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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_180/2022  
 
 
Urteil vom 14. August 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiberin Lustenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Christoph Hohler, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, pflichtwidriges Verhalten bei Unfall, Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges; Schuldfähigkeit; Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 6. September 2022 (SB210614-O/U/ad). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil vom 28. September 2021 sprach das Bezirksgericht Zürich A.________ der folgenden Delikte schuldig: Fahrlässige Verletzung der Verkehrsregeln im Sinne von Art. 90 Abs. 1 i.V.m. Art. 31 Abs. 1 SVG; Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit im Sinne von Art. 91a Abs. 1 SVG; pflichtwidriges Verhalten bei Unfall im Sinne von Art. 92 Abs. 1 SVG und Führen eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges im Sinne von Art. 93 Abs. 2 lit. a SVG. Hierfür verurteilte es ihn zu einer bedingten Geldstrafe von 60 Tagessätzen zu je Fr. 590.-- bei einer Probezeit von 4 Jahren sowie zu einer Busse von Fr. 3'500.--. 
 
B.  
Auf Berufung von A.________ hin bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 6. September 2022 das erstinstanzliche Erkenntnis in sämtlichen Punkten. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________ dem Bundesgericht, das Berufungsurteil sei aufzuheben und er sei von den Vorwürfen der Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit, des pflichtwidrigen Verhaltens bei Unfall und des Führens eines nicht betriebssicheren Fahrzeuges freizusprechen; einzig der Schuldspruch wegen fahrlässiger Verletzung der Verkehrsregeln sowie die Verurteilung zu einer Busse von Fr. 3'500.-- seien zu bestätigen. Eventualiter sei die Sache zur Neubeurteilung an das Obergericht zurückzuweisen. 
Es wurden die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) in Strafsachen einer letzten kantonalen Instanz, die als oberes Gericht auf Berufung hin geurteilt hat (Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer ist zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG) und hat die Beschwerdefrist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). Unter Vorbehalt rechtsgenüglicher Begründung (Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG) ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG grundsätzlich zulässig. 
 
2.  
 
2.1. Dem Beschwerdeführer wird im kantonalen Verfahren vorgeworfen, er sei am 29. Juni 2019, um ca. 23:15 Uhr, auf der Albisstrasse in Zürich stadtauswärts vor dem Fussgängerstreifen Höhe Liegenschaft 92 mit seinem Personenwagen (PW) mit dem Inselschutzpfosten auf der Fussgängerinsel, an dem das Signalschild "Standort eines Fussgängerstreifens" angebracht war, kollidiert. Durch die Kollision sei der Inselschutzpfosten komplett aus den Befestigungsbolzen gerissen und insbesondere die linke Wagenfront seines PW beschädigt worden. Der Pfosten sei in den fahrerseitigen Frontscheibenbereich eingeschlagen, wodurch die Scheibe eingedrückt worden und grossflächig zerborsten sei. Ungeachtet dessen habe der Beschwerdeführer unmittelbar nach diesem Ereignis seine Fahrt fortgesetzt und den Unfallort verlassen. Dies habe er getan, obwohl er angesichts der Gesamtumstände des Unfalls (Uhrzeit, Sichtverhältnisse, Hergang) mit einer Tatbestandsaufnahme durch die Polizei und damit einhergehend mit einer Überprüfung seiner Fahrfähigkeit hätte rechnen müssen. Diese Massnahmen habe er mit seiner Flucht verunmöglicht, was er gewusst und gewollt oder zumindest in Kauf genommen habe. Nach der geschilderten Kollision habe der Beschwerdeführer seinen massiv beschädigten PW über eine Fahrstrecke von ca. 13 km gelenkt, obwohl die Frontscheibe eingedrückt und praktisch über den gesamten Sichtbereich hinweg derart massiv zerborsten gewesen sei, dass ihm ein sicheres und regelkonformes Lenken mangels genügender Sicht auf die Strasse nicht mehr möglich gewesen sei. Auch dieser Umstand sei dem Beschwerdeführer bewusst gewesen. So sei er denn teilweise auch Schlangenlinien gefahren und habe den Randstein touchiert. Zudem habe er nach der Kollision keinerlei Anstalten getroffen, sich um den angerichteten Sachschaden an der angefahrenen Verkehrseinrichtung zu kümmern, den Geschädigten zu informieren oder die Polizei zu verständigen, wie es seine Pflicht gewesen wäre.  
 
2.2. Gemäss den Feststellungen im angefochtenen Entscheid anerkennt der Beschwerdeführer den ihm vorgeworfenen Sachverhalt in objektiver, bestreitet ihn jedoch in subjektiver Hinsicht. Er stellt sich auf den Standpunkt, aufgrund eines durch die Kollision hervorgerufenen schweren Schockzustandes oder zumindest einer schweren akuten Belastungsreaktion nicht mehr in der Lage gewesen zu sein, die Situation richtig einzuschätzen und einer entsprechenden Einsicht gemäss richtig zu handeln. Daran hält er auch vor Bundesgericht fest.  
 
2.3. Diesen Einwand qualifiziert die Vorinstanz in Übereinstimmung mit der Erstinstanz als blosse Schutzbehauptung. Es sei beim Beschwerdeführer zwar von einem im Zusammenhang mit der Kollision stehenden heftigen Schreck auszugehen, was eine vollkommen natürliche Reaktion auf einen derartigen Unfall darstelle; ein unbewusstes Handeln des Beschwerdeführers sei jedoch nicht gegeben. Angesichts seiner Ausführungen müsse davon ausgegangen werden, dass er den "Klapf" wahrgenommen, es dann geholpert und er gemerkt habe, dass er in etwas gefahren ist. Zudem habe er die zersplitterte Windschutzscheibe wahrgenommen. Sodann sei er in der Lage gewesen, mit seinem Wagen eine 13 km lange Strecke vom Unfallort bis nach Horgen zurückzulegen, wobei diese Strecke nicht seinem ursprünglichen Plan, die Autobahn zu nehmen, entsprochen habe, sondern dem linken Zürichseeufer entlang geführt habe. Dies belege, dass der Beschwerdeführer in der Lage gewesen sei, seinen eingeschlagenen Weg zu evaluieren, klare Gedanken zu fassen und gemäss dieser Einsicht zu handeln. Aufgrund des erlittenen Schrecks sei für die Vorfälle nach der Kollision jedoch von einer gewissen Beeinträchtigung der Steuerungsfähigkeit und damit von einer nicht selbstverschuldeten leicht verminderten Schuldfähigkeit gemäss Art. 19 Abs. 2 StGB auszugehen.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang eine willkürliche Beweiswürdigung. Die vorinstanzliche Feststellung, er habe aufgrund der Kollision lediglich einen "Schreck" erlitten, nicht aber eine weitergehende gesundheitliche Einschränkung, sei aufgrund der Aktenlage unbegründet. Eine solche Schlussfolgerung lasse sich nicht ohne weitergehende medizinische Abklärungen treffen. Die entsprechenden vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen seien damit willkürlich. 
 
3.1. Das Bundesgericht ist als oberste Recht sprechende Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG) keine strafrechtliche Berufungsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft (BGE 140 III 264 E. 2.3; Urteile 6B_97/2022 vom 8. Februar 2023 E. 2.1; 6B_576/2020 vom 18. März 2022 E. 3.7). Es legt seinem Urteil vielmehr den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die Sachverhaltsfeststellung kann es nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG).  
Eine Sachverhaltsfeststellung gilt als "offensichtlich unrichtig" im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV, wenn sie sich als schlechterdings unhaltbar und damit als willkürlich erweist. Das ist der Fall, wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen (BGE 148 IV 356 E. 2.1; 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Willkür ist nicht bereits gegeben, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar oder sogar vorzuziehen ("préférable") wäre (BGE 148 IV 374 E. 3.2.2; 148 IV 39 E. 2.3.5; 146 IV 88 E. 1.3.1; 141 I 49 E. 3.4; je mit Hinweisen). 
Die Willkürrüge muss nach Art. 106 Abs. 2 BGG explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Auf rein appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1; 147 IV 73 E. 4.1.2; je mit Hinweisen). 
 
3.2. Der Beschwerdeführer tut mit dem blossen Hinweis, sein seelischer Zustand nach der Kollision lasse sich ausschliesslich mit einem medizinischen Gutachten eruieren, noch keine Willkür dar. Mit den ausführlichen, diesbezüglichen Erwägungen der Vorinstanz setzt er sich denn auch nicht bzw. jedenfalls nicht hinreichend auseinander. Die Willkürrüge ist unbegründet, soweit sie mit Blick auf Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG überhaupt zulässig ist.  
 
4.  
Ergänzend wirft der Beschwerdeführer der Vorinstanz vor, sie habe Art. 20 StGB verletzt, indem sie kein medizinisches Gutachten im Sinne dieser Bestimmung in Auftrag gegeben habe. Bekanntlich habe der Augenzeuge B.________ ausgesagt, dass er "bleich oder weiss im Gesicht (war), so wie wenn er unter Schock gestanden" wäre. Er sei "weg" gewesen, "ein leerer Blick". In diesem Zustand habe er laut Zeuge seine Fahrt mit einer Geschwindigkeit von "ca. 20 bis 30 km/h, quasi im Schritttempo" fortgesetzt. Dies, ohne dass er, der Beschwerdeführer, sich an die fragliche Fahrt über immerhin rund 13 km überhaupt habe erinnern können. Vor diesem Hintergrund sei die Vorinstanz nicht befugt gewesen, ohne weitere Abklärungen durch einen Sachverständigen nur eine leicht verminderte Schuldfähigkeit aufgrund eines "heftigen Schrecks" anzunehmen. 
 
4.1. War der Täter zur Zeit der Tat nicht fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so ist er nicht strafbar (Art. 19 Abs. 1 StGB). War der Täter zur Zeit der Tat nur teilweise fähig, das Unrecht seiner Tat einzusehen oder gemäss dieser Einsicht zu handeln, so mildert das Gericht die Strafe (Art. 19 Abs. 2 StGB). Gemäss Art. 20 StGB ordnet die Untersuchungsbehörde oder das Gericht die Begutachtung durch einen Sachverständigen an, soweit ernsthafter Anlass besteht, an der Schuldfähigkeit des Täters gemäss Art. 19 StGB zu zweifeln.  
Nach der Rechtsprechung ist ein Gutachten nicht nur anzuordnen, wenn das Gericht an der Schuldfähigkeit des Täters tatsächlich zweifelt, sondern auch dann, wenn es nach den Umständen des Falls ernsthafte Zweifel haben sollte. Bei der Prüfung dieser Zweifel ist zu berücksichtigen, dass für die Annahme einer verminderten Schuldfähigkeit nicht jede geringfügige Herabsetzung der Fähigkeit, sich zu beherrschen, genügt. Der Betroffene muss vielmehr, zumal der Begriff des normalen Menschen nicht eng zu fassen ist, in hohem Masse in den Bereich des Abnormen fallen. Seine Geistesverfassung muss mithin nach Art und Grad stark vom Durchschnitt nicht bloss der "Rechts-", sondern auch der "Verbrechensgenossen" abweichen. Die Notwendigkeit, einen Sachverständigen beizuziehen, ist daher erst gegeben, wenn Anzeichen vorliegen, die geeignet sind, Zweifel hinsichtlich der vollen Schuldfähigkeit zu erwecken, wie etwa ein Widerspruch zwischen Tat und Täterpersönlichkeit oder ein völlig unübliches Verhalten. Zeigt das Verhalten des Täters vor, während und nach der Tat, dass ein Realitätsbezug erhalten war, dass er sich an wechselnde Erfordernisse der Situation anpassen, auf eine Gelegenheit zur Tat warten oder diese gar herbeiführen konnte, so hat keine schwere Beeinträchtigung vorgelegen (BGE 133 IV 145 E. 3.3; Urteile 6B_310/2021 vom 5. Oktober 2022 E. 3.3.1; 6B_800/2016 vom 25. Oktober 2017 E. 8.3.2, nicht publ. in: BGE 143 IV 397; je mit Hinweisen). 
Die verminderte Schuldfähigkeit betrifft, wie die Schuldunfähigkeit, einen Zustand des Täters (BGE 134 IV 132 E. 6.1). In welchem Zustand sich dieser zur Tatzeit befand, ist Tatfrage (Urteil 6B_485/2022 vom 12. September 2022 E. 8.2.6 mit Hinweisen). 
 
4.2. Wie bereits ausgeführt, stellt die Vorinstanz beim Beschwerdeführer nach ausführlicher Beweiswürdigung lediglich einen "heftigen Schreck" fest, den sie als "vollkommen natürliche Reaktion auf einen derartigen Unfall" qualifiziert. An diese tatsächliche Feststellung ist das Bundesgericht gebunden. Wenn der Beschwerdeführer also weitere Umstände dartut und diese mit Zeugenaussagen belegen will, so kann das Bundesgericht - ohne begründete Willkürrüge - nicht darauf abstellen. Ein blosser Schreck ist nun aber noch kein ernsthafter Anlass, an der Schuldfähigkeit des Täters zu zweifeln. Eine Verletzung von Art. 20 StGB ist nicht ersichtlich.  
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit auf sie einzutreten ist. 
Bei diesem Verfahrensausgang hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten wird. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. August 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger