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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_318/2023  
 
 
Urteil vom 27. Dezember 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, vertreten durch Rechtsanwältin Jenny Wattenhofer, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, An der Aa 4, 6300 Zug. 
 
Gegenstand 
Entsiegelung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Strafgerichts des Kantons Zug, Zwangsmassnahmengericht, 
vom 24. August 2023 (SZ 2023 56). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Im Zusammenhang mit einer von ihr geführten Strafuntersuchung verpflichtete die Staatsanwaltschaft des Kantons Zug die (nicht beschuldigte) A.________ AG zur Herausgabe der elektronischen Krankenakte einer Drittperson. Die A.________ AG kam der Aufforderung nach und verlangte die Siegelung dieser elektronischen Aufzeichnungen. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 24. August 2023 stellte das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Zug fest, dass kein gültiges Siegelungsgesuch vorliege, trat auf das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft nicht ein und gab die sichergestellten elektronischen Aufzeichnungen zur Durchsuchung frei. 
 
C.  
Mit Eingabe vom 6. September 2023 erhob die A.________ AG beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Sie beantragt, die angefochtene Verfügung aufzuheben und den Entsiegelungsantrag der Staatsanwaltschaft abzuweisen. 
Es wurden keine Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Entscheid über die Entsiegelung von Datenträgern, die in einem strafprozessualen Untersuchungsverfahren in Anwendung von Art. 246 ff. StPO sichergestellt wurden. Die Vorinstanz hat gemäss Art. 248 Abs. 3 lit. a i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz entschieden, weshalb die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht nach Art. 78 ff. BGG grundsätzlich offensteht. Die Beschwerdeführerin ist eine nicht beschuldigte Person. Nach der Rechtsprechung stellt der vorinstanzliche Entscheid für sie einen gemäss Art. 91 lit. b BGG anfechtbaren Teilentscheid dar (Urteile 1B_543/2021 vom 1. Juli 2022 E. 1; 1B_251/2016 vom 9. Mai 2017 E. 1 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist einzutreten. 
 
2.  
Für entsiegelungsrelevante (d.h. zu durchsuchende und grundsätzlich dem Geheimnisschutz zugängliche) Unterlagen ist das gesetzliche Entsiegelungsverfahren durchzuführen (Art. 248 StPO). Die kantonale Beschwerde ist in diesem Bereich ausgeschlossen. Die von einer Editionsverfügung oder einer provisorischen Sicherstellung betroffene Person hat grundsätzlich sämtliche Einwände im Entsiegelungsverfahren vorzubringen (BGE 144 IV 74 E. 2.3 und 2.7; statt vieler Urteil 7B_128/2022 vom 24. November 2023 E. 3.2 mit Hinweis). Soweit jedoch ausschliesslich Einwände erhoben werden, die keine rechtlich geschützten Geheimhaltungsinteressen betreffen, so kann das Entsiegelungsverfahren von vornherein nicht zur Anwendung gelangen. Nur in diesem Fall kommt die kantonale Beschwerde in Frage (vgl. Urteile 7B_253/2023 vom 31. August 2023 E. 3.2.1 mit Hinweisen; 1B_136/2012 vom 25. September 2012 E. 4.4). 
 
3.  
Der Beschwerdeführer rügt, die Vorinstanz sei zu Unrecht nicht auf sein Siegelungsgesuch eingetreten und habe damit Art. 248 Abs. 1 StPO verletzt. 
 
3.1. Die Vorinstanz hält zusammengefasst fest, der Beschwerdeführer habe sich nicht auf Geheimnisschutzinteressen, sondern lediglich auf - mögliche - geschäftliche Nachteile berufen bzw. um eine gerichtliche Anordnung für die Befolgung eines staatsanwaltschaftlichen Editionsbegehrens ersucht. Diese Begründung erfülle die Anforderungen an ein gültiges Siegelungsbegehren nicht. Zwar habe das Zwangsmassnahmengericht im Entsiegelungsverfahren - bei entsprechenden Vorbringen des Inhabers - neben Geheimhaltungsgründen auch andere akzessorische Einwände zu prüfen. Soweit jedoch gar keine relevanten Geheimhaltungsinteressen angerufen würden, finde das Siegelungsverfahren keine Anwendung und komme einzig die kantonale Beschwerde gegen die Beschlagnahmung zur Anwendung.  
 
3.2. Die Beschwerdeführerin bringt dagegen vor, sie habe sich in ihrem Siegelungsantrag auf das Arztgeheimnis berufen und damit entgegen der willkürlichen Ausführungen der Vorinstanz einen gültigen Siegelungsantrag gestellt. Dies trifft zu: Mit Schreiben vom 1. Juni 2023 hat die Beschwerdeführerin bei der Staatsanwaltschaft die Siegelung beantragt und namentlich vorgebracht, es bestünden "schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen (Arztgeheimnis) ". Nach der Rechtsprechung wird nicht verlangt, dass die betroffene Person die Siegelungsgründe bereits im Rahmen ihres Antrags im Detail begründet. Erforderlich ist nur (aber immerhin), dass ein spezifischer Siegelungsgrund sinngemäss angerufen wird (statt vieler Urteil 1B_273/2021 vom 2. März 2022 E. 3.3 mit zahlreichen Hinweisen). Die Beschwerde ist demnach insoweit begründet, als die Vorinstanz mit ihrer Feststellung, es liege kein gültiges Siegelungsgesuch vor, auf einer offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG) beruht und Bundesrecht (Art. 95 lit. a BGG) verletzt.  
 
3.3. Indessen anerkennt die Beschwerdeführerin ausdrücklich, dass nach der Einreichung des Siegelungsgesuchs eine Entbindung vom Arztgeheimnis eingeholt worden sei. Die Feststellungen der Vorinstanz, sie habe sich in ihrer Stellungnahme zum Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft nicht auf Geheimnisschutzinteressen berufen, wird von ihr sodann nicht bestritten. Stattdessen bringt sie lediglich vor, bei der durch die Entsiegelung zu ermöglichenden Durchsuchung handle es sich um eine Zwangsmassnahme, weshalb die allgemeinen Voraussetzungen auf Rüge hin zu überprüfen seien.  
Zwar ist richtig, dass nach der bereits dargelegten Rechtsprechung im Entsiegelungsverfahren auch akzessorische Einwände zu prüfen sind. Dies setzt indessen voraus, dass überhaupt Geheimhaltungsgründe vorgebracht werden (siehe E. 2 hiervor). Denn die primäre Aufgabe des Entsiegelungsgerichts ist, zu prüfen, ob schutzwürdige Geheimhaltungsinteressen einer Durchsuchung bzw. Beschlagnahme entgegenstehen (Urteil 1B_136/2012 vom 25. September 2012 E. 4.4). Derartige Geheimhaltungsinteressen hat die Beschwerdeführerin im Entsiegelungsverfahren aber gerade nicht (mehr) vorgebracht. Entsprechend ist nicht zu beanstanden, wenn die Vorinstanz mangels Anwendbarkeit des Siegelungsverfahrens auf das Entsiegelungsgesuch der Staatsanwaltschaft nicht eingetreten ist und die Beschwerdeführerin auf den Beschwerdeweg verwiesen hat.  
 
3.4. Die Beschwerdeführerin rügt weiter insoweit eine Verletzung von Art. 248 Abs. 1 StPO, als die sichergestellten Daten nicht richtig gesiegelt worden seien. Die Vorschriften über die Siegelung sind indessen kein Selbstzweck, sondern sollen die "Möglichkeit eines verfrühten Zugangs" der Untersuchungsbehörden auf geheimnisgeschützte Daten verhindern (siehe Urteil 7B_54/2023 vom 12. Oktober 2023 E. 4.1). Da die Beschwerdeführerin im Entsiegelungsverfahren keine Geheimnisschutzinteressen im Sinne von Art. 248 Abs. 1 StPO geltend gemacht hat, zielt ihr Vorwurf ins Leere. Das Verfahren nach Art. 248 StPO gelangt vorliegend gar nicht zur Anwendung (vgl. E. 3.3 hiervor).  
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde teilweise gutzuheissen. Der angefochtene Entscheid wird insoweit abgeändert, als die Feststellung der Vorinstanz, es liege kein gültiges Siegelungsgesuch vor (Dispositiv-Ziff. 1), aufgehoben wird. Im Übrigen ist die Beschwerde abzuweisen. 
Soweit die Beschwerdeführerin unterliegt, trägt sie die Verfahrenskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Soweit sie obsiegt, hat der Kanton Zug ihr die durch den Rechtsstreit verursachten notwendigen Kosten zu ersetzen (Art. 64 Abs. 1 und 2 BGG). Der Kanton Zug trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen.  
 
1.2. Dispositiv-Ziffer 1 der Verfügung des Zwangsmassnahmengerichts vom 24. August 2023 wird aufgehoben.  
 
1.3. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.  
 
2.  
Der Kanton Zug hat die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 500.-- zu entschädigen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten werden im Umfang von Fr. 2'500.-- der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug und dem Strafgericht des Kantons Zug, Zwangsmassnahmengericht, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. Dezember 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger