Regeln für die Anonymisierung der Urteile
Grundsätze gemäss Beschluss der Präsidentenkonferenz und der Verwaltungskommission
Art. 1 Zweck
1 Zweck der Anonymisierung ist, die Persönlichkeitsrechte der am Verfahren beteiligten natürlichen und juristischen Privatpersonen zu wahren.
2 Der Persönlichkeitsschutz ist in der Regel gewährleistet, wenn Zufallsfunde von Verfahrenspersonen durch beliebige Unbeteiligte vermieden werden. In besonderen Fällen ist ein weitergehender Schutz angezeigt.
3 Die Anonymisierung schliesst nicht aus, dass Verfahrensbeteiligte durch Recherchen ausfindig gemacht oder von Personen, die mit den Einzelheiten des Falles vertraut sind, erkannt werden können.
Art. 2 Redaktionsregel
Bei der Redaktion der Urteile ist darauf zu achten, dass der Sachverhalt möglichst einfach anonymisiert werden kann; in den Erwägungen sollten die Namen nach Möglichkeit nicht genannt werden.
Art. 3 Öffentliche Urteilsdatenbanken
1 In Datenbanken, die öffentlich zugänglich sind, werden grundsätzlich anonymisierte Urteile verwendet.
2 Vorbehalten ist Artikel 4.
Art. 4 Offenlegung
1 Die folgenden Angaben sind in der Regel nicht zu anonymisieren:
a. Namen von Behörden, öffentlichrechtlichen Anstalten und Körperschaften;
b. Gemeindenamen;
c. Namen, die untrennbar mit dem rechtlichen Verständnis der Urteile verbunden sind insbesondere im Namensrecht, Firmenrecht, Markenrecht oder wenn sich aus demNamen die Bedeutung einer Partei im Rechtsstreit mit Auswirkungen auf die rechtliche Beurteilung ergibt, wie z.B. bei Monopolisten1 ;
d. Namen, die notorisch und langfristig nicht schützenswert sind. Notorietät der
Namen ist namentlich dann anzunehmen, wenn sich diese vor oder während des
Prozesses aus den Medien ergibt;
e. Ortsbezeichnungen, soweit für das Verständnis des Entscheids dienlich;
f. Namen von Parteien in Verfahren betreffend die politischen Rechte; 2
g. die Namen der Rechtsvertreter der Parteien.
2 Vorbehalten ist in speziellen Fällen eine ausdrückliche anderslautende Anordnung.
3 Rechtsvertreter werden in der Regel auch dann nicht anonymisiert, wenn sie im Lauf des Verfahrens von der Rechtsvertretung ausgeschlossen werden, beispielsweise wegen mangelnder Unabhängigkeit. Werden dem Rechtsvertreter die Verfahrenskosten auferlegt, ist im Einzelfall abzuwägen, ob das Interesse am Persönlichkeitsschutz über -wiegt oder das Informationsbedürfnis der Öffentlichkeit über das prozessuale Verhalten des Rechtsvertreters.
Art. 5 Behörden
2 Der Begriff der Behörden ist weit zu verstehen und umfasst alle Behörden, insbesondere alle Gerichtsbehörden und Vorinstanzen sowie ihre Mitglieder, weitere Gerichtspersonen, Schiedsrichter, Staatsanwälte etc.
2 In besonderen Fällen sind bei Ablehnungsbegehren Namen des Behördenmitglieds nicht zu nennen und nur die Behörde bzw. die Funktion zu erwähnen, wenn dies sachgerecht erscheint.
Art. 6 Sachverständige
1 Behördlich bestellte Experten werden in der Regel nicht anonymisiert.
2 In Sozialversicherungsangelegenheiten werden Gerichtsexperten und auch Kliniken in der Regel anonymisiert.3
Art. 7 Wohnort, Sitz und Adressen4
1 Der Wohnort oder der Sitz einer Partei ist in der Regel zu anonymisieren. Dies gilt auch für die Angabe des Wohnorts in Form eines Gemeindenamens im Sachverhalt oder in den Erwägungen.
2 Vorbehalten bleiben Fälle, in denen besondere Umstände für die Erwähnung des Wohnortes sprechen, namentlich wenn es massgeblich um den Ort der gelegenen Sache geht und das Interesse am Persönlichkeitsschutz dasjenige an einem verständlichen Urteil nicht überwiegt.
3 Die Adressen von Parteien, Verfahrensbeteiligten und Rechtsvertretern werden in jedem Fall weggestrichen, auch wenn die Namen offen gelegt werden. Vorbehalten sind die Adressen von Behörden. 5
Art. 8 Akkreditierte Medien
1 Die akkreditierten Medien werden grundsätzlich mit Urteilen in nicht anonymisierter Form beliefert.
2 In folgenden Rechtsgebieten werden den akkreditierten Medien nur anonymisierte Urteile abgegeben:
a. im Ausländerrecht;
b. im Persönlichkeitsschutzrecht;
c. im Ehe- und Familienrecht;
d. im Bereich der fürsorgerischen Unterbringung;
e. im Schuldbetreibungs- und Konkursrecht;
f. im Strafrecht, inkl. Strafprozessrecht;
g. im Bereich der Führerausweisentzüge;
h. im Bereich des Opferhilfegesetzes;
i. in der internationalen Amts- und Rechtshilfe sowie Auslieferung;
j. in Disziplinarsachen;
k. im Steuerrecht.
3 Beim Ausschluss der Öffentlichkeit nach Art. 59 Abs. 2 BGG erhalten die akkreditierten Medien nur die anonymisierte Fassung des Urteils.
4 Nach einer öffentlichen Sitzung erhält die akkreditierte Presse in der Regel auch in den Rechtsgebieten nach Absatz 2 das nicht anonymisierte Urteil.
5 Vorbehalten bleibt eine gegenteilige Anordnung im Einzelfall.
Art. 9 Öffentliche Urteilsverkündung
1 Zur Wahrung des Anspruchs auf öffentliche Urteilsverkündung werden alle Dispositive der Urteile mit Angabe der Namen der Verfahrensbeteiligten in der Eingangshalle des Bundesgerichts während 30 Tagen öffentlich aufgelegt.
2 Vorbehalten sind abweichende gesetzliche Vorschriften, insbesondere zum Schutz der Opfer von Straftaten und der Persönlichkeit im allgemeinen.
Art. 10 Anordnung
1 Für die Anordnung der Anonymisierung und ihres Umfangs ist das Präsidium der mit der Sache befassten Abteilung des Bundesgerichts zuständig.
2 Der beim Urteil mitwirkende Gerichtsschreiber unterbreitet dem Präsidium mit dem Urteilsentwurf einen Antrag zum Anonymisierungsumfang.
Art. 11 Vollzug 1 Die Verantwortung für die Anonymisierung liegt beim Gerichtsschreiber. Die Verantwortung kann nicht an die Kanzlei delegiert werden.
2 Die Gerichtsschreiber kontrollieren die von der Kanzlei vorbereitete Anonymisierung, visieren diese und anonymisieren wenn notwendig selber.
3 Nach Abschluss des Verfahrens gestellte Gesuche betreffend die Anonymisierung werden vom Generalsekretariat behandelt.
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1 Funktionsbezeichnungen sind geschlechtsneutral: sie gelten gleichermassen für Personen männlichen und weiblichen Geschlechts.
2 Präsidentenkonferenz 15. Dezember 2015.
3 Präsidentenkonferenz 30. März 2009
4 Präsidentenkonferenz 20. Dezember 2018.
5 Harmonisierung der Praxis zwischen Lausanne und Luzern.
Präsidentenkonferenz 17.12.2019
Verwaltungskommission 13.02.2020