, in: Basler Kommentar, Strafrecht, Bd. I, 4. Aufl. 2019, N. 69b zu Art. 59 StGB).
Auch wenn offengelassen werden kann, ob - wie der Beschwerdeführer geltend macht - strukturelle Mängel im Sinne der Rechtsprechung des EGMR vorliegen, erscheint zumindest offensichtlich, dass im Kanton Bern ein ausgewiesener Mangel an adäquaten innerkantonalen Platzierungsmöglichkeiten für psychisch kranke Straftäterinnen und Straftäter besteht, was zu teils langen Wartezeiten bis zum Massnahmenantritt führt, speziell bei schuldunfähigen Personen. Dies ergibt sich erstens aus der vom Beschwerdeführer und
BGE 149 I 366 S. 373
im angefochtenen Entscheid zitierten Fachliteratur (vgl. DOROTHEE KLECHA UND ANDERE, Der Bedarf an forensischen Klinikbetten am Beispiel des Kantons Bern, Schweizerische Zeitschrift für Kriminologie 3/2016 S. 3-12, S. 9 ff.; ferner MICHAEL LIEBRENZ UND ANDERE, Art. 59 StGB: Zur Platzierung von Patient*innen im Kanton Bern, Jusletter 11. Januar 2021 S. 2). Zweitens zeigt sich die Problematik gerade am vorliegenden Fall, wobei auch die Vorinstanz von "bestehenden Wartezeiten" spricht.

8.3.2 Bei dieser Ausgangslage (Vermeidung einer Zwischenplatzierung; Kapazitätsmangel bzw. Wartezeiten) erweist es sich gerade nicht als ausreichend, dass die Vollzugsbehörden am 17. November 2015 zunächst lediglich drei psychiatrische Einrichtungen - die UPK Basel, die Klinik Königsfelden und das Zentrum Rheinau - um Aufnahme des Beschwerdeführers ersuchten. Selbst nachdem diese den Beschwerdeführer auf ihre Wartelisten gesetzt hatten und damit klar war, dass eine zeitnahe Platzierung dort nicht möglich war, blieben weitere Aufnahmegesuche aus. Erst nach der ersten Absage durch die UPK Basel ersuchten die Vollzugsbehörden weitere Einrichtungen um Aufnahme, namentlich am 22. August 2016 (nochmals UPK Basel), am 30. September 2016 (Klinik Beverin) und am 28. Oktober 2016 (JVA Solothurn). Um die Möglichkeit einer raschen Platzierung des Beschwerdeführers entsprechend den gutachterlichen Empfehlungen und trotz bekanntermassen langer Wartezeiten hinreichend zu wahren, hätten von Beginn weg mehr Einrichtungen angefragt werden müssen.

8.3.3 Nicht überzeugend ist in diesem Zusammenhang der Verweis der Vorinstanz darauf, es entspreche dem Sinn der Strafvollzugskonkordate, dass bei der Suche nach einem Platz für den stationären Massnahmenvollzug zunächst in erster Linie die Anstalten der Konkordatskantone angefragt werden. Wie die Vorinstanz festhielt, richtete sich bereits eines der drei ersten Aufnahmegesuche von November 2015 an das ausserkonkordatliche Zentrum Rheinau. Entsprechend bestand unter Berücksichtigung der prekären Ausgangslage (vgl. vorstehende E. 8.3.1) kein Grund, nicht noch weitere ausserkonkordatliche Institutionen anzufragen. Auch bei allfälligen Aufnahmebeschränkungen betreffend ausserkonkordatliche Massnahmeunterworfene hätte dies zumindest die Chancen erhöht, einen (zeitnahen) Eintritt des Beschwerdeführers in eine forensisch-psychiatrische Klinik zu ermöglichen (vgl. BGE 148 I 116 E. 2.4 und 2.6 sowie Urteil 6B_1293/2016 vom 23. Oktober 2017 E. 2.1, wonach
BGE 149 I 366 S. 374
die Vollzugsbehörden ihre Suche auf die ganze Schweiz erstrecken müssen).

8.3.4 Die Vorinstanz stellte fest, dass mangelnde Krankheitseinsicht und Behandlungsmotivation, der fehlende Therapiewille sowie ein wiederholt akut selbst- und fremdgefährdendes Verhalten immer wieder zu anstaltsinternen Disziplinierungen geführt und dazu beigetragen haben, dass der Beschwerdeführer von der JVA Thorberg auf die Bewachungsstation und von dort in ein Regionalgefängnis hat verlegt werden müssen. Zudem habe die UPK Basel die zweimalige Ablehnung der Aufnahmegesuche mit der fehlenden Behandlungseinsicht und der mangelnden Therapiemotivation des Beschwerdeführers begründet, womit seine dortige Aufnahme gemäss der Vorinstanz an objektiven Gründen gescheitert sei, die nicht im Verantwortungsbereich der Vollzugsbehörden liegen würden.
Es ist grundsätzlich richtig, dass sich die Zulässigkeit einer vorübergehenden Unterbringung in einer ungeeigneten Einrichtung rechtsprechungsgemäss unter anderem daran bemisst, ob in der Person des Betroffenen begründete Schwierigkeiten vorliegen (vgl. nicht publ. E. 5.3). Gleichwohl kann das Verhalten des Beschwerdeführers hier eine Wartezeit von 17 Monaten nicht (mehr) rechtfertigen: Grundsätzlich gilt es zu bemerken, dass dem Beschwerdeführer sein Verhalten - wie die Vorinstanz zu Recht selbst anführt - aufgrund seiner paranoiden Schizophrenie nicht vorbehaltlos entgegengehalten werden kann. Insbesondere lag nach den vorinstanzlichen Feststellungen ein erstes Therapieziel der Massnahme gerade darin, Krankheitseinsicht und Therapiewilligkeit zu schaffen. Darüber hinaus entbinden auch im Verhalten des Beschwerdeführers liegende Schwierigkeiten die Behörden nicht davon, sich hinreichend um einen geeigneten Einrichtungsplatz zu bemühen (vgl. vorstehende E. 8.3.2).

8.3.5 Die Vorinstanz relativierte die Wartezeit des Beschwerdeführers schliesslich, indem sie diese in drei unterschiedliche Phasen unterteilte (vgl. E. 7.2): Nur die zweite Phase, in welcher der Beschwerdeführer insgesamt neun Monate und 28 Tage in Regionalgefängnissen verbrachte und lediglich eine psychiatrische und medizinische Basisversorgung sichergestellt war, könne als "eigentliche Wartezeit" bezeichnet werden. Demgegenüber seien die erste Phase (Aufenthalt in der JVA Thorberg) und die dritte Phase (Aufenthalt auf der Bewachungsstation sowie der Station Etoine) vielmehr als therapievorbereitend zu betrachten.
BGE 149 I 366 S. 375
Mit der Vorinstanz ist davon auszugehen, dass eine vorübergehende Unterbringung in der JVA Thorberg im Sinne einer Notsituation grundsätzlich als zulässig erachtet werden kann, zumal den Vollzugsbehörden eine gewisse Zeit zuzugestehen ist, eine geeignete Einrichtung zu suchen und einen Massnahmenplatz zu organisieren.
Auch gilt es rechtsprechungsgemäss zu berücksichtigen, dass eine vorübergehende und an sich ungeeignete Unterbringung zumindest teilweise als therapeutisch adäquat angesehen werden kann (vgl. nicht publ. E. 5.3). Insofern ist hier miteinzubeziehen, dass der Beschwerdeführer während seiner Wartezeit mehrfach auf der Bewachungsstation sowie auf der Station Etoine untergebracht war, dort psychiatrisch wie medizinisch umfassend betreut wurde und man insbesondere auf der Station Etoine versuchte, eine antipsychotische Medikation zu etablieren und ein Krankheitsverständnis zu entwickeln. Aus den vorinstanzlichen Feststellungen ergibt sich indessen auch, dass diese Klinikaufenthalte nicht etwa im Sinne einer Therapievorbereitung vorgesehen waren, sondern als Kriseninterventionen erfolgten, zuletzt nachdem der Beschwerdeführer knapp 10 Monate und entgegen den gutachterlichen Empfehlungen in Regionalgefängnissen untergebracht war und er dort ein medizinisches Risiko darstellte. Hinzu kommt, dass der Beschwerdeführer trotz umfassender psychiatrischer und medizinischer Betreuung in den Kliniken keine spezifische Therapie entsprechend der angeordneten Massnahme erhalten hatte (vgl. E. 7.3; ferner im Unterschied dazu etwa die Urteile 2C_544/2021 vom 11. Mai 2022 E. 6; 6B_294/2020 vom 24. September 2020 E. 5). Bei dieser Sachlage vermögen auch die zwischenzeitlichen Aufenthalte des Beschwerdeführers auf der Bewachungsstation und der dreimonatige Aufenthalt auf der Station Etoine seine Wartezeit nicht als zulässig erscheinen zu lassen.

8.4 Nach Gesagtem verstiess die rund 17-monatige Wartezeit bzw. Organisationshaft des Beschwerdeführers gegen die Vorgaben von Art. 5 Ziff. 1 lit. e EMRK: Angesichts des Umstandes, dass es erstens eine zwischenzeitliche Unterbringung in einem Gefängnis aufgrund des Krankheitsverlaufs des Beschwerdeführers zu vermeiden galt und zweitens bekanntermassen längere Wartezeiten für Klinikplätze bestanden, erweisen sich die zu Beginn auf drei Institutionen beschränkten Aufnahmegesuche als unzureichend. Folglich ist die Unterbringung des Beschwerdeführers bzw. Vollzugsform spätestens ab dem Zeitpunkt seiner Verlegung in das Regionalgefängnis Burgdorf als rechtswidrig zu qualifizieren.

contenu

document entier
regeste: allemand français italien

Etat de fait

Considérants 7 8

références

ATF: 143 I 241, 126 I 172, 145 I 318, 148 IV 419 suite...

Article: Art. 59 StGB, Art. 5 Ziff. 1 lit. e und Ziff. 5 EMRK, Art. 236 Abs. 4 StPO, Art. 63 StGB suite...