Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1145/2021  
 
 
Urteil vom 4. Juli 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiberin Andres. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Christoph Henzen, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern, 
2. Vollzugs- und Bewährungsdienst des Kantons Luzern, Straf- und Massnahmenvollzug, Murmattweg 8, 6000 Luzern 30 AAL, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Vollzug von Freiheitsstrafen; Zeitpunkt der bedingten Entlassung; Legitimation, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 18. August 2021 (4H 21 7 / 4U 21 8). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Obergericht des Kantons Luzern verurteilte den Beschwerdeführer am 31. März 2009 zu einer Freiheitsstrafe von 3 Jahren, 5 Monaten und 15 Tagen, unter Anrechnung von 8 Tagen Untersuchungshaft, teilweise als Zusatzstrafe zur Strafverfügung des Amtsstatthalteramts Sursee vom 23. Juni 2006. 
Am 2. Dezember 2020 verurteilte das Kriminalgericht Luzern den Beschwerdeführer zu einer Freiheitsstrafe von 8 Jahren 6 Monaten und 15 Tagen, unter Anrechnung von 460 Tagen Untersuchungshaft, als teilweise Zusatzstrafe zum Urteil des Obergerichts des Kantons Luzern vom 31. März 2009. 
Der Beschwerdeführer wurde in Zusammenhang mit dem zweiten Verfahren am 19. Dezember 2007 verhaftet und befand sich bis zu seiner Flucht am 23. August 2010 im Freiheitsentzug, wobei er ab dem 23. März 2009 die Freiheitsstrafe des erstgenannten Urteils vollzog. Am 12. Juli 2018 wurde der Beschwerdeführer in Brasilien festgenommen und wieder in Freiheitsentzug versetzt, wo er zunächst die Strafe des ersten Urteils verbüsste und am 27. Juli 2020 in den vorzeitigen Strafvollzug des zweiten Verfahrens übertrat. Per 28. Dezember 2020 folgte der Normalvollzug, wo sich der Beschwerdeführer weiterhin befindet. 
 
2.  
Der Vollzug- und Bewährungsdienst des Kantons Luzern (VBD) erliess betreffend die Freiheitsstrafe gemäss Urteil des Kriminalgerichts vom 2. Dezember 2020 am 28. Dezember 2020 den Vollzugsauftrag und setzte in diesem die Vollzugsdaten fest. Am 12. März 2021 ersuchte der Beschwerdeführer diesbezüglich um eine anfechtbare Verfügung. Am 25. März 2021 verfügte der VBD, dass die mit Urteil des Kriminalgerichts vom 2. Dezember 2020 ausgesprochene Zusatzstrafe nicht gemeinsam mit, sondern nachträglich an die Grundstrafe vollzogen wird. 
Die hiergegen geführte Verwaltungsgerichtsbeschwerde des Beschwerdeführers wies das Verwaltungsgericht des Kantons Luzern am 18. August 2021 ab. 
 
3.  
Der Beschwerdeführer beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, das kantonsgerichtliche Urteil sei aufzuheben und die mit Urteil des Kriminalgerichts Luzern vom 2. Dezember 2020 ausgesprochene Zusatzstrafe sei gemeinsam mit der Grundstrafe zu vollziehen, eventualiter sei die Sache zur neuen Beurteilung an das Kantonsgericht zurückzuweisen. Der Beschwerdeführer ersucht um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung. 
 
4.  
Zur Beschwerde in Strafsachen ist gemäss Art. 81 Abs. 1 BGG berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Vorausgesetzt wird ein aktuelles und praktisches Interesse an der Behandlung der Beschwerde (BGE 144 IV 81 E. 2.3.1; 140 IV 74 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Dieses Erfordernis stellt sicher, dass dem Bundesgericht konkrete und nicht bloss theoretische Fragen zum Entscheid vorgelegt werden (BGE 140 IV 74 E. 1.3.1; 136 I 274 E. 1.3 mit Hinweisen). Das Bundesgericht sieht indes ausnahmsweise vom Erfordernis eines aktuellen Rechtsschutzinteresses ab, wenn sich die mit der Beschwerde aufgeworfenen Fragen jeweils unter gleichen oder ähnlichen Umständen wieder stellen könnten, an ihrer Beantwortung wegen ihrer grundsätzlichen Bedeutung ein hinreichendes öffentliches Interesse besteht und im Einzelfall eine rechtzeitige Prüfung kaum je möglich wäre (BGE 142 I 135 E. 1.3.1; 140 IV 74 E. 1.3.3; Urteile 6B_887/2021 vom 24. Mai 2022 E. 4.1; 6B_1456/2020 vom 10. März 2021 E. 1, nicht publ. in: 147 IV 209; 6B_294/2020 vom 24. September 2020 E. 2.3; je mit Hinweisen). 
Umstritten ist, ob die (Grund-) Strafe des Urteils vom 31. März 2009 und die (Zusatz-) Strafe des Urteils vom 2. Dezember 2020 gemeinsam oder nacheinander vollzogen werden. Es geht damit um einen Entscheid über den Vollzug von Strafen und Massnahmen im Sinne von Art. 78 Abs. 2 lit. b BGG, welcher der Beschwerde in Strafsachen unterliegt. Der Beschwerdeführer hat am Verfahren vor der Vorinstanz teilgenommen (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. a BGG). Allerdings erscheint fraglich, ob er ein aktuelles rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat, mithin dadurch materiell beschwert ist (vgl. Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG). Letztlich geht es vorliegend um die Berechnung des Zeitpunkts, ab welchem eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers möglich wäre. Der VBD hielt im Vollzugsauftrag und in der Verfügung vom 25. März 2021 fest, dass die Freiheitsstrafen nacheinander vollzogen werden und daher bei der Berechnung des Zweidritteltermins einzig auf die Zusatzstrafe abzustellen sei, womit die bedingte Entlassung des Beschwerdeführers frühestens am 1. Januar 2025 möglich wäre, was die Vorinstanz bestätigt. Demgegenüber stellt sich der Beschwerdeführer auf den Standpunkt, die Zusatzstrafe sei gemeinsam mit der Grundstrafe zu vollziehen, womit seine bedingte Entlassung theoretisch bereits am 5. November 2023 möglich wäre (vgl. Beschwerde S. 6). Der Beschwerdeführer äussert sich in seiner Beschwerde nicht zur Aktualität seines rechtlich geschützten Interesses. Er hält einzig fest, die Beurteilung der Frage, ob die beiden Strafen für die Zweidrittelberechnung zusammengezählt würden oder nicht, habe für ihn weitreichende Folgen (Beschwerde S. 3). An anderer Stelle führt er aus, ihm sei bewusst, dass mit einer abgeänderten Zweidrittelberechnung erst theoretisch eine frühere bedingte Entlassung möglich sei (Beschwerde S. 7) bzw. die Frage rein hypothetischer Natur sei und er keineswegs einen "Anspruch" auf eine bedingte Entlassung habe (Beschwerde S. 11). 
Die im vorliegenden Verfahren Gegenstand bildende blosse Feststellung der Vollzugsbehörde, dass die beiden Freiheitsstrafen nacheinander vollzogen werden und damit eine bedingte Entlassung des Beschwerdeführers frühestens am 1. Januar 2025 möglich sei, ist für den Beschwerdeführer zurzeit mit keinerlei Rechtsfolgen verbunden. Wie er selbst festhält, handelt es sich derzeit lediglich um eine theoretische bzw. hypothetische Frage, die dem Bundesgericht in der Regel nicht unterbreitet werden kann. Vorliegend rechtfertigt es sich nicht, ausnahmsweise vom aktuellen Rechtsschutzinteresse abzusehen, da es dem Beschwerdeführer möglich sein wird, die Vollzugsbehörde vor dem seines Erachtens massgebenden Zweidritteltermin um Prüfung seiner bedingten Entlassung zu ersuchen, womit auch das Bundesgericht über eine allfällige Beschwerde rechtzeitig wird entscheiden können. In diesem Verfahren wird die Vollzugsbehörde beurteilen müssen, ob die Voraussetzungen für eine bedingte Entlassung zum Beurteilungszeitpunkt vorliegen. Folglich wird sie auch neu prüfen müssen, ob der Beschwerdeführer bereits zwei Drittel der Strafe verbüsst hat, was die (Rechts-) frage mitumfasst, ob die Grund- und die Zusatzstrafe gemeinsam oder nacheinander vollzogen werden. Diese Frage wird sie unabhängig von der Verfügung vom 25. März 2021 beurteilen müssen (vgl. BGE 145 IV 65 E. 2.7.2; siehe auch Urteil 6B_1456/2020 vom 10. März 2021 E. 1 und E. 2.5, nicht publ. in: BGE 147 IV 209). Damit fehlt dem Beschwerdeführer im vorliegenden Verfahren ein aktuelles rechtlich geschütztes Interesse gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG
 
5.  
Nach der sog. "Star-Praxis" kann die in der Sache nicht legitimierte Partei eine Verletzung ihrer Rechte rügen, die ihr nach dem Verfahrensrecht, der Bundesverfassung oder der EMRK zustehen und deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Das nach Art. 81 Abs. 1 lit. b BGG erforderliche rechtlich geschützte Interesse ergibt sich diesfalls aus der Berechtigung, am Verfahren teilzunehmen (BGE 141 IV 1 E. 1.1; 138 IV 78 E. 1.3, 248 E. 2; Urteil 6B_737/2020 vom 1. April 2021 E. 1.1; je mit Hinweisen). Zulässig sind allerdings nur Rügen formeller Natur, die von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören sind Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen (BGE 146 IV 76 E. 2; 141 IV 1 E. 1.1 mit Hinweisen). 
Solche formellen Rügen erhebt der Beschwerdeführer nicht. Er rügt zwar eine Verletzung seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, weil die Vorinstanz die von ihm beantragten bzw. angebotenen Beweise nicht abgenommen und sich nicht mit all seinen Vorbringen auseinandergesetzt habe (Beschwerde S. 8 ff., 12 ff.). Seine Kritik zielt indes, wie auch seine übrigen Vorbringen, auf die Rechtmässigkeit der Berechnung des Zweidritteltermins und damit auf eine Überprüfung in der Sache selbst ab, was unzulässig ist. 
 
6.  
Auf die Beschwerde ist nicht einzutreten. Die Gerichtskosten sind ausgangsgemäss dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Zufolge Aussichtslosigkeit der Beschwerde ist seinem Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nicht zu entsprechen (Art. 64 BGG). Seiner finanziellen Lage ist mit reduzierten Gerichtskosten Rechnung zu tragen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die Beschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 1'200.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 4. Juli 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Andres