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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_870/2022  
 
 
Urteil vom 28. Juni 2023  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Gerichtsschreiberin Erb. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Tanja Knodel, Cognitor Rechtsanwälte, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Kosten (Entziehen von Minderjährigen), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 25. Mai 2022 (SB210400-O/U/bs). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 21. April 2021 wurde A.________ des Entziehens von Minderjährigen schuldig gesprochen und mit einer bedingten Geldstrafe von 150 Tagessätzen zu Fr. 30.-- bestraft. Die Zivilbegehren des Privatklägers wurden auf den Zivilweg verwiesen. 
 
B.  
 
B.a. A.________ legte dagegen Berufung ein. Mit Schreiben vom 17. Mai 2022 reichte die Verteidigung das gleichentags ergangene Scheidungsurteil des Bezirksgerichts Zürich betreffend A.________ und den Privatkläger ein mit dem Hinweis, Letzterer habe sich im Rahmen der Scheidungsvereinbarung verpflichtet, den Strafantrag gegen A.________ zurückzuziehen. Anlässlich der am folgenden Tag durchgeführten Berufungsverhandlung unterzeichnete der Privatkläger den Rückzug seines Strafantrags gegen A.________ betreffend Entziehen von Minderjährigen (angefochtener Beschluss vom 25. Mai 2022).  
 
B.b. Mit Beschluss vom 25. Mai 2022 stellte das Obergericht des Kantons Zürich das Verfahren gegen A.________ betreffend Entziehen von Minderjährigen infolge Rückzuges des Strafantrags des Privatklägers ein (Ziff. 1). Es hob das Urteil des Bezirksgerichts Zürich vom 21. April 2021 auf (Ziff. 2). Die Kosten der Untersuchung sowie des erst- und zweitinstanzlichen Verfahrens, mit Ausnahme der Kosten der amtlichen Verteidigung, auferlegte es A.________ (Ziff. 4).  
 
C.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, die Dispositivziffer 4 des Beschlusses des Obergerichts des Kantons Zürich vom 25. Mai 2022 sei aufzuheben und die Kosten der Untersuchung sowie des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens seien auf die Staatskasse zu nehmen. Die Kosten des zweitinstanzlichen Verfahrens seien dem Privatkläger aufzuerlegen. Zudem sei sie für die Kosten ihrer Verteidigung angemessen zu entschädigen. Eventualiter sei die Dispositivziffer 4 aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Obergericht des Kantons Zürich verzichtet auf eine Stellungnahme. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich hat sich nicht vernehmen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Die Beschwerdeführerin wendet sich gegen die vorinstanzliche Kostenregelung. Sie rügt zusammengefasst, die Vorinstanz verletze Bundesrecht, indem sie Art. 426 Abs. 2 StPO statt Art. 428 Abs. 1 StPO anwende und ihr die gesamten Verfahrenskosten sowohl des erst- als auch des vorinstanzlichen Verfahrens auferlege.  
 
1.2.  
 
1.2.1. Die beschuldigte Person trägt die Verfahrenskosten, wenn sie verurteilt wird (Art. 426 Abs. 1 StPO). Wird das Verfahren eingestellt oder die beschuldigte Person freigesprochen, so können ihr die Verfahrenskosten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat (Art. 426 Abs. 2 StPO). Unter den gleichen Voraussetzungen kann nach Art. 430 Abs. 1 lit. a StPO eine Entschädigung herabgesetzt oder verweigert werden (Urteil 6B_1119/2021 vom 6. Oktober 2022 E. 2.3.2 mit Hinweisen). Der Kostenentscheid präjudiziert die Entschädigungsfrage (BGE 147 IV 47 E. 4.1).  
Bei der Kostenüberbindung bei Verfahrenseinstellung handelt es sich nicht um eine Haftung für strafrechtliches Verschulden, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung eines Strafverfahrens verursacht wurde. In diesem Sinne stellt die Kostenüberbindung eine Haftung prozessualer Natur für die Mehrbeanspruchung der Untersuchungsbehörden und die dadurch entstandenen Kosten dar. Das Verletzen bloss moralischer oder ethischer Pflichten genügt für die Auferlegung der Verfahrenskosten nicht (BGE 116 Ia 162 E. 2c; Urteile 6B_503/2022 vom 17. April 2023 E. 2.1; 6B_1119/2021 vom 6. Oktober 2022 E. 2.3.2; 6B_665/2020 vom 22. September 2021 E. 2.2.1). In der Regel wird diese Haftung auf Art. 41 Abs. 1 OR gestützt. Nach dieser Grundnorm ist zum Ersatz verpflichtet, wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit (BGE 147 IV 47 E. 4.1; Urteil 6B_1119/2021 vom 6. Oktober 2022 E. 2.3.2 mit Hinweis). 
 
1.2.2. Wird das Verfahren eingestellt oder die beschuldigte Person freigesprochen, können bei Antragsdelikten die Verfahrenskosten grundsätzlich dem Privatkläger auferlegt werden, sofern er nicht nur Strafantrag gestellt, sondern aktiv Einfluss auf den Gang des Verfahrens genommen hat, und soweit nicht der Beschuldigte nach Art. 426 Abs. 2 StPO kostenpflichtig ist (Art. 427 Abs. 2 StPO). Eine andere gesetzliche Einschränkung der Kostenauflage an den Privatkläger gibt es nicht. Der Antragsteller, der als Privatkläger am Verfahren teilnimmt, soll grundsätzlich auch das volle Kostenrisiko tragen. Die Regelung ist aber dispositiver Natur. Das Gericht kann davon abweichen, wenn es die Sachlage rechtfertigt. Ihm kommt ein weites Ermessen zu, bei dessen Überprüfung das Bundesgericht Zurückhaltung übt. Es greift nur ein, wenn sich der Ermessensentscheid als offensichtlich unbillig oder in stossender Weise als ungerecht erweist (vgl. BGE 147 IV 47 E. 4.2.3; 138 IV 248 E. 4.2.2 ff., E. 4.4.1; Urteile 6B_601/2019 vom 31. Oktober 2019 E. 2.2; 6B_1118/2016 vom 10. Juli 2017 E. 1.2.1; je mit Hinweisen).  
 
1.2.3. Die Kosten- und Entschädigungsfolgen im Rechtsmittelverfahren tragen die Parteien nach ihrem Obsiegen und Unterliegen (Art. 428 Abs. 1 erster Satz StPO). Ob eine Partei als obsiegend oder unterliegend gilt, hängt davon ab, in welchem Ausmass ihre vor Beschwerdeinstanz gestellten Anträge gutgeheissen wurden. Zur Frage, wie die Kosten bei Gegenstandslosigkeit zu verteilen sind, äussert sich Art. 428 Abs. 1 StPO nicht. Tritt diese während der Hängigkeit des Rechtsmittels ein, ist für die Beurteilung der Kostenfolgen in erster Linie auf den mutmasslichen Prozessausgang abzustellen (Urteile 6B_707/2022 vom 20. Dezember 2022 E. 3.1; 6B_496/2019 vom 11. Juli 2019 E. 1.1.2; 6B_1118/2016 vom 10. Juli 2017 E. 1.2.2; je mit Hinweisen). Lässt sich dieser nicht feststellen, so ist nach den allgemeinen prozessrechtlichen Kriterien jene Partei kostenpflichtig, die das Verfahren veranlasst hat oder bei welcher die Gründe eingetreten sind, die zur Gegenstandslosigkeit des Prozesses geführt haben (Urteile 6B_496/2019 vom 11. Juli 2019 E. 1.1.2; 6B_1118/2016 vom 10. Juli 2017 E. 1.2.2; je mit Hinweisen).  
 
1.2.4. Bei der Regelung der Kosten- und Entschädigungsfolgen verfügt das Sachgericht über einen weiten Ermessensspielraum. Da das Sachgericht am besten in der Lage ist, die Angemessenheit der Kostenverteilung zu beurteilen, auferlegt sich das Bundesgericht eine gewisse Zurückhaltung. Es schreitet nur ein, wenn das Sachgericht den ihm zustehenden weiten Ermessensspielraum überschritten hat (Urteile 6B_601/2019 vom 31. Oktober 2019 E. 2.2; 6B_806/2019 vom 9. Oktober 2019 E. 2.3; je mit Hinweisen).  
 
1.3.  
 
1.3.1. Es ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin den erstinstanzlichen Schuldspruch mit Berufung angefochten hat und die Vorinstanz das Verfahren aufgrund Rückzugs des Strafantrags durch den Privatkläger mit angefochtenem Beschluss eingestellt hat. Die Vorinstanz begründet indes ausführlich, weshalb das zivilrechtlich fehlerhafte Verhalten der Beschwerdeführerin schuldhaft war und sie die Einleitung und Durchführung des Strafverfahrens verursachte (angefochtener Beschluss S. 5 f.).  
Die Vorinstanz führt aus, die beiden gemeinsamen Töchter der Beschwerdeführerin und des Privatklägers seien am 13. Dezember 2018 unter die Obhut der Beschwerdeführerin gestellt worden, während die Parteien das Sorgerecht wie bis anhin gemeinsam ausgeübt hätten. Der Privatkläger sei am 25. Juni 2019 unter anderem für berechtigt erklärt worden, die beiden Töchter im Juli und August 2019 jeweils für eine Woche mit in die Ferien zu nehmen. Am 3. Juli 2019 sei die Beschwerdeführerin ohne Zustimmung des Privatklägers mit beiden Töchtern nach U.________ (PH) gereist, wobei eine Rückreise nicht organisiert worden sei und die Beschwerdeführerin keine konkreten Pläne über deren Zeitpunkt gehabt habe. 
Die Vorinstanz erwägt, mit ihrem Vorgehen habe die Beschwerdeführerin gleich mehrfach in klarer Weise gegen zivilrechtliche Verhaltensweisen verstossen. Zum einen sei sie gemäss Art. 301a ZGB verpflichtet gewesen, die Zustimmung des ebenfalls sorge- und damit aufenthaltsbestimmungsberechtigten Privatklägers zum Wechsel des Aufenthaltsorts der Kinder ins Ausland einzuholen. Zum anderen habe die Beschwerdeführerin rechtswidrig gehandelt, indem sie mit ihrer Abreise ins Ausland auch das Ferienbesuchsrecht des Privatklägers vereitelt habe. 
 
1.3.2. Die Beschwerdeführerin setzt sich nicht mit den vorinstanzlichen Ausführungen mit Bezug auf das zivilrechtlich vorwerfbare Verhalten i.S.v. Art. 426 Abs. 2 StPO auseinander. Zwar ist ihr insoweit zuzustimmen, als diese Bestimmung nur im erstinstanzlichen Verfahren und nicht im Rechtsmittelverfahren anwendbar ist (vgl. oben E. 1.2.1 und 1.2.3). Jedoch macht sie nicht begründet geltend, weshalb die Vorinstanz zu Unrecht von einem zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten ausgehe und ihr für das erstinstanzliche Verfahren Kosten auferlege. Soweit sie rügt, ihr seien die erstinstanzlichen Verfahrenskosten nicht aufzuerlegen, und dabei beantragt, die Kosten der Untersuchung sowie des erstinstanzlichen Gerichtsverfahrens seien auf die Staatskasse zu nehmen, ist darauf mangels rechtsgenüglicher Begründung nicht einzutreten (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG; vgl. oben E. 1.2.1).  
 
1.4. Die Beschwerde erweist sich hingegen mit Bezug auf die Kostenverlegung im vorinstanzlichen Rechtsmittelverfahren als begründet.  
Die Beschwerdeführerin ist - wie sie zu Recht vorbringt - als obsiegend zu betrachten, da das Verfahren gegen sie eingestellt wurde. Zwar sind die Voraussetzungen hierfür erst im Rechtsmittelverfahren geschaffen worden (vgl. Art. 428 Abs. 2 lit. a StPO). Jedoch darf sie nicht im Kostenpunkt dafür bestraft werden, dass das in guten Treuen erhobene Rechtsmittel infolge nachträglicher Änderung der Umstände, die ihr nicht anzulasten sind, abzuschreiben ist (Urteile 6B_496/2019 vom 11. Juli 2019 E. 1.1.2 in fine; 6B_1118/2016 vom 10. Juli 2017 E. 1.3.2; je mit Hinweis; THOMAS DOMEISEN, in: Basler Kommentar, Schweizerische Strafprozessordnung, 2. Aufl. 2014, N. 5 f., N. 14, N. 20 zu Art. 428 StPO; vgl. BGE 118 Ia 488 E. 4a). Entsprechend sind der Beschwerdeführerin für das Rechtsmittelverfahren keine Verfahrenskosten aufzuerlegen. Wie die Beschwerdeführerin überzeugend darlegt, verletzt die Vorinstanz Bundesrecht, wenn sie ihr die Kosten des gesamten Verfahrens bis und mit Berufungsinstanz auferlegt und ihren Kostenentscheid dabei auf Art. 426 Abs. 2 StPO stützt. 
 
2.  
Die Beschwerde ist gutzuheissen, soweit darauf eingetreten werden kann. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur neuen Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Dabei wird diese nicht nur die Verfahrenskosten neu auferlegen, sondern sich auch mit der Frage eines allfälligen Entschädigungsanspruchs der Beschwerdeführerin auseinandersetzen müssen. Auf ihre diesbezügliche Rüge ist deshalb vorliegend nicht einzugehen. 
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin im Umfang ihres Unterliegens aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Der Kanton Zürich trägt keine Gerichtskosten (Art. 66 Abs. 4 BGG), hat jedoch die Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Beschluss des Obergerichts Zürich vom 25. Mai 2022 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten werden der Beschwerdeführerin im Umfang von Fr. 1'000.-- auferlegt. 
 
3.  
Der Kanton Zürich hat der Beschwerdeführerin für das bundesgerichtliche Verfahren eine Entschädigung von Fr. 2'000.-- auszurichten. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 28. Juni 2023 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Erb