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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_73/2022  
 
 
Urteil vom 26. September 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Koch, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiberin Lustenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Diana Göllrich, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Qualifizierter Raub (Art. 140 Ziff. 1 und 2 StGB); Willkür, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 11. Mai 2022 (SB210007-O/U/as). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland wirft dem kroatischen Staatsangehörigen A.________ gemäss Anklage vom 30. März 2020 den folgenden Sachverhalt vor: 
A.________ betrat am 29. Mai 2019 um ca. 20.45 Uhr zusammen mit B.________ das Vereinslokal "C.________" in D.________. Nach einer zunächst verbalen Auseinandersetzung schlug A.________ mit der Faust ca. 50 bis 80 Mal gegen den Kopf und den Oberkörper des Privatklägers E.________, traktierte ihn darüber hinaus mit Beinschlägen und machte ihn so widerstandsunfähig. Währenddessen verlangte er von ihm, alles aus seinen Hosentaschen zu nehmen (Geld, Mobiltelefone und Wertsachen) sowie das Passwort des Tresors bekanntzugeben. Auch B.________ schlug den Privatkläger in der Folge ca. zwei bis drei Mal. Entgegen der Aufforderung von A.________ und B.________ weigerte sich der Privatkläger, seine Hosentaschen zu leeren und deren Inhalt herauszugeben. Daraufhin führte A.________ mit einem ausgefahrenen Klappmesser mit automatischer Öffnung, das ihm von B.________ während dem Vorfall auf Nachfrage übergeben worden war, in der Luft Stichbewegungen in Richtung des Oberkörpers und der Beine des Privatklägers aus und drohte dabei, er werde ihn aufschlitzen, abschlachten bzw. ihm die Kehle durchschneiden. Dies führte dazu, dass der Privatkläger den Inhalt seiner Hosentaschen auf den vor ihm stehenden Salontisch legte bzw. A.________ übergab, nämlich Bargeld in der Höhe von Fr. 5'360.-- und EUR 145.--, zwei Mobiltelefone der Marke Samsung sowie einen Fahrzeugschlüssel eines "Renault Scenic". Nachdem es A.________ und B.________ gelungen war, dem Privatkläger das genannte Deliktsgut zu entwenden und an sich zu nehmen, verliessen sie fluchtartig das Lokal. Bei ihrem Tun wussten die beiden jederzeit, dass sie das Deliktsgut gewaltsam an sich nahmen und ihnen dieses nicht zustand, wobei sie jedoch genau das beabsichtigten und sich daran in entsprechendem Umfang bereichern wollten. 
 
B.  
Mit Urteil vom 9. September 2020 sprach das Bezirksgericht Bülach A.________ des qualifizierten Raubes im Sinne von Art. 140 Ziff. 1 und 2 StGB schuldig und verurteilte ihn zu einer bedingten Freiheitsstrafe von 22 Monaten bei einer Probezeit von zwei Jahren. Nebst dem sprach es eine Landesverweisung von acht Jahren aus. 
 
C.  
Nachdem A.________ Berufung erhoben hatte, bestätigte das Obergericht des Kantons Zürich das erstinstanzliche Erkenntnis mit Urteil vom 11. Mai 2022 in sämtlichen Punkten. Dabei erachtete es den Anklagesachverhalt - mit der Einschränkung, dass A.________ (nur) mindestens sechs Faustschläge gegen den Kopf und den Oberkörper von E.________ ausführte - als erstellt. 
 
D.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt A.________ dem Bundesgericht, das Berufungsurteil sei aufzuheben und er sei von den Vorwürfen der Anklage vollumfänglich freizusprechen. Eventualiter sei das Berufungsurteil aufzuheben und zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. In prozessualer Hinsicht ersucht er um aufschiebende Wirkung und unentgeltliche Rechtspflege für das bundesgerichtliche Verfahren. 
Mit Verfügung vom 12. Oktober 2022 wurde das Gesuch um Erteilung der unentgeltlichen Rechtspflege abgewiesen. 
Es wurden wie beantragt die kantonalen Akten, nicht aber Vernehmlassungen eingeholt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Endentscheid (Art. 90 BGG) in Strafsachen einer letzten kantonalen Instanz, die als oberes Gericht auf Berufung hin geurteilt hat (Art. 80 BGG). Der Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zur Beschwerde legitimiert (Art. 81 Abs. 1 lit. a und lit. b Ziff. 1 BGG) und hat die Beschwerdefrist eingehalten (Art. 100 Abs. 1 BGG). Im Grundsatz und unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen ist die Beschwerde in Strafsachen gemäss Art. 78 ff. BGG zulässig. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt auf den Seiten 7 bis 13 seiner Beschwerdeschrift zunächst einen Verstoss gegen Art. 6 Abs. 2 StPO, da sich die Staatsanwaltschaft einer "suggestiven Fragetechnik" gegenüber E.________ und der Zeugin F.________ bedient habe. Dies sei unzulässig und er sei schon allein deswegen freizusprechen. 
 
 
2.1. Im Strafverfahren gilt der Untersuchungsgrundsatz. Danach klären die Strafbehörden von Amtes wegen alle für die Beurteilung der Tat und der beschuldigten Person bedeutsamen Tatsachen ab (Art. 6 Abs. 1 StPO). Sie untersuchen die belastenden und entlastenden Umstände mit gleicher Sorgfalt (Art. 6 Abs. 2 StPO).  
 
2.2. Die Beschwerde in Strafsachen ist zulässig gegen verfahrensabschliessende Entscheide letzter kantonaler Instanzen (Art. 80 Abs. 1, Art. 90 BGG). Verfahrensrechtliche Einwendungen, die im kantonalen Verfahren hätten geltend gemacht werden können, können nach dem Grundsatz der materiellen Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs vor Bundesgericht nicht mehr vorgebracht werden (BGE 143 V 66 E. 4.3; 135 I 91 E. 2.1; Urteil 6B_855/2018 vom 15. Mai 2019 E. 1.10, nicht publ. in: BGE 145 IV 252).  
 
2.3. Bei der Rüge der Verletzung von Art. 6 Abs. 2 StPO handelt es sich um eine Verfahrensrüge, die der Beschwerdeführer bereits im kantonalen Verfahren hätte erheben können und müssen. Dies scheint er zwar teilweise getan zu haben, wie sich aus Erwägung II.A.1 ff. des angefochtenen Entscheids ergibt. Allerdings hat der Beschwerdeführer vor der Berufungsinstanz offenbar nur pauschal geltend gemacht, die Staatsanwaltschaft habe den Privatkläger E.________ und die Zeugin F.________ verschiedentlich durch Suggestivfragen in ihren Darstellungen unterstützt (E. II.A.1 des angefochtenen Entscheids). Die Vorinstanz setzt sich mit diesem Einwand durchaus auseinander und weist ihn mit der Begründung ab, die Staatsanwaltschaft habe durch ihr Vorgehen die Vollständigkeit der Aussagen sowie die Klärung von Widersprüchen unter Berücksichtigung von Art. 143 Abs. 4 StPO sichergestellt. Wenn der Beschwerdeführer nun die Begründung seiner Rüge vor Bundesgericht mit einer ganzen Liste von Fragen (S. 8 - 10 der Beschwerdeschrift) ergänzen will, welche die angeblich verpönten Suggestionen belegen sollen, kann er damit mangels materieller Ausschöpfung des Instanzenzugs nicht gehört werden. Diese Einwände hätte er bereits vor der Erstinstanz, jedenfalls aber spätestens vor der Vorinstanz in dieser Ausführlichkeit vorbringen müssen.  
 
2.4. Gleiches gilt, soweit der Beschwerdeführer - eher beiläufig - geltend macht, die Staatsanwaltschaft habe ihm keine Möglichkeit gegeben, zum Fragenkatalog an das Spital Bülach Stellung zu nehmen bzw. Ergänzungsfragen zu stellen, womit sein Teilnahmerecht nach Art. 147 StPO verletzt worden sei. Der Beschwerdeführer behauptet nicht, seine Rüge im kantonalen Verfahren bereits vorgetragen zu haben, und solches lässt sich dem angefochtenen Urteil auch nicht entnehmen. Auch hier fehlt es somit an einer Ausschöpfung des kantonalen Instanzenzugs. Auf die Rüge ist nicht weiter einzugehen.  
 
3.  
Auf den Seiten 15 bis 39 kritisiert der Beschwerdeführer die vorinstanzlichen Sachverhaltsfeststellungen, namentlich die Würdigung der Aussagen des Privatklägers E.________ und der Zeugin F.________ und rügt eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". 
 
3.1. Das Bundesgericht ist als oberste Recht sprechende Behörde (Art. 1 Abs. 1 BGG) keine strafrechtliche Berufungsinstanz, die eine freie Prüfung in tatsächlicher Hinsicht vornimmt oder die vorinstanzliche Beweiswürdigung mit freier Kognition überprüft (BGE 148 IV 409 E. 2.1; 145 IV 154 E. 1.1). Es legt seinem Urteil vielmehr den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Diese kann es nur berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG). "Offensichtlich unrichtig" bedeutet dabei "willkürlich" (BGE 148 IV 409 E. 2.2, 39 E. 2.3.5; 147 IV 73 E. 4.1.2). Eine Sachverhaltsfeststellung gilt als willkürlich, wenn das Gericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 148 I 127 E. 4.3; 144 II 281 E. 3.6.2; 142 II 433 E. 4.4; 140 III 264 E. 2.3). Willkür ist dagegen nicht bereits gegeben, wenn eine andere Lösung ebenfalls vertretbar oder sogar vorzuziehen ("préférable") wäre (BGE 148 IV 39 E. 2.3.5; 146 IV 88 E. 1.3.1; 141 I 49 E. 3.4, 70 E. 2.2).  
Die Willkürrüge muss nach Art. 106 Abs. 2 BGG explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden. Auf appellatorische Kritik tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 148 IV 356 E. 2.1, 39 E. 2.3.5, 409 E. 2.2). 
Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor dem Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 146 IV 297 E. 2.2.5, 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; je mit Hinweisen). 
 
3.2. Diesen Grundsätzen schenkt der Beschwerdeführer nicht die gebührende Beachtung. Vielmehr handelt es sich bei seiner Kritik an der ausführlichen vorinstanzlichen Beweiswürdigung um Ausführungen, die einem Plädoyer vor einer Berufungsinstanz entnommen sein könnten. Obwohl der Beschwerdeführer darin immer wieder "Willkür" anruft, setzt er der Beweiswürdigung der Vorinstanz in der Sache lediglich eine eigene, für ihn günstige Würdigung der Aussagen des Privatklägers E.________ und der Zeugin F.________ entgegen. Dabei übergeht er, dass die Vorinstanz seine Einwände abhandelt und setzt an diesen Erwägungen infolgedessen nicht an. Anstatt Willkür aufzuzeigen, begnügt er sich etwa damit, das Aussageverhalten des Privatklägers als "in der Gesamtschau ambivalent" zu bezeichnen und dessen Aussagen als "in der Gesamtbetrachtung unglaubwürdig" oder "von Übertreibungen geprägt" abzutun. Insgesamt habe sich die Vorinstanz "über die objektiven Beweismittel hinweggesetzt" und "den Sachverhalt mithin falsch dargestellt". Der angefochtene Entscheid sei daher "aufgrund falscher Sachverhaltsermittlung aufzuheben und der Beschwerdeführer freizusprechen". Mit derlei appellatorischer Kritik ist der Beschwerdeführer aber vor Bundesgericht nicht zu hören: Statt eine geradezu ins Auge springende Unhaltbarkeit der vorinstanzlichen Erwägungen darzutun, beruht seine Argumentation auf dem Bemühen, die erhobenen Beweise durch selektives Ausblenden belastender Elemente in einem für ihn möglichst günstigen Licht erscheinen zu lassen. Damit gelingt es ihm aber nicht, Willkür aufzuzeigen, sondern bestenfalls eine alternative Beweiswürdigung. Der Beschwerdeführer übersieht, dass das Bundesgericht keine dritte Tatsacheninstanz ist, sondern eine letzte Instanz, die sich grundsätzlich nur mit Rechtsfragen befasst. Für Sachverhaltsrügen, wie sie der Beschwerdeführer in seiner Beschwerde an das Bundesgericht vorbringt, sind die kantonalen Tatsachengerichte zuständig.  
 
4.  
Insgesamt erweist sich die Beschwerde mangels materieller Ausschöpfung des Instanzenzugs sowie mangels hinreichender Begründung als unzulässig. Darauf wird nicht eingetreten. 
Bei diesem Verfahrensausgang wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
Das Gesuch um aufschiebende Wirkung wird mit dem vorliegenden Entscheid in der Sache gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 26. September 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Koch 
 
Die Gerichtsschreiberin: Lustenberger