Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
Urteilskopf

149 III 422


51. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG und Mitb. gegen C. S.A. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_465/2022 / 4A_467/2022 vom 30. Mai 2023

Regeste

Art. 260 SchKG; bedingte Abtretung.
Prozessführungsbefugnis des Abtretungsgläubigers bei einer bedingten Abtretung (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 423

BGE 149 III 422 S. 423

A. Am 23. September 2015 reichte die C. S.A. (Klägerin, Beschwerdegegnerin) bei der International Chamber of Commerce (ICC) einen Request for Arbitration gegen die E. AG ein. Mit Schiedsentscheid vom 5. September 2017 hiess das ICC Schiedsgericht die Klage teilweise gut und verurteilte die E. AG zur Zahlung von USD 4'756'629.- zuzüglich Zinsen, während die Klägerin ihrerseits zur Zahlung von USD 192'812.- samt Zinsen an die E. AG verpflichtet wurde. Nach Verrechnung der Forderungen bezifferte die Klägerin den ihr zustehenden Betrag auf umgerechnet Fr. 5'034.078.30. Für diesen Betrag zuzüglich Zins erteilte das Kantonsgericht Zug der Klägerin mit Entscheid vom 12. Februar 2018 die definitive Rechtsöffnung.
Am 25. April 2018 wurde über die E. AG der Konkurs eröffnet. Die Klägerin meldete im Konkurs eine Forderung von Fr. 5'883'942.33 im dritten Rang zur Kollokation an. Mit Verfügung vom 10. Februar 2020 trat das Konkursamt F. die Verantwortlichkeitsansprüche gegen die Organe der E. AG und mit Verfügung vom 22. Juni 2020 die Rückforderungsansprüche gegen die Aktionäre der E. AG an die Klägerin ab.

B. Am 30. September 2020 reichte die Klägerin als Abtretungsgläubigerin der E. AG eine Klage am Handelsgericht des Kantons Zürich ein. Die Klage richtete sich gegen drei Beklagte:
(1) Die A. AG (bis Ende 2016: E. Holding AG; Beklagte 1; Beschwerdeführerin 1), die Alleinaktionärin der E. AG,
(2) B. (Beklagter 2; Beschwerdeführer 2), Verwaltungsratspräsident bzw. einziger Verwaltungsrat und Geschäftsführer der E. AG und gleichzeitig einziger Verwaltungsrat und Geschäftsführer der Beklagten 1, sowie
(3) die D. AG (Beklagte 3; Beschwerdeführerin 3), die Revisionsstelle der E. AG.
Die Klägerin stellte sich vor Handelsgericht zusammengefasst auf den Standpunkt, die E. AG habe verschiedene Geschäfte in den Geschäftsbüchern nicht korrekt abgebildet. Insbesondere habe sie (1) für die von der Klägerin bei der ICC eingereichte Schiedsklage zu wenig Rückstellungen gebildet, (2) den Kostenvorschuss für das Schiedsverfahren unzulässigerweise erfolgsneutral verbucht und (3) eine Forderung von USD 1'845'980.64 gegenüber G. Ltd., einer vermögenslosen Zweckgesellschaft, aktiviert, die keinerlei Erfolgsaussichten hatte. Vor diesem Hintergrund hätten der Beklagte 2 als Verwaltungsrat und die Beklagte 3 als Revisionsstelle der E. AG in den
BGE 149 III 422 S. 424
Geschäftsjahren 2015 und 2016 die Ausschüttung von Dividenden bzw. von zu hohen Dividenden ungerechtfertigt veranlasst und zugelassen. Den daraus entstandenen Schaden von Fr. 3'699'578.55 samt Zinsen wolle sie mittels Verantwortlichkeitsklage nach Art. 754 ff. OR gegen den Beklagten 2 (Verwaltungsrat) und die Beklagte 3 (Revisionsstelle) sowie mittels einer Rückerstattungsklage nach Art. 678 Abs. 1 OR von der Beklagten 1 (Aktionärin) erhältlich machen.
Mit Urteil vom 13. September 2022 hiess das Handelsgericht die Klage teilweise gut. Es verpflichtete die Beklagten 1, 2 und 3 solidarisch, der Klägerin Fr. 1'805'495.45 samt Zinsen zu bezahlen (Dispositivziffer 1). Im Mehrbetrag wies es die Klage ab (Dispositivziffer 2), setzte die Gerichtsgebühr auf Fr. 57'800.- fest (Dispositivziffer 3), auferlegte die Kosten je zur Hälfte der Klägerin und den Beklagten (Dispositivziffer 4) und schlug die Parteientschädigungen wett (Dispositivziffer 5).
Das Handelsgericht kam zusammengefasst zum Schluss, die E. AG habe für das hängige Schiedsverfahren zu wenig Rückstellungen gebildet, sie habe den Kostenvorschuss an das ICC Schiedsgericht unzulässigerweise erfolgsneutral verbucht und sie hätte die Forderung gegenüber der G. Ltd. nicht aktivieren dürfen. Der Beklagte 2 und die Beklagte 3 hafteten dafür aus aktienrechtlicher Verantwortlichkeit im Sinne von Art. 754 Abs. 1 bzw. Art. 755 Abs. 1 OR. Ebenso seien die Voraussetzungen von Art. 678 OR erfüllt: Die an die Beklagte 1 für das Geschäftsjahr 2015 und 2016 ausgeschütteten Dividenden überschritten in Verletzung von Art. 675 Abs. 2 OR die Grenze des Zulässigen, und die Beklagte 1 habe die Dividenden ungerechtfertigt sowie im bösen Glauben bezogen.

C. Dagegen erheben die Beschwerdeführerin 1 und der Beschwerdeführer 2 (Verfahren 4A_467/2022) sowie die Beschwerdeführerin 3 (Verfahren 4A_465/2022) Beschwerde in Zivilsachen an das Bundesgericht.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Die Beschwerdegegnerin erhebt als Abtretungsgläubigerin nach Art. 260 SchKG Klage gegen die Beschwerdeführer. Diese stellen die Klagelegitimation der Beschwerdegegnerin in Frage, da deren Forderung im Urteilszeitpunkt im Konkurs der E. AG nur provisorisch kolloziert gewesen sei.
BGE 149 III 422 S. 425

3.1 Unbestritten ist, dass die Konkursforderung der Beschwerdegegnerin im Konkurs der E. AG im Zeitpunkt des Urteils der Vorinstanz nicht definitiv kolloziert war. Die Gründe für die fehlende definitive Kollokation sind im angefochtenen Entscheid nicht festgestellt. Nicht bestritten ist ferner, dass das Konkursamt F. der Beschwerdegegnerin die Verantwortlichkeitsansprüche gegen die Organe der E. AG und die Rückforderungsansprüche gegen die Aktionäre der E. AG gemäss Art. 260 SchKG abtrat (Sachverhalt Bst. A). Die Abtretung erfolgte unbestrittenermassen unter einer Bedingung. Zu Recht wird nicht in Frage gestellt, dass das Konkursamt die Abtretungen nach Art. 260 SchKG mit einer Bedingung versehen durfte (dazu: Urteile 7B.206/2005 vom 2. Februar 2006 E. 4; 7B.94/2003 vom 24. Juni 2003 E. 5.1).

3.2 In einem solchen Fall kann es unter Umständen zweckmässig sein, den Abtretungsprozess zu sistieren, bis definitiv über die Kollokation entschieden ist (Art. 126 ZPO; vgl. auch BGE 128 III 291 E. 4c/aa; 50 III 19 E. 2 S. 21; 48 III 88 S. 90 f.; 43 III 73 E. 1c S. 76 f.). Insbesondere kann es für den bedingt zugelassenen Abtretungsgläubiger allenfalls vorteilhaft sein, eine Sistierung des Abtretungsprozesses zu beantragen, da er sonst Gefahr läuft, im Falle der definitiven Abweisung seiner Konkursforderung das Prozessrisiko getragen zu haben, ohne jedoch am Prozessgewinn beteiligt zu sein (BGE 128 III 291 E. 4c/aa; 50 III 19 E. 2 S. 21; RALF C. SCHLAEPFER, Abtretung streitiger Rechtsansprüche im Konkurs, 1990, S. 88).
Im vorliegenden Fall verlangten die beklagten Beschwerdeführer, nicht hingegen die klagende Beschwerdegegnerin (die Abtretungsgläubigerin), vor der Vorinstanz die Sistierung des Verfahrens bis zur definitiven Kollokation. Mit Zwischenverfügung vom 25. März 2021 lehnte die Vorinstanz die Sistierung des Verfahrens ab. In dieser Zwischenverfügung ging die Vorinstanz von auflösend bedingten Abtretungen nach Art. 260 SchKG aus, was die Beschwerdeführer vor Bundesgericht nicht in Frage stellen, zumindest nicht hinreichend (nicht publ. E. 2.1).
Die Vorinstanz kam in der Zwischenverfügung zum Schluss, es sei unbestritten, dass die Konkursforderung der Beschwerdegegnerin (noch) nicht definitiv kolloziert sei. Es lägen aber keine Anhaltspunkte vor, welche eine definitive Kollokation unwahrscheinlich erscheinen liessen. Das Prozessführungsrecht der klagenden Beschwerdegegnerin würde erst dann entfallen, wenn sie in einem den Konkurs
BGE 149 III 422 S. 426
der E. AG betreffenden Kollokationsverfahren/-plan (ganz oder teilweise) definitiv nicht zugelassen würde. Im Falle einer solchen späteren, definitiven Nichtkollokation der Forderung der Beschwerdegegnerin entstünden für die Beschwerdeführer keine relevanten Nachteile, die ohnehin nicht konkret geltend gemacht würden, da die Beschwerdegegnerin für die Prozesskosten hafte und einen allfälligen Prozessgewinn vollumfänglich an die Konkursmasse abzuliefern habe. Die Sistierung des Verfahrens erscheine daher nicht zweckmässig.
Diese Zwischenverfügung wurde nicht angefochten, weshalb die Vorinstanz das Verfahren fortsetzte. Im angefochtenen Entscheid lehnte die Vorinstanz die Sistierung unter Verweis auf die Zwischenverfügung erneut ab und erwog, der Umstand, dass die Beschwerdegegnerin im Konkurs der E. AG mit ihrer Forderung (weiterhin) nicht definitiv kolloziert sei, stehe dem Eintreten auf die Klage nicht entgegen.

3.3 Vor Bundesgericht machen die Beschwerdeführer nicht mehr geltend, die Vorinstanz hätte das Verfahren sistieren müssen oder das bundesgerichtliche Verfahren sei zu sistieren, sodass diese Fragen nicht beurteilt zu werden brauchen. Vielmehr stellen sie sich vor Bundesgericht auf den Standpunkt, dass der Beschwerdegegnerin die Aktivlegitimation bzw. die Prozessführungsbefugnis fehle, weil ihre Konkursforderung nicht definitiv kolloziert sei. Werde, wie vorliegend, die Klage gutgeheissen, so seien die beklagten Beschwerdeführer zur Leistung an die Beschwerdegegnerin verpflichtet, die ihren Sitz in Polen habe. Würde nun nachträglich die Konkursforderung der Beschwerdegegnerin dahinfallen und wäre die Zahlung nach Polen bereits erfolgt, ginge die Konkursmasse leer aus, obwohl ein gutheissendes Urteil in Prozessstandschaft für die Konkursmasse vorliegen würde. Die Konkursmasse müsste also gegen die polnische Gesellschaft klagen, was aufgrund der aktuellen Lage in Polen "aussichtslos" sei. Dies sei nicht die Absicht des Gesetzgebers gewesen und widerspreche dem Sinn und Zweck von Art. 260 SchKG. Die Abtretung diene dazu, das zur Masse gehörende Vermögen im Interesse der Gesellschaftsgläubiger erhältlich zu machen. Mit diesem Zweck lasse es sich nicht vereinbaren, dass ein Dritter, dessen Kollokation nachträglich wegfallen könne, einen zur Masse gehörenden Vermögenswert erhalte. Hinzu komme das Interesse der Beschwerdeführer, das Risiko einer Doppelzahlung zu vermeiden. Sie
BGE 149 III 422 S. 427
könnten sich durch die Zahlung an die (nachträglich als Berechtigte weggefallene) Beschwerdegegnerin nicht gültig befreien.

3.4

3.4.1 Bei der "Abtretung" nach Art. 260 SchKG handelt es sich um ein betreibungs- und prozessrechtliches Institut sui generis, mit dem die Prozessführungsbefugnis übertragen wird. Der Abtretungsgläubiger handelt im Prozess zwar im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und auf eigenes Risiko, er wird aber durch die Abtretung nicht Träger des abgetretenen Anspruchs (BGE 146 III 441 E. 2.5.1; BGE 145 III 101 E. 4.1.1; Urteil 5A_651/2020 vom 12. August 2021 E. 3.3.2). Der Prozess, der gestützt auf eine Abtretung im Sinne von Art. 260 SchKG geführt wird, dient dazu, der Konkursmasse zu Aktiven zu verhelfen, was nichts daran ändert, dass das Ergebnis bei der Verteilung in erster Linie demjenigen zugute kommt, der das Risiko des Prozesses eingeht (Art. 260 Abs. 2 SchKG; BGE 145 III 101 E. 4.1.1; BGE 132 III 342 E. 2.2). Der Abtretungsgläubiger kann dabei Leistung direkt an sich selbst verlangen (BGE 146 III 441 E. 2.5.1; BGE 139 III 391 E. 5.1; Urteile 4A_210/2010 und andere vom 1. Oktober 2010 E. 7.2.2, nicht publ. in: BGE 136 III 502; 4A_174/2007 vom 13. September 2007 E. 3.3).

3.4.2 Das Recht, die Abtretung eines Anspruches nach Art. 260 SchKG zu verlangen, ergibt sich von Gesetzes wegen (ex lege) aus der Stellung als kollozierter Gläubiger. Danach hat jeder im Kollokationsplan aufgeführte Gläubiger das Recht, die Abtretung eines Anspruches der Konkursmasse zu verlangen und zu erhalten, solange seine Forderung nicht rechtskräftig aus dem Kollokationsplan entfernt worden ist (BGE 145 III 101 E. 4.1.1; BGE 138 III 628 E. 5.3.2; EVA BACHOFNER, in: Basler Kommentar, Bundesgesetz über Schuldbetreibung und Konkurs, Bd. II, 3. Aufl. 2021, N. 39 zu Art. 260 SchKG). Das Recht, eine Abtretung nach Art. 260 SchKG zu verlangen, setzt somit nicht voraus, dass die Forderung bereits definitiv im Kollokationsplan zugelassen, sondern dass sie noch nicht endgültig aus dem Kollokationsplan entfernt worden ist. Andernfalls bestünde die Gefahr, dass der Anspruch bereits untergegangen ist, bevor über den Kollokationsstreit überhaupt rechtskräftig entschieden wurde, z.B. infolge kurzer Verjährungsfristen (vgl. BGE 48 III 88 S. 91; SCHLAEPFER, a.a.O., S. 88 f.).

3.4.3 In diesem Sinn hat das Bundesgericht bereits im Jahr 1922 entschieden, dass einem abgewiesenen Gläubiger eine bedingte Abtretung nach Art. 260 SchKG nicht verwehrt werden kann, wenn er
BGE 149 III 422 S. 428
den abschlägigen Kollokationsentscheid angefochten hat (BGE 48 III 88 S. 90 f. bestätigt in BGE 90 III 86 E. 1 S. 88 und BGE 128 III 291 E. 4c/aa). Weiter wurde etwa festgehalten, dass ein Gläubiger, dessen Forderung im Zeitpunkt der Konkurseröffnung Gegenstand eines Prozesses war (Art. 63 Abs. 1 der Verordnung vom 13. Juli 1911 über die Geschäftsführung der Konkursämter [KOV; SR 281.32]) und deshalb im Kollokationsplan lediglich pro memoria vorgemerkt ist, gleich wie andere nicht definitiv zugelassene Gläubiger, eine bedingte Abtretung verlangen kann (BGE 128 III 291 E. 4c/aa; AMONN/ WALTHER, Grundriss des Schuldbetreibungs- und Konkursrechts, 9. Aufl. 2013, § 47 Rz. 48).
Grundsätzlich kann somit jeder Gläubiger, der seine Forderung im Konkurs angemeldet hat, und dessen Forderung noch nicht definitiv abgewiesen wurde, die Abtretung der Forderung im Sinne von Art. 260 SchKG verlangen. Da die Forderung in diesen Fällen aber noch nicht rechtskräftig anerkannt ist, darf die Abtretung im Sinne von Art. 260 SchKG nicht unbedingt erfolgen. Vielmehr wird die Abtretung entsprechend der rechtlichen Situation unter einer Bedingung ausgestellt, nämlich unter einer resolutiven Bedingung (vgl. BGE 48 III 88 S. 90; Urteil 7B.206/2005 vom 2. Februar 2006 E. 4; PIERRE-ROBERT GILLIÉRON, Commentaire de la loi fédérale sur la poursuite pour dettes et la faillite, 2001, N. 42 zu Art. 260 SchKG). Wird dem Gläubiger das Abtretungsrecht nach Art. 260 SchKG resolutiv bedingt eingeräumt, ist die Abtretung sofort (voll) wirksam. Sie verliert ihre Wirksamkeit im Zeitpunkt des Bedingungseintritts (vgl. Art. 154 Abs. 1 OR), d.h. vorliegend im Zeitpunkt der definitiven Nichtkollokation. Bis zum rechtskräftigen Entscheid über die Kollokation ist die resolutiv bedingte Abtretung nicht anders zu behandeln als eine unbedingte (MATTHIAS HÄUPTLI, in: Kommentar zur Verordnung über die Geschäftsführung der Konkursämter [KOV], Milani/Wohlgemuth [Hrsg.], 2016, N. 23 zu Art. 80 KOV).

3.4.4 Ein Gläubiger, der gestützt auf eine solche bedingte Abtretung nach Art. 260 SchKG als Prozessstandschafter im obigen Sinn prozessiert, tut dies auf eigenes Risiko (Urteil 7B.94/2003 vom 24. Juni 2003 E. 5.1): Wird die Konkursforderung des Abtretungsgläubigers im Kollokationsprozess rechtskräftig abgewiesen, entfällt nachträglich seine Prozessführungsbefugnis im Abtretungsprozess zur weiteren Verfolgung des abgetretenen Rechtsanspruchs (BGE 109 III 27 E. 1a; 55 II 63 E. 2 S. 65; Urteil 5A_769/2013 vom 13. März 2014 E. 3). Hat der rechtskräftig abgewiesene Gläubiger den Prozess
BGE 149 III 422 S. 429
bereits anhängig gemacht, so ergeht ihm gegenüber mangels Prozessführungsbefugnis ein Nichteintretensentscheid (BGE 145 III 101 E. 4.1.3; BGE 144 III 552 E. 4.1.2; BACHOFNER, a.a.O., N. 41 zu Art. 260 SchKG). Ist bereits ein Urteil ergangen, bleibt dieses zwar gültig (JEAN FLACHSMANN, Die Abtretung der Rechtsansprüche der Konkursmasse nach Art. 260 des schweizer. Schuldbetreibungs- und Konkursgesetzes, 1927, S. 65), ein bereits erlangter Prozessgewinn fällt aber der Konkursmasse zu (HÄUPTLI, a.a.O., N. 23 zu Art. 80 KOV; SCHLAEPFER, a.a.O., S. 88; FLACHSMANN, a.a.O., S. 65; Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau BR.2012.46 vom 14. November 2012 E. 3b, in: RBOG 2012 Nr. 18 S. 188 ff., S. 190).

3.5 Nach dem Gesagten ist der Entscheid der Vorinstanz nicht zu beanstanden.

3.5.1 Die Forderungen wurden auflösend bedingt an die Beschwerdegegnerin abgetreten (E. 3.2). Diese "Abtretung" im Sinne von Art. 260 SchKG, d.h. die Prozessführungsbefugnis (E. 3.4.1) und die damit verbundenen Rechte, werden sofort wirksam, solange die Bedingung der definitiven Nichtkollokation der Konkursforderung noch nicht eingetreten ist (E. 3.4.3). Die Bedingung der definitiven Nichtkollokation ist in casu (noch) nicht eingetreten (E. 3.1), weshalb die Beschwerdegegnerin zur Geltendmachung der Forderungen als Abtretungsgläubigerin nach Art. 260 SchKG befugt ist, auch wenn ihre Forderung im Konkurs der E. AG noch nicht definitiv kolloziert wurde.

3.5.2 Die Beschwerdegegnerin kann damit den Anspruch als Prozessstandschafterin geltend machen und sie kann als Abtretungsgläubigerin Leistung direkt an sich selbst verlangen (E. 3.4.1). Kann die Beschwerdegegnerin Leistung direkt an sich verlangen, haben die beklagten Beschwerdeführer als Schuldner im Umkehrschluss direkt an die Beschwerdegegnerin zu leisten. Dementsprechend wurden die beklagten Beschwerdeführer im Dispositiv des angefochtenen Entscheids auch verpflichtet, der klagenden Beschwerdegegnerin den Betrag von rund Fr. 1.8 Mio. zu leisten. Das stellen die Beschwerdeführer vor Bundesgericht denn auch nicht in Frage (nicht publ. E. 2.1). Aufgrund dieser Rechtslage bei der Abtretung nach Art. 260 SchKG besteht die von den Beschwerdeführern geltend gemachte Gefahr einer Doppelzahlung nicht. Leisten sie aufgrund eines Gerichtsurteils an die Beschwerdegegnerin, haben sie sich gültig befreit.
BGE 149 III 422 S. 430

3.5.3 Für den Fall, dass die Konkursforderung der Beschwerdegegnerin (nachträglich) definitiv nicht kolloziert werden sollte, würde der Prozessgewinn, den die Beschwerdegegnerin durch ihre Klage im vorliegenden Abtretungsprozess erhältlich machen konnte, der Konkursmasse zufallen (E. 3.4.3), wie auch die Vorinstanz in ihrer Zwischenverfügung zu Recht erwogen hat (E. 3.2). Die Beschwerdegegnerin hätte in diesem Fall den Prozessgewinn an die Konkursmasse abzuliefern. Für den Fall, dass die Beschwerdegegnerin den Prozessgewinn entgegen ihrer Verpflichtung nicht an die Konkursmasse ablieferte, müsste diese gegen die Beschwerdegegnerin vorgehen. Ob und wie die Konkursmasse den ausbezahlten Prozessgewinn bei der in Polen domizilierten Beschwerdegegnerin erhältlich machen könnte, spielt im vorliegenden Abtretungsprozess keine Rolle, wie die Beschwerdegegnerin zu Recht vorbringt: Es betrifft einzig das Verhältnis zwischen der Konkursmasse und der Beschwerdegegnerin. Die im vorliegenden Abtretungsprozess beklagten Beschwerdeführer können aus allfälligen Inkassoschwierigkeiten der Konkursmasse nichts für sich ableiten, zumindest legen sie nicht dar, worin ihr diesbezügliches Rechtsschutzinteresse bestehen soll.
Immerhin ist Folgendes zu bemerken: Die Abtretung nach Art. 260 SchKG ist eine besondere Verwertungsart bestrittener Rechtsansprüche. Sie setzt voraus, dass die Gesamtheit der Gläubiger auf die Geltendmachung des betreffenden Rechts durch die Masse verzichtet (Art. 260 Abs. 1 SchKG) und ein Gläubiger bereit ist, das Risiko einzugehen, das die Mehrheit für die Masse ablehnt (AMONN/WALTHER, a.a.O., § 47 Rz. 45). Die Konkursmasse bzw. die Gläubigergesamtheit hat damit eine Kosten/Nutzen-Abwägung für die Verwertung einer solchen bestrittenen Forderung vorzunehmen (BACHOFNER, a.a.O., N. 2 zu Art. 260 SchKG): Sie kann die Ansprüche selbst durchsetzen. Wenn sie das Risiko oder den Aufwand scheut, kann sie den Anspruch einem Gläubiger abtreten, der bereit ist, das Risiko auf sich zu nehmen. Eine solche Abwägung wurde im vorliegenden Fall vorgenommen und die Forderung wurde in Kenntnis der Umstände an die Beschwerdegegnerin mit Sitz in Polen abgetreten, obwohl deren Konkursforderung noch nicht definitiv kolloziert war. Die Konkursmasse bzw. die Gläubigergesamtheit hat damit auch das Risiko zu tragen, dass sie allenfalls eine Forderung gegen die Abtretungsgläubigerin im Ausland geltend machen müsste.
Dieses Risiko ist im Übrigen kein Sonderproblem der bedingten Abtretung, sondern dem Institut der Abtretung von Art. 260 SchKG
BGE 149 III 422 S. 431
inhärent: Der Zweck der Abtretung besteht gerade darin, dass der Prozessgewinn in erster Linie dem Abtretungsgläubiger zukommt, der das Risiko der Prozessführung eingeht und nach ständiger Rechtsprechung Leistung an sich selbst verlangen kann (E. 3.4.1). Die Masse erhält immerhin den Überschuss (Art. 260 Abs. 2 SchKG). Ist der Prozessgewinn grösser als die kollozierte Forderung, besteht immer die Gefahr, dass die Konkursmasse den Überschuss beim Abtretungsgläubiger einfordern muss, wenn dieser den Überschuss nicht an die Konkursmasse abliefert (so auch zit. Urteil des Obergerichts Thurgau BR.2012.46 E. 3b).

3.5.4 Die Vorinstanz hat damit zu Recht die Prozessführungsbefugnis der Beschwerdegegnerin bejaht, obschon deren Forderung im Urteilszeitpunkt im Konkurs der E. AG noch nicht definitiv kolloziert war.

Inhalt

Ganzes Dokument:
Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 3

Referenzen

BGE: 128 III 291, 145 III 101, 146 III 441, 132 III 342 mehr...

Artikel: Art. 260 SchKG, Art. 260 Abs. 2 SchKG, Art. 80 KOV, Art. 754 ff. OR mehr...