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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_612/2020  
 
 
Urteil vom 31. August 2021  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin Jametti, 
Bundesrichter Müller, 
Gerichtsschreiber Härri. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Joseph Sutter, 
 
gegen  
 
B.________, Kantonspolizei Schwyz, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung der Staatsanwaltschaft 
des Kantons Schwyz vom 23. Oktober 2020 
(SUB 2017 505/506 NBO). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Staatsanwaltschaft des Kantons Schwyz (im Folgenden: Staatsanwaltschaft) führt eine Strafuntersuchung gegen A.________, dessen Ehefrau C.________ und weitere Personen wegen des Verdachts des gewerbsmässigen Menschenhandels und der Förderung der Prostitution. Die Staatsanwaltschaft wirft A.________ und C.________ vor, im Ausland in ärmlichen Verhältnissen lebende Frauen unter einem Vorwand in die Schweiz gelockt, hier zur Prostitution gezwungen und finanziell ausgebeutet zu haben. 
A.________ und C.________ wurden beide am 9. Januar 2018 festgenommen und befanden sich bis zum 25. April 2018 in Untersuchungshaft. 
 
B.  
Am 7. September 2020 verlangte A.________ den Ausstand der polizeilichen Sachbearbeiterin Kpl B.________; ebenso am 9. September 2020 C.________. 
Am 17. September 2020 nahm B.________ zu den Ausstandsgesuchen Stellung. Sie legte dar, sie erachte sich als nicht befangen. 
A.________ äusserte sich hierzu am 1. Oktober 2020, C.________ am 6. Oktober 2020. 
Mit Verfügung vom 23. Oktober 2020 wies die Staatsanwaltschaft die Ausstandsgesuche ab. Die Staatsanwaltschaft erwog, die Gesuche seien verspätet. Die Vorbringen von A.________ und C.________ vermöchten im Übrigen keinen Ausstand zu begründen. 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen mit dem Antrag, die Verfügung der Staatsanwaltschaft aufzuheben. Es sei festzustellen, dass B.________ spätestens seit dem 19. Januar 2018 befangen sei und in den Ausstand zu treten habe. Eventualiter sei die Verfügung der Staatsanwaltschaft aufzuheben und die Sache an diese zurückzuweisen. 
 
D.  
B.________ hat sich nicht vernehmen lassen. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz hat in Vertretung der Staatsanwaltschaft Gegenbemerkungen eingereicht mit dem Antrag, die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei. A.________ hat dazu Stellung genommen. 
 
E.  
Mit Verfügung vom 30. Dezember 2020 hat der Präsident der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung das Gesuch um aufschiebende Wirkung abgewiesen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Gegen die angefochtene Verfügung ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Beschwerde ist nach Art. 80 BGG zulässig (BGE 138 IV 222 E. 1.1 f.). Der Beschwerdeführer ist gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die angefochtene Verfügung stellt einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren dar. Dagegen ist die Beschwerde nach Art. 92 Abs. 1 BGG zulässig. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind grundsätzlich ebenfalls erfüllt und geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
2.  
Es spricht vieles dafür, dass die Vorinstanz das Ausstandsgesuch des Beschwerdeführers zu Recht als verspätet beurteilt hat. Wie es sich damit verhält, braucht jedoch nicht abschliessend beurteilt zu werden. Wäre das Ausstandsgesuch als rechtzeitig anzusehen, änderte sich aus folgenden Erwägungen am Ergebnis nichts. 
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer macht geltend, der angefochtene Entscheid verletze Art. 56 lit. f StPO.  
 
3.2. Gemäss Art. 56 lit. f. StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Diese Bestimmung betrifft jede in einer Strafbehörde tätige Person, also auch eine Polizeibeamtin (Art. 12 lit. a StPO; BGE 138 IV 222).  
Art. 56 lit. f StPO stellt eine Generalklausel dar, welche alle Ausstandsgründe erfasst, die in Art 56 lit. a-e StPO nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Sie entspricht der Garantie des unabhängigen und unparteiischen Gerichts nach Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters zu erwecken. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass der Richter tatsächlich befangen ist (BGE 143 IV 69 E. 3.2 S. 74 mit Hinweisen). 
Fehlerhafte Verfügungen und Verfahrenshandlungen begründen für sich keinen Anschein der Voreingenommenheit. Anders verhält es sich, wenn besonders krasse oder wiederholte Irrtümer vorliegen, die eine schwere Verletzung der Amtspflichten darstellen (BGE 141 IV 178 E. 3.2.3 mit Hinweisen). 
Bei einer Strafverfolgungsbehörde beurteilt sich die Ausstandspflicht nach Art. 29 Abs. 1 BV. Der Gehalt von Art. 30 Abs. 1 BV darf nicht unbesehen auf nicht richterliche Behörden bzw. auf Art. 29 Abs. 1 BV übertragen werden (BGE 141 IV 178 E. 3.2.2 mit Hinweisen). Dem funktionellen Unterschied zwischen einem Gericht (Art. 13 StPO) und einer Strafverfolgungsbehörde (Art. 12 StPO) ist Rechnung zu tragen. Die Anforderungen an die Unparteilichkeit sind bei einem Polizeibeamten aufgrund der Natur seiner Funktion weniger hoch als bei einem Staatsanwalt und erst recht einem Richter (Urteil 1B_236/2019 vom 9. Juli 2019 E. 2.1 mit Hinweisen). 
 
3.3. Der Beschwerdeführer macht im Wesentlichen geltend, die Beschwerdegegnerin habe ausserhalb der Räume ihrer Dienststelle mehrere Kontakte zu Sexarbeiterinnen gehabt, die sich als Privatklägerinnen konstituiert hätten, diese teilweise zu Einvernahmen gefahren, Vorgespräche mit ihnen geführt und ihnen zudem Geld übergeben; dies alles ohne jeden Vermerk in den Akten, womit die Beschwerdegegnerin ihre Dokumentationspflicht nach Art. 77 StPO missachtet habe.  
 
3.4. Wie die Vorinstanz erwägt, weist die Beschwerdegegnerin den Vorwurf zurück, sie habe die Privatklägerinnen in deren Zimmern besucht; auch habe die Beschwerdegegnerin nach ihren Angaben mit den Privatklägerinnen keine beeinflussenden, über die Informationen zu einer allfälligen Strafuntersuchung hinausgehenden Gespräche geführt. Die Vorinstanz erachtet diese Ausführungen der Beschwerdegegnerin als glaubhaft und legt sie damit in tatsächlicher Hinsicht dem Entscheid zugrunde.  
Gemäss Art. 97 Abs. 1 BGG kann die Feststellung des Sachverhalts gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig, d.h. willkürlich, ist. Willkür liegt nur vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen). 
Der Beschwerdeführer bringt nichts vor, was die dargelegte vorinstanzliche Sachverhaltsannahme als schlechterdings unhaltbar und damit willkürlich erscheinen lassen könnte. Für das Bundesgericht ist sie somit verbindlich (Art. 105 Abs. 1 BGG). Hat die Beschwerdegegnerin die Privatklägerinnen, welche mit der schweizerischen Rechtsordnung nicht vertraut sind, lediglich über den Ablauf einer allfälligen Strafuntersuchung sachlich informiert, liegt darin offensichtlich kein krasser Verfahrensfehler. 
 
3.5. Die Vorinstanz geht sodann in tatsächlicher Hinsicht davon aus, bei Transporten von Privatklägerinnen zu Einvernahmen habe keine geheime Beeinflussung durch die Beschwerdegegnerin stattgefunden.  
Diese Sachverhaltsannahme ist ebenso wenig willkürlich. Waren, wie die Vorinstanz feststellt, bei den Transporten nebst der Beschwerdegegnerin weitere Personen anwesend, konnte sie niemanden geheim beeinflussen. Auch insoweit besteht daher kein Anschein der Befangenheit. 
 
3.6. Die Vorinstanz nimmt im Weiteren in tatsächlicher Hinsicht an, dass die Beschwerdegegnerin den Opfern bei der polizeilichen Ermittlungstätigkeit im Namen und im Auftrag der Opferhilfe als Soforthilfe Bargeld übergeben hat.  
Auch insoweit kann der Beschwerdegegnerin offenkundig keine schwere Verletzung ihrer Amtspflichten vorgeworfen werden. 
 
3.7. Gemäss Art. 77 StPO halten die Verfahrensprotokolle alle wesentlichen Verfahrenshandlungen fest. Protokolliert werden müssen also nicht alle Verfahrenshandlungen.  
Die dargelegten Handlungen der Beschwerdegegnerin dürften kaum als wesentliche Verfahrenshandlungen einzustufen sein. Dies braucht jedoch nicht abschliessend beurteilt zu werden. Wenn die Beschwerdegegnerin von der Protokollierung der Handlungen abgesehen hat, kann das jedenfalls nicht als krasser Verfahrensfehler gewertet werden. 
 
3.8. Tut der Beschwerdeführer demnach keine besonders krassen oder wiederholten Irrtümer der Beschwerdegegnerin dar, die als schwere Verletzung der Amtspflichten angesehen werden könnten, verletzt es kein Bundesrecht, wenn die Vorinstanz den Anschein der Befangenheit verneint hat; dies umso weniger, als die Anforderungen an die Unparteilichkeit nach der dargelegten Rechtsprechung - welche der Beschwerdeführer übergeht - bei einem Polizeibeamten aufgrund der Natur seiner Funktion weniger hoch sind als bei einem Staatsanwalt und erst recht einem Richter.  
 
4.  
Soweit der Beschwerdeführer vorbringt, die Vorinstanz habe ihre Verfügung ungenügend begründet und damit seinen Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt, ist dies ebenfalls unbehelflich. Nach der Rechtsprechung musste sich die Vorinstanz nicht mit jedem tatsächlichen und rechtlichen Einwand auseinandersetzen. Wenn sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Gesichtspunkte beschränkt hat, ist das nicht zu beanstanden (BGE 143 III 65 E. 5.2; 139 IV 179 E. 2.2; je mit Hinweisen). 
 
5.  
Der Beschwerdeführer macht geltend, die Vorinstanz habe den Sachverhalt unzureichend abgeklärt. Dies stelle "einen Verfahrensfehler" dar. 
Der Beschwerdeführer legt nicht dar, welche Bestimmung des Bundesrechts die Vorinstanz insoweit verletzt haben soll. Die Beschwerde dürfte daher im vorliegenden Punkt den Begründungsanforderungen (Art. 42 Abs. 2, Art. 106 Abs. 2 BGG) nicht genügen. Dies kann jedoch offen bleiben. Das Vorbringen ist jedenfalls unbehelflich. 
Gemäss Art. 58 Abs. 2 StPO nimmt die vom Ausstandsgesuch betroffene Person dazu Stellung. Der Gesuchsteller hat ein Recht auf Replik (Urteil 1B_233/2016 vom 27. Juli 2016 E. 2.2). Dieser Schriftenwechsel, den die Vorinstanz durchgeführt hat, dient der Erstellung des Sachverhalts (BGE 138 IV 222 E. 2.1). Nach Art. 59 Abs. 1 lit. a StPO entscheidet die Staatsanwaltschaft ohne weiteres Beweisverfahren. Dies bezweckt die beförderliche Erledigung von Ausstandsgesuchen (ANDREAS J. KELLER, in: Donatsch und andere [Hrsg.], Kommentar zur Schweizerischen Strafprozessordnung, 3. Aufl. 2020, N. 8 zu Art. 59 StPO). Wenn die Vorinstanz von einem weiteren Beweisverfahren abgesehen hat, verletzt das daher kein Bundesrecht. Ein derartiges Verfahren ist nicht notwendig, weil der Gesuchsteller gemäss Art. 58 Abs. 1 StPO die den Ausstand begründenden Tatsachen nicht zu beweisen, sondern lediglich glaubhaft zu machen hat. Letzteres gelingt dem Beschwerdeführer nach dem Gesagten nicht. 
 
6.  
Die Beschwerde ist daher abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Der Beschwerdeführer tut seine Bedürftigkeit kaum hinreichend dar (zu den Anforderungen insoweit BGE 125 IV 161 E. 4a). Wie es sich damit verhält, kann jedoch offen bleiben. Die unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung nach Art. 64 BGG kann jedenfalls deshalb nicht bewilligt werden, weil die Beschwerde aussichtslos war. Der Beschwerdeführer trägt damit die Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 1 Satz 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien sowie der der Staatsanwaltschaft (Sicherheitsstützpunkt Biberbrugg) und der Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Schwyz schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 31. August 2021 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Härri