Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_171/2022  
 
 
Urteil vom 24. August 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Chaix, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Haag, 
nebenamtliche Bundesrichterin Pont-Veuthey, 
Gerichtsschreiber Dold. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, 
Beschwerdeführerin, 
vertreten durch Rechtsanwalt Nicolas von Wartburg, 
 
gegen  
 
Staatssekretariat für Migration, 
Quellenweg 6, 3003 Bern. 
 
Gegenstand 
Erleichterte Einbürgerung, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Abteilung VI, vom 9. Februar 2022 (F-2444/2021). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.A.________ wurde 1989 geboren und stammt aus dem Kosovo. Sie heiratete 2012 im Kanton Zürich den im Jahr 1974 geborenen Schweizer Bürger B.A.________ und zog zu ihm in die Schweiz. Sie erhielt eine Aufenthaltsbewilligung, später eine Niederlassungsbewilligung. 2017 wurde eine gemeinsame Tochter geboren. 
Mit Schreiben vom 17. November 2017 ersuchte A.A.________ um erleichterte Einbürgerung. In der Folge holte das Staatssekretariat für Migration (SEM) beim Gemeindeamt des Kantons Zürich einen Erhebungsbericht ein. Gestützt auf seine Erhebungen stellte das Gemeindeamt am 13. September 2018 einen negativen Antrag und begründete dies damit, dass bei der Gesuchstellerin Grundkenntnisse über die Schweiz fehlen würden. Nachdem A.A.________ von ihr verlangte Unterlagen (Sprachzertifikate, Bestätigungen über Integrationskurs, Referenzschreiben) sukzessive nachgereicht hatte, stellte ihr das SEM mit Schreiben vom 3. Juli 2020 die auszufüllenden Formulare betreffend das Beachten der Rechtsordnung und die eheliche Gemeinschaft zu. Am 16. Juli 2020 gingen beim SEM die beiden auf den 15. Juli 2020 datierten, unterzeichneten Formulare ein. Tags darauf folgte ein Schreiben von B.A.________. Er teilte dem SEM mit, dass er und seine Ehefrau sich in einer Trennungsphase befänden. Seine Ehefrau habe seine Unterschrift auf der Erklärung betreffend eheliche Gemeinschaft "verfälscht". Als Beweis legte er die Kopie seines Schweizer Passes bei, worauf seine Unterschrift ersichtlich war. 
Nach weiteren Erkundigungen im Zusammenhang mit einem zwischenzeitlich erfolgten Umzug der Eheleute innerhalb des Kantons Zürich gewährte das SEM A.A.________ das rechtliche Gehör. Mit Schreiben vom 15. Dezember 2020 brachte B.A.________ vor, A.A.________ habe seine Unterschrift nicht gefälscht. Seine Äusserung, sie befänden sich in einer Trennungsphase, rühre von einem Streit her. Die Ehe sei intakt. 
Mit Verfügung vom 22. April 2021 lehnte das SEM das Gesuch um erleichterte Einbürgerung ab. 
Am 25. Mai 2021 erhob A.A.________ gegen die Verfügung des SEM Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht. Dabei legte sie mehrere Beweismittel vor, insbesondere undatierte Ferien- und Familienaufnahmen, Fotos der Haustürklingel sowie eine weitere Äusserung von B.A.________ vom 25. Mai 2021 zur ehelichen Situation zum Zeitpunkt der Erklärung betreffend die eheliche Gemeinschaft. 
Am 7. Juni 2021 übermittelte das SEM dem Bundesverwaltungsgericht einen Rapport der Kantonspolizei Zürich vom 26. Mai 2021. Daraus geht hervor, dass zwischen B.A.________ und A.A.________ in der Nacht vom 8. zum 9. Mai 2021 an deren Wohnort eine heftige, zum Teil tätliche Auseinandersetzung stattgefunden hatte. 
Mit Urteil vom 9. Februar 2022 wies das Bundesverwaltungsgericht die Beschwerde von A.A.________ ab. 
 
B.  
Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten ans Bundesgericht vom 14. März 2022 beantragt A.A.________, das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts sei aufzuheben und das SEM anzuweisen, sie einzubürgern. Eventualiter sei die Sache zur vollständigen Feststellung des Sachverhalts an die Vorinstanz zurückzuweisen. 
Das Bundesverwaltungsgericht und das SEM haben auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts (Art. 86 Abs. 1 lit. a und Art. 90 BGG) betreffend die erleichterte Einbürgerung. Dabei handelt es sich um eine öffentlich-rechtliche Angelegenheit im Sinn von Art. 82 lit. a BGG. Eine Ausnahme von der Zulässigkeit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gemäss Art. 83 BGG besteht bei der erleichterten Einbürgerung nicht. Lit. b dieser Bestimmung schliesst die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten nur gegen Entscheide über die ordentliche Einbürgerung aus. Die Beschwerdeführerin ist zudem nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf ihre Beschwerde grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
Gemäss Art. 50 Abs. 2 des am 1. Januar 2018 in Kraft getretenen Bundesgesetzes vom 20. Juni 2014 über das Schweizer Bürgerrecht (Bürgerrechtsgesetz, BüG; SR 141.0; im Folgenden: nBüG) werden vor dem Inkrafttreten dieses Gesetzes eingereichte Gesuche bis zum Entscheid über das Gesuch nach den Bestimmungen des bisherigen Rechts behandelt. Da die Beschwerdeführerin ihr Gesuch vor dem 1. Januar 2018 eingereicht hatte, beurteilt es sich nach dem alten Bürgerrechtsgesetz (Bundesgesetz vom 29. September 1952 über Erwerb und Verlust des Schweizer Bürgerrechts [im Folgenden: aBüG; AS 1952 1087]; s. zu dieser übergangsrechtlichen Bestimmung: Botschaft vom 4. März 2011 zur Totalrevision des Bundesgesetzes über das Schweizer Bürgerrecht [Bürgerrechtsgesetz, BüG], BBl 2011 2867 und PETER UEBERSAX, Das Bundesgericht und das Bürgerrechtsgesetz, mit einem Blick auf das neue Recht, BJM 2016 S. 208 f.). Dieser Umstand ist hier allerdings nicht von entscheidender Bedeutung, da einzig das Bestehen einer ehelichen Gemeinschaft umstritten ist und dieser Begriff mit dem Wechsel vom alten zum neuen Erlass unverändert geblieben ist (s. Art. 27 aBüG und Art. 21 nBüG). 
 
3.  
 
3.1. Gemäss Art. 27 Abs. 1 aBüG kann ein Ausländer nach der Eheschliessung mit einem Schweizer Bürger ein Gesuch um erleichterte Einbürgerung stellen, wenn er insgesamt fünf Jahre in der Schweiz gewohnt hat, seit einem Jahr hier wohnt und seit drei Jahren in ehelicher Gemeinschaft mit dem Schweizer Bürger lebt. Eine eheliche Gemeinschaft im Sinne dieser Bestimmung setzt nicht nur das formelle Bestehen einer Ehe, sondern eine tatsächliche Lebensgemeinschaft voraus. Eine solche Gemeinschaft kann nur bejaht werden, wenn der gemeinsame Wille zu einer stabilen ehelichen Gemeinschaft intakt ist. Gemäss konstanter Praxis muss sowohl im Zeitpunkt der Gesuchseinreichung als auch im Zeitpunkt des Einbürgerungsentscheids eine tatsächliche Lebensgemeinschaft bestehen, die Gewähr für die Stabilität der Ehe bietet (BGE 135 II 161 E. 2 mit Hinweisen).  
 
3.2. In verfahrensrechtlicher Hinsicht richtet sich die erleichterte Einbürgerung nach den Bestimmungen des Verwaltungsverfahrensgesetzes. Danach gilt der Untersuchungsgrundsatz, wonach die Behörde den Sachverhalt von Amtes wegen festzustellen hat (Art. 12 VwVG). Mithin ist von der Behörde zu untersuchen, ob die Ehe im massgeblichen Zeitpunkt der Gesuchseinreichung und des Entscheids über die Einbürgerung tatsächlich gelebt wurde. Da es dabei im Wesentlichen um innere Vorgänge geht, die der Verwaltung oft nicht bekannt und schwierig zu beweisen sind, darf sie von bekannten Tatsachen (Vermutungsbasis) auf unbekannte (Vermutungsfolge) schliessen. Es handelt sich dabei um Wahrscheinlichkeitsfolgerungen, die aufgrund der Lebenserfahrung gezogen werden (BGE 135 II 161 E. 3 mit Hinweisen). Der Betroffene ist bei der Sachverhaltsabklärung gemäss Art. 13 Abs. 1 lit. a VwVG mitwirkungspflichtig. Lässt sich nicht nachweisen, dass die Voraussetzungen von Art. 27 Abs. 1 BüG erfüllt sind, erfolgt keine Einbürgerung. Somit trifft die Beweislast den Gesuchsteller (Urteil 1C_527/2011 vom 21. Februar 2012 E. 4.2 mit Hinweis).  
 
3.3. Das Bundesverwaltungsgericht hielt fest, angesichts des Schreibens des Ehemanns der Beschwerdeführerin vom 15. Juli 2020 und den unglaubhaften späteren Erklärungsversuchen sowie angesichts des Vorfalls in der Nacht vom 8. auf den 9. Mai 2021 sei nicht von einer stabilen Ehe auszugehen. Die Beschwerdeführerin erblickt darin eine willkürliche Sachverhaltsfeststellung (Art. 97 Abs. 1 BGG i.V.m. Art. 9 BV) sowie eine Verletzung von Art. 27 Abs. 1 aBüG und des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV). Das Bundesverwaltungsgericht blende alle Umstände, die für eine stabile Ehe sprächen, aus. Dazu gehörten die Beziehungsdauer, das gemeinsame Kind, der gemeinsame Wohnsitz, die gemeinsamen Ferien und zahlreiche Referenzschreiben. Ihr Ehemann habe seine Aussagen im Schreiben vom 15. Juli 2020 nachträglich widerrufen. Dafür, dass dies nicht freiwillig geschehen sei, gebe es keine Anhaltspunkte. Auch der Streit vom 8./9. Mai 2021 weise nicht auf eine bevorstehende Trennung hin. Es sei notorisch, dass es in vielen Ehen mitunter zu heftigen Streitereien komme, ohne dass die Gemeinschaft in der Folge aufgelöst werde. Die Aussagen, wie sie im Polizeirapport zu jenem Vorfall festgehalten seien, würden bestritten. Überhaupt sei der Rapport tendenziös abgefasst.  
 
3.4.  
 
3.4.1. Im erwähnten Schreiben vom 15. Juli 2020 liess der Ehemann der Beschwerdeführerin verlauten, dass sie sich in einer Trennungsphase befänden. Er habe die Erklärung betreffend die eheliche Gemeinschaft nicht unterschrieben, seine Gattin habe die Unterschrift "verfälscht". Mit Eingabe vom 15. Dezember 2020, bestätigt mit einem Schreiben vom 25. Mai 2021, erklärte er dagegen, er habe die Erklärung eigenhändig, aber nicht mit seiner richtigen Unterschrift unterzeichnet, da er seiner Gattin die Unterschrift nicht habe verweigern können. Die Beschwerdeführerin habe die Unterschrift also nicht gefälscht. Ferner führte er aus, seine damaligen Äusserungen rührten daher, dass sie sich gestritten hätten. In Tat und Wahrheit seien sie nie getrennt gewesen, und sie hätten dies auch nicht vor.  
Das Bundesverwaltungsgericht hielt diesbezüglich willkürfrei fest, dass der vom Ehemann erwähnte Streit gravierend gewesen sein müsse, denn eine Aussage, wie sie im Schreiben vom 15. Juli 2020 enthalten sei, erfolge erfahrungsgemäss nicht leichtfertig. Auch ist unter Willkürgesichtspunkten nicht zu beanstanden, dass das Bundesverwaltungsgericht das spätere Dementi in Bezug auf die in jenem Schreiben enthaltene Aussage, er und die Beschwerdeführerin befänden sich in einer Trennungsphase, als unglaubhaft einstufte. Ob dieses Dementi unter Druck erfolgte, ist letztlich belanglos. Wesentlich erscheint jedoch, dass der Ehemann seine massiven, auf die Zufügung von erheblichem Schaden gerichteten Vorwürfe erst fünf Monate später korrigierte. Dieses Verhalten zeugt von anhaltenden Spannungen in der Ehe und weckt erhebliche Zweifel an deren Belastbarkeit. 
Diese Zweifel werden durch den Polizeirapport zum Vorfall vom 8./9. Mai 2021 bestätigt. Gemäss diesem Rapport war die Kantonspolizei Zürich um zwei Uhr morgens von einer Nachbarin alarmiert worden. Vor Ort habe sich herausgestellt, dass die Beschwerdeführerin kurz zuvor vom Ausgang zurückgekehrt war, ihr Ehemann sie als Schlampe bezeichnet und sie ihm Kratzer am linken Unterarm zugefügt hatte. Der Ehemann sagte gemäss dem Rapport unter anderem aus, es komme schon seit längerer Zeit zu Auseinandersetzungen zwischen ihm und der Beschwerdeführerin. Er habe sich von ihr scheiden lassen wollen, jedoch habe sie die entsprechenden Papiere immer noch nicht unterschrieben. Die Beschwerdeführerin gab ihrerseits an, sie hätten schon seit Jahren Streit. Sie werde sich so lange nicht von ihm scheiden lassen, bis sie eingebürgert worden sei. In ihrer Beschwerde ans Bundesgericht bringt sie zwar diesbezüglich vor, sie bestreite, dass die Aussagen tatsächlich so erfolgt seien. Sie legt jedoch nicht dar, was sie bzw. ihr Ehemann damals stattdessen ausgesagt haben sollen. Ihre pauschale Bestreitung genügt den Begründungsanforderungen von Art. 42 Abs. 2 und Art. 106 Abs. 2 BGG nicht. 
 
3.4.2. Der Kritik der Beschwerdeführerin, das Bundesverwaltungsgericht habe die für eine intakte eheliche Gemeinschaft sprechenden Beweise nicht gewürdigt und dadurch den Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV) verletzt, ist unbegründet. Das Bundesverwaltungsgericht hielt fest, dass angesichts der erwähnten Vorfälle die in die Gesamtwürdigung miteinzubeziehenden weiteren Aspekte wie die Beziehungsdauer, das gemeinsame Kind, die Wohnsituation, die Referenzauskünfte sowie die eingereichten Fotos vollends in einem anderen Licht erschienen. Damit kam es seiner Begründungspflicht nach. Es reicht aus, dass das Bundesverwaltungsgericht die aus seiner Sicht wesentlichen Überlegungen aufgeführt hat. Die Beschwerdeführerin war gestützt darauf ohne Weiteres in der Lage, den Entscheid sachgerecht anzufechten (vgl. BGE 143 III 65 E. 5.2).  
 
3.4.3. Der angefochtene Entscheid überzeugt auch inhaltlich. Zusammenfassend ist in dieser Hinsicht festzuhalten, dass beide Ehegatten unabhängig voneinander und zu verschiedenen Zeitpunkten Trennungs- bzw. Scheidungsabsichten geäussert haben und zudem objektive Anhaltspunkte für gravierende Spannungen in ihrer Beziehung bestehen. Vor diesem Hintergrund verletzt es Art. 27 Abs. 1 aBüG nicht, wenn das Bundesverwaltungsgericht zum Schluss gelangte, es sei der Beschwerdeführerin nicht gelungen zu beweisen, dass zwischen ihr und ihrem Ehemann eine stabile und auf die Zukunft gerichtete eheliche Gemeinschaft im Sinne dieser Bestimmung bestehe.  
 
4.  
Die Beschwerde ist aus diesen Erwägungen abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). Es ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 68 Abs. 1 bis 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird der Beschwerdeführerin, dem Staatssekretariat für Migration und dem Bundesverwaltungsgericht, Abteilung VI, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 24. August 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Chaix 
 
Der Gerichtsschreiber: Dold