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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
7B_167/2022  
 
 
Urteil vom 13. November 2023  
 
II. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Abrecht, Präsident, 
Bundesrichter Hurni, Kölz, 
Gerichtsschreiber Schurtenberger. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Cornel Borbély, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat, Stauffacherstrasse 55, Postfach, 8036 Zürich. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren (qualifizierte grobe Verletzung der Verkehrsregeln); Ausstand, 
 
Beschwerde gegen den Beschluss des Obergerichts 
des Kantons Zürich, II. Strafkammer, vom 16. Mai 2022 (SB200164-O/Z13/cs). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Mit Urteil des Bezirksgerichts Andelfingen vom 6. September 2019 wurde A.________ wegen qualifizierter grober Verletzung der Verkehrsregeln (Art. 90 Abs. 3 SVG) zu einer bedingt zu vollziehenden Gefängnisstrafe von einem Jahr verurteilt. Anlässlich der Berufungsverhandlung vom 1. Dezember 2020 beschloss das Obergericht des Kantons Zürich, ein Gutachten betreffend die Geschwindigkeitsmessung einzuholen. Mit der Erstattung des Gutachtens wurde Dr.-Ing. B.________ beauftragt. Für die Erstattung des Gutachtens wurden Testfahrten mit dem Originalradargerät auf dem Flughafen Dübendorf organisiert, wofür der Gutachter Mitarbeiter der Kantonspolizei Zürich als Hilfspersonen beizog. 
 
B.  
Mit Schreiben vom 5. Januar 2022 beantragte A.________, sämtliche Mitarbeiter der Kantonspolizei Zürich und insbesondere deren Verkehrsabteilung hätten im Rahmen der Begutachtung von Dr.-Ing. B.________ in den Ausstand zu treten. Zudem seien sämtliche bisher im Rahmen der Begutachtung erfolgten Arbeiten der Mitarbeiter der Kantonspolizei und insbesondere deren Verkehrsabteilung als nichtig zu erklären. Mit Beschluss vom 16. Mai 2022 wies das Obergericht des Kantons Zürich das Ausstandsbegehren ab. 
 
C.  
Dagegen erhob A.________ mit Eingabe vom 17. Juni 2022 beim Bundesgericht Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt die Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und die Gutheissung seines Ausstandsbegehrens. 
Die Vorinstanz hat auf eine Vernehmlassung verzichtet. Die Staatsanwaltschaft hat mit Eingabe vom 21. August 2022 eine Vernehmlassung eingereicht. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der angefochtene Beschluss des Obergerichts schliesst das derzeit in zweiter Instanz hängige Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer nicht ab. Es handelt sich um einen selbstständig eröffneten, kantonal letztinstanzlichen Zwischenentscheid über ein Ausstandsbegehren, gegen den die Beschwerde in Strafsachen nach Art. 92 Abs. 1 BGG offensteht. Der Beschwerdeführer ist als beschuldigte Person zur Beschwerde gegen die Abweisung des von ihm gestellten Ausstandsgesuchs berechtigt (siehe Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 1 BGG). 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer begründete sein Ausstandsbegehren vor der Vorinstanz zusammengefasst damit, es seien die Ausstandsgründe von Art. 56 lit. a (Eigeninteresse), lit. b (Vorbefassung) sowie lit. f (andere Gründe) StPO erfült. Die Verkehrsabteilung der Kantonspolizei Zürich sei unter anderem für den Aufbau der Messanlage verantwortlich. Deren Ausgestaltung habe selbstredend einen entscheidenden Einfluss auf das Resultat der Messresultate. Da es um die Frage der Messkorrektheit eines Geräts der Kantonspolizei gehe, bestehe bei dieser und deren Mitarbeitern (insbesondere der Verkehrsabteilung) mindestens der Anschein, dass diese ein Interesse am Ausgang der Begutachtung habe. Die Kantonspolizei Zürich habe in diesem Verfahren als der Staatsanwaltschaft unterstellte Behörde agiert und deren Aufträge ausgeführt. Gemäss Bundesgericht bestehe demzufolge eine Unterordnungsbeziehung von Polizei zu Staatsanwaltschaft, was den Anschein von Abhängigkeit und/oder Parteilichkeit erwecke.  
 
2.2. Die Vorinstanz hält diesbezüglich unter anderem fest, der Beizug von Kantonspolizisten zur Durchführung der Testfahren sei nachvollziehbar, da diese für die Aufstellung dieser Geräte geschult seien. Die Mitwirkung an der Installation einer Anlage bewirke nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts noch keine Befangenheit. Sodann sei das Gutachten aufgrund von automatisierter Daten zu erstellen, welche in den Fahrzeugen und vom aufgestellten Radarmessgerät aufgezeichnet worden seien. Es sei nicht ersichtlich, inwiefern die anwesenden Kantonspolizisten in irgendeiner Art und Weise diese Messungen hätten beeinflussen können. Es stehe auch nicht zur Diskussion, dass sie ursprünglich Daten manipuliert hätten oder die Polizei einen Fehler gemacht habe, sondern es gehe darum, was aus den automatisiert aufgezeichneten Daten geschlossen werden könne, womit die Kantonspolizisten nichts zu tun hätten. Diese Schlussfolgerungen seien durch den Gutachter in seinem Gutachten zu ziehen. Zudem sei nicht ersichtlich, inwiefern sie ein eigenes Interesse am Ausgang des Verfahrens haben könnten, da der Kantonspolizei nicht vorgeworfen werde, einen Fehler gemacht zu haben, sondern die technische Aufzeichnung des Geräts zu analysieren sei. Das Verfahren erscheine durch die Mitwirkung der Kantonspolizisten bei den Testfahrten nicht als vorbestimmt.  
 
3.  
Der Beschwerdeführer rügt zunächst eine Verletzung von Art. 56 lit. b StPO (Vorbefassung). Er meint, die Kantonspolizei sei vor und während der Messung vom 25. Januar 2022 massgeblich involviert gewesen. 
Der Beschwerdeführer verkennt, dass nach der bundesgerichtlichen Praxis Ausstandsbegehren sich stets nur gegen Personen und nicht gegen Behörden richten können. Nur die für eine Behörde tätigen Personen können befangen sein (BGE 139 I 121 E. 4.3; 137 V 210 E. 1.3.3). Ein formal gegen eine Gesamtbehörde gerichtetes Ersuchen kann jedoch unter Umständen als Ausstandsbegehren gegen alle Einzelmitglieder der Behörde entgegengenommen werden. Voraussetzung ist, dass aufgezeigt wird, weshalb jedes Mitglied der Behörde einzeln im konkreten Fall befangen sein soll (zum Ganzen Urteil 1B_240/2021 vom 8. Februar 2022 E. 3.2.1). 
Die Staatsanwaltschaft hat vor der Vorinstanz ausgeführt, bei der Erstellung des Gutachtens seien andere Mitarbeiter der Kantonspolizei im Einsatz gewesen als bei der angefochtenen Messung. Etwas anderes wird auch vom Beschwerdeführer nicht behauptet. Dieser bringt vor Bundesgericht einzig vor, die Kantonspolizei (als Behörde) respektive deren Verkehrsabteilung sei bereits vor der Erstellung des Gutachtens für die Staatsanwaltschaft im fraglichen Verfahren tätig gewesen. Dies ist nach dem Gesagten indessen nicht ausreichend, um eine Vorbefassung im Sinne von Art. 56 lit. b StPO der einzelnen Mitglieder der Behörde zu begründen. 
 
4.  
Der Beschwerdeführer bringt weiter vor, der angefochtene Entscheid verletzte Art. 56 lit. a StPO. Die Kantonspolizei habe ein klares Eigeninteresse am Ausgang der Begutachtung. 
Auch diesbezüglich verkennt der Beschwerdeführer, dass nicht ein allfälliges Eigeninteresse der Kantonspolizei als Behörde, sondern einzig ein allfälliges Eigeninteresse der involvierten Beamten einen Ausstandsgrund nach Art. 56 lit. a StPO zu begründen vermag (vgl. E. 3 hiervor). 
Im Übrigen ist die nicht weiter substanziierte Behauptung des Beschwerdeführers, eine mögliche gutachterliche Feststellung, wonach der Radar-Messgerätetyp generell ungenau oder untauglich sei, würde "die Arbeit der Verkehrsabteilung beziehungsweise der Kantonspolizei Zürich nachhaltig reputativ schädigen", ohnehin nicht geeignet, ein Eigeninteresse im Sinne von Art. 56 lit. a StPO darzulegen, zumal gemäss dem für das Bundesgericht verbindlich festgestellten Sachverhalt keine Anzeichen hierfür vorliegen. 
 
5.  
Schliesslich rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung von Art. 56 lit. f StPO. Die Kantonspolizei respektive deren Verkehrsabteilung habe im vorliegenden Verfahren als der Staatsanwaltschaft unterstellte Behörde agiert und deren Aufträge ausgeführt. Insofern bestehe ein Unterstellungsverhältnis, welches den Anschein einer Abhängigkeit und/oder Parteilichkeit begründe. 
Der Beschwerdeführer übersieht, dass die in Frage stehenden Polizisten gerade nicht im Auftrag der Staatsanwaltschaft ermittelten (vgl. Art. 15 Abs. 2 StPO), sondern von dem mit der Erstattung des Gutachtens im Sinne von Art. 183 StPO betrauten Sachverständigen Dr.-Ing. B.________ als Hilfspersonen beigezogen wurden und einzig diesem unterstellt waren. Insoweit bestand gerade kein Unterordnungsverhältnis zur Staatsanwaltschaft. 
Nach der Rechtsprechung können Mitarbeiter der wissenschaftlichen und kriminaltechnischen Dienste der Polizeikorps unter gewissen Voraussetzungen als Sachverständige im Sinne von Art. 183 Abs. 2 StPO eingesetzt werden. Vorausgesetzt ist, dass sie im betreffenden Fall bei den polizeilichen Ermittlungen im Sinne von Art. 306 ff. StPO nicht eigentlich polizeiliche Funktionen wahrnehmen und sich ihre Tätigkeit auf Funktionen innerhalb dieser Spezialdienste beschränkt (Urteil 6B_619/2014 vom 4. November 2014 E. 1.5 mit Hinweisen). Dies ist hier der Fall (siehe E. 3 hiervor). 
 
6.  
Nach dem Gesagten ist die Beschwerde abzuweisen. Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind die Gerichtskosten dem Beschwerdeführer aufzuerlegen und ist keine Parteientschädigung zuzusprechen (Art. 66 und Art. 68 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft Zürich-Limmat und dem Obergericht des Kantons Zürich, II. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 13. November 2023 
 
Im Namen der II. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Abrecht 
 
Der Gerichtsschreiber: Schurtenberger