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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_816/2023  
 
 
Urteil vom 12. Januar 2024  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiberin Mango-Meier. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID), Kramgasse 20, 3011 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Aufschub des Strafvollzugs, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Bern, 1. Strafkammer, vom 18. September 2023 (SK 23 153). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Obergericht des Kantons Bern verurteilte den Beschwerdeführer am 14. April 2015 wegen qualifizierter Veruntreuung zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 28 Monaten, unter Anrechnung von 1 Tag Polizeihaft. Zudem wurde der Beschwerdeführer am 23. März 2018 wegen Missbrauchs von Ausweisen und Schildern zu einer Geldstrafe von 25 Tagessätzen zu Fr. 60.-- sowie am 13. Februar 2022 wegen Widerhandlung gegen ein gerichtliches Verbot mit Personenwagen auf privatem Grund zu einer Busse von Fr. 40.-- verurteilt. Da er weder die Geldstrafe noch die Busse bezahlte, trat an deren Stelle eine Ersatzfreiheitsstrafe von insgesamt 26 Tagen. 
 
B.  
Das Amt für Justizvollzug des Kantons Bern, Bewährungs- und Vollzugsdienste (BVD), bot den Beschwerdeführer mit Verfügung vom 9. März 2016 per 25. April 2016 erstmals zum Haftantritt auf. Am 3. April 2016 stellte der Beschwerdeführer aus gesundheitlichen Gründen ein Gesuch um Aufschub des Strafvollzugs um 6 Monate. Dieses Gesuch wurde am 12. April 2016 gutgeheissen. Gleichentags wurde der Beschwerdeführer per 5. Dezember 2016 zum Haftantritt aufgeboten. Am 31. Oktober 2016 ersuchte der Beschwerdeführer erneut aus gesundheitlichen Gründen um Verschiebung des Strafantritts um 4 Monate. Dieses Gesuch wurde am 11. November 2016 gutgeheissen. Wiederum erging gleichentags ein neues Aufgebot zum Haftantritt, diesmal per 1. Mai 2017. Daraufhin stellte der Beschwerdeführer ein weiteres Verschiebungsgesuch, welches am 26. April 2017 gutgeheissen wurde. Am 11. März 2019 wurde der Beschwerdeführer per 16. September 2019 abermals zum Haftantritt aufgeboten. Die vom Beschwerdeführer beantragte Verschiebung wurde dieses Mal am 5. Dezember 2019 von den BVD abgewiesen und der Beschwerdeführer aufgeboten, spätestens am 27. April 2020 den Strafvollzug anzutreten. 
Am 13. April 2020 stellte der Beschwerdeführer ein weiteres Gesuch um Aufschub des Strafvollzugs aus gesundheitlichen Gründen, welches nach Gewährung des rechtlichen Gehörs am 27. September 2022 abgewiesen wurde. Die dagegen bei der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID) angehobene Beschwerde wurde am 20. Februar 2023 abgewiesen. Dagegen erhob der Beschwerdeführer mit Eingabe vom 23. März 2023 Beschwerde beim Obergericht des Kantons Bern, welches diese mit Beschluss vom 18. September 2023 abwies. 
 
C.  
Der Beschwerdeführer erhebt am 23. Oktober 2023 Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht und ersucht zugleich um deren aufschiebende Wirkung im Sinne von Art. 103 BGG
Mit Verfügung vom 26. Oktober 2023 wurde das Gesuch um Erteilung der aufschiebenden Wirkung einstweilen abgewiesen. 
Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Die Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG sind grundsätzlich erfüllt und geben - unter Vorbehalt gehöriger Begründung nach Art. 42 Abs. 2 BGG und Art. 106 Abs. 2 BGG - zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
2.  
Mit E-Mail vom 15. August 2022 ersuchten die BVD die Leitung Pflege des Pflegezentrums B.________ um eine kurze Einschätzung, ob ein Strafvollzug für einen Paraplegiker mit Jahrgang 1962, der eine Freiheitsstrafe von 28 Monaten und einigen Tagen Ersatzfreiheitsstrafe zu verbüssen habe, in ihrer Institution möglich sei. Weiter führten die BVD aus, die behördliche Einschätzung der Hafterstehung gehe mit dem Auffinden einer geeigneten Vollzugsinstitution einher, weshalb vorab angefragt werde, ob ein Vollzug im Pflegezentrum B.________ möglich wäre, da der Vollzug pflegerisch begleitet werden müsse; es handle sich dabei zunächst um eine Vorabklärung, da die verurteilte Person noch nicht zum Haftantritt aufgeboten sei. Mit E-Mail vom 16. August 2022 antwortete die Leitung Pflege des Pflegezentrums B.________, aus pflegerischer Sicht sei der Vollzug im geschlossenen Sektor "überhaupt kein Problem". 
 
3.  
Der Beschwerdeführer kritisiert, die genannte Korrespondenz sei ihm seitens der BVD nicht zur Kenntnis gebracht worden, worin eine Verletzung des rechtlichen Gehörs liege. Die Vorinstanz habe zu Unrecht eine Heilung dieser Verletzung im Beschwerdeverfahren angenommen. 
 
3.1. In Verfahren vor Verwaltungs- und Gerichtsbehörden ergibt sich aus dem verfassungsmässigen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) das Recht, sich zu Eingaben von Vorinstanz oder Gegenpartei zu äussern, soweit die darin vorgebrachten Noven prozessual zulässig und materiell geeignet sind, den Entscheid zu beeinflussen. Von diesem sogenannten Replikrecht im engeren Sinn zu unterscheiden ist die - nur in den Art. 6 Ziff. 1 EMRK unterliegenden Gerichtsverfahren bestehende - Möglichkeit, zu jeder Eingabe von Vorinstanz oder Gegenpartei Stellung zu nehmen, und zwar unabhängig davon, ob diese neue und erhebliche Gesichtspunkte enthält (zum Ganzen BGE 138 I 154 E. 2.3.2 f. mit Hinweisen).  
Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist formeller Natur, womit seine Verletzung ungeachtet der materiellen Begründetheit des Rechtsmittels grundsätzlich zur Gutheissung der Beschwerde und zur Aufhebung des angefochtenen Entscheids führt (BGE 144 I 11 E. 5.3; 137 I 195 E. 2.2; 135 I 187 E. 2.2; Urteil 6B_173/2023 vom 26. Mai 2023 E. 2.2.2; je mit Hinweisen). Nach der Rechtsprechung kann jedoch eine nicht besonders schwerwiegende Verletzung des rechtlichen Gehörs ausnahmsweise als geheilt gelten, wenn die betroffene Person die Möglichkeit erhält, sich vor einer Beschwerdeinstanz zu äussern, die sowohl den Sachverhalt wie die Rechtslage frei überprüfen kann. Unter dieser Voraussetzung ist darüber hinaus - im Sinne einer Heilung des Mangels - selbst bei einer schwerwiegenden Verletzung des rechtlichen Gehörs von einer Rückweisung der Sache abzusehen, wenn und soweit die Rückweisung zu einem formalistischen Leerlauf und damit zu unnötigen Verzögerungen führen würde, die mit dem Interesse der betroffenen Partei an einer beförderlichen Beurteilung der Sache nicht zu vereinbaren wären (BGE 147 IV 340 E. 4.11.3; 142 II 218 E. 2.8.1; 137 I 195 E. 2.3.2; 136 V 117 E. 4.2.2.2; Urteil 6B_173/2023 vom 26. Mai 2023 E. 2.2.2; je mit Hinweisen). 
 
3.2. Die Vorinstanz hat eine Verletzung des rechtlichen Gehörs verneint, da die erwähnte Korrespondenz kein entscheidwesentliches Beweismittel darstelle. Im Sinne einer Eventualbegründung hat sie schliesslich darauf hingewiesen, eine allfällige Verletzung wäre im vorinstanzlichen Beschwerdeverfahren ohnehin geheilt worden. Denn mit Schreiben vom 1. Mai 2023 habe der Beschwerdeführer bei der Vorinstanz ein Gesuch um Akteneinsicht gestellt, das mit Verfügung vom 3. Mai 2023 gutgeheissen worden sei. Der Beschwerdeführer habe sich folglich im Rahmen seiner Replik vom 6. Juli 2023 in Kenntnis des Inhalts der vorliegend interessierenden E-Mails ausführlich zu der Anfrage der BVD und der Rückmeldung des Pflegezentrums B.________ äussern können. Die Vorinstanz sei bei der Überprüfung des angefochtenen Entscheids in ihrer Kognition nicht eingeschränkt. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs hätte somit als geheilt zu gelten und auf eine Rückweisung an die BVD oder die Vorinstanz als Folge der Verletzung wäre zu verzichten.  
 
3.3. Was der Beschwerdeführer in Rz. 12 seiner Beschwerde gegen diese Erwägungen vorbringt, überzeugt nicht: Sein Argument, er sei ein "Fasttetraplegiker", konnte er auch der über volle Kognition in Tat- und Rechtsfragen verfügenden Vorinstanz vortragen. Seine Rüge geht damit fehl.  
 
4.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. 
Die Gerichtskosten sind dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Sicherheitsdirektion des Kantons Bern (SID), der Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern und dem Obergericht des Kantons Bern, 1. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 12. Januar 2024 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Mango-Meier