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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_119/2022  
 
 
Urteil vom 21. August 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichterin Koch, 
Bundesrichter Kölz, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A._______, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Nacherfassung DNA-Profil, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts 
des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, 
vom 16. März 2022 (BK 21 545). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die 1. Strafkammer des Obergerichts des Kantons Bern sprach A._______ mit Urteil vom 11. August 2011 der sexuellen Handlungen mit Kindern und der Pornografie schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 20 Monaten, deren Vollzug zu Gunsten einer stationären psychotherapeutischen Massnahme aufgeschoben wurde. Betreffend das während des Strafverfahrens erstellte DNA-Profil verfügte die 1. Strafkammer zudem: 
 
"Die Zustimmung zur Löschung des erstellten DNA-Profils ist notwendig und nach Ablauf der Frist durch das zuständige Bundesamt einzuholen (Art. 16 Abs. 4 DNA-ProfilG)." 
 
 
B.  
Am 29. Juli 2021 gelangte die 1. Strafkammer an das Regionalgericht Bern-Mittelland und teilte diesem mit, das verzeichnete DNA-Profil sei offenbar irrtümlich gelöscht worden. Das Regionalgericht eröffnete ein selbstständiges nachträgliches Verfahren und beschloss am 16. November 2021, es sei zur Erstellung eines (neuen) DNA-Profils eine (neue) DNA-Probe von A._______ abzunehmen. Zudem ordnete es die zur Erstellung des DNA-Profils erforderliche erkennungsdienstliche Behandlung an und erteilte die Bewilligung, das erkennungsdienstliche Material auszuwerten. 
Die von A._______ dagegen erhobene Beschwerde wies die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern mit Beschluss vom 16. März 2022 ab. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens in der Höhe von Fr. 1'200.-- auferlegte sie A._______. Schliesslich sprach sie diesem Fr. 107.60 für die Reisekosten zu. 
 
C.  
Mit eigenhändiger Beschwerde in Strafsachen vom 14. April 2022 beantragt A._______ vor Bundesgericht, der "Beschluss zur Erfassung der biometrischen erkennungsdienstlichen Daten" und der "Beschluss zur Abnahme von DNS-Profil" seien aufzuheben. Ausserdem formuliert er verschiedene Feststellungsanträge mit Bezug auf einzelne im Rahmen der Beschwerde sich stellende Rechtsfragen. 
Die Vorinstanz und die Generalstaatsanwaltschaft haben ausdrücklich auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Beschluss in einer strafrechtlichen Angelegenheit, gegen den die Beschwerde in Strafsachen offensteht (Art. 78 Abs. 1 und Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen, ist Adressat der Zwangsmassnahmenanordnung und damit nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten.  
 
1.2. Unzulässig sind dagegen die Feststellungsanträge, zumal der Beschwerdeführer nicht aufzeigt, inwieweit er - neben der Behandlung seiner übrigen Rechtsbegehren - ein rechtlich geschütztes Interesse an den entsprechenden Feststellungen hat (vgl. BGE 148 I 160 E. 1.6; 141 II 113 E. 1.7; je mit Hinweisen).  
 
2.  
Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG), prüft die bei ihm angefochtenen Entscheide aber grundsätzlich nur auf Rechtsverletzungen hin, welche die beschwerdeführende Partei vorbringt und begründet, sofern die rechtlichen Mängel des angefochtenen Entscheids nicht geradezu offensichtlich sind (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 147 I 1 E. 3.5; 144 V 388 E. 2). 
 
3.  
Die Probenahme sowie die Erstellung eines DNA-Profils können das Recht auf persönliche Freiheit bzw. körperliche Integrität (Art. 10 Abs. 2 BV) und auf informationelle Selbstbestimmung berühren (Art. 13 Abs. 2 BV und Art. 8 EMRK; BGE 147 I 372 E. 2.2 ff.; 145 IV 263 E. 3.4; je mit Hinweisen). Einschränkungen von Grundrechten bedürfen gemäss Art. 36 Abs. 1 bis 3 BV einer gesetzlichen Grundlage und müssen durch ein öffentliches Interesse gerechtfertigt und verhältnismässig sein. Diese Voraussetzungen werden in Art. 197 Abs. 1 StPO präzisiert. Danach können Zwangsmassnahmen nur ergriffen werden, wenn ein hinreichender Tatverdacht vorliegt (lit. b), die damit angestrebten Ziele nicht durch mildere Massnahmen erreicht werden können (lit. c) und die Bedeutung der Straftat die Zwangsmassnahme rechtfertigt (lit. d). 
Nach Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO kann von der beschuldigten Person zur Aufklärung eines Verbrechens oder eines Vergehens eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt werden. Die Strafbehörden können diese Zwangsmassnahmen aber nicht nur zur Aufklärung bereits begangener und ihnen bekannter Delikte anordnen. Wie aus Art. 259 StPO i.V.m. der bis 31. Juli 2023 gültigen Fassung von Art. 1 Abs. 2 lit. a des Bundesgesetzes vom 20. Juni 2003 über die Verwendung von DNA-Profilen im Strafverfahren und zur Identifizierung von unbekannten der vermissten Personen (DNA-Profil-Gesetz; SR 363) hervorgeht, soll die Erstellung eines DNA-Profils vielmehr auch erlauben, Täterinnen und Täter von Delikten zu identifizieren, die den Strafbehörden noch unbekannt sind. Dabei kann es sich um vergangene oder künftige Delikte handeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts dient Art. 255 Abs. 1 lit. a StPO auch bei solchen Straftaten als gesetzliche Grundlage für die DNA-Probenahme und DNA-Profilerstellung (zum Ganzen: BGE 147 I 372 E. 2.1; 145 IV 263 E. 3.3; je mit Hinweisen). 
Laut Art. 257 StPO kann das Gericht in seinem Urteil anordnen, dass eine Probe genommen und ein DNA-Profil erstellt wird von Personen, die wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens zu einer Freiheitsstrafe von mehr als einem Jahr verurteilt worden sind (lit. a), die wegen eines vorsätzlich begangenen Verbrechens oder Vergehens gegen Leib und Leben oder gegen die sexuelle Integrität verurteilt worden sind (lit. b), oder gegenüber denen eine therapeutische Massnahme oder die Verwahrung angeordnet worden ist (lit. c). Gemäss der Lehre ist diese Bestimmung nicht als Beschränkung von Art. 255 StPO in dem Sinn zu verstehen, dass das DNA-Profil einer verurteilten Person nach deren Verurteilung nur unter den Voraussetzungen von Art. 257 StPO im DNA-Profil-Informationssystem belassen werden darf. Während des laufenden Strafverfahrens rechtmässig abgenommene Proben müssen somit nach herrschender Lehre nicht etwa gelöscht werden, falls keine Anordnung auf Grund von Art. 257 StPO erfolgt (GRAF/HANSJAKOB, in: Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 1 zu Art. 257 StPO; ROHMER/VUILLE, in: Code de procédure pénale suisse, Commentaire romand, 2. Aufl. 2019, N. 5c zu Art. 257 StPO; SCHMID/JOSITSCH, Schweizerische Strafprozessordnung, Praxiskommentar, 3. Aufl. 2018, N. 2 zu Art. 257 StPO; MOREILLON/PAREIN-REYMOND, Petit commentaire, Code de procédure pénale, 2. Aufl. 2016, N. 7 zu Art. 257 StPO; FRICKER/MAEDER, in: Schweizerische Strafprozessordnung, Basler Kommentar, 2. Aufl. 2014, N. 3 zu Art. 257 StPO). Art. 257 StPO gelangt vor allem dann zur Anwendung, wenn im Strafverfahren, welches zur Verurteilung führte, kein DNA-Profil erstellt wurde (GRAF/HANSJAKOB, a.a.O., N. 1 zu Art. 257 StPO; SCHMID/JOSITSCH, a.a.O., N. 1 zu Art. 257 StPO; vgl. auch FRICKER/MAEDER, a.a.O. N. 3 zu Art. 257 StPO). 
 
4.  
 
4.1. Die Vorinstanz erwägt im angefochtenen Entscheid unter Verweis auf den Beschluss BK 17 339 der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Bern vom 29. September 2017 E. 5.4 ff., angesichts der rechtskräftigen Verurteilung des Beschwerdeführers stelle Art. 257 StPO eine hinreichende gesetzliche Grundlage zur Nacherfassung seines irrtümlich gelöschten DNA-Profils dar. Dass eine solche Nacherfassung im Rahmen eines nachträglichen Verfahrens im Sinne von Art. 363 StPO erfolge, sei nicht zu beanstanden. Das Regionalgericht habe das selbstständige nachträgliche Verfahren nach Kenntnisnahme der irrtümlichen Löschung umgehend eingeleitet. Zudem bestehe ein öffentliches Interesse an der DNA-Erfassung, da der Beschwerdeführer wegen schwerer Straftaten verurteilt worden sei. Die Vorinstanz hält die Nacherfassung des DNA-Profils auch für verhältnismässig, da insbesondere aus der Verfügung der Bewährungs- und Vollzugsdienste vom 25. Oktober 2018 betreffend bedingte Entlassung hervorgehe, dass der Beschwerdeführer eine konstante sexuelle Ansprechbarkeit für Knaben bestätige. Auch die erfolgreiche Absolvierung einer Therapie ändere hieran nichts. Schliesslich erweise sich der mit der DNA-Profilerstellung verbundene Grundrechtseingriff auch als zumutbar, da damit das hochwertige Rechtsgut der ungestörten sexuellen Entwicklung des Kindes geschützt werden solle. Dem Beschwerdeführer sei indes zuzustimmen, dass ihm durch die irrtümliche Löschung seines DNA-Profils kein finanzieller Nachteil entstehen dürfe, weshalb ihm eine Entschädigung für die Reisekosten zuzusprechen sei. Da der Beschwerdeführer nur Teilzeit arbeite, müsse dagegen kein Arbeitsausfall entschädigt werden.  
 
4.2. Der Beschwerdeführer macht geltend, das Obergericht habe mit Urteil vom 11. August 2011 entschieden, dass sein DNA-Profil gelöscht werden könne. Dieses sei somit nicht versehentlich, sondern auf entsprechende Verfügung hin gelöscht worden. Des Weiteren bestreitet er die von der Vorinstanz bejahte Rückfallgefahr. Die Vorinstanz habe ungenügend berücksichtigt, dass er erfolgreich therapiert worden sei und jeglichen Kontakt zu potentiellen Opfern zu meiden wisse. Die Nacherfassung erweise sich damit auch als nicht verhältnismässig.  
 
4.3. Der Argumentation des Beschwerdeführers kann nicht gefolgt werden: Aus den Vorakten geht hervor, dass die 1. Strafkammer mit Urteil vom 11. August 2011 nicht etwa die sofortige Löschung des DNA-Profils des Beschwerdeführers verfügte, sondern vielmehr entschied, dieses solle nach Ablauf der in Art. 16 Abs. 4 in der damals gültigen Fassung des DNA-Profil-Gesetzes vorgesehenen 20-jährigen Frist gelöscht werden, wobei nach aArt. 17 Abs. 1 DNA-Profil-Gesetz das Bundesamt die Zustimmung der zuständigen richterlichen Behörde einzuholen hatte.  
Auch abgesehen davon ist der vorinstanzliche Entscheid nicht zu beanstanden: Der Beschwerdeführer bemängelt nicht, dass das Regionalgericht die Nacherfassung seines DNA-Profils mit einem selbstständigen nachträglichen Entscheid im Verfahren nach Art. 363 ff. StPO angeordnet hat. Des Weiteren sind vorliegend - wie die Vorinstanz zutreffend festhält - die gesetzlichen Voraussetzungen für die Probenahme und Erstellung eines DNA-Profils gemäss Art. 257 StPO erfüllt, da der Beschwerdeführer wegen eines Deliktes gegen die sexuelle Integrität zu einer Freiheitsstrafe von über einem Jahr verurteilt und eine stationären Massnahme angeordnet wurde. Zudem ist die 20-jährige Frist nach Art. 16 Abs. 4 der bis 31. Juli 2023 gültigen Fassung des DNA-Profil-Gesetzes (vgl. seither Art. 16 Abs. 6 DNA-Profil-Gesetz) noch nicht abgelaufen und steht auch nicht kurz vor ihrem Ablauf. Bei dieser Sachlage erweist sich die Nacherfassung des DNA-Profils des Beschwerdeführers gestützt auf Art. 257 StPO auch nach über zehn Jahren seit seiner Verurteilung durch die 1. Strafkammer noch als verhältnismässig. Dasselbe gilt schliesslich auch für die erkennungsdienstliche Erfassung. Ob die Nacherfassung des versehentlich gelöschten DNA-Profils des Beschwerdeführers auch gestützt auf eine andere gesetzliche Grundlage zulässig gewesen wäre, braucht hier nicht beurteilt zu werden. 
 
5.  
Soweit der Beschwerdeführer ferner eine Entschädigung für Reisespesen und Arbeitsausfall geltend macht, setzt er sich nicht hinreichend substanziiert mit den entsprechenden Erwägungen der Vorinstanz auseinander (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG), die im angefochtenen Entscheid nachvollziehbar darlegt, wie sie die ihm zugesprochene Entschädigung berechnet hat. Es kann daher nicht weiter darauf eingegangen werden. 
 
6.  
Zur Höhe der schliesslich ebenfalls gerügten Verfahrenskosten ist anzumerken, dass diese nach dem kantonalen Recht berechnet werden (vgl. Art. 424 Abs. 1 StPO). Inwiefern der von der Vorinstanz festgesetzte Betrag von Fr. 1'200.- auf einer vom Bundesgericht überprüfbaren Rechtsverletzung (siehe Art. 95 f. BGG) beruhen soll, wird in der Beschwerde nicht aufgezeigt und ist auch nicht ersichtlich. 
 
7.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Er stellt jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (vgl. Art. 64 BGG). Es sind keine Gerichtskosten zu erheben (Art. 64 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren wird gutgeheissen. 
 
3.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 21. August 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern