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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_878/2022  
 
 
Urteil vom 26. Januar 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Bovey, Bundesrichterin De Rossa, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Berthold Herrmann, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Stadt Luzern, Pilatusstrasse 22, 6003 Luzern, 
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Isabelle Roos, 
C.________, Belgien. 
 
Gegenstand 
Vorsorgliche Aufhebung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 29. September 2022 (3H 22 32). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Beschwerdeführerin ist die Mutter der am xx.xx.2009 geborenen B.________, für die sie die Alleinsorge hatte. Bereits am 30. September 2009 hatte die damalige Vormundschaftsbehörde der Stadt Luzern mit Blick auf die Geburt eine Erziehungsbeistandschaft nach Art. 308 Abs. 1 und 2 ZGB angeordnet. 
Am 10. März 2020 erteilte die KESB der Stadt Luzern der Mutter gestützt auf Art. 307 Abs. 3 ZGB die Weisung, für sich innert Monatsfrist eine ambulante Psychotherapie zu organisieren. Am 14. April 2020 ernannte sie für B.________ eine neue Beiständin. Mit Schreiben vom 18. März 2021 beantragte diese bei der KESB die Platzierung von B.________ in der Notaufnahme U.________. Darauf ordnete die KESB am 1. April 2021 eine Vertretungsbeistandschaft nach Art. 314a bis ZGB an (dazu Urteil 5A_134/2022). 
Vom 8. April 2021 bis Anfang Januar 2022 hielt sich B.________ bei ihrem Vater in Belgien auf, nachdem sie von der Mutter überstürzt dorthin gebracht worden war. Im Anschluss holte die Mutter sie abrupt und gegen den Willen des Vaters in die Schweiz zurück. In der Folge beantragte dieser am 17. Januar 2022 bei der KESB die alleinige elterliche Sorge und Obhut. Mit superprovisorischer Verfügung vom 14. Februar 2022 entzog diese der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht über B.________ und brachte sie beim Vater in Belgien unter (dazu Urteil 5A_162/2022). 
 
B.  
Am 15. März 2022 entzog die KESB der Mutter nach Gewährung des rechtlichen Gehörs mit vorsorglichem Massnahmeentscheid das Aufenthaltsbestimmungsrecht und hielt fest, dass B.________ beim Vater in Belgien untergebracht bleibe. Ferner übertrug sie der Beiständin zusätzlich die Aufgabe, die Kontakte zwischen Mutter und Tochter zu regeln, und hob die Weisung zur Herausgabe der Ausweispapiere auf. Im Zusammenhang mit der Frage der aufschiebenden Wirkung gelangte die Beschwerdeführerin zum dritten Mal erfolglos an das Bundesgericht (dazu Urteil 5A_343/2022). 
Mit Urteil vom 29. September 2022 trat das Kantonsgericht Luzern auf die Beschwerde gegen den Entscheid vom 15. März 2022 nicht ein mit der Begründung, mangels aufschiebender Wirkung habe B.________ zwischenzeitlich in Belgien rechtmässig gewöhnlichen Aufenthalt begründet und es mangle deshalb im Beschwerdeverfahren an der internationalen Zuständigkeit. Dennoch behandelte das Kantonsgericht alle materiellen Vorbringen ausführlich. 
 
C.  
Gegen dieses Urteil hat die Mutter am 11. November 2022 beim Bundesgericht eine Beschwerde erhoben, mit welcher sie die Aufhebung des angefochtenen Urteils und die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung, eventualiter die Rückweisung an eine andere Abteilung der Vorinstanz verlangt. 
Mit Präsidialverfügung vom 14. November 2022 wurde das Gesuch um aufschiebende Wirkung mit Verweis auf das vorrangige Kindeswohl abgewiesen. Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt, aber die kantonalen Akten beigezogen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend eine kindesschutzrechtliche Anordnung; die Beschwerde in Zivilsachen ist zulässig (Art. 72 Abs. 2 lit. b Ziff. 6, Art. 75 Abs. 1 und Art. 90 BGG). 
Allerdings ist zu beachten, dass es sich um eine vorsorgliche Massnahme im Sinn von Art. 98 BGG handelt und somit nur Verfassungsrügen möglich sind. Es gilt somit das strenge Rügeprinzip im Sinn von Art. 106 Abs. 2 BGG. Das bedeutet, dass das Bundesgericht nur klar und detailliert erhobene und soweit möglich belegte Rügen prüft, während es auf ungenügend begründete Rügen und appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid nicht eintritt (BGE 134 II 244 E. 2.2; 142 III 364 E. 2.4). 
 
2.  
Zur internationalen Zuständigkeit hat das Kantonsgericht erwogen, im Zeitpunkt des KESB-Entscheides sei diese noch gegeben gewesen; hingegen treffe dies für den Rechtsmittelentscheid nicht mehr zu, weil sich B.________ seit der superprovisorischen Anordnung, welche durch den vorliegend interessierenden Massnahmeentscheid vom 15. März 2022 bestätigt worden sei, rechtmässig wieder beim Vater in Belgien befinde und somit dort gewöhnlichen Aufenthalt habe. 
Wenn die Beschwerdeführerin lediglich festhält, die kantonsgerichtlichen Erwägungen zur internationalen Zuständigkeit seien wenig überzeugend und sie habe Anspruch auf Überprüfung des KESB-Entscheides, so werden damit weder verfassungsmässige Rechte als verletzt angerufen noch enthalten die Ausführungen von der Sache her Verfassungsrügen. 
Einzig mit der Behauptung auf S. 6 unten, das rechtliche Gehör sei verletzt worden, ruft die Beschwerdeführerin ein verfassungsmässiges Recht als verletzt an. Sinngemäss spricht sie in diesem Zusammenhang die Pflicht des Gerichtes zur Entscheidbegründung als Teilgehalt des rechtlichen Gehörs an, indem sie dem Kantonsgericht vorwirft, es habe die Sachumstände im angefochtenen Entscheid abweichend von ihrer Darstellung in der kantonalen Beschwerde dargestellt. Allerdings verpflichtet die aus Art. 29 Abs. 2 BV abgeleitete Begründungspflicht das Gericht lediglich, seinen Entscheid so abzufassen, dass die Betroffenen ihn sachgerecht anfechten können, weshalb wenigstens kurz die entscheidwesentlichen Gesichtspunkte zu nennen sind, aber nicht auf jede Einzelheit eingegangen werden muss (BGE 141 III 28 E. 3.2.4; 142 III 433 E. 4.3.2; 143 III 65 E. 5.2). Die verfassungsrechtlichen Minimalanforderungen sind vorliegend mit dem auf alle relevanten Elemente bezugnehmenden und sorgfältig redigierten angefochtenen Entscheid in jeder Hinsicht erfüllt; es ist in allen Teilen auf erste Lektüre hin ersichtlich, von welchen Gesichtspunkten sich das Kantonsgericht hat leiten lassen und wie es zu seinen Schlussfolgerungen gelangt ist. Wenn die Beschwerdeführerin geltend macht, das Kantonsgericht habe den Sachverhalt anders festgestellt als sie diesen in ihrer Beschwerde dargelegt habe, ist ohnehin nicht die Begründungspflicht, sondern vielmehr die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung durch die kantonal letzte Instanz angesprochen, die für das Bundesgericht grundsätzlich verbindlich ist (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diesbezüglich wären substanziierte Willkürrügen zu erheben und aufzuzeigen, welche Sachverhaltselemente und Beweismittel die Vorinstanz willkürlich festgestellt oder gewürdigt haben soll; hierfür genügt der Verweis auf die eigenen Standpunkte im kantonalen Rechtsmittelverfahren nicht. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin verlangte am 21. Februar 2022 den Ausstand des verfahrensleitenden Mitgliedes der KESB; dieser Antrag wurde mit Entscheid vom 25. Februar 2022 abgewiesen. Anlässlich der Anhörung am 11. März 2022 erneuerte sie ihr Ausstandsbegehren mündlich sowie mit Schreiben vom 14. März 2022 schriftlich. Darauf antwortete ihr die KESB am 17. März 2022, das Ausstandsgesuch sei mit beschwerdefähigem Entscheid vom 25. Februar 2022 abgewiesen worden und deshalb sei auf den erneuten Antrag nicht weiter einzugehen. In ihrer kantonalen Beschwerde monierte die Beschwerdeführerin dieses Vorgehen. Indes erblickte das Kantonsgericht darin keine Rechtsverletzung, zumal die Beschwerdeführerin keinen Ausstandsgrund darlege. 
Die Beschwerdeführerin verweist auf die Protokollierung ihres Antrages vor der KESB und auf ihre zusätzliche Eingabe vom 9. September 2022 an das Kantonsgericht, welche in der Beschwerde an das Bundesgericht in vollem Wortlaut wiedergegeben wird und welche das Kantonsgericht im angefochtenen Entscheid nicht bzw. nicht ausreichend beachtet habe. Zwar erhebt die Beschwerdeführerin im Anschluss an diese Ausführungen wiederum formal eine Gehörsrüge. Indes stellen die Ausführungen von der Sache her appellatorische Kritik dar und im Übrigen zielt der Vorwurf inhaltlich erneut auf die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung, in welcher Hinsicht substanziierte Willkürrügen zu erheben wären. Soweit es um die Entscheidbegründung als solche geht, genügen die sich auf die Ausstandsfrage beziehenden kantonsgerichtlichen Ausführungen (enthalten in E. 5.1, welche sich über mehr als eine halbe Seite erstreckt) den vorstehend dargelegten verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Begründungsdichte. Inhaltliche Kritik an den Erwägungen müsste wie gesagt in Form substanziierter Willkürrügen erfolgen, welche nicht auszumachen sind. 
 
4.  
Im Zusammenhang mit der Anhörung von B.________ durch die KESB hat das Kantonsgericht befunden und erwogen, diese habe aufgrund der konkreten Umstände nicht anders als telefonisch stattfinden können. Im Zuge der superprovisorischen Anordnung wohne B.________ wieder bei ihrem Vater in Belgien und die Beschwerdeführerin mache selbst nicht geltend, dass B.________ zur Anhörung in die Schweiz hätte reisen oder eine persönliche Anhörung in Belgien hätte stattfinden müssen. Nach den weiteren Erwägungen des Kantonsgerichtes bestanden auch keine objektiven Anhaltspunkte für die Annahme, dass B.________ bei der Anhörung überwacht gewesen wäre; das verfahrensleitende Mitglied habe den Vater vor der Anhörung gebeten, den Raum zu verlassen, und B.________ habe im Folgenden sehr offen und differenziert auf alle Fragen geantwortet und auch ausführlich über ihre Lebensumstände in Belgien berichtet, was nicht darauf schliessen lasse, dass sie nicht allein im Raum gewesen wäre. 
Die Kritik der Beschwerdeführerin, ein solches Setting sei hilflos, betrifft in erster Linie die Verfahrensgestaltung. Im Bereich des Kindesschutzes ist das Prozessrecht aufgrund des zuteilenden Vorbehaltes in Art. 450f ZGB (von hier nicht interessierenden Ausnahmen abgesehen) grundsätzlich kantonal geregelt und das Bundesgericht könnte selbst bei ansonsten voller Kognition - welche vorliegend jedoch ohnehin nicht gegeben ist (vgl. E. 1) - das kantonale Recht nur auf Willkür hin überprüfen (BGE 140 III 385 E. 2.3). Weder erhebt die Beschwerdeführerin explizite Willkürrügen noch legt sie implizit dar, welche Norm des anwendbaren Rechts willkürlich ausgelegt worden sein könnte; überhaupt bleibt sie jeglichen Fingerzeig schuldig, wie angesichts der konkreten Umstände ein in ihren Augen verfassungskonformes Setting hätte aussehen müssen. Soweit sie schliesslich behauptet, die kantonsgerichtlichen Annahmen seien reine Spekulation, ist wiederum die Sachverhaltsfeststellung und Beweiswürdigung angesprochen, weshalb die Gehörsrüge an der Sache vorbeigeht, sondern vielmehr substanziierte Willkürrügen zu erheben wären. 
 
5.  
In der Sache selbst hat das Kantonsgericht befunden und erwogen, dass die Beschwerdeführerin, welche seit Jahren als psychisch instabil wahrgenommen werde, den ihr auferlegten Weisungen nicht Folge geleistet hat, dass sie mit der Betreuung von B.________ völlig überfordert war und daraus eine Vernachlässigung des Kindes resultierte, welches in der Schule durch Konzentrationsschwierigkeiten und ein ungepflegtes Erscheinungsbild auffiel, dass die Wohnverhältnisse in V.________ teils unzureichend waren (Schlafen am Boden auf gemeinsamer Matratze, überstellte und verschmutzte Wohnung), dass sie das Kind sodann aufgrund ihrer Wahnvorstellungen und des abstrusen Weltbildes verängstigte und dessen Loyalitätskonflikt verstärkte, dass B.________ seit der superprovisorischen Anordnung wieder in Belgien im Haushalt des Vaters und von dessen Lebenspartnerin sowie deren Kinder lebt, mit denen sie gut zurecht kommt, dass sie sich erstaunlich schnell einleben und integrieren konnte, dass sie im väterlichen Haushalt eine geordnete Struktur hat und gepflegt ist, dass sie durch den Vater und dessen Partnerin viel Unterstützung erhält und die zum Teil grossen Rückstände in der Schule rasch aufholen konnte, dass sie in Belgien auch die Logopädie besucht, dass sie sich dort grundsätzlich gut aufgehoben und glücklich fühlt, jedoch gleichzeitig auch die Beschwerdeführerin vermisst, dass aber vor dem Hintergrund der gemachten tatsächlichen Feststellungen in rechtlicher Hinsicht von einer Gefährdung der persönlichen und schulischen Entwicklung und damit des Kindeswohls auszugehen ist, wenn B.________ bei der Beschwerdeführerin verbleiben bzw. wieder in deren Haushalt leben würde. 
Die Kritik der Beschwerdeführerin an der vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellung (in Bezug auf ihr Alkoholproblem und ihre weiteren Defizite sowie in Bezug auf die Situation in Belgien) bleibt durchwegs appellatorisch und besteht primär aus einer sich über mehrere Seiten erstreckenden Kopie aus ihrer kantonalen Beschwerde, welche sich naturgemäss nicht auf den angefochtenen Entscheid bezieht. Im Übrigen träfe die zentrale Behauptung, die Situation in Belgien sei zu wenig abgeklärt worden, ohnehin nicht zu. Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid hat die KESB die Situation vor Ort durch die Jugendabteilung der dortigen Staatsanwaltschaft rechtshilfeweise abklären lassen; im Rahmen eines unangemeldeten Hausbesuches wurde festgestellt, dass das Haus einen ordentlichen Eindruck machte, dass B.________ gesund, glücklich und gepflegt aussah und sichtlich eine gute Beziehung zum Vater hat sowie dass sie selbst festhielt, gerne bei ihrem Vater zu sein und dort bleiben zu wollen. 
 
6.  
Zusammenfassend ergibt sich, dass die Beschwerde abzuweisen ist, soweit überhaupt auf sie eingetreten werden kann. Bei diesem Verfahrensausgang sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 4'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Vater, dem betroffenen Kind, der KESB der Stadt Luzern, dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, und dem Openbaar Ministerie, Parket van de Procureur des Konings, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. Januar 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli