Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_752/2023  
 
 
Urteil vom 27. Oktober 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, 
An der Aa 4, 6300 Zug. 
 
Gegenstand 
Haftentlassung, Verlängerung der Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen die Präsidialverfügung des Obergerichts des Kantons Zug, Strafabteilung, 
vom 15. September 2023 (S 2023 28). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Strafgericht des Kantons Zug sprach A.________ mit Urteil vom 14. Juli 2023 wegen sexuellen Handlungen mit einem Kind, versuchter sexuellen Handlungen mit einem Kind und mehrfacher Pornographie schuldig und verurteilte ihn zu einer Freiheitsstrafe von 23 Monaten. Zudem ordnete es eine stationäre therapeutische Massnahme an. Gleichentags wies es sein Haftentlassungsgesuch ab und verlängerte die Sicherheitshaft bis längstens 14. Oktober 2023. Die I. Beschwerdeabteilung des Obergerichts des Kantons Zug wies die dagegen erhobene Beschwerde mit Beschluss vom 31. August 2023 ab. Am 6. September 2023 erklärte A.________ Berufung gegen das Urteil des Strafgerichts. 
 
B.  
Am 10. September 2023 ersuchte A.________ erneut um Haftentlassung. Die Staatsanwaltschaft beantragte mit Eingabe vom 14. September 2023 die Abweisung des Haftentlassungsgesuchs. Sein amtlicher Verteidiger verzichtete auf eine Stellungnahme. Mit Präsidialverfügung vom 15. September 2023 wies der Präsident der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug das Haftentlassungsgesuch ab (Dispositiv-Ziffer 1) und verlängerte die Sicherheitshaft einstweilen bis zum Berufungsentscheid (Dispositiv-Ziffer 2). 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht beantragt A.________, die Präsidialverfügung vom 10. September 2023 und insbesondere deren Dispositiv-Ziffer 2 seien aufzuheben und er sei umgehend aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Die Vorinstanz schliesst mit Vernehmlassung vom 23. Oktober 2023 auf Abweisung der Beschwerde. Die Staatsanwaltschaft hat sich nicht vernehmen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend Haftentlassung. Dagegen steht die Beschwerde in Strafsachen an das Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich in Haft. Er hat folglich ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist somit gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer rügt vorab eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs. Er macht geltend, die Staatsanwaltschaft habe eine Stellungnahme zu seinem Haftentlassungsgesuch eingereicht. Diese sei ihm nicht zugestellt worden. Die Vorinstanz habe damit sein Replikrecht verletzt. Ferner habe die Vorinstanz Bundesrecht verletzt, indem sie die Sicherheitshaft mit Dispositiv-Ziffer 2 verlängert habe, obschon nur sein Gesuch um Haftentlassung vom 10. September 2023 Gegenstand des angefochtenen Entscheids hätte bilden dürfen. In einem Haftentlassungsverfahren sei eine Haftverlängerung ausgeschlossen.  
 
2.2. Gemäss Art. 6 Ziff. 1 EMRK, Art. 29 Abs. 2 BV, Art. 3 Abs. 2 lit. c und Art. 107 StPO haben die Parteien Anspruch auf rechtliches Gehör. Dieser Anspruch dient der Sachaufklärung und garantiert den Verfahrensbeteiligten ein persönlichkeitsbezogenes Mitwirkungsrecht. Sie haben insbesondere Anspruch auf Äusserung zur Sache vor Erlass eines in ihre Rechtsstellung eingreifenden Entscheids (BGE 144 II 427 E. 3.1; 140 I 99 E. 3.4; je mit Hinweisen). Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst zudem das Recht, von den beim Gericht eingereichten Stellungnahmen Kenntnis zu erhalten und sich dazu äussern zu können, unabhängig davon, ob die Eingaben neue oder wesentliche Vorbringen enthalten (sog. Replikrecht, BGE 146 III 97 E. 3.4.1; 142 III 48 E. 4.1.1; 138 I 484 E. 2.1; je mit Hinweisen). Er gilt auch im Haftprüfungsverfahren (Urteil 1B_574/2020 vom 3. Dezember 2020 E. 4.1 mit Hinweisen). Der beschuldigten Person ist deshalb vor der Fortsetzung der Sicherheitshaft Gelegenheit zu geben, sich dazu zu äussern; andernfalls liegt eine Verletzung ihres Anspruchs auf rechtliches Gehör vor (Urteile 1B_236/2021 vom 1. Juni 2021 E. 2.2; 1B_429/2019 vom 23. September 2019 E. 2.2; je mit Hinweisen). Dasselbe gilt, wenn die beschuldigte Person während des Berufungsverfahrens um Haftentlassung ersucht. In diesem Fall muss ihr die Verfahrensleitung Stellungnahmen zu ihrem Gesuch zur Kenntnisnahme und allfälliger Replik zustellen, bevor sie innert fünf Tagen darüber entscheidet (Art. 109 Abs. 2 i.V.m. Art. 233 StPO). Die fünftägige Frist beginnt deshalb erst nach Abschluss des Schriftenwechsels (für den entsprechend kurze Fristen zu setzen sind) zu laufen, d.h. nach Eingang einer allfälligen Replik der beschuldigten Person (Urteile 1B_484/2021 vom 28. September 2021 E. 6.2; 1B_347/2017 vom 1. September 2017 E. 2.4; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Die Kritik des Beschwerdeführers erweist sich als begründet: Die Vorinstanz bestreitet nicht, dass sie ihm die Stellungnahme der Staatsanwaltschaft vom 14. September 2023 nicht zugestellt hatte, bevor sie ihren Entscheid fällte. Auch aus den Vorakten ist nichts anderes ersichtlich. Nach der zitierten Rechtsprechung hat die Vorinstanz damit das rechtliche Gehör des Beschwerdeführers verletzt. Weiter ist aus den Vorakten nicht ersichtlich, dass die Vorinstanz den Beschwerdeführer zu einer allfälligen Verlängerung der Sicherheitshaft angehört hätte, bevor sie diese verfügte. Auch insofern verletzt sie das Gehörsrecht des Beschwerdeführers. Eine Heilung dieser Gehörsverletzungen im bundesgerichtlichen Verfahren fällt ausser Betracht, da sich für die Prüfung der Haftvoraussetzungen auch Sachverhaltsfragen stellen können und das Bundesgericht nicht über volle Kognition verfügt (siehe Art. 97 BGG; vgl. BGE 126 I 68 E. 2; Urteil 1B_429/2019 vom 23. September 2019 E. 2.4 mit Hinweis). Unter diesen Umständen erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers einzugehen.  
 
3.  
Nach dem Vorangegangenen ist der angefochtene Entscheid aufzuheben und die Sache zu neuer Beurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Diese wird den Beschwerdeführer vor Fällung eines neuen Entscheids auch zur Verlängerung der Sicherheitshaft anzuhören haben. Eine Haftentlassung durch das Bundesgericht fällt bei dieser Sachlage ausser Betracht; dieser Antrag des Beschwerdeführers ist abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind keine Kosten zu erheben (Art. 66 Abs. 4 BGG). Das Gesuch des Beschwerdeführers um unentgeltliche Rechtspflege wird gegenstandslos. 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen. Die Präsidialverfügung vom 15. September 2023 des Präsidenten der Strafabteilung des Obergerichts des Kantons Zug wird aufgehoben und die Sache zu neuer Beurteilung an diesen zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Es werden keine Gerichtskosten erhoben. 
 
3.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege ist gegenstandslos. 
 
4.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Zug, dem Obergericht des Kantons Zug, Strafabteilung, und B.________, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 27. Oktober 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern