Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_1489/2022  
 
 
Urteil vom 2. August 2023  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiberin Arquint Hill. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich, Güterstrasse 33, Postfach, 8010 Zürich, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Berufungsanmeldung, Berufungserklärung (einfache Verletzung der Verkehrsregeln), 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts des Kantons Zürich, I. Strafkammer, vom 16. November 2022 (SU220066-O/U/jv). 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Das Bezirksgericht Horgen büsste den Beschwerdeführer am 6. September 2022 wegen einfacher Verkehrsregelverletzung mit Fr. 120.-- (Ersatzfreiheitsstrafe 2 Tage). Das Urteilsdispositiv nahm der Beschwerdeführer am 9. September 2022 in Empfang. Am 12. September 2022 wandte er sich via E-Mail an das Bezirksgericht und verlangte eine Urteilsbegründung. Die schriftliche Urteilsbegründung wurde dem Beschwerdeführer am 7. Oktober 2022 zugestellt. Am 12. Oktober 2022 reichte der Beschwerdeführer mit Fax eine Berufungserklärung ein, die er am 15. Oktober und 22. Oktober 2022 - abermals mit Fax - ergänzte und korrigierte. 
Das Obergericht des Kantons Zürich trat am 16. November 2022 auf die Berufung nicht ein mit der Begründung, der Beschwerdeführer habe mit seiner an das Bezirksgericht Horgen gerichteten E-Mail-Eingabe vom 12. September 2022 lediglich eine Begründung des Urteils verlangt, ohne indessen Berufung anzumelden. Davon abgesehen sei bzw. wäre seine Eingabe vom 12. September 2022 ohnehin nicht rechtsgültig, da sie die Anforderungen an eine elektronische Eingabe gemäss Art. 110 Abs. 2 StPO nicht erfülle. Überdies habe der Beschwerdeführer auch keine formgültige Berufungserklärung eingereicht. Die Frage, ob die Berufungsinstanz gehalten gewesen wäre, den Beschwerdeführer innert laufender Rechtsmittelfrist auf die Formungültigkeit der Berufungserklärung hinzuweisen, liess das Obergericht mit dem Hinweis auf die bereits fehlende bzw. ungültige Berufungsanmeldung offen. 
Mit Beschwerde in Strafsachen wendet sich der Beschwerdeführer an das Bundesgericht. Er macht geltend, es läge sowohl eine formgerechte Berufungsanmeldung als auch eine formgerechte Berufungserklärung vor. Der angefochtene Beschluss sei willkürlich, vertrauens- und rechtsverletzend. 
 
2.  
Das Bundesgericht legt seinem Urteil den von der Vorinstanz festgestellten Sachverhalt zugrunde (Art. 105 Abs. 1 BGG), es sei denn, deren Sachverhaltsfeststellung sei offensichtlich unrichtig, das heisst willkürlich (vgl. dazu BGE 140 III 264 E. 2.3) oder beruhe auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG (Art. 97 Abs. 1 und Art. 42 Abs. 2 BGG i.V.m. Art. 106 Abs. 2 BGG). Die Rüge der offensichtlich unrichtigen Sachverhaltsfeststellung nach Art. 97 Abs. 1 BGG kann nur erhoben werden, wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend ist (Art. 97 Abs. 1 BGG). Für eine Kritik am festgestellten Sachverhalt gilt das strenge Rügeprinzip von Art. 106 Abs. 2 BGG (BGE 140 III 264 E. 2.3 mit Hinweisen). 
 
3.  
Die StPO sieht für die Einlegung der Berufung ein zweistufiges Verfahren vor. Nach Art. 399 Abs. 1 StPO ist die Berufung dem erstinstanzlichen Gericht innert 10 Tagen seit Eröffnung des Urteils schriftlich oder mündlich zu Protokoll anzumelden. Die Partei, die Berufung angemeldet hat, reicht dem Berufungsgericht gemäss Art. 399 Abs. 3 StPO innert 20 Tagen seit der Zustellung des begründeten Urteils eine schriftliche Berufungserklärung ein (vgl. BGE 143 IV 40 E. 3.4.1; 138 IV 157 E. 2.1 und 2.2). 
Damit eine gegenüber dem urteilenden Gericht abgegebene Erklärung als rechtsgültige Berufungsanmeldung angesehen werden kann, muss in ihr mit der erforderlichen Klarheit festgehalten werden, dass gegen das angefochtene Urteil Berufung angemeldet werden will. Ein blosses Motivierungsbegehren erfüllt diese Anforderung nicht und kann einer Berufungsanmeldung nicht gleichgesetzt werden (statt vieler Urteil 6B_429/2020 vom 1. Oktober 2020 E. 1.1). Dies ergibt sich (auch) aus dem Wortlaut von Art. 82 Abs. 2 StPO, der zwischen dem Verlangen einer Urteilsbegründung (lit. a) und dem Ergreifen eines Rechtsmittels (lit. b) explizit unterscheidet (Urteil 6B_458/2013 vom 4. November 2013 E. 1.4.1). 
 
4.  
 
4.1. Wie sich aus dem angefochtenen Beschluss und den Akten ergibt, wandte sich der Beschwerdeführer nach Zustellung des Urteilsdispositivs am 9. September 2022 mit E-Mail vom 12. September 2022 an das Bezirksgericht Horgen und erklärte wörtlich: "Ein Urteil ohne Begründung ist kein rechtmässiges Urteil! Das Urteil ist dann unbegründet! Ich fordere Sie auf, mir ein begründetes Urteil zuzusenden". Die Vorinstanz stellt fest, dass sich dieser E-Mail-Eingabe vom 12. September 2022 keine Anmeldung einer Berufung entnehmen lasse. Der Beschwerdeführer habe damit vielmehr nur eine Begründung des Urteils verlangt, ohne Berufung anzumelden (Beschluss S. 4).  
 
4.2. Die Feststellung der Vorinstanz, wonach es an einer Berufungsanmeldung fehle, will der Beschwerdeführer in seiner Strafrechtsbeschwerde mit dem Hinweis auf eine angebliche telefonische Auskunft als willkürlich und den Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzend widerlegen. Er macht insofern geltend, der Gerichtsschreiber des Bezirksgerichts Horgen habe ihm ca. am 12. September 2022 telefonisch erläutert, sein Antrag auf Urteilsbegründung werde vom Bezirksgericht als Berufungsanmeldung "gewertet" (Beschwerde S. 1). Er habe ihm auch sein Unverständnis darüber ausgedrückt, dass man ohne Kenntnis der Begründung eines Urteils Berufung anmelden müsse (Beschwerde S. 2). Die mündliche Besprechung mit dem Gerichtsschreiber sei so zu interpretieren, dass er das rechtliche Erfordernis einer Berufungsanmeldung erfüllt habe und dies jedenfalls vom Gerichtsschreiber so formuliert worden sei (Beschwerde S. 3 und 5). Dieses - erstmals vor Bundesgericht erhobene und damit neu in das Verfahren eingeführte - Vorbringen des Beschwerdeführers erweist sich in doppelter Hinsicht als unbehelflich: Einerseits, weil neue Tatsachen und Beweismittel im bundesgerichtlichen Verfahren nur soweit vorgebracht werden dürfen, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG). Die Partei, die Noven anruft, muss begründen, dass und weshalb diese zulässig sein sollen. Dieses Erfordernis erfüllt der Beschwerdeführer nicht; er zeigt in seiner Beschwerde nicht auf, weshalb die Voraussetzung für die Zulassung des Novums erfüllt sein soll (BGE 139 III 120 E. 3.1.2; 133 III 393 E. 3; Urteil 6B_509/2022 vom 5. Oktober 2022 E. 2.4). Andererseits, weil es sich beim fraglichen Vorbringen - selbst wenn es novenrechtlich zulässig wäre - um eine blosse, unbelegte Behauptung in Bezug auf eine angeblich per Telefon erteilte Auskunft/Zusage handelt, die für sich nicht geeignet ist, Willkür zu belegen oder einen Anspruch aus dem Grundsatz des Vertrauensschutzes zu begründen (vgl. BGE 143 V 341 E. 5.3.1; siehe auch Urteile 2C_879/2021 vom 8. Juli 2022 E. 8.3 und 8F_6/2013 vom 25. Juni 2013 E. 2 mit Hinweisen). Zudem sprechen die Akten - bei summarischer Durchsicht - gegen das vom Beschwerdeführer Behauptete bzw. legen gar das Gegenteil nahe. So ist das angebliche ca. am 12. September 2022 geführte Telefonat in den Akten nicht vermerkt, obwohl der referenzierte Gerichtsschreiber des Bezirksgerichts Horgen einen früheren telefonischen Kontakt mit dem Beschwerdeführer explizit mit einer Notiz dokumentiert hat. Überdies hat der fragliche Gerichtsschreiber in einer elektronischen Nachricht vom 12. September 2022 neben der Eingangsbestätigung zuhanden des Beschwerdeführers ausdrücklich auch festgehalten, er verlange mit seiner Eingabe eine Begründung des Urteils. Dasselbe ergibt sich ohne Weiteres auch aus dem schriftlich begründeten Urteil des Bezirksgerichts Horgen (vgl. kantonale Akten, act. 35 und act. 37).  
 
4.3. Auch die weitere Kritik in der Beschwerde, wonach das Verlangen einer Berufungsanmeldung in Bezug auf ein unbegründetes Urteil gegen die Denkgesetze (Logik) verstosse und daher unzumutbar, rechtsmissbräuchlich sowie überspitzt formalistisch sei, zielt ins Leere. Gestützt auf die ausdrückliche gesetzliche Regelung von Art. 399 StPO müssen die zur Berufung legitimierten und mit dem erstinstanzlichen Urteil nicht einverstandenen Parteien zweimal ihren Willen kundtun, das Urteil nicht zu akzeptieren, nämlich einmal im Rahmen der Anmeldung der Berufung bei der ersten Instanz nach der Eröffnung des Dispositivs und ein zweites Mal nach Eingang des begründeten Urteils durch eine schriftliche Berufungserklärung beim Berufungsgericht (vorstehend E. 3). Die Gerichte, einschliesslich das Bundesgericht, sind an die Gesetze gebunden (Art. 190 BV). Dem Beschwerdeführer wurde am 9. September 2022 das Urteilsdispositiv des Bezirksgerichts Horgen mit einer auf die gesetzliche Regelung von Art. 399 StPO abgestützten, detaillierten und unmissverständlichen Rechtsmittelbelehrung zugestellt. Dass sich der Beschwerdeführer nicht an diese eindeutige Belehrung gehalten hat, muss er sich selber zuschreiben; die sinngemässe Berufung auf angeblich fehlende Rechts- und Gesetzeskenntnisse geht an der Sache vorbei ("Nichtwissen schützt nicht"; BGE 136 V 331 E. 4.2.3.1). Von einem Handeln gegen Treu und Glauben durch die Behörden oder einer übertrieben strengen Handhabung der Formvorschriften, die sachlich nicht gerechtfertigt wäre und dem Bürger den Rechtsweg in unzulässiger Weise versperrte, kann aus den dargelegten Gründen folglich nicht die Rede sein.  
 
4.4. Das vorinstanzliche Nichteintreten auf die Berufung mangels Berufungsanmeldung verletzt kein Bundesrecht; der angefochtene Beschluss ist insofern nicht zu beanstanden. Damit erübrigt es sich, auf die weiteren Vorbringen einzugehen. Soweit der Beschwerdeführer sinngemäss und am Rande die Auflage der Kosten durch die Vorinstanz in Höhe von Fr. 600.-- beanstanden will, zeigt er nicht in einer den Formerfordernissen genügenden Weise auf, dass und inwiefern Art. 428 Abs. 1 StPO und die Gebührenverordnung willkürlich, rechts- oder ermessensfehlerhaft angewandt worden sein sollen.  
 
5.  
Die Beschwerde ist im Verfahren nach Art. 109 BGG abzuweisen, soweit darauf überhaupt eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Angesichts des verhältnismässig etwas geringeren Aufwands erweist sich eine reduzierte Entscheidgebühr als angemessen (Art. 65 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Zürich, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 2. August 2023 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Arquint Hill