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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1453/2020  
 
 
Urteil vom 8. Dezember 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, 
Bundesrichter Muschietti, 
Gerichtsschreiberin Pasquini. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Jürg Krumm, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Frey-Herosé-Strasse 20, Wielandhaus, 5001 Aarau, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Versuchte schwere Körperverletzung; Landesverweisung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, vom 6. November 2020 (SST.2019.269). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Bezirksgericht Baden sprach A.________ mit Urteil vom 9. Juli 2019 der versuchten schweren Körperverletzung, der Drohung und des mehrfachen Ungehorsams gegen eine amtliche Verfügung schuldig. Vom Vorwurf der mehrfachen, teilweise versuchten Nötigung sprach es ihn frei. Es verurteilte A.________ zu einer Freiheitsstrafe von 3 ¼ Jahren und zu einer Busse von Fr. 100.--, als Zusatzstrafe zum Strafbefehl des Untersuchungsamtes Uznach vom 29. August 2018. Von einem Widerruf des ihm mit Strafbefehl des Untersuchungsamtes Uznach vom 12. April 2018 gewährten bedingten Vollzug für eine Geldstrafe sah das Bezirksgericht ab und verlängerte stattdessen die Probezeit um ein Jahr. Ausserdem sah es von der Anordnung einer Landesverweisung ab. Schliesslich wies es die Zivilklage von B.A.________ ab. Gegen dieses Urteil erhoben A.________ und die Staatsanwaltschaft Berufung. 
 
B.  
Das Obergericht des Kantons Aargau bestätigte am 6. November 2020 die erstinstanzlichen Schuldsprüche. Der Freispruch und die Abweisung der Zivilklage erwuchsen unangefochten in Rechtskraft. Das Obergericht verurteilte A.________ zu einer Freiheitsstrafe von 40 Monaten und zu einer Busse von Fr. 250.--, teilweise als Zusatzstrafe zum Strafbefehl vom 29. August 2018. Es widerrief den vom Untersuchungsamt Uznach am 12. April 2018 gewährten bedingten Vollzug für die Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu Fr. 60.--. Ferner verwies es A.________ für sieben Jahre des Landes und ordnete die Ausschreibung der Landesverweisung im Schengener Informationssystem (SIS) an. 
Das Obergericht hält für erwiesen, dass A.________ am 23. Dezember 2018, nachdem er aus seinem Fahrzeug heraus seine von ihm getrennt lebende Ehefrau B.A.________ mit mehreren Familienangehörigen erblickt habe, hin und her gefahren sei, um sie zu beobachten. Daraufhin habe C.________, der Bruder von B.A.________, mit dem Zeigefinger an die Stirn gezeigt und seinen Schwager als "Tubel" bezeichnet. Dieser sei unverzüglich aus seinem Personenwagen ausgestiegen, auf C.________ losgestürmt und habe ihn unvermittelt geschubst sowie mit der Faust ins Gesicht geschlagen, nachdem er auf Albanisch erklärt habe, ihn umzubringen. Es sei zu einem Gerangel gekommen, wobei die weiteren Familienmitglieder versucht hätten, die beiden zu trennen. A.________ sei dann zu seinem Personenwagen gegangen und habe aus dessen Kofferraum einen Gerüstbauschlüssel (37 cm lang und 834,5 g schwer) behändigt. Damit sei er auf seinen Schwager losgestürmt und habe erneut erklärt, dass er ihn umbringen werde. Er habe den Gerüstbauschlüssel über seinen Kopf gehalten und damit mit massiver Gewalt etliche Male gegen den Oberkörper von C.________ geschlagen, wobei er ihn mindestens zweimal am Kopf und einmal an der rechten Schulter getroffen habe. Schliesslich hätten Passanten eingegriffen und A.________ auf den Boden gedrückt, bis die Polizei eingetroffen sei. 
 
C.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen im Wesentlichen, das Urteil des Obergerichts des Kantons Aargau vom 6. November 2020 sei aufzuheben. Er sei aufgrund gerechtfertigter Notwehr vom Vorwurf der versuchten schweren Körperverletzung freizusprechen. Von der Landesverweisung sei abzusehen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zur Neubeurteilung zurückzuweisen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine willkürliche Beweiswürdigung und eine Verletzung des Grundsatzes "in dubio pro reo". Er bringt zusammengefasst vor, er sei einer Übermacht von Angreifern gegenübergestanden und habe sich deshalb nicht anders zu wehren gewusst, als den Schraubenschlüssel zu behändigen und damit die Angreifer abzuwehren. Alles deute darauf hin, dass er sich lediglich gewehrt und seinen Schwager in einer Notwehrhandlung getroffen habe. Der angeklagte Sachverhalt könne nicht als erstellt betrachtet werden. Aufgrund sämtlicher Umstände könne nicht davon ausgegangen werden, dass er mindestens zehn Mal auf den Geschädigten eingeschlagen habe (Beschwerde S. 3 ff.).  
 
1.2. Gemäss Art. 42 Abs. 2 BGG ist in der Beschwerdebegründung anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids in gedrängter Form darzulegen ist, inwiefern dieser Recht verletzt. Die Sachverhaltsfeststellung der Vorinstanz kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie willkürlich ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; je mit Hinweisen). Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung liegt nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, d.h. wenn die Behörde in ihrem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint, genügt nicht (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 241 E. 2.3.1; je mit Hinweisen). Die Willkürrüge muss in der Beschwerde anhand des angefochtenen Entscheids explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 147 IV 73 E. 4.1.2; 146 IV 114 E. 2.1, 88 E. 1.3.1; je mit Hinweisen).  
Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1 mit Hinweisen). 
 
1.3. Die Vorinstanz nimmt eine eingehende Beweiswürdigung vor, die sie nachvollziehbar begründet (Urteil S. 14 ff. E. 2.5 ff.). Ihre Schlussfolgerungen sind nicht zu beanstanden. Was der Beschwerdeführer gegen die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz und ihre Beweiswürdigung vorbringt, beschränkt sich auf eine unzulässige appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid, auf die das Bundesgericht nicht eintritt. Dieses greift auf Beschwerde hin nur in die Beweiswürdigung ein, wenn die Vorinstanz offensichtlich unhaltbare Schlüsse zieht, erhebliche Beweise übersieht oder solche willkürlich ausser Acht lässt (vgl. BGE 140 III 264 E. 2.3; 135 II 356 E. 4.2.1; je mit Hinweis). Folglich hätte der Beschwerdeführer darlegen müssen, inwiefern die Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unhaltbar sind oder mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen und die vorhandenen Beweise andere Schlussfolgerungen geradezu aufdrängen. Diesen Anforderungen genügt seine Beschwerde nicht. Der Beschwerdeführer beschränkt sich darauf, seine Sichtweise vorzutragen und setzt sich nicht mit den entsprechenden vorinstanzlichen Ausführungen auseinander. Insgesamt ist eine Verletzung des Willkürverbots, ein Verstoss gegen Art. 6 f. EMRK (Beschwerde S. 5 Ziff. 4) oder eine falsche Anwendung des Grundsatzes "in dubio pro reo" weder ausreichend dargetan noch erkennbar.  
 
2.  
Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, er habe in rechtfertigender Notwehr gehandelt, und er sich damit (auch) gegen die rechtliche Würdigung der Vorinstanz wendet, entfernt er sich von ihren tatsächlichen Feststellungen. Er zeigt nicht auf, inwiefern die Vorinstanz bei der von ihr festgestellten Sachlage zu Unrecht festhält, mangels eines Angriffs habe keine Notwehrsituation vorgelegen. Auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz kann verwiesen werden (Urteil S. 20 f. E. 2.8.3). Diesen ist nichts beizufügen. Im Übrigen ist der Beschwerdeführer ohnehin nicht zu hören, sofern er bezüglich den weiteren Voraussetzungen der Notwehr auf sein Plädoyer anlässlich der Berufungsverhandlung verweist (Beschwerde S. 8 Ziff. 8). Die Begründung muss in der Beschwerdeschrift selbst enthalten sein. Der blosse Verweis auf Ausführungen in anderen Rechtsschriften oder auf die Akten reicht nicht aus (BGE 143 IV 122 E. 3.3 mit Hinweisen). 
 
3.  
Die Rüge der Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör erweist sich als unbegründet (Beschwerde S. 8 Ziff. 8), soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Der angefochtene Entscheid genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen. Die Vorinstanz musste sich nicht mit allen Standpunkten einlässlich auseinandersetzen und jedes einzelne Vorbringen ausdrücklich widerlegen. Vielmehr durfte sie sich auf die für den Entscheid wesentlichen Punkte beschränken (BGE 143 III 65 E. 5.2 mit Hinweisen). Dem Beschwerdeführer war es denn auch ohne Weiteres möglich, sich über die Tragweite des Entscheids Rechenschaft zu geben.  
 
4.  
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Landesverweisung. Er macht geltend, es liege ein schwerer persönlicher Härtefall vor. Unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände sei eine Landesverweisung nicht gerechtfertigt, insbesondere weil seine drei minderjährigen Kinder in der Schweiz bei ihm leben werden und auf ihn angewiesen seien. Das Alter der Kinder lasse eine Entwurzelung nicht mehr zu und in seinem Heimatland gäbe es keine tragbare Alternative, um die Lebenswege der Kinder erfolgreich weiterzuführen. Die Anordnung einer Landesverweisung sei nicht mit Art. 8 EMRK vereinbar und verletze ausserdem das Verhältnismässigkeitsprinzip. Er habe sich nur gewehrt und die Verletzungen des Geschädigten seien als leicht zu bezeichnen. Zudem sei die Tat nicht geplant gewesen, vielmehr sei er dazu genötigt worden (Beschwerde S. 8 ff.). 
Auf die Vorbringen des Beschwerdeführers bezüglich der Landesverweisung kann nicht eingetreten werden. Eine qualifizierte Rügepflicht (E. 1.2 vorstehend) besteht auch, wenn eine Verletzung von Grundrechten einschliesslich der EMRK behauptet wird. Das gilt ebenso hinsichtlich des weiteren Völkerrechts. Damit tritt das Bundesgericht auch bei der Anfechtung einer Landesverweisung nicht auf Rügen ein, die ungenügend begründet sind oder sich auf bloss appellatorische Kritik beschränken (Urteile 6B_1258/2020 vom 12. November 2021 E. 4.2.7; 6B_1102/2020 vom 20. Mai 2021 E. 2; 6B_970/2019 vom 16. Oktober 2019 E. 3). Zum einen weicht der Beschwerdeführer von den tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz ab oder ergänzt diese. Entgegen seiner diesbezüglich qualifizierten Rügepflicht beschränkt er sich dabei darauf, den vorinstanzlichen Ausführungen einzig seine Sicht der Dinge entgegenzustellen. Auf solche Ausführungen geht das Bundesgericht nicht ein. Dies ist etwa der Fall, wenn er behauptet, seine drei Kinder seien alle auf ihn angewiesen (Beschwerde S. 18 Ziff. 20), würden alle bei seinen Eltern wohnen und wollten nicht bei der Kindsmutter leben (Beschwerde S. 13 Ziff. 15). Die Vorinstanz stellt in diesem Zusammenhang fest, die beiden älteren Kinder (im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils 16 und 13 Jahre alt) lebten seit der Inhaftierung des Beschwerdeführers bei seinen Eltern, während die jüngste Tochter (im Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils 11 Jahre alt) bei der Kindsmutter wohne (Urteil S. 38 f. E. 6.3.2). Ausserdem sei das Scheidungsverfahren noch hängig, weshalb auch die Regelung der Kinderbelange - namentlich auch deren Wohnsituation - noch nicht entschieden sei (Urteil S. 43 E. 6.4). Zum anderen befasst sich der Beschwerdeführer nicht mit den vorinstanzlichen Erwägungen. Namentlich scheint er zu verkennen, dass die Vorinstanz in einer Eventualbegründung zu seinen Gunsten (knapp) von einem Härtefall ausgeht, nach Würdigung sämtlicher Umstände und mit einwandfreier Begründung aber zum Schluss gelangt, es sei von einer besonderen Gefährlichkeit des Beschwerdeführers für die öffentliche Sicherheit und einer ungünstigen Legalprognose auszugehen, womit ein hohes öffentliches Interesse an der Landesverweisung gegeben sei. Dieses überwiege das private Interesse des Beschwerdeführers an einem Verbleib in der Schweiz, zumal seine Resozialisierungschancen in seinem Heimatland durchaus intakt erschienen (Urteil S. 42 f. E. 6.4). Auch mit diesen Erwägungen setzt sich der Beschwerdeführer überhaupt nicht auseinander. 
 
5.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Bei diesem Ausgang trägt der Beschwerdeführer die Kosten des bundesgerichtlichen Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Aargau, Strafgericht, 1. Kammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 8. Dezember 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Die Gerichtsschreiberin: Pasquini