Geschichte Bundesgericht

Die Geschichte des Bundesgerichts
  • Gründung im Jahre 1848
    Das Bundesgericht wurde im Jahre 1848 mit der Bundesverfassung vom 12. September 1848 gegründet, die nach dem Ende des Sonderbundkrieges den bisherigen Staatenbund in einen Bundesstaat umwandelte. Seine Aufgabe bestand «in der Ausübung der Rechtspflege, soweit dieselbe in den Bereich des Bundes fällt». Die Kompetenzen des damaligen Bundesgerichts waren allerdings beschränkt. Es beurteilte vor allem zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen den Kantonen sowie mit dem Bund, politische Straftaten gegen den Bund sowie Verletzungen der von der neuen Verfassung gewährleisteten Grundrechte, soweit ihm derartige Klagen von der Bundesversammlung zur Behandlung überwiesen wurden. Es setzte sich aus elf nicht-ständigen Richtern zusammen und tagte nach Bedarf in der Bundeshauptstadt oder – wenn die zu behandelnden Fälle es erforderten – an einem anderen vom Präsidenten bestimmten Ort.
  • Das Bundesgericht wird ein ständiges Gericht und erhält neue Aufgaben
    1875 wurde das Bundesgericht ein ständiges Gericht. Diese Änderung ergab sich aus den neuen Aufgaben, die ihm mit der Bundesverfassung vom 29. Mai 1874 übertragen wurden. Es hatte zum einen Kompetenzkonflikte zwischen Bundesbehörden und Kantonalbehörden sowie Streitigkeiten staatsrechtlicher Natur zwischen Kantonen zu beurteilen, zum andern Beschwerden der Bürgerinnen und Bürger gegen Entscheide kantonaler Behörden betreffend Verletzung verfassungsmässiger Rechte aber auch wegen Verletzung von Konkordaten, Staatsverträgen und Bundesrecht. Es wurde damit zu einem veritablen obersten Gerichtshof der Eidgenossenschaft, welcher die Freiheitsrechte und Grundrechte der Bürger und Bürgerinnen sowie die einheitliche Anwendung des Bundesrechts sicherzustellen hatte. In den folgenden Jahrzehnten stiegen die Aufgaben des Bundesgerichts aufgrund der neuen gesetzgeberischen Kompetenzen des Bundes ständig an.
    Im Jahr 1875 zählte das Bundesgericht neun ordentliche Richter, denen jede andere berufliche Tätigkeit untersagt war, sowie zwei Gerichtsschreiber. In der Folge musste die Zahl der Richter und Gerichtsschreiber regelmässig der steigenden Belastung des Bundesgerichts angepasst werden. Es wurde ausserdem nötig, Abteilungen zu bilden, weil die Anzahl der zu beurteilenden Fälle deren Beurteilung in Plenarsitzungen nicht mehr erlaubte.
    Als Sitz des ständigen Bundesgerichts wurde Lausanne bestimmt. Das Gericht bezog zunächst Räumlichkeiten im «Casino de Derrière-Bourg», einem heute nicht mehr bestehenden Gebäude in der Nähe des Platzes St-François. Anschliessend arbeitete es während 40 Jahren im eigens für das Bundesgericht erstellten Gerichtsgebäude von Montbenon. Seit 1926 hat das Bundesgericht seinen Sitz im Gerichtsgebäude von Mon Repos, welches im gleichnamigen Park erbaut wurde.
  • Das Bundesgericht heute
    Die Bundesverfassung vom 18. April 1999 bestätigte und stärkte die Rolle des Bundesgerichts. Sie präzisiert, dass das Bundesgericht die höchste richterliche Instanz der Eidgenossenschaft in Zivil-, Straf-, Verwaltungs- und Verfassungssachen ist, dass es sich selbst verwaltet, unabhängig und nur dem Gesetz unterstellt ist. Das Bundesgericht übt die Aufsicht über die anderen eidgenössischen Gerichte aus.
    Im Jahr 2007 wurde das ehemalige Eidgenössische Versicherungsgericht, welches 1917 mit Sitz in Luzern gegründet worden war, ins Bundesgericht integriert. Seine Aufgaben werden seither von der Dritten und der Vierten öffentlich-rechtlichen Abteilung (bis Ende 2022 "sozialrechtliche Abteilungen") des Bundesgerichts wahrgenommen. Diese Abteilungen sind in Luzern geblieben; sie haben ihren Standort im früheren Verwaltungsgebäude der Gotthardbahn am Ufer des Vierwaldstättersees.
Die Rolle des Bundesgerichts
Das Bundesgericht sorgt für die einheitliche Anwendung des Bundesrechts in den 26 Kantonen der Schweiz.
  • Oberste Instanz der Rechtspflege im Bundesstaat
    Das Bundesgericht entscheidet letztinstanzlich Rechtsstreitigkeiten zwischen Bürgerinnen, Kantonen, Bürgern und Staat sowie zwischen Bund und Kantonen. Es deckt in dieser Rolle grundsätzlich alle Rechtsgebiete ab: Zivil- und Strafrecht, Schuldbetreibungs- und Konkursrecht sowie Staats- und Verwaltungsrecht, inklusive Sozialversicherungsrecht. Das Bundesgericht ist insbesondere auch für den Schutz der verfassungsmässigen Rechte der Bürgerinnen und Bürger zuständig.
    Praktisch keine Gerichtsverfahren kommen somit in erster Instanz nach «Lausanne» und «Luzern». Für die erstinstanzlichen Verfahren sind meistens die Bezirksgerichte, welche je nach Kanton verschiedene Namen tragen, und die Behörden der Verwaltungsrechtspflege in den Kantonen zuständig. Für alle Zivil- und Strafrechtssachen sind die Kantone verpflichtet, neben der ersten zusätzlich eine zweite (obere) Gerichtsinstanz einzusetzen. Im öffentlichen Recht dienen kantonale Verwaltungs- und Sozialversicherungsgerichte als Vorinstanzen des Bundesgerichts. Auf Bundesebene sind dem Bundesgericht mit wenigen Ausnahmen ebenfalls andere richterliche Behörden vorgeschaltet.
  • Rechtsauslegung steht im Vordergrund
    Die Tätigkeit des Bundesgerichts weicht von jener der kantonalen und der erstinstanzlichen eidgenössischen Gerichte ab. Die Bundesrichter und Bundesrichterinnen¹ stellen den Sachverhalt nicht neu fest; dieser kann vom Bundesgericht nur korrigiert werden, wenn er von der Vorinstanz krass falsch festgestellt worden ist beziehungsweise auf einer Rechtsverletzung beruht.
    Die Gerichtsmitglieder beschränken ihre Prüfung grundsätzlich auf Rechtsfragen. Das Bundesgericht sorgt dafür, dass das eidgenössische Recht einheitlich angewendet wird und die vom Bundesrecht gesetzten Schranken in der Rechtsetzung, Rechtsanwendung und Rechtsprechung nicht überschritten werden. Durch seine Rechtsprechung trägt das Bundesgericht zur Entwicklung des Rechts und zu dessen Anpassung an veränderte Verhältnisse bei.
  • Beschwerden
    Den Rechtsuchenden stehen im Wesentlichen vier Rechtsmittel zur Verfügung, um das Bundesgericht anzurufen: die drei Einheitsbeschwerden (Beschwerde in Zivilsachen, in Strafsachen, in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten) und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde. In den drei Einheitsbeschwerden können sämtliche Rügen vorgebracht werden: falsche Anwendung des Rechts und Verletzung von verfassungsmässigen Rechten. Dies vereinfacht den Rechtsweg für die Rechtsuchenden.
    Wenn keine ordentliche Beschwerde zulässig ist, können kantonale Urteile mit der subsidiären Verfassungsbeschwerde angefochten werden. Mit diesem Rechtsmittel kann nur die Verletzung verfassungsmässiger Rechte gerügt werden.
  • Urteilsfindung
    Die Abteilungen des Bundesgerichts urteilen in der Regel in einer Besetzung von drei Richtern. Wenn sich eine grundsätzliche Rechtsfrage stellt oder wenn eine Richterin dies beantragt, wirken fünf Richter mit.
    In der grossen Mehrheit der Fälle wird das Urteil auf dem Zirkulationsweg gefällt. Voraussetzung ist, dass alle beteiligten Richterinnen und Richter dem Urteilsentwurf zustimmen.
    Das Urteil wird in öffentlicher Urteilsberatung gefällt, wenn die beteiligten Gerichtsmitglieder sich nicht einig sind, wenn das Abteilungspräsidium dies anordnet oder wenn ein Richter es verlangt. In diesem Fall beraten und stimmen die Richterinnen und Richter in Anwesenheit der Parteien und der Öffentlichkeit ab. Zuerst wird der Urteilsentwurf und ein allfälliger Gegenentwurf verlesen, dann vertreten die übrigen Richter und Richterinnen ihre Meinung. Dabei spricht jedes Gerichtsmitglied in seiner Muttersprache. Wenn die Diskussion abgeschlossen ist, wird sogleich durch Handerheben abgestimmt.
  • Entscheid
    Im Allgemeinen verfasst das Bundesgericht sein Urteil in der Sprache des angefochtenen Urteils. Die Parteien sind aber frei, ihre Eingaben in einer der vier Nationalsprachen abzufassen; diese werden nicht übersetzt.
    Erhalten die beschwerdeführenden Bürgerinnen und Bürger oder Organisationen vor Bundesgericht Recht, muss die Vorinstanz den Fall nur dann neu beurteilen, wenn das Bundesgericht mangels genügender Sachverhaltselemente nicht selber entscheiden kann.
  • Bundesstrafgericht, Bundesverwaltungsgericht und Bundespatentgericht
    Im Rahmen der Justizreform sind weitere richterliche Behörden des Bundes geschaffen worden. Das Bundesstrafgericht in Bellinzona hat seine Amtstätigkeit am 1. April 2004 aufgenommen. Das Bundesverwaltungsgericht nahm seine Tätigkeit am 1. Januar 2007 in Bern auf und zog Mitte 2012 an seinen definitiven Sitz in St. Gallen. Am gleichen Ort hat das Bundespatentgericht anfangs 2012 seine Arbeit begonnen. Die Entscheidungen dieser erstinstanzlichen eidgenössischen Gerichte können teilweise ans Bundesgericht weitergezogen werden. Alle drei Gerichte unterstehen der administrativen Aufsicht des Bundesgerichts.
  • Der europäische Kontext
    Die Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) ist seit 1953 in Kraft. Sie schützt auf europäischer Ebene grundlegende Menschenrechte. Die Schweiz ist seit 1963 Mitglied des Europarats und muss daher den Schutz der Menschenrechte nach dieser Konvention garantieren. Nach einem Entscheid des Bundesgerichts kann eine Partei ihren Fall unter gewissen Voraussetzungen vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg auf Verletzung der Menschenrechtskonvention prüfen lassen.
     
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