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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_892/2021  
 
 
Urteil vom 20. Oktober 2022  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Escher, präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichter Marazzi, Bovey, 
Gerichtsschreiber Buss. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Dr. Claudia Camastral und/oder Rechtsanwalt Philipp Troesch, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
1. CSS Kranken-Versicherung AG, 
2. Aquilana Versicherungen, 
3. Moove Sympany AG, 
4. Supra-1846 SA, 
5. PROVITA Gesundheitsversicherung AG, 
6. Sumiswalder Krankenkasse, 
7. CONCORDIA Schweizerische Kranken- und Unfallversicherung AG, 
8. Atupri Gesundheitsversicherung, 
9. Avenir Assurance Maladie SA, 
10. Krankenkasse Luzerner Hinterland, 
11. KPT Krankenkasse AG, 
12. ÖKK Kranken- und Unfallversicherungen AG, 
13. Vivao Sympany AG, 
14. KVF Krankenversicherung AG, 
15. Easy Sana Assurance Maladie SA, 
16. Genossenschaft Glarner Krankenversicherung, 
17. KLuG Krankenversicherung, 
18. EGK Grundversicherungen AG, 
19. sodalis gesundheitsgruppe, 
 
20. vita surselva, 
21. Caisse-maladie de la Vallée d'Entremont société coopérative, 
22. Stiftung Krankenkasse Wädenswil, 
23. Krankenkasse Birchmeier, 
24. Krankenkasse Stoffel, 
25. SWICA Krankenversicherung AG, 
26. rhenusana, 
27. Mutuel Krankenversicherung AG, 
28. AMB Assurances SA, 
29. Intras Kranken-Versicherung AG, 
30. Philos Assurance Maladie SA, 
31. Assura-Basis SA, 
32. Visana AG, 
33. Agrisano Krankenkasse AG, 
34. sana24 AG, 
35. Arcosana AG, 
36. vivacare AG, 
37. Sanagate AG, 
alle vertreten durch die tarifsuisse AG, 
und diese vertreten durch Rechtsanwalt Andreas Miescher, 
Beschwerdegegnerinnen, 
 
Betreibungsamt St. Gallen, 
Unterstrasse 14, 9001 St. Gallen. 
 
Gegenstand 
Provisorische Rechtsöffnung, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Kantonsgerichts St. Gallen, Einzelrichter für Beschwerden SchKG, 
vom 29. September 2021 (BES.2021.22-EZS1). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Am 16. März 2018 unterzeichnete A.________ einen Vergleich mit den im Rubrum aufgeführten 37 Krankenversicherern, vertreten durch die tarifsuisse AG. In dessen Ziffer 2 anerkannte die Schuldnerin gegenüber den Versicherern für nicht KVG-konforme Leistungsabrechnungen in der Zeitspanne vom 1. März 2013 bis 28. Februar 2018 eine Rückzahlungsverpflichtung von Fr. 35'000.--, zahlbar per 1. April 2019 (Abs. 1); die Rückzahlungsverpflichtung entfalle, sofern die Schuldnerin einen aktuellen Fähigkeitsausweis Schwangerschafts-ultraschall sowie ein Bestätigungsschreiben der Schweizerischen Gesellschaft für Ultraschall in der Medizin (SGUM) vorlege, wonach sämtliche Voraussetzungen zur Durchführung des Schwangerschafts-ultraschalls in den letzten fünf Jahren erfüllt gewesen seien (Abs. 2).  
 
A.b. Nachdem die Schuldnerin in der Betreibung Nr. xxx des Betreibungsamtes St. Gallen Rechtsvorschlag erhoben hatte, stellten die Gläubiger, vertreten durch die tarifsuisse AG, mit Eingabe vom 12. August 2020 ein Gesuch um provisorische Rechtsöffnung für Fr. 35'000.-- nebst 5 % Zins seit 2. April 2019. Am 8. Januar 2021 erteilte das Kreisgericht St. Gallen die provisorische Rechtsöffnung für den in Betreibung gesetzten Betrag.  
 
B.  
A.________ gelangte gegen den Rechtsöffnungsentscheid an das Kantonsgericht St. Gallen. Das Kantonsgericht wies die Beschwerde mit Entscheid vom 29. September 2021 ab. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 27. Oktober 2021 ist A.________ an das Bundesgericht gelangt. Die Beschwerdeführerin beantragt die Aufhebung des kantonsgerichtlichen Entscheids und die Abweisung des Rechtsöffnungsgesuchs. Eventuell sei die Sache an das Kantonsgericht St. Gallen zurückzuweisen. 
Mit Verfügung vom 12. November 2021 ist der Beschwerde die aufschiebende Wirkung erteilt worden. 
Die Krankenversicherer (nachfolgend: Beschwerdegegnerinnen) beantragen die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf eingetreten werden könne. Das Kantonsgericht hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist der Entscheid einer letzten kantonalen Instanz, die als Rechtsmittelbehörde über die provisorische Rechtsöffnung entschieden hat. Die gesetzliche Streitwertgrenze wird erreicht. Die Beschwerde in Zivilsachen ist gegeben (Art. 72 Abs. 2 lit. a, Art. 74 Abs. 1 lit. b und Art. 75 Abs. 1 BGG). 
 
2.  
Mit der vorliegenden Beschwerde kann insbesondere die Verletzung von Bundesrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). In der Beschwerde ist in gedrängter Form darzulegen, inwiefern der angefochtene Entscheid Recht verletzt (Art. 42 Abs. 2 BGG; BGE 143 I 377 E. 1.2). Die Verletzung verfassungsmässiger Rechte ist ebenfalls zu begründen, wobei hier das Rügeprinzip gilt (Art. 106 Abs. 2 BGG; BGE 142 III 364 E. 2.4). 
 
3.  
Die Schuldnerin hat sich im kantonalen Verfahren unter anderem auf den Standpunkt gestellt, dass der als Rechtsöffnungstitel eingereichte Vergleich nicht rechtsgültig zu Stande gekommen sei, weil er seitens der tarifsuisse AG einerseits von einer Person (B.________) unterzeichnet worden sei, welche keine Zeichnungsberechtigung besessen habe, und andererseits vom Geschäftsführer (C.________), der gemäss Handelsregister nur kollektivzeichnungsberechtigt gewesen sei. Die Vorinstanz hat der Beschwerdeführerin insoweit beigepflichtet, dass es entgegen der Auffassung der Erstinstanz grundsätzlich sehr wohl eine Rolle spiele, ob die Personen, die den Vergleich für die tarifsuisse AG unterzeichnet haben, zu deren Vertretung ermächtigt waren. Die Vorinstanz ist jedoch in der Folge zum Schluss gelangt, dass der Vergleich nachträglich genehmigt worden ist, so dass er jedenfalls aus diesem Grund gültig und verbindlich sei, und als Rechtsöffnungstitel anerkannt werden könne. 
 
4.  
Nicht stichhaltig ist die Rüge der Beschwerdeführerin, die Vorinstanz habe ihr Anspruch auf rechtliches Gehör verletzt, weil sie ihr keine Gelegenheit gegeben habe, sich zur ins Auge gefassten neuen Begründung zu äussern. Die Beschwerdegegnerinnen haben in ihrer vorinstanzlichen Beschwerdeantwort vom 30. April 2021 ausdrücklich auch argumentiert, dass das prozessuale Verhalten der tarifsuisse AG (als Vertreterin der Beschwerdegegnerinnen) nur als unwiderrufliche Genehmigung des Vergleichs im Sinne von Art. 38 Abs. 1 OR verstanden werden kann und die Beschwerdeführerin hat zu dieser Argumentation in der Folge ausdrücklich Stellung genommen. Bereits deshalb kann die vorinstanzliche Begründung nicht als unvorhersehbar bezeichnet werden. Folglich bedurfte es auch keiner nochmaligen Anhörung der Beschwerdeführerin. 
 
5.  
 
5.1. Beruht die Forderung auf einer durch öffentliche Urkunde festgestellten oder durch Unterschrift bekräftigten Schuldanerkennung, so kann der Gläubiger die provisorische Rechtsöffnung verlangen (Art. 82 Abs. 1 SchKG). Der Richter spricht dieselbe aus, sofern der Betriebene nicht Einwendungen, welche die Schuldanerkennung entkräften, sofort glaubhaft macht (Art. 82 Abs. 2 SchKG). Provisorische Rechtsöffnung kann auch erteilt werden auf Grund einer Schuldanerkennung eines Arztes gegenüber einer Krankenkasse für eine Rückforderung wegen nicht KVG-konformer Leistungsabrechnung (vgl. BGE 135 V 124 E. 4; STAEHELIN, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, 3. Aufl. 2021, N. 46 zu Art. 82 SchKG).  
 
5.2. Die Parteien und die Vorinstanz gehen zu Recht darin einig, dass sich das Zustandekommen des Vergleichs im Lichte der - zumindest analog anwendbaren - obligationenrechtlichen Regelung der Stellvertretung beurteilt.  
 
5.2.1. Vorliegend haben die Beschwerdegegnerinnen im erstinstanzlichen Verfahren trotz Bestreitung der Vertretungsbefugnis durch die Schuldnerin nicht belegt, dass B.________, welche den Vergleich für die tarifsuisse AG als Vertreterin der Beschwerdegegnerinnen mitunterzeichnet hat, handlungsbevollmächtigt war.  
 
5.2.2. Hat jemand, ohne dazu ermächtigt zu sein, als Stellvertreter einen Vertrag abgeschlossen, so wird der Vertretene nur dann Gläubiger oder Schuldner, wenn er den Vertrag genehmigt (Art. 38 Abs. 1 OR). Die nachträgliche Genehmigung ersetzt die fehlende Vollmacht (Urteile 9C_495/2015 vom 17. Juni 2016 E. 5.2.2; 2C_662/2013 vom 2. Dezember 2013 E. 3.3, in: StR 69/2014 S. 231; 4A_107/2010 vom 3. Mai 2010 E. 2.3). Art. 38 Abs. 1 OR ist nach der Rechtsprechung analog auf Organe juristischer Personen anwendbar (BGE 128 III 129 E. 2b; Urteile 5A_701/2016 vom 6. April 2017 E. 6.4; 4A_87/2011 vom 16. Mai 2011 E. 2.1). Die Genehmigung ist ein einseitiges, empfangsbedürftiges Rechtsgeschäft. Sie ist grundsätzlich an keine Form gebunden und kann insbesondere auch durch prozessuale und vollstreckungsrechtliche Mittel (Klage auf Leistung, Einleitung einer Betreibung usw.) zum Ausdruck gebracht werden (vgl. BGE 101 II 222 E. 6b/bb; ZÄCH/KÜNZLER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 2014, N. 49 zu Art. 38 OR; KLEIN, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2020, N. 101 zu Art. 38 OR; WATTER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht I, 7. Aufl. 2020, N. 6 zu Art. 38 OR). Mit der Genehmigung kommt das Geschäft - eine anderslautende Parteivereinbarung vorbehalten - rückwirkend auf den Zeitpunkt seines Abschlusses zustande (Urteil 4A_107/2010 vom 3. Mai 2010 E. 2.3; CHAPPUIS, in: Commentaire romand, Code des obligations I, 3. Aufl. 2021, N. 9 zu Art. 38 OR; KLEIN, a.a.O., N. 92 zu Art. 38 OR; ZÄCH/KÜNZLER, a.a.O., N. 73 zu Art. 38 OR; WATTER, a.a.O., N. 8 zu Art. 38 OR).  
 
5.2.3. Bezogen auf den vorliegenden Fall bedeutet dies, dass sich die Beschwerdeführerin einer Inanspruchnahme aus dem Vergleich durch die Beschwerdegegnerinnen nicht unter Berufung darauf entziehen kann, dass B.________, die den Vergleich für die tarifsuisse AG als Vertreterin der Beschwerdegegnerinnen mitunterzeichnet hat, nicht gehörig bevollmächtigt gewesen sei, da die Einleitung der Betreibung bei einem allfälligen Fehlen der Vollmacht eine Genehmigung darstellen würde. Die Beschwerdeführerin war, wollte sie nicht länger gebunden sein, allein befugt, eine Frist im Sinne von Art. 38 Abs. 2 OR anzusetzen. Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerin unschädlich ist, dass sich die Beschwerdegegnerinnen im erstinstanzlichen Verfahren nicht ausdrücklich auf eine Genehmigung des Vergleichs berufen haben. Vom Novenverbot des Art. 326 Abs. 1 ZPO erfasst werden nur Tatfragen, nicht aber Rechtsfragen (Urteil 5A_136/2020 vom 2. April 2020 E. 3.5.2; SUTTER-SOMM/SEILER, Handkommentar zur Schweizerischen Zivilprozessordnung, 2021, N. 3 zu Art. 326 ZPO). Indem die Beschwerdegegnerinnen vor Kantonsgericht darauf hingewiesen haben, dass spätestens die Einleitung der Betreibung als Genehmigungshandlung im Sinne von Art. 38 Abs. 1 OR zu werten ist, haben sie kein unzulässiges Novum vorgebracht, sondern betreffend die von ihnen nie in Frage gestellte Gültigkeit des Vergleichs eine neue rechtliche Begründung präsentiert. Da die Genehmigungshandlung zudem klar aus den Akten hervorgeht, hat die Vorinstanz kein Bundesrecht verletzt, wenn sie den von der Beschwerdeführerin erhobenen Einwand der Unwirksamkeit des als Rechtsöffnungstitel eingereichten Vergleichs verworfen hat.  
 
5.3. Weitere Einwände gegen die Erteilung der Rechtsöffnung hat die Beschwerdeführerin bereits im kantonsgerichtlichen Verfahren nicht mehr vorgebracht.  
6.  
Aus den dargelegten Gründen ist der Beschwerde kein Erfolg beschieden. Ausgangsgemäss hat die Beschwerdeführerin die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG) und den anwaltlich vertretenen Beschwerdegegnerinnen eine Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 1 und 2 BGG; BGE 119 V 448 E. 6b). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
3.  
Die Beschwerdeführerin hat die Beschwerdegegnerinnen für das bundesgerichtliche Verfahren mit insgesamt Fr. 3'000.-- zu entschädigen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Betreibungsamt St. Gallen und dem Kantonsgericht St. Gallen, Einzelrichter für Beschwerden SchKG, mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 20. Oktober 2022 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Escher 
 
Der Gerichtsschreiber: Buss