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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_563/2022  
 
 
Urteil vom 19. Januar 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Müller, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Stephan Schlegel, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland, Hermann Götz-Strasse 24, Postfach, 8401 Winterthur. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Entsiegelung und Durchsuchung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Bezirksgerichts Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, 
vom 3. Oktober 2022 (GT220018-K / U/ch). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland führt ein Strafverfahren gegen A.________ wegen des Verdachts der Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz. Im Rahmen dieser Strafuntersuchung wurden unter anderem eine nicht unerhebliche Menge Bargeld sowie das Mobiltelefon von A.________ sichergestellt, dessen Siegelung dieser unverzüglich verlangte. 
 
B.  
In der Folge stellte die Staatsanwaltschaft fristgerecht ein Gesuch um vollständige Entsiegelung des sichergestellten Mobiltelefons. Mit Verfügung vom 3. Oktober 2022 hiess das Bezirksgericht Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft vollumfänglich gut und gab das sichergestellte Mobiltelefon ohne Einschränkungen zur Durchsuchung frei. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 3. November 2022 erhebt A.________ beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, in Abänderung von Dispositiv-Ziff. 1 der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts sei vor Freigabe des sichergestellten Mobiltelefons zur Durchsuchung die sich darauf befindliche Anwaltskorrespondenz auszusondern. 
Die Vorinstanz und die Staatsanwaltschaft haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein Entscheid über die Entsiegelung von Datenträgern, die in einem strafprozessualen Untersuchungsverfahren in Anwendung von Art. 246 ff. StPO sichergestellt wurden. Die Vorinstanz hat gemäss Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz entschieden, weshalb die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offen steht. Der Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG).  
 
1.2. Der angefochtene Entscheid schliesst das Strafverfahren nicht ab. Er kann deshalb nur unter den Voraussetzungen von Art. 92 und 93 BGG angefochten werden. Danach ist die Beschwerde insbesondere zulässig, wenn der angefochtene selbstständig eröffnete Zwischenentscheid einen nicht wieder gutzumachenden Nachteil bewirken kann (Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG). Wird im Entsiegelungsverfahren schlüssig behauptet, dass einer Entsiegelung geschützte Geheimhaltungsrechte entgegenstehen, droht nach der Praxis des Bundesgerichts ein nicht wieder gutzumachender Nachteil im Sinne von Art. 93 Abs. 1 lit. a BGG (BGE 143 IV 462 E. 1; Urteil 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 1.2). Diese Voraussetzung ist vorliegend erfüllt. Ob die vorgebrachten Entsiegelungshindernisse im vorinstanzlichen Verfahren genügend substanziiert geltend gemacht wurden, bildet Gegenstand der inhaltlichen Beurteilung (Urteil 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 1.2 mit Hinweis).  
 
1.3. Die weiteren Eintretensvoraussetzungen geben zu keinen Bemerkungen Anlass. Auf die Beschwerde ist einzutreten.  
 
2.  
Die Vorinstanz hat in ihrem Entscheid sowohl das Vorliegen eines hinreichenden Tatverdachts, einen Deliktskonnex als auch die Verhältnismässigkeit der durch die Staatsanwaltschaft beantragten Durchsuchung des sichergestellten Mobiltelefons bejaht. Sodann hat sie festgehalten, der Beschwerdeführer sei seiner Substanziierungspflicht hinsichtlich der geltend gemachten Geheimhaltungsinteressen nicht hinreichend nachgekommen, weshalb das versiegelte Mobiltelefon ohne Einschränkungen zur Durchsuchung freizugeben sei. 
Der Beschwerdeführer bestreitet die grundsätzlich Zulässigkeit der Durchsuchung seines Mobiltelefons vor Bundesgericht nicht mehr. Er wendet sich einzig insofern gegen den angefochtenen Entscheid, als darauf verzichtet wurde, die von ihm geltend gemachte Anwaltskorrespondenz vorgängig auszusondern. Er rügt, er sei seiner diesbezüglichen Substanziierungspflicht hinreichend nachgekommen, weshalb der angefochtene Entscheid Art. 248 StPO verletze. 
 
3.  
 
3.1. Nach der bundesgerichtlichen Praxis trifft den Inhaber von zu Durchsuchungszwecken sichergestellten Aufzeichnungen und Gegenständen, der ein Siegelungsbegehren gestellt hat, die prozessuale Obliegenheit, die von ihm angerufenen Geheimhaltungsinteressen (im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO) ausreichend zu substanziieren. Dies gilt besonders bei grossen Datenmengen. Kommt der Betroffene seiner Mitwirkungs- und Substanziierungsobliegenheit im Entsiegelungsverfahren nicht nach, ist das Zwangsmassnahmengericht nicht gehalten, von Amtes wegen nach allfälligen materiellen Durchsuchungshindernissen zu forschen. Tangierte Geheimnisinteressen sind wenigstens kurz zu umschreiben und glaubhaft zu machen. Auch sind diejenigen Aufzeichnungen und Dateien zu benennen, die dem Geheimnisschutz unterliegen. Dabei ist der Betroffene nicht gehalten, die angerufenen Geheimnisrechte bereits inhaltlich offenzulegen (zum Ganzen: Urteile 1B_369/2022 vom 10. Oktober 2022 E. 4.2; 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 7.1; je mit Hinweisen). Dies gilt auch im Zusammenhang mit der Anrufung des Anwaltsgeheimnisses als gesetzliches Entsiegelungshindernis (Urteile 1B_369/2022 vom 10. Oktober 2022 E. 4.3; 1B_427/2021 vom 21. Januar 2022 E. 6.6.2; 1B_243/2020 vom 26. Februar 2021 E. 3.2).  
 
3.2. Die Vorinstanz hat diesbezüglich erwogen, der Beschwerdeführer habe geltend gemacht, dass sich auf dem sichergestellten Mobiltelefon Anwaltskorrespondenz befinde, die mit E-Mail-Adressen mit den Endungen "@mffh.ch" und "@fingerhuth.law" geführt worden sei. Es sei jedoch zu berücksichtigen, dass bei E-Mail-Adressen jederzeit von überall auf das E-Mail-Konto online zugegriffen werden könne. Dem Beschwerdeführer hätte es entsprechend offen gestanden, die betreffenden E-Mails in den entsprechenden E-Mail-Konten abzurufen und sodann in seiner Eingabe konkret mit dem Datum zu bezeichnen. Des Weiteren werde nicht vorgebracht, in welcher Applikation die Korrespondenz auf dem sichergestellten Gerät zu finden sei. Dies genüge für eine substanziierte Behauptung nicht.  
 
3.3. Dem kann nicht gefolgt werden:  
 
3.3.1. Die prozessuale Obliegenheit, angerufene Geheimhaltungsinteressen ausreichend zu substanziieren, ist kein Selbstzweck, sondern soll dem Zwangsmassnahmengericht eine sachgerechte und gezielte Triage ermöglichen (Urteil 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 7.4.2 mit Hinweis). Praxisgemäss ist es hierfür ausreichend, wenn der Speicherort der geschützten Anwaltskorrespondenz und die Namen der Anwältinnen und Anwälte bekannt sind, da so ohne Weiteres mittels Suchfunktion nach der geschützten Anwaltskorrespondenz gesucht werden kann und eine Aussonderung ohne grossen Aufwand bzw. aufwändige Nachforschungen möglich ist (Urteile 1B_611/2021 vom 12. Mai 2022 E. 7.4.2; 1B_602/2020 vom 23. Februar 2021 E. 4.3).  
 
3.3.2. Vorliegend hat der Beschwerdeführer zwar weder konkrete Angaben zum Speicherort der geschützten Anwaltskorrespondenz noch zu den Namen der Anwältinnen und Anwälten gemacht. Doch hat er im vorinstanzlichen Verfahren klar zum Ausdruck gebracht, dass die geschützte Anwaltskorrespondenz per E-Mail geführt worden sei und die Suffixe der fraglichen E-Mail-Adressen ("@mffh.ch" und "@fingerhuth.law") angegeben. Inwiefern diese Angaben der Vorinstanz keine sachgerechte und gezielte Triage der sich auf dem sichergestellten Mobiltelefon befindlichen E-Mail-Korrespondenz erlauben sollen, wird nicht dargelegt und ist auch nicht ersichtlich.  
Das Gesagte ist indessen insoweit zu präzisieren, als auf eine Nennung des exakten Speicherorts nur dann verzichtet werden darf, wenn offensichtlich ist, wo diejenigen Daten abgelegt sind, die dem angerufenen Geheimnisschutz unterliegen sollen (vgl. statt vieler BGE 141 IV 1 E. 1.1; Urteil 1B_75/2022 vom 3. Mai 2022 E. 2.3; jeweils zur Substanziierungspflicht bei offensichtlich erfüllten [Eintretens-] Voraussetzungen). Dies ist vorliegend der Fall: Der Beschwerdeführer bringt zu Recht vor, dass aufgrund seiner Vorbringen und den Umständen klar sei, dass sich die geschützte Anwaltskorrespondenz in der E-Mail-Applikation des Mobiltelefons befinde. Damit ist aber zugleich auch gesagt, dass mangels weitergehender Substanziierung die Vorinstanz nicht verpflichtet ist, auch andere Applikationen nach allfälliger Anwaltskorrespondenz zu durchsuchen. 
 
3.4. Damit erweist sich die Beschwerde als begründet. Die Vorinstanz wird vor der Freigabe des sichergestellten Mobiltelefons zur Durchsuchung allfällige sich darauf befindliche Anwaltskorrespondenz auszusondern haben.  
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid ist aufzuheben und die Entsiegelungssache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Zürich hat dem obsiegenden Beschwerdeführer eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Die Verfügung des Bezirksgerichts Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, vom 3. Oktober 2022 wird aufgehoben und die Sache zur Neubeurteilung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland und dem Bezirksgericht Winterthur, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. Januar 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger