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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_758/2022  
 
 
Urteil vom 9. November 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Statthalteramt des Bezirkes Zürich, 
Löwenstrasse 17, 8001 Zürich, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Einsprache gegen Strafbefehl (Verletzung von Strassenverkehrs- und/oder Taxivorschriften), 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Zürich, III. Strafkammer, vom 10. Mai 2022 (UH210396-O/U/BEE). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Kantons- und Stadtpolizeien Zürich rapportierten in den Jahren 2018 und 2019 in zahlreichen Fällen gegen den Beschwerdeführer wegen Verletzung diverser Strassenverkehrs- und Taxivorschriften. Die Polizeirapporte wurden angesichts einer zu erwartenden Gesamtbusse von über Fr. 500.-- mit mehreren Verfügungen dem Statthalteramt des Bezirks Zürich überwiesen.  
 
1.2. Das Statthalteramt verurteilte den Beschwerdeführer mit Strafbefehl vom 30. August 2019 zu einer Busse von Fr. 1'200.--, wogegen dieser am 10. September 2019 Einsprache erhob. In der Folge befragte ihn das Statthalteramt am 26. November 2019 zur Sache und setzte die Busse am 25. Mai 2020 mit neuem Strafbefehl auf Fr. 1'100.-- fest. Auch gegen diesen Strafbefehl erhob der Beschwerdeführer am 2. Juni 2020 Einsprache, worauf das Statthalteramt Zeugenbefragungen durchführte, zu welchen der Beschwerdeführer jeweils vorgeladen wurde und er teilweise auch persönlich erschien, dies zuletzt, soweit ersichtlich, am 22. September 2020. Am 11. Mai 2021 wurde abermals ein neuer Strafbefehl mit einer Busse von Fr. 350.-- erlassen. Der Beschwerdeführer erhob auch dagegen am 25. Mai 2021 Einsprache. Das Statthalteramt büsste den Beschwerdeführer daraufhin mit Strafbefehl vom 21. Juli 2021 (infolge Verjährung) nur noch wegen fahrlässigen Parkierens auf einer Halteverbotslinie und vorsätzlichen Nichtbefolgens einer polizeilichen Weisung mit Fr. 200.--.  
 
1.3. Der am 21. Juli 2021 erlassene Strafbefehl wurde gleichentags versandt und dem Beschwerdeführer am 22. Juli 2021 zur Abholung gemeldet. Am 6. August 2021 wurde die Sendung mit dem Vermerk "nicht abgeholt" an das Statthalteramt retourniert. Am 30. August 2021 wurde der Strafbefehl erneut per Einschreiben an die vom Beschwerdeführer bezeichnete Adresse versandt. Mit Eingabe vom 6. September 2021 erhob der Beschwerdeführer dagegen Einsprache. Das Statthalteramt hielt am 28. September 2021 am Strafbefehl fest und überwies die Akten an das Bezirksgericht Zürich zur Durchführung der Hauptverhandlung. Nach Gewährung des rechtlichen Gehörs zur Frage der Rechtzeitigkeit trat das Bezirksgericht am 28. Oktober 2021 auf die Einsprache vom 6. September 2021 infolge Verspätung nicht ein und erklärte den Strafbefehl vom 21. Juli 2021 für rechtskräftig. Eine dagegen gerichtete Beschwerde wies das Obergericht des Kantons Zürich am 10. Mai 2022 ab.  
 
1.4. Der Beschwerdeführer wendet sich mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht und verlangt sinngemäss die Aufhebung der obergerichtlichen Verfügung. Er macht im Wesentlichen geltend, auf den Zustellversuch vom 21. Juli 2021 könne nicht abgestellt werden, da er in den Ferien gewesen und auch nicht darauf hingewiesen worden sei, es werde ein neuer Strafbefehl erlassen und zugestellt. Massgebend müsse vielmehr die zweite vorbehaltlose Zustellung des identischen Strafbefehls vom 30. August 2021 sein, mit welcher nach Treu und Glauben eine neue Einsprachefrist ausgelöst worden sei. Seine Einsprache vom 6. September 2021 sei rechtzeitig erfolgt.  
 
2.  
 
2.1. Der Strafbefehl wird den zur Einsprache befugten Personen unverzüglich schriftlich eröffnet (Art. 353 Abs. 3 StPO). Die Einsprache ist innert 10 Tagen bei der Staatsanwaltschaft einzureichen (Art. 354 Abs. 1 StPO). Ohne gültige Einsprache wird der Strafbefehl zum rechtskräftigen Urteil (Art. 354 Abs. 3 StPO). Das erstinstanzliche Gericht entscheidet über die Gültigkeit des Strafbefehls und der Einsprache (Art. 356 Abs. 2 StPO). Eine verspätete Einsprache ist ungültig.  
 
2.2. Für die Zustellung von Strafbefehlen gelten die allgemeinen Regeln (Art. 84 ff. StPO). Sie erfolgt gemäss Art. 85 Abs. 2 StPO durch eingeschriebene Postsendung oder auf andere Weise gegen Empfangsbestätigung. Die Zustellung einer eingeschriebenen Postsendung, die nicht abgeholt worden ist, gilt nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellungsversuch als erfolgt, sofern die Person mit einer Zustellung rechnen musste (sog. Zustell- oder Zustellungsfiktion, BGE 143 III 15 E. 4.1; 138 III 225 E. 3.1). Die Begründung eines Prozessrechtsverhältnisses verpflichtet die Parteien, sich nach Treu und Glauben zu verhalten und unter anderem dafür zu sorgen, dass ihnen behördliche Akten zugestellt werden können, welche das Verfahren betreffen (BGE 141 II 429 E. 3.1; 138 III 225 E. 3.1; Urteil 6B_110/2016 vom 27. Juli 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 IV 286; je mit Hinweisen). Diese Obliegenheit beurteilt sich nach den konkreten Verhältnissen und dauert nicht unbeschränkt an (Urteil 6B_324/2020 vom 7. September 2020 E. 1.2 mit Hinweisen).  
 
2.3. In Fällen, in denen eine eingeschriebene Postsendung als am letzten Tag der siebentägigen Abholfrist zugestellt gilt, d.h. die Zustellfiktion nach Art. 85 Abs. 4 lit. a StPO also greift, ist ein allfälliger zweiter Versand und die spätere Entgegennahme der Sendung durch den Betroffenen grundsätzlich rechtlich unbeachtlich (BGE 117 V 132 E. 4a; 111 V 101 E. 2b). Zwar kann sich die Rechtsmittelfrist gestützt auf den Grundsatz des Vertrauensschutzes allenfalls verlängern (Art. 5 Abs. 3 und Art. 9 BV; Art. 3 Abs. 2 lit. a StPO), wenn noch vor ihrem Ablauf eine entsprechende vertrauensbegründende Auskunft erteilt wird, beispielsweise in Form einer erneuten Zustellung eines Entscheides mit vorbehaltloser Rechtsmittelbelehrung (BGE 119 V 89 E. 4b/aa; 118 V 190 E. 3a; 115 Ia 12 E. 4; Urteile 2C_374/2020 vom 28. August 2020 E. 1.7; 4A_53/2019 vom 14. Mai 2019 E. 4.3 und 4.4 mit zahlreichen weiteren Hinweisen). Hingegen vermag eine nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist erfolgte zweite Zustellung eines mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Entscheids auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keine neue Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen (BGE 118 V 190 E. 3a;117 II 511 E. 2; Urteile 9C_102/2016 vom 21. März 2016 E. 2, 8C_374/2014 vom 13. August 2014 E. 3.4 und 5A_158/2014 vom 7. Juli 2014 E. 3.3).  
 
3.  
Die Vorinstanz erwägt, der Beschwerdeführer habe im laufenden Verfahren bereits diverse Einsprachen beim Statthalteramt erhoben; dies zuletzt - vor der hier zu beurteilenden Einsprache vom 6. September 2021 - mit am 25. Mai 2021 beim Statthalteramt eingegangener Einsprache. Mit seinen Einsprachen habe er aktiv ein Prozessrechtsverhältnis initiiert und daher - ohne expliziten Hinweis - auch für den vorliegend zur Diskussion stehenden Zeitraum mit einer behördlichen Zustellung rechnen müssen. Der mit Einschreiben versandte Strafbefehl vom 21. Juli 2021 gelte daher am 29. Juli 2021, d.h. am siebten Tag nach dem erfolglosen Zustellversuch mit Abholeinladung vom 22. Juli 2021 als zugestellt. Die dadurch ausgelöste, zehntägige Einsprachefrist habe am 9. August 2021 geendet und die vom Beschwerdeführer eingereichte Einsprache vom 6. September 2021 sei verspätet erhoben worden. Dass Ferienzeit gewesen sei und zudem nach Ablauf der Einsprachefrist am 30. August 2021 eine zweite Zustellung des Strafbefehls erfolgt sei, ändere daran nichts. Denn eine nach Ablauf der ordentlichen Rechtsmittelfrist erfolgte zweite Zustellung eines mit Rechtsmittelbelehrung versehenen Entscheids vermöge auch unter dem Gesichtspunkt des Vertrauensschutzes keine neue Rechtsmittelfrist in Gang zu setzen. Dass eine besondere Vertrauensschutzsituation oder andere besondere Umstände vorlägen, sei weder dargetan noch ersichtlich. Die Beschwerde sei daher abzuweisen. 
 
4.  
 
4.1. Was dagegen in der Beschwerde vorgebracht wird, verfängt nicht. Wie die Vorinstanz zu Recht erwägt, hat der Beschwerdeführer mehrfach Einsprache gegen die vom Statthalteramt erlassenen Strafbefehle im gegen ihn geführten Strafverfahren erhoben (vorstehend E. 1.2). Mit seinen Einsprachen hat er in Kenntnis des gegen ihn geführten laufenden Verfahrens jeweils aktiv ein Prozessrechtsverhältnis begründet, und er hatte folglich - ohne dass es hierfür eines ausdrücklichen Hinweises durch das Statthalteramt bedurft hätte - auch für den zu beurteilenden Zeitraum nach der Einspracheerhebung vom 25. Mai 2021 mit einer Reaktion des Amts zu rechnen sowie entsprechend davon auszugehen, dass ihm in naher Zukunft eine behördliche fristauslösende Akte - etwa ein erneuter Strafbefehl oder auch eine Einstellungsverfügung - zugestellt werden könnte. Der mit Einschreiben versandte Strafbefehl vom 21. Juli 2021 wurde dem Beschwerdeführer bereits am 22. Juli 2021 und damit (nur) rund zwei Monate nach seiner Einspracheerhebung vom 25. Mai 2021 zur Abholung gemeldet, was deutlich im Rahmen der zu erwartenden Aufmerksamkeitsdauer liegt.  
 
4.2. War für den Beschwerdeführer die Zustellung einer behördlichen Akte wie hier mit einer gewissen Wahrscheinlich aber voraussehbar und damit zu erwarten, hätte er angesichts seiner aus dem Prozessrechtsverhältnis fliessenden Pflicht, die Entgegennahme behördlicher Sendungen sicherzustellen (BGE 141 II 429 E. 3.1; Urteil 1B_605/2021 vom 3. März 2022 E. 2.1; je mit Hinweisen), das Stadthalteramt über seine bevorstehende Abwesenheit während der kantonalen Sommerferien informieren oder sonstige geeignete Vorkehrungen für die Zeit seiner geltend gemachten Ferienabwesenheit treffen müssen. Dass er solche Massnahmen für die Gewährleistung der Zustellbarkeit von behördlicher Post getroffen hätte, macht der Beschwerdeführer selbst nicht geltend und ist auch nicht ersichtlich. Hingegen musste das Amt nicht von sich aus berücksichtigen, dass der Beschwerdeführer während der kantonalen Sommerferien allenfalls ferienabwesend sein könnte (Urteil 6B_940/2013 vom 31. März 2014 E. 2.2.5). Dass die dem Beschwerdeführer im Strafbefehl vom 21. Juli 2021 noch einzig zur Last gelegte Übertretung auf den 29. November 2018 zurückgeht und somit zeitlich relativ lange zurückliegt, ist zudem unerheblich, da der Erlass des Strafbefehls vom 21. Juli 2021 und dessen Zustellversuch mit Abholeinladung vom 22. Juli 2021 an vergangene behördliche Verfahrenshandlungen des Amts anknüpfen, die - wenn überhaupt - zeitlich nie länger als höchstens 8 Monate auseinander liegen (vorstehend E. 1.2). Der Beschwerdeführer hat die fingierte Zustellung des Strafbefehls vom 21. Juli 2021 damit gegen sich gelten zu lassen. Die Vorinstanzen gehen zu Recht davon aus, dass der Strafbefehl am 29. Juli 2021 als zugestellt gilt, die zehntägige Einsprachefrist am 9. August 2021 endete und die Einsprache vom 6. September 2021 verspätet eingereicht wurde.  
 
4.3. Dass das Statthalteramt dem Beschwerdeführer den identischen Strafbefehl am 30. August 2021 ein zweites Mal zustellte, ändert an diesem Ergebnis nichts. Zwar kann sich eine Einsprache- oder Rechtsmittelfrist, wie bereits dargestellt, gestützt auf den verfassungsmässigen Anspruch auf Vertrauensschutz verlängern, wenn noch vor ihrem Ende eine entsprechende vertrauensbegründende Auskunft erteilt wird. Nach Ablauf der Einsprache- oder Rechtsmittelfrist greift der Vertrauensschutz nach konstanter Praxis des Bundesgerichts allerdings nicht. Hinsichtlich der Fristwahrung fehlt es an der für den Vertrauensschutz vorausgesetzten nachteiligen Disposition. Weil das geltend gemachte Vertrauen vorliegend erst in einem Zeitpunkt erweckt wurde, in dem die Einsprachefrist bereits abgelaufen war, konnte es mit Bezug auf die rechtzeitige Einreichung der Einsprache keinen Nachteil bewirkt haben. Die nach Ablauf der Einsprachefrist erfolgte zweite Zustellung des identischen Strafbefehls vermag auch unter dem Blickwinkel des Vertrauenschutzes die erste Zustellung des Strafbefehls vom 21. Juli 2021 folglich nicht zu ersetzen. Sie stellt entgegen der in der Beschwerde vertretenen Auffassung keine Neueröffnung des Strafbefehls dar, die eine neue Einsprachefrist in Gang setzen würde. Der Beschwerdeführer vermag aus dem erneuten Versand des Strafbefehls somit nichts für sich abzuleiten. Seine Beschwerde erweist sich als unbegründet und ist abzuweisen.  
 
5.  
Bei diesem Verfahrensausgang wären dem Beschwerdeführer grundsätzlich die Verfahrenskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). Von einer Kostenauflage kann jedoch wegen der in einer unkomplizierten und einfachen Strafsache als eher umständlich und ungewöhnlich zu bezeichnenden Verfahrensführung des Statthalteramts (mit dem Erlass von insgesamt vier Strafbefehlen und einer zweiten Zustellung nach Ablauf der Einsprachefrist) abgesehen werden (Art. 66 Abs. 1 Satz 2 BGG). Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege nach Art. 64 BGG wird dadurch gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Kosten erhoben. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, III. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 9. November 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill