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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
8C_645/2020  
 
 
Urteil vom 21. Juli 2021  
 
I. sozialrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Maillard, Präsident, 
Bundesrichterin Heine, Bundesrichter Wirthlin, 
Gerichtsschreiberin Durizzo. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, vertreten durch MLaw Rechtsanwältin Annemarie Gurtner, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
IV-Stelle des Kantons Zürich, Röntgenstrasse 17, 8005 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Invalidenversicherung (Invalidenrente; Revision), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. August 2020 (IV.2020.00018). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. A.________, geboren 1970, Informatiker, meldete sich erstmals im Dezember 2010 bei der Invalidenversicherung zum Leistungsbezug an unter Hinweis auf eine vollständige Arbeitsunfähigkeit wegen Depressionen. Vom 4. Februar bis 4. April 2011 war er in der Psychiatrischen Klinik B.________ hospitalisiert. Gemäss einem zuhanden des Krankentaggeldversicherers erstatteten Gutachten der Klinik C.________ vom 16. September 2011 litt er an einer rezidivierenden depressiven Störung, gegenwärtig leichte depressive Episode, einer nicht-organischen Insomnie, einer Kokainabhängigkeit mit gegenwärtiger Abstinenz sowie einer Tabakabhängigkeit. Zu jenem Zeitpunkt bestand gemäss den Experten eine 50%ige Arbeitsfähigkeit, wobei eine Steigerung auf 100 % bis im Dezember 2011 zu erwarten war. Im Oktober 2011 trat A.________ eine neue Stelle an. Mit Verfügung vom 11. März 2013 lehnte die IV-Stelle des Kantons Zürich den Anspruch auf eine Invalidenrente ab.  
 
A.b. Auf eine Neuanmeldung im Dezember 2015 trat die IV-Stelle nicht ein (Verfügung vom 20. April 2016).  
 
A.c. Im März 2017 meldete sich A.________ nach einem stationären Aufenthalt im Psychiatriezentrum D.________ erneut zum Leistungsbezug an. Die behandelnden Ärzte diagnostizierten neben einer psychischen und Verhaltensstörung durch schädlichen Alkoholgebrauch eine bipolare affektive Störung, eine einfache Aufmerksamkeitsstörung sowie eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom impulsiven Typus. Es folgte eine weitere stationäre Behandlung in der Psychiatrischen Klinik E.________ vom 14. Juni bis 18. September 2017. Im Anschluss daran kam A.________ in einer Einrichtung für betreutes Wohnen unter. Die IV-Stelle holte ein Gutachten der F.________ vom 9. November 2018 mit Ergänzung vom 28. Februar 2019 ein. Nach psychiatrischer und neuropsychologischer Untersuchung im August 2018 bescheinigten die Gutachter eine vollständige Arbeitsunfähigkeit seit Juni 2016. Der Regionale Ärztliche Dienst (RAD), Dipl. med. G.________, Facharzt für Neurologie sowie für Psychiatrie und Psychotherapie, nahm dazu am 18. März 2019 Stellung. Am 4. Oktober 2019 teilte die IV-Stelle A.________ mit, dass sein Rentenanspruch zurzeit nicht abschliessend beurteilt werden könne, sondern eine drei- bis sechsmonatige Entzugsbehandlung abzuwarten sei. A.________ reichte in der Folge einen Bericht seines behandelnden Arztes vom 4. November 2019 über eine Medikamentenumstellung sowie einen neuen Arbeitsvertrag mit Antritt einer zunächst auf drei Monate befristeten Stelle am 2. Oktober 2018 im 100 %-Pensum ein. Mit Verfügung vom 28. November 2019 lehnte die IV-Stelle den Anspruch auf eine Invalidenrente ab.  
 
B.  
Die dagegen erhobene Beschwerde wies das Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich mit Urteil vom 22. August 2020 ab. 
 
C.  
A.________ lässt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten führen mit dem Antrag, es sei ihm für die Zeit vom 1. September 2017 bis 31. Dezember 2018 eine ganze Invalidenrente zuzusprechen. 
Die IV-Stelle und das Bundesamt für Sozialversicherungen verzichten auf eine Vernehmlassung. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann wegen Rechtsverletzungen gemäss Art. 95 und 96 BGG erhoben werden. Das Bundesgericht wendet das Recht von Amtes wegen an (Art. 106 Abs. 1 BGG). Es ist folglich weder an die in der Beschwerde geltend gemachten Argumente noch an die Erwägungen der Vorinstanz gebunden; es kann eine Beschwerde aus einem anderen als dem angerufenen Grund gutheissen und es kann sie mit einer von der Argumentation der Vorinstanz abweichenden Begründung abweisen. Immerhin prüft das Bundesgericht, unter Berücksichtigung der allgemeinen Pflicht zur Begründung der Beschwerde (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG), grundsätzlich nur die geltend gemachten Rügen, sofern die rechtlichen Mängel nicht geradezu offensichtlich sind (BGE 141 V 234 E. 1).  
 
1.2. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG), und kann ihre Sachverhaltsfeststellung von Amtes wegen berichtigen oder ergänzen, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Verfahrensausgang entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 und Art. 105 Abs. 2 BGG; zum Ganzen BGE 145 V 57 E. 4).  
 
2.  
Streitig ist, ob die Vorinstanz Bundesrecht verletzte, indem sie die Ablehnung eines Rentenanspruchs durch die IV-Stelle mit Verfügung vom 28. November 2019 mangels erheblicher Veränderung des Gesundheitszustandes seit der am 11. März 2013 verfügten Rentenverweigerung bestätigte. Zur Frage steht dabei die Rentenberechtigung im Zeitraum vom 1. September 2017 bis 31. Dezember 2018. 
 
3.  
 
3.1. Das kantonale Gericht hat die Bestimmungen und Grundsätze zur Anspruchsprüfung bei einer Neuanmeldung nach vorausgegangener Rentenverweigerung (Art. 87 Abs. 3 in Verbindung mit Abs. 2 IVV; BGE 130 V 71 E. 2.2) unter analoger Anwendung der Grundsätze zur Rentenrevision nach Art. 17 ATSG (BGE 134 V 131 E. 3; 133 V 108; 130 V 71 E. 3.1; 117 V 198 E. 3a) zutreffend dargelegt. Gleiches gilt hinsichtlich der Beurteilung der Invalidität (Art. 8 Abs. 1 ATSG, Art. 4 Abs. 1 IVG) bei psychischen beziehungsweise psychosomatischen Leiden (BGE 143 V 409 E. 4.2.1; 143 V 418; 141 V 281). Richtig wiedergegeben werden im angefochtenen Urteil auch die Regeln zum Beweiswert von ärztlichen Berichten im Allgemeinen (BGE 134 V 231 E. 5.1; 125 V 351 E. 3a). Zu ergänzen ist diesbezüglich, dass im Administrativverfahren eingeholten medizinischen Berichten und Sachverständigengutachten von externen Spezialärzten praxisgemäss volle Beweiskraft zuzuerkennen ist, solange nicht konkrete Indizien gegen ihre Zuverlässigkeit sprechen (BGE 137 V 210 E. 1.3.4; 135 V 465 E. 4.4; 125 V 351 E. 3b/bb; 122 V 157; 104 V 209).  
 
3.2. Anzufügen ist des Weiteren, dass auch primäre Abhängigkeitssyndrome grundsätzlich einem strukturierten Beweisverfahren nach BGE 141 V 281 zu unterziehen sind (BGE 145 V 215; vgl. auch SVR 2020 IV Nr. 11 S. 41, 9C_309/2019 E. 4.2.2).  
 
4.  
Gemäss Vorinstanz war eine rentenerhebliche Veränderung des Gesundheitszustandes als Voraussetzung für eine Rentenrevision gestützt auf die Einschätzungen der im September 2011 beziehungsweise November 2018 erstatteten Gutachten nicht ausgewiesen. Es bestehe eine langjährige Suchtproblematik mit wiederkehrender psychotischer Symptomatik. Indessen könnte eine Arbeitsunfähigkeit auch anhand der Angaben im jüngsten Gutachten nicht als ausgewiesen gelten. 
Der Beschwerdeführer macht geltend, er habe seit der letzten Rentenverweigerung dreimal stationär hospitalisiert werden müssen. Nach dem Klinikaufenthalt von Juni bis September 2017 sei er nicht mehr im Stande gewesen, seinen Alltag selbstständig zu bewerkstelligen, und habe daher nur noch in ein betreutes Wohnen entlassen werden können. Erst nach einer Medikamentenumstellung habe er wieder eine Erwerbstätigkeit aufnehmen können. Eine relevante Veränderung im massgeblichen Zeitraum sei allein gestützt auf den von der Vorinstanz vorgenommenen Vergleich der Befunde zu den jeweiligen Zeitpunkten der Erstattung der beiden Guachten nicht auszuschliessen. Zudem habe die Vorinstanz die von den Gutachtern bescheinigte 100%ige Arbeitsunfähigkeit seit Juni 2016 zu Unrecht nicht anerkannt. Soweit die Vorinstanz von den gutachtlich gestellten Diagnosen und der darauf beruhenden Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung gestützt auf die Stellungnahme des RAD nicht überzeugt gewesen sei, hätte sie ein Gerichtsgutachten einholen müssen. 
 
5.  
 
5.1. Die Vorinstanz begründete die von ihr festgestellte unveränderte gesundheitliche Situation zunächst insbesondere mit den jeweiligen gutachtlichen Feststellungen zu der ihrer Auffassung nach auch weiterhin vergleichbar herabgesetzten Stimmungslage des Beschwerdeführers. Soweit die Gutachter nunmehr neu von einer bipolaren affektiven Störung ausgingen, könne diese Diagnose bereits gestützt auf deren Ausführungen nicht als gesichert gelten. Selbst die psychiatrische Expertin habe darauf hingewiesen, dass die dafür vorausgesetzten manischen Episoden nicht hinreichend dokumentiert seien. Auch insoweit könne daher gemäss Vorinstanz nicht von einer Veränderung des Gesundheitszustandes ausgegangen werden. Eine Veränderung schloss das kantonale Gericht indessen auch insoweit aus, als anlässlich der aktuellen Begutachtung von einer mit dem Kokainkonsum verbundenen psychotischen Symptomatik berichtet wurde. Die Vorinstanz ging davon aus, dass diese Beschwerden, namentlich auch Halluzinationen, bereits "seit längerem" bestünden, zumindest seien sie bereits in einem Bericht des Spitals H.________ vom 30. August 2014 erwähnt worden. Angesichts der langjährigen Suchtproblematik vermochte die Vorinstanz in dieser psychotischen Symptomatik jedoch keine Veränderung zu erkennen. Gestützt auf diese Überlegungen gelangte das kantonale Gericht zum Schluss, dass die Bescheinigung einer vollen Arbeitsunfähigkeit durch die Gutachter bloss eine andere und damit unbeachtliche Beurteilung eines im Wesentlichen gleich gebliebenen Sachverhalts darstelle.  
 
5.2. Nach der Vorinstanz war die vom Beschwerdeführer geltend gemachte Arbeitsunfähigkeit insbesondere deshalb nicht zu beweisen, weil die von den behandelnden Ärzten zuletzt gestellte Diagnose einer bipolaren Störung gemäss der psychiatrischen Gutachterin von F.________ nicht als gesichert gelten könne. Die Gutachterin von F.________ erläuterte dazu im Einzelnen, dass dem Beschwerdeführer nach der Diagnostizierung einer einfachen Aufmerksamkeitsstörung (ADHS) Methylphenidat (Ritalin) verabreicht worden sei. Dieses habe der Beschwerdeführer in der Folge exzessiv konsumiert. Aufgrund dieses (zusätzlichen) Missbrauchs der verordneten Medikamente sei im Jahr 2014 eine psychotische Symptomatik mit impulsivem sowie fremd- und eigengefährdendem Verhalten aufgetreten und habe sich im Verlauf des Jahres 2016 noch verstärkt. Trotz stimmungsstabilisierender Medikation sei es seither nicht zu einer vollständigen Remission gekommen. Auch die Gutachterin führte zwar als (einzige) Diagnose mit Auswirkung auf die (ihrer Einschätzung nach vollständig aufgehobene) Arbeitsfähigkeit die bipolare Störung (ICD F31.3) auf. Sie gab indessen zu bedenken, dass die von der behandelnden Ärztin erwähnten mindestens zwölf manischen Episoden in den Befundberichten nicht hinreichend dokumentiert seien. Zudem seien diese Phasen stets im Zusammenhang mit dem Konsum von Kokain oder Methylphenidat aufgetreten. Gemäss Gutachterin konnte die Diagnose aus diesem Grund nicht als zweifelsfrei gesichert gelten.  
Hegte das kantonale Gericht begründete Zweifel an der gutachtlich bescheinigten (vollständigen) Arbeitsunfähigkeit wegen der nicht gesicherten, aber einzig gestellten Diagnose der bipolaren Störung, lag ein hinreichendes Indiz gegen die Zuverlässigkeit des Gutachtens vor. Damit war der Expertise indessen der erforderliche Beweiswert abzusprechen und fehlte es von vornherein an einer rechtsgenüglichen Grundlage für eine Beurteilung der funktionellen Leistungsfähigkeit des Beschwerdeführers anhand der bei psychischen Leiden praxisgemäss massgeblichen Standardindikatoren (oben E. 3.1). Indem das kantonale Gericht anhand der Angaben im Gutachten dennoch auf den fehlenden Nachweis einer Arbeitsfähigkeit schlussfolgerte, verletzte es die bundesrechtlichen Beweiswürdigungsregeln. Die von der Vorinstanz angenommene Unzulänglichkeit des Gutachtens bezüglich der Diagnostik beschlägt zudem auch die Einordnung der psychotischen Symptomatik. Soweit das kantonale Gericht diese einer bereits früher bestehenden Suchtproblematik zuschrieb und eine rentenerhebliche Veränderung des Gesundheitszustandes aus diesem Grund verneinte, vermag seine Beurteilung nicht standzuhalten. Rechtsprechungsgemäss ist in dieser Konstellation ein Gerichtsgutachten einzuholen (oben E. 3.1). Die Sache ist zu diesem Zweck an das kantonale Gericht zurückzuweisen. 
 
6.  
Das Verfahren ist kostenpflichtig (Art. 65 BGG). Die Rückweisung der Sache an das kantonale Gericht oder an den Versicherungsträger zur erneuten Abklärung (mit noch offenem Ausgang) gilt praxisgemäss für die Frage der Auferlegung der Gerichtskosten als volles Obsiegen im Sinne von Art. 66 Abs. 1 sowie Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG (BGE 132 V 215 E. 6.1; Urteil 8C_715/2016 vom 6. März 2017 E. 6). Die Gerichtskosten werden daher der unterliegenden Beschwerdegegnerin auferlegt (Art. 66 Abs. 1 BGG). Des Weiteren hat sie dem Beschwerdeführer eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird teilweise gutgeheissen und das Urteil des Sozialversicherungsgerichts des Kantons Zürich vom 22. August 2020 aufgehoben. Die Sache wird zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 800.- werden der Beschwerdegegnerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdegegnerin hat den Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren mit Fr. 2800.- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Sozialversicherungsgericht des Kantons Zürich und dem Bundesamt für Sozialversicherungen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 21. Juli 2021 
 
Im Namen der I. sozialrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Maillard 
 
Die Gerichtsschreiberin: Durizzo