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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_577/2022  
 
 
Urteil vom 19. Februar 2024  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Merz, 
Gerichtsschreiberin Dillier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Remo Cahenzli, 
 
gegen  
 
Gemeinde Churwalden, 
Hauptstrasse 101, 7075 Churwalden, 
vertreten durch Rechtsanwalt Mathias Davatz. 
 
Gegenstand 
Fahrbewilligung als Sonderbewilligung für den Einsatz eines Raupenfahrzeuges als Transportmittel, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden, 1. Kammer, 
vom 20. September 2022 (U 21 87). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ und seine Ehefrau sind Eigentümer bzw. Eigentümerin des Ferienhauses auf dem Grundstück Nr. 10305 am Weg B.________ xxx in Parpan, Gemeinde Churwalden. Die Zufahrt zum Ferienhaus erfolgt über die Gemeindestrasse Parpan-Foppa bis zur Abzweigung Chözenbergweg und danach ab dem Chözenbergweg über ein privates Strassengrundstück (Grundstück Nr. 10293) im Miteigentum von A.________ und weiteren Personen. 
Am 23. Juli 2021 reichte A.________ bei der Gemeinde Churwalden ein Gesuch ein um Erteilung einer Bewilligung für die Befahrung der Strecke Oberbergstrasse 14 bis zu seinem Ferienhaus am Weg B.________ xxx mit einem Raupenfahrzeug im Winter. Als Grund gab er den Transport von Gütern und Personen an. Die Gemeinde Churwalden lehnte das Gesuch am 10. August 2021 mit der Begründung ab, auf der relevanten Strecke gelte ein allgemeines Fahrverbot für Motorschlitten. Es bestehe kein Anspruch auf die beantragte Fahrbewilligung. 
Dagegen erhob A.________ am 9. September 2021 Einsprache, welche der Gemeindevorstand der Gemeinde Churwalden am 11. Oktober 2021 abwies. 
 
B.  
Das Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden wies eine dagegen erhobene Beschwerde von A.________ mit Urteil vom 20. September 2022 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde vom 2. November 2022 gelangt A.________ an das Bundesgericht. In der Sache beantragt er die Aufhebung des Urteils des Verwaltungsgerichts vom 20. September 2022 und des Entscheids des Gemeindevorstands der Gemeinde Churwalden vom 11. Oktober 2021. Es sei dem Beschwerdeführer die beantragte gebührenpflichtige Fahrbewilligung als Sonderbewilligung für den Einsatz eines Raupenfahrzeuges als Transportmittel auf dem Strassenabschnitt Parpan, Oberbergstrasse 14 bis Weg B.________ xxx, zu erteilen, eventuell als Ausnahmebewilligung. Subeventuell sei die Sache der Gemeinde Churwalden zur Erteilung der beantragten Fahrbewilligung als Sonderbewilligung bzw. Ausnahmebewilligung eventuell zur Neubeurteilung zurückzuweisen. 
Die Gemeinde Churwalden beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das Verwaltungsgericht verzichtet mit Verweis auf das angefochtene Urteil auf eine Vernehmlassung. Der Beschwerdeführer hält in der Replik an seinen Anträgen fest. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Endentscheid in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten (vgl. Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d sowie Art. 90 BGG); ein Ausnahmegrund gemäss Art. 83 BGG ist nicht gegeben. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und ist von der Nichterteilung der Fahrbewilligung besonders berührt und hat ein schutzwürdiges Interesse an der Aufhebung bzw. Abänderung des angefochtenen Entscheids. Er ist damit gemäss Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert. Auf die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist somit einzutreten. 
 
2.  
In formeller Hinsicht macht der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) geltend. Die Vorinstanz habe sich mit verschiedenen seiner Vorbringen nicht auseinandergesetzt, insbesondere mit seiner Rüge der indirekten Diskriminierung. 
 
2.1. Aus dem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) folgt die Verpflichtung der Behörde, ihren Entscheid zu begründen. Dabei ist es nicht erforderlich, dass sie sich mit allen Parteistandpunkten einlässlich auseinandersetzt und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegt. Vielmehr kann sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken. Die Begründung muss so abgefasst sein, dass sich der Betroffene über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft geben und ihn in voller Kenntnis der Sache an die höhere Instanz weiterziehen kann. In diesem Sinne müssen wenigstens kurz die Überlegungen genannt werden, von denen sich die Behörde hat leiten lassen und auf die sich ihr Entscheid stützt (BGE 148 III 30 E. 3.1; 136 I 229 E. 5.2; je mit Hinweisen).  
 
2.2. Die Vorinstanz verneinte eine Diskriminierung im Sinne von Art. 8 Abs. 2 BV, da in der abschliessenden Aufzählung der Ausnahmen vom Fahrverbot gemäss Art. 14 des Strassenpolizeigesetzes der Gemeinde Churwalden vom 1. Oktober 2012 (nachfolgend: StPG) keine Unterscheidung zwischen verschiedenen Personengruppen (gesund/körperliche Behinderung) getroffen werde. Damit hat sie die Rüge der Verletzung gegen das Diskriminierungsverbot (Art. 8 Abs. 2 BV) einzig unter dem Gesichtspunkt einer direkten Diskriminierung geprüft. Art. 8 Abs. 2 BV verbietet allerdings nicht nur die direkt an das Merkmal der Behinderung anknüpfende Ungleichbehandlung (sog. direkte Diskriminierung); verboten ist vielmehr auch die indirekte Diskriminierung. Eine solche liegt vor, wenn eine Regelung, die an sich neutral formuliert ist, in ihren tatsächlichen Auswirkungen Angehörige einer spezifisch gegen Diskriminierung geschützten Personengruppe benachteiligt, ohne dass dies sachlich begründet wäre (BGE 149 I 248 E. 7.2; 141 I 241 E. 4.3.2; 135 I 49 E. 4.1). Der Beschwerdeführer sieht eine indirekte Diskriminierung darin, dass ihm - im Gegensatz zu gesunden Personen - ohne eine Fahrbewilligung als gehbehinderte Person die Möglichkeit genommen werde, im Winter zu seinem Ferienhaus zu gelangen. Er leide an einer beidseitigen cochleovestibulären Innenohrschädigung, die eine Störung des Gleichgewichtssinnes zur Folge habe und die ihn beim Fortbewegen zu Fuss einem deutlich erhöhten Sturzrisiko aussetze. Es handle sich um eine starke Gehbehinderung, welche die Benutzung eines Raupenfahrzeugs medizinisch indiziere, was durch einen ärztlichen Bericht belegt sei. Wie der Beschwerdeführer zu Recht moniert, hat sich die Vorinstanz zur vorliegend relevanten Rüge der indirekten Diskriminierung überhaupt nicht - auch nicht implizit - geäussert. Damit kam sie ihrer Begründungspflicht gemäss Art. 29 Abs. 2 BV nicht ausreichend nach.  
 
2.3. Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur, womit seine Verletzung ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt (BGE 148 IV 22 E. 5.5.2 mit Hinweisen). Eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs kann im Verfahren vor Bundesgericht ausnahmsweise geheilt werden, wenn ausschliesslich Rechtsfragen streitig sind, die das Bundesgericht mit freier Kognition beurteilen kann, und dem Beschwerdeführer durch die Heilung kein Nachteil erwächst. Eine Heilung ist nach der Rechtsprechung selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör möglich, wenn die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3 mit Hinweisen).  
 
2.4. Diese Voraussetzungen sind jedoch vorliegend nicht erfüllt. Die Beurteilung der indirekten Diskriminierung reduziert sich in der vorliegenden Konstellation nicht auf eine reine Rechtsfrage. Sie betrifft auch Tatfragen und erfordert die Würdigung und Abwägung tatsächlicher Umstände. Eine indirekte Diskriminierung scheidet - entgegen dem von der Gemeinde in ihrer Stellungnahme vom 23. Januar 2023 vertretenen Standpunkt - nicht bereits deshalb aus, weil es sich bei der Liegenschaft des Beschwerdeführers nicht um seinen Erstwohnsitz, sondern um sein Ferienhaus handelt, das er nur in den Wintermonaten nicht erreichen könne. Eine Heilung der Gehörsverletzung durch das Bundesgericht fällt deshalb ausser Betracht.  
Die Sache ist zur Prüfung und Begründung der indirekten Diskriminierung an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. Dieses wird insbesondere prüfen müssen, ob und inwieweit die Zugänglichkeit zum Ferienhaus infolge der geltend gemachten Gehbeeinträchtigung des Beschwerdeführers (u.a. auch unter Berücksichtigung der örtlichen Verhältnisse) tatsächlich substanziell eingeschränkt bzw. ausgeschlossen ist. 
 
2.5. Da die Beschwerde bereits wegen der Verletzung des rechtlichen Gehörs gutzuheissen ist, erübrigt es sich auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers einzugehen. In Bezug auf die Gehörsrügen im Zusammenhang mit der (willkürlichen) Anwendung des kantonalen bzw. kommunalen Rechts bleibt einzig Folgendes anzumerken: Die Vorinstanz hat dargelegt, weshalb sie das Befahren der Gemeindestrasse im Winter gestützt auf das kantonale bzw. kommunale Recht für nicht bewilligungsfähig erachtete. Der verfassungsmässige Gehörsanspruch schreibt der Behörde nicht vor, auf alle aufgeworfenen Punkte einzugehen und jedes einzelne Vorbringen zu widerlegen (BGE 135 III 670 E. 3.3.1). Dass sich die Vorinstanz insbesondere nicht mit der mit Fotos belegten Behauptung auseinandergesetzt hat, wonach die Gemeindestrasse Parpan-Foppa auch im Winter regelmässig befahren werde, ist nicht zu beanstanden. Ebenso wenig ist zu bemängeln, dass sich die Vorinstanz nicht zum Inhalt und Zweck der kommunalen Ausnahmeregelung in Art. 13 StPG geäussert hat. Sie hat diesen Einwänden (implizit) keine entscheiderhebliche Bedeutung beigemessen. Ob sie damit richtig liegt, ist keine Frage des rechtlichen Gehörs, sondern eine solche der vorinstanzlichen Beweiswürdigung.  
 
3.  
Nach dem Gesagten erweist sich die Beschwerde als begründet. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Sache ist zur neuen Beurteilung im Sinne der Erwägungen an das Verwaltungsgericht zurückzuweisen. 
Die Rückweisung zu erneutem Entscheid mit offenem Ausgang gilt hinsichtlich der Prozesskosten als Obsiegen der beschwerdeführenden Partei (BGE 141 V 281 E. 11.1 mit Hinweis). Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 1 und 4 BGG). Die Gemeinde Churwalden hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine angemessene Parteientschädigung auszurichten (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Graubünden vom 20. September 2022 wird aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Die Gemeinde Churwalden hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Gemeinde Churwalden und dem Verwaltungsgericht des Kantons Graubünden, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. Februar 2024 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Dillier