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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
{T 0/2} 
1B_138/2009 
 
Urteil vom 18. Juni 2009 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung 
 
Besetzung 
Bundesrichter Féraud, Präsident, 
Bundesrichter Aemisegger, Fonjallaz, 
Gerichtsschreiber Forster. 
 
Parteien 
X.________, Beschwerdeführer, vertreten durch Rechtsanwalt Michel Wehrli, 
 
gegen 
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8026 Zürich. 
 
Gegenstand 
Sicherheitshaft, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung vom 18. April 2009 des Bezirksgerichts Zürich, Haftrichter. 
Sachverhalt: 
 
A. 
Die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl hat am 16. Februar 2009 gegen X.________ Anklage erhoben wegen qualifizierten Drogendelikten (gewerbs- und bandenmässiger Handel mit Marihuana und Haschisch). Er befindet sich seit 16. Januar 2008 in strafprozessualer Haft. Ein Haftentlassungsgesuch des Angeklagten vom 15. April 2009 wies der Haftrichter des Bezirksgerichts Zürich mit Verfügung vom vom 18. April 2009 ab. 
 
B. 
Gegen den haftrichterlichen Entscheid gelangte X.________ mit Beschwerde vom 25. Mai 2009 an das Bundesgericht. Er beantragt die Aufhebung der Verfügung vom 18. April 2009 sowie seine sofortige Haftentlassung. Der kantonale Haftrichter und die Staatsanwaltschaft haben am 27. Mai bzw. 2. Juni 2009 auf Vernehmlassungen je ausdrücklich verzichtet. 
 
Erwägungen: 
 
1. 
Die allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen von Art. 78 ff. BGG geben zu keinen Bemerkungen Anlass. 
 
2. 
Strafprozessuale Haft in Form von Sicherheitshaft kann nach Zürcher Strafverfahrensrecht nur angeordnet bzw. fortgesetzt werden, wenn der Angeklagte eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist und ausserdem konkrete Anhaltspunkte für einen besonderen Haftgrund, namentlich Fluchtgefahr, vorliegen (§ 58 Abs. 1 Ziff. 1 i.V.m. § 67 Abs. 2 StPO/ZH). 
 
3. 
Der Beschwerdeführer bestreitet den dringenden Tatverdacht der Beteiligung an einem Verbrechen oder Vergehen nicht in substanziierter Weise. Zwar macht er geltend, der dringende Tatverdacht sei "weitestgehend inexistent", und er bezeichnet die anderslautenden Erwägungen der Vorinstanz als willkürlich. Er räumt jedoch konkrete Verdachtsgründe für "Tatteilnahmen" an anderer Stelle selbst ein (Handel mit bzw. Transport von ca. 30 kg Marihuana bzw. 150 kg Marihuana-Staudenpflanzen, Aufbewahrung von 30 kg Haschisch in der eigenen Wohnung). Der Standpunkt des Beschwerdeführers, seine Tatbeiträge seien untergeordneter Art bzw. lediglich als Gehilfenschaft einzustufen, lässt den im angefochtenen Entscheid und in der Anklageschrift dargelegten dringenden Tatverdacht der Teilnahme an einem Vergehen oder Verbrechen nicht dahinfallen. Bei der teilnahmerechtlichen Qualifikation (als Mittäterschaft oder Beihilfe) hat der Haftrichter dem erkennenden Strafgericht im Übrigen nicht vorzugreifen; Analoges gilt für die Würdigung der verschiedenen Beweisaussagen bzw. des gesamten Beweisergebnisses (vgl. BGE 124 I 208 E. 3 S. 210; 116 Ia 143 E. 3c S. 146). Die betreffende Willkürrüge erweist sich als offensichtlich unbegründet, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG). 
 
4. 
Der Beschwerdeführer wendet sich sodann gegen die Annahme von Fluchtgefahr. Das in der Anklageschrift beantragte Strafmass sei überhöht. Dass die Staatsanwaltschaft zusätzlich die gerichtliche Zusprechung eine Ersatzforderung zugunsten des Staates beantragt habe, könne (entgegen der Ansicht der Vorinstanz) nicht als Fluchtindiz herangezogen werden. Im Falle seiner Freilassung könne er auf die Wiederaufnahme einer früheren Arbeitsstelle bei einem Schlüsselservice hoffen. Der Beschwerdeführer rügt in diesem Zusammenhang Verletzungen des verfassungsmässigen Individualrechts der persönlichen Freiheit sowie des Willkürverbotes. 
 
4.1 Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtes braucht es für die Annahme von Fluchtgefahr eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sich der Angeklagte, wenn er in Freiheit wäre, der Strafverfolgung und dem Vollzug der Strafe durch Flucht entziehen würde. Die Schwere der drohenden Strafe darf als ein Indiz für Fluchtgefahr gewertet werden. Sie genügt jedoch für sich allein nicht, um den Haftgrund zu bejahen. Vielmehr müssen die konkreten Umstände des betreffenden Falles, insbesondere die gesamten Lebensverhältnisse des Angeklagten, in Betracht gezogen werden (BGE 125 I 60 E. 3a S. 62; 117 Ia 69 E. 4a S. 70, je mit Hinweisen). So ist es zulässig, die familiären und sozialen Bindungen des Häftlings, dessen berufliche Situation und Schulden sowie Kontakte ins Ausland und Ähnliches mitzuberücksichtigen. Auch bei einer befürchteten Ausreise in ein Land, das den Angeklagten grundsätzlich an die Schweiz ausliefern bzw. stellvertretend verfolgen könnte, ist die Annahme von Fluchtgefahr nicht ausgeschlossen (BGE 123 I 31 E. 3d S. 36 f.). Wie bei den übrigen strafprozessualen Haftarten gilt auch bei der Sicherheitshaft, dass sie nur als "ultima ratio" angeordnet oder aufrechterhalten werden darf. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von der Anordnung oder Fortdauer der Haft abgesehen und an ihrer Stelle eine solche Ersatzmassnahme angeordnet werden (BGE 135 I 71 E. 2.3 S. 73, E. 2.16 S. 78 f.; 133 I 270 E. 3.3.1 S. 279, je mit Hinweisen). 
 
4.2 Bei Haftbeschwerden prüft das Bundesgericht (im Hinblick auf die Schwere des Eingriffes in das Grundrecht der persönlichen Freiheit) die Auslegung und Anwendung des kantonalen Prozessrechtes frei. Soweit jedoch reine Sachverhaltsfragen und damit Fragen der Beweiswürdigung zu beurteilen sind, greift das Bundesgericht nur ein, wenn die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz offensichtlich unrichtig sind oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruhen (Art. 97 Abs. 1 i.V.m. Art. 105 Abs. 2 BGG; BGE 135 I 71 E. 2.5 S. 73 f. mit Hinweis). 
 
4.3 Dem Beschwerdeführer werden in der Anklageschrift vom 16. Februar 2009 mehrfache qualifizierte Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz (gewerbs- und bandenmässiger Handel mit grossen Mengen Marihuana und Haschisch) vorgeworfen. Die Staatsanwaltschaft beantragt die Ausfällung einer Freiheitsstrafe von fünf Jahren (unter Anrechnung der erstandenen strafprozessualen Haft) sowie einer Busse von Fr. 10'000.--. Ausserdem sei dem Staat (zum Ausgleich des deliktisch erlangten Vermögensvorteils) eine Ersatzforderung von Fr. 3 Mio. zulasten des Angeklagten zuzusprechen. Die Vorinstanz durfte die dem Beschwerdeführer drohende empfindliche Freiheitsstrafe als erhebliches Fluchtindiz berücksichtigen. Sodann bestreitet er die Darstellung der Anklagebehörde nicht, dass er holländischer Staatsangehöriger (und türkischer Abstammung) sei und vor seiner Verhaftung weder über einen festen Wohnsitz in der Schweiz verfügt habe, noch einer regelmässigen Arbeit nachgegangen sei. Nach eigenen Angaben ist der Beschwerdeführer mittellos. Dass die Vorinstanz auch noch mitberücksichtigt hat, dass ihm im Falle der Verurteilung in der Schweiz hohe Schulden drohen (Ersatzforderung des Staates sowie Verfahrens- und Verteidigungskosten), hält vor der Verfassung stand. 
 
4.4 Aus dem Gesagten ergeben sich ausreichend konkrete Anhaltspunkte für das Vorliegen von Fluchtgefahr. 
 
4.5 Als verfassungskonform erweist sich auch die Einschätzung der Vorinstanz, der dargelegten Fluchtneigung lasse sich mit blossen Ersatzmassnahmen für Sicherheitshaft nicht ausreichend begegnen (vgl. BGE 135 I 71 E. 2.16 S. 78 f.; 133 I 270 E. 3.3.1 S. 279). Dabei durfte sie (sinngemäss) mitberücksichtigen, dass eine Pass- und Schriftensperre den Beschwerdeführer an einer Flucht kaum wirksam zu hindern vermöchte und eine Kautionsleistung (angesichts seiner von ihm dargelegten prekären finanziellen Situation) nicht in Betracht fiele. 
 
5. 
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer die bisherige Haftdauer als unverhältnismässig. Er befinde sich schon seit mehr als 1¼ Jahren in Haft. Es könne ihm höchstens eine untergeordnete Beteiligung an Handel mit "weichen" Drogen zur Last gelegt werden, weshalb ihm keine mehrjährige Freiheitsstrafe drohe. Im November 2008 sei eine andere Haftrichterin hier noch von einem leichten Fall gewerbsmässigen Drogenhandels ausgegangen und von einem voraussichtlichen Strafmass von nicht erheblich mehr als einem Jahr. Gegen einen Mitangeklagten, dem ein höheres Verschulden vorzuwerfen sei als ihm, dem Beschwerdeführer, habe das Bezirksgericht Zürich (mit Urteil vom 25. Februar 2009) eine teilbedingte Freiheitsstrafe von 30 Monaten ausgefällt. Die kantonalen Strafverfolgungsbehörden hätten ausserdem das Beschleunigungsgebot in Straf- bzw. Haftsachen missachtet, indem sie den Fall nicht ausreichend rasch vorangetrieben, sondern "unerträglich langsam" bearbeitet hätten. 
 
5.1 Gemäss Art. 31 Abs. 3 BV hat eine in strafprozessualer Haft gehaltene Person Anspruch darauf, innerhalb einer angemessenen Frist richterlich abgeurteilt oder während des Strafverfahrens aus der Haft entlassen zu werden. Eine übermässige Haftdauer stellt eine unverhältnismässige Beschränkung dieses Grundrechts dar. Sie liegt dann vor, wenn die Haftfrist die mutmassliche Dauer der zu erwartenden freiheitsentziehenden Sanktion übersteigt. Bei der Prüfung der Verhältnismässigkeit der Haftdauer ist namentlich der Schwere der untersuchten Straftaten Rechnung zu tragen. Der Richter darf die Haft nur so lange erstrecken, als sie nicht in grosse zeitliche Nähe der (im Falle einer rechtskräftigen Verurteilung) konkret zu erwartenden Dauer der freiheitsentziehenden Sanktion rückt (BGE 133 I 168 E. 4.1 S. 170, 270 E. 3.4.2 S. 281, je mit Hinweisen). Im Weiteren kann eine Haft die zulässige Dauer auch dann überschreiten, wenn das Strafverfahren nicht genügend vorangetrieben wird, wobei sowohl das Verhalten der Justizbehörden als auch dasjenige des Inhaftierten in Betracht gezogen werden müssen. Die Frage, ob eine Haftdauer als übermässig bezeichnet werden muss, ist aufgrund der konkreten Verhältnisse des einzelnen Falles zu beurteilen (BGE 133 I 168 E. 4.1 S. 170 f., 270 E. 3.4.2 S. 281; 132 I 21 E. 4.1 S. 27 f., je mit Hinweisen). 
 
5.2 Im Falle einer strafrechtlichen Verurteilung hat der Beschwerdeführer mit einer mehrjährigen Freiheitsstrafe zu rechnen. Die Staatsanwaltschaft hat in der Anklageschrift vom 16. Februar 2009 ein Strafmass von fünf Jahren Freiheitsstrafe beantragt. Die Vorinstanz bezeichnet den entsprechenden Antrag aufgrund der Aktenlage als "keineswegs abwegig". Wie im angefochtenen Entscheid willkürfrei erwogen wird, bestehen konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer sich an gewerbs- und bandenmässigem Drogenhandel beteiligt habe (so seien in seiner Wohnung 40 kg Haschisch aufgefunden worden) und dass er dabei (gemäss den Aussagen verschiedener Beteiligter) nicht bloss in unwichtiger Funktion tätig gewesen sei. Damit ist die bisherige strafprozessuale Haftdauer von einem Jahr und ca. fünf Monaten noch nicht in grosse Nähe des drohenden Freiheitsentzuges gerückt. Selbst wenn (im Hinblick auf eine allfällige Verurteilung) auch die Möglichkeit eines bedingten oder teilbedingten Strafvollzuges nicht ausgeschlossen erschiene, würde dies in Fällen wie dem vorliegenden nicht zur Annahme von Überhaft führen (vgl. BGE 133 I 270 E. 3.4.2 S. 281 f.; 125 I 60 E. 3d S. 64; 124 I 208 E. 6 S. 215, je mit Hinweisen; Urteile 1B_12/2007 vom 26. Februar 2007 E. 3.4; 1B_6/2007 vom 20. Februar 2007 E. 2.5). 
 
5.3 Ebenso wenig werden aus den vorliegenden Akten schwerwiegende prozessuale Versäumnisse der Strafverfolgungsbehörden ersichtlich, welche eine sofortige Haftentlassung des Beschwerdeführers rechtfertigen würden. Gemäss den vorliegenden Akten wurde die relativ aufwändige Strafuntersuchung wegen gewerbs- und bandenmässigen Drogenhandels etwa ein Jahr nach der Inhaftierung des Beschwerdeführers mit Überweisung der Anklageschrift an das Gericht abgeschlossen. Die gerichtliche Hauptverhandlung wurde auf den 26. August 2009 terminiert und wird somit sechs Monate nach Anklageerhebung erfolgen. Darin ist keine Verletzung des grundrechtlichen Beschleunigungsgebotes in Haftsachen (Art. 31 Abs. 3 BV) zu erkennen. Die vom Beschwerdeführer zusätzlich aufgeworfene Frage, ob das gesamte Strafverfahren den allgemeinen Anforderungen von Art. 29 Abs. 1 BV genüge, bildet nicht Gegenstand des angefochtenen Haftbeschwerdeentscheides. Die Prüfung entsprechender Vorbringen wird Aufgabe des erkennenden Strafgerichts sein. Über das oben Dargelegte hinaus ist darauf nicht einzutreten. 
 
6. 
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Der Beschwerdeführer stellt ein Gesuch um unentgeltliche Prozessführung und Rechtsverbeiständung. Die Beschwerde erweist sich noch knapp als nicht zum Vornherein aussichtslos. Da auch die übrigen gesetzlichen Voraussetzungen bejaht werden können (und insbesondere die Bedürftigkeit des schon längere Zeit inhaftierten Gesuchstellers ausreichend glaubhaft gemacht wird), ist das Ersuchen zu bewilligen (Art. 64 BGG). 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht: 
 
1. 
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit auf sie einzutreten ist. 
 
2. 
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen: 
 
2.1 Es werden keine Kosten erhoben. 
 
2.2 Dem Rechtsbeistand des Beschwerdeführers, Rechtsanwalt Michel Wehrli, wird für das Verfahren vor Bundesgericht aus der Bundesgerichtskasse eine Entschädigung von Fr. 1'200.-- ausgerichtet. 
 
3. 
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer sowie der Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl und dem Bezirksgericht Zürich, Haftrichter, schriftlich mitgeteilt. 
 
Lausanne, 18. Juni 2009 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
Der Präsident: Der Gerichtsschreiber: 
 
Féraud Forster