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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
4A_376/2022  
 
 
Urteil vom 5. Dezember 2022  
 
I. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Hohl, Präsidentin, 
Bundesrichterinnen Kiss, Niquille, 
Gerichtsschreiber Stähle. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________ AG, 
Rechtsdienst, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. André Largier, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Krankentaggeldversicherung; mangelhafte Eingabe (Art. 132 ZPO), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich, V. Kammer, 
vom 3. Juni 2022 (KK.2021.00041). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 1. Dezember 2021 klagte B.________ (Beschwerdegegner) beim Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit dem Begehren, die A.________ AG (Beschwerdeführerin) sei zu verurteilen, ihm "die vertraglichen Taggelder für die Zeitperiode ab 1. März 2021 bis jedenfalls 30. November 2021" nebst Zins zu bezahlen. 
Am 1. April 2022 wurde im Namen der A.________ AG die Klageantwort eingereicht, unterzeichnet von C.________. Dieser verfügt für die A.________ AG über eine Kollektivzeichnungsberechtigung zu zweien. 
Mit Urteil vom 3. Juni 2022 erkannte das Sozialversicherungsgericht, dass die Klageantwort nicht rechtsgenüglich unterzeichnet und damit unbeachtlich sei. Der in der Klage behauptete Sachverhalt sei folglich unbestritten geblieben, was zur Gutheissung der Klage führe. Es verurteilte die A.________ AG, B.________ für die Zeit von 1. Februar 2021 bis 30. November 2021 Fr. 39'908.15 nebst Zins zu bezahlen. 
 
B.  
Die A.________ AG verlangt mit Beschwerde in Zivilsachen, das Urteil des Sozialversicherungsgerichts sei aufzuheben. Die Sache sei zur "Heilung des Formmangels", zur "Sachverhaltsergänzung" und zu neuem Entscheid an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Sozialversicherungsgericht verzichtete auf Vernehmlassung. Der Beschwerdegegner beantragt, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden könne. 
Die Beschwerdeführerin hat eine Replik eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Das angefochtene Urteil des Sozialversicherungsgerichts hat eine Streitigkeit aus einer Zusatzversicherung zur sozialen Krankenversicherung gemäss Art. 7 ZPO zum Gegenstand. Es ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) einer einzigen kantonalen Instanz im Sinne von Art. 75 Abs. 2 lit. a BGG. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Zivilsachen offen, gemäss Art. 74 Abs. 2 lit. b BGG unabhängig vom Streitwert (BGE 138 III 799 E. 1.1, 2 E. 1.2.2; siehe auch BGE 139 III 67 E. 1.2).  
 
1.2. Die Beschwerdeführerin stellt vor Bundesgericht keinen materiellen Antrag (Art. 42 Abs. 1 BGG), sondern verlangt allein die Rückweisung an das Sozialversicherungsgericht. Nachdem sie aber rügt, ihre Klageantwort sei in unzulässiger Weise aus dem Recht gewiesen und ihr Anspruch auf rechtliches Gehör sei missachtet worden, könnte das Bundesgericht - selbst wenn es diese Rechtsauffassung teilen sollte - nicht selbst entscheiden. Es müsste die Sache zur Behebung des behaupteten Verfahrensmangels an die Vorinstanz zurückweisen. Das Rückweisungsbegehren ist zulässig (BGE 134 III 379 E. 1.3).  
 
2.  
Die Vorinstanz führte in Erwägung 2 aus, die Klageantwort sei einzig von C.________ unterzeichnet worden, welcher nur kollektivzeichnungsberechtigt sei. Die Rechtsschrift entspreche aus diesem Grund nicht den Formvorschriften der ZPO. Eine Nachfrist zur Verbesserung sei nicht anzusetzen: Es handle sich nicht um den Fall einer versehentlich oder unverschuldet nicht unterzeichneten Eingabe. Vielmehr sei auf die Unterschrift eines zweiten Zeichnungsberechtigten "verzichtet" worden, obwohl die Zeichnungsart aus dem Handelsregister "unmissverständlich" ersichtlich sei. Ausserdem sei die Beschwerdeführerin prozesserfahren, und man habe sie "bereits im Rahmen eines anderen Verfahrens auf ihre nicht rechtsgültig unterzeichnete Klageantwort hingewiesen". 
Dies habe zur Folge, dass die Klageantwort "nicht beachtlich" und die klägerische Sachverhaltsdarstellung unbestritten geblieben sei. Die Klage sei gutzuheissen. 
 
3.  
Diese Beurteilung verletzt Bundesrecht: 
 
3.1. Eingaben an das Gericht sind von der Partei respektive einer vertretungsberechtigten Person zu unterzeichnen (Art. 130 Abs. 1 ZPO).  
Die Beschwerdeführerin stellt nicht in Abrede, dass die Klageantwort nicht in diesem Sinne rechtsgültig unterzeichnet wurde (sei es von einer allein zeichnungsberechtigten Person oder von zwei kollektivzeichnungsberechtigten Personen, sei es unter Beilage einer zur alleinigen Prozessführung ermächtigenden Vollmacht; siehe BGE 141 III 80 E. 1.3). 
Strittig ist, ob das Sozialversicherungsgericht eine Nachfrist zur Verbesserung hätte ansetzen müssen. 
 
3.2.  
 
3.2.1. Gemäss Art. 132 Abs. 1 ZPO sind Mängel wie fehlende Unterschrift und fehlende Vollmacht innert einer gerichtlichen Nachfrist zu verbessern. Andernfalls gilt die Eingabe als nicht erfolgt.  
Von Art. 132 Abs. 1 ZPO ist insbesondere auch die Unterzeichnung durch eine nicht (respektive nicht allein) zur Vertretung berechtigte Person erfasst (vgl. BGE 142 I 10 E. 2.4.6; 120 V 413 E. 6a; Urteil 4D_2/2013 vom 1. Mai 2013 E. 3). 
Art. 132 Abs. 1 ZPO begründet wie auch Art. 29 Abs. 1 BV eine gerichtliche Pflicht, derartig mangelhafte Eingaben zur Verbesserung an den Verfasser zurückzuweisen. Die Parteien haben mit anderen Worten ein Recht, ihre mangelhafte Eingabe nachzubessern. Die Nachbesserung ist nicht in das Ermessen des Gerichts gestellt (Urteile 4A_19/2022 vom 30. August 2022 E. 5; 4A_351/2020 vom 13. Oktober 2020 E. 3.1; je mit weiteren Hinweisen). 
 
3.2.2. Die gerichtliche Nachfristansetzung bei mangelhaften Eingaben gründet auf dem Gedanken, die prozessuale Formstrenge dort zu mildern, wo sie sich nicht durch ein schutzwürdiges Interesse rechtfertigt (vgl. BGE 142 I 10 E. 2.4.5; 120 V 413 E. 5c). Die Nachfrist ist somit anzusetzen, wenn die Partei versehentlich oder unabsichtlich eine mangelhafte Eingabe im Sinne von Art. 132 ZPO einreichte. Kein Schutz besteht demgegenüber, wenn der Mangel auf ein bewusst unzulässiges Verhalten zurückzuführen ist. Ausgenommen von der grundsätzlichen Pflicht zur Nachfristansetzung sind somit Fälle des offensichtlichen Rechtsmissbrauchs (BGE 142 I 10 E. 2.4.7; 142 IV 299 E. 1.3.4; 142 V 152 E. 4.5). Auf einen solchen Missbrauch läuft es beispielsweise hinaus, wenn eine Partei eine bewusst mangelhafte Rechtsschrift einreicht, um sich damit eine Nachfrist für die Begründung zu erwirken oder das Verfahren zu verschleppen (zum Ganzen: Urteile 4A_19/2022 vom 30. August 2022 E. 5; 4A_351/2020 vom 13. Oktober 2020 E. 3.2).  
 
3.2.3. Allein der Umstand, dass eine Eingabe einen Mangel aufweist, auf welchen das Gericht die Partei bereits früher bei anderer Gelegenheit schon einmal ausdrücklich aufmerksam machte, begründet einen solchen Missbrauch nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung nicht (Urteil 4A_351/2020 vom 13. Oktober 2020 E. 3.3).  
 
3.3. Aus diesen Grundsätzen folgt, dass das Sozialversicherungsgericht der Beschwerdeführerin im vorliegenden Fall gestützt auf Art. 132 Abs. 1 Satz 1 ZPO eine Nachfrist hätte ansetzen müssen, um dieser zu ermöglichen, entweder (i) die Unterzeichnung durch eine (zweite) zeichnungsberechtigte Person nachzuholen (Art. 460 Abs. 2 OR) oder aber (ii) eine Vollmacht beizubringen, welche C.________ zur alleinigen Prozessführung ermächtigt (vgl. dazu Urteil 4D_2/2013 vom 1. Mai 2013 E. 2.2.1 und 3.4).  
Dass es sich nicht um eine Situation handelt, in der eine Unterschrift gänzlich fehlt, sondern um eine Rechtsschrift, welche von einer nicht allein zur Vertretung berechtigten Person unterschrieben worden ist, ist entgegen der Vorinstanz nicht von Bedeutung; Art. 132 Abs. 1 ZPO findet auch in einer solchen Konstellation Anwendung (Erwägung 3.2.1). Wohl steht fest, dass die Beschwerdeführerin vor dem Sozialversicherungsgericht "bereits häufig Parteistellung innehatte (und innehat) " und in einem dieser Verfahren auf eine "nicht rechtsgültig unterzeichnete" Klageantwort (datierend vom 10. Dezember 2020) hingewiesen worden war. Auch wenn es sich damit in einem Zeitraum von etwa eineinhalb Jahren nun um das zweite Mal handelt, dass die Beschwerdeführerin eine nicht rechtsgültig unterzeichnete Eingabe macht, kann ihr Verhalten beziehungsweise das Verhalten ihrer Organe noch nicht als geradezu rechtsmissbräuchlich bezeichnet werden. Eine nur ausnahmsweise zulässige Abweichung vom Grundsatz, dass bei unzureichender Unterzeichnung eine Nachfrist anzusetzen ist, rechtfertigt sich allein aufgrund der einmaligen Wiederholung dieses Formfehlers nicht (Erwägung 3.2.3), zumal nicht festgestellt ist, dass der jetzt und der im ersten Fall handelnde Mitarbeiter identisch ist. Die Nachfrist könnte in casu denn auch einzig zur Ergänzung der Unterschrift respektive zur Nachreichung einer Vollmacht genutzt werden, nicht aber für eine inhaltliche Verbesserung der Eingabe. Entsprechend kann hier nicht davon ausgegangen werden, dass die Beschwerdeführerin beziehungsweise ihre Organe bewusst von einer rechtsgültigen Unterzeichnung absahen, um sich mehr Zeit für die Begründung der Klageantwort zu verschaffen oder sonstwie missbräuchliche Motive zu verfolgen (siehe Erwägung 3.2.2). Derartiges hat die Vorinstanz auch nicht festgestellt. 
Unter diesen Umständen hätte das Sozialversicherungsgericht der Beschwerdeführerin eine Nachfrist zur rechtsgültigen Unterzeichnung der Klageantwort respektive zur Beibringung einer Vollmacht ansetzen müssen. Indem es dies unterliess, hat es gegen Art. 132 Abs. 1 ZPO (wie auch gegen Art. 29 Abs. 1 BV) verstossen. 
3.4 Das Gesagte ändert selbstredend nichts am Prinzip, dass Parteien im Zivilverfahren sorgfältig zu prozessieren und sich nach Treu und Glauben darum zu bemühen haben, gesetzeskonforme Rechtsschriften einzureichen. Die Pflicht, Eingaben rechtsgenüglich zu unterzeichnen, ist nicht Selbstzweck, sondern für eine ordnungsgemässe Abwicklung des Verfahrens unerlässlich. Unbelehrbarkeit findet weder in Art. 132 ZPO noch in Art. 29 Abs. 1 BV Schutz. 
 
4.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen. Das angefochtene Urteil des Sozialversicherungsgerichts ist aufzuheben. Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin eine Nachfrist zur Behebung des Mangels (fehlende Unterschrift beziehungsweise Vollmacht) anzusetzen und das Verfahren gegebenenfalls fortzuführen. Wie es sich mit den nicht entscheidtragenden materiellen "Hinweisen" in Erwägung 3 des vorinstanzlichen Urteils verhält, ist hier nicht zu beurteilen. 
Ausgangsgemäss wird der Beschwerdegegner, der die Abweisung soweit Eintreten beantragt hat, kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Beschwerdeführerin, die sich durch ihren eigenen vertreten liess, ist praxisgemäss keine Parteientschädigung zuzusprechen. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen. Das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 3. Juni 2022 wird aufgehoben. Die Sache wird zur weiteren Behandlung im Sinne der Erwägungen an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdegegner auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich, V. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Dezember 2022 
 
Im Namen der I. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Hohl 
 
Der Gerichtsschreiber: Stähle