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[AZA] 
H 306/99 Ge 
 
IV. Kammer  
 
Bundesrichter Borella, Rüedi und Bundesrichterin Leuzinger; 
Gerichtsschreiber Nussbaumer 
 
Urteil vom 25. Februar 2000  
 
in Sachen 
 
Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen, Brauerstrasse 54, 
St. Gallen, Beschwerdeführerin, 
 
gegen 
 
W.________, Beschwerdegegner, vertreten durch Rechtsanwalt 
R.________, 
 
und 
 
Versicherungsgericht des Kantons St. Gallen, St. Gallen 
 
    A.- W.________ erwarb am 21. Februar 1996 sämtliche 
Aktien der zu diesem Zeitpunkt überschuldeten S.________ AG 
für den Preis von Fr. 1.-. Seit diesem Zeitpunkt war er 
faktisch alleiniger Verwaltungsrat. Am 15. Mai 1996 wurde 
er im Handelsregister als einziges Mitglied des Ver- 
waltungsrats eingetragen. Am 9. April 1996 bewilligte die 
Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen der Gesellschaft für 
offene Beitragsforderungen aus dem Jahr 1995 von insgesamt 
Fr. 42 071.50 einen Teilzahlungsplan. In der Folge beglich 
die Gesellschaft neben den laufenden Sozialversicherungs- 
beiträgen von März bis November 1996 die vereinbarten mo- 
natlichen Tilgungsraten von Fr. 4000.-. Am 17. Dezember 
1996 wurde über die Gesellschaft der Konkurs eröffnet. Für 
unbezahlt gebliebene Beiträge erhielt die Ausgleichskasse 
am 28. April 1997 einen Konkursverlustschein über 
Fr. 66 407.55. 
    Mit Verfügung vom 11. Juli 1997 verpflichtete die Aus- 
gleichskasse des Kantons St. Gallen W.________ zur Bezah- 
lung von Schadenersatz in Höhe von Fr. 66 367.85 unter 
solidarischer Haftbarkeit (im Umfang von Fr. 22 241.15) mit 
den früheren Mitgliedern des Verwaltungsrates A.S.________, 
B.S.________ und C.________. 
 
    B.- Die auf Einspruch hin von der Ausgleichskasse des 
Kantons St. Gallen gegen W.________ eingereichte Schadener- 
satzklage im verfügten Umfang wies das Versicherungsgericht 
des Kantons St. Gallen mit Entscheid vom 28. Mai 1999 ab. 
 
    C.- Die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen führt 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde mit dem Antrag, in Aufhebung 
des vorinstanzlichen Entscheides sei der Beschwerdegegner 
zu verpflichten, ihr Fr. 56 780.05 zu bezahlen. 
    W.________ lässt auf Abweisung der 
Verwaltungsgerichtsbeschwerde schliessen. Das Bundesamt für 
Sozialversicherung verzichtet auf eine Vernehmlassung. Die 
Vorinstanz reicht eine Stellungnahme ein. Die als 
Mitinteressierte beigeladenen A.S.________, B.S.________ 
und C.________ lassen darauf hinweisen, sie hätten die sie 
betreffenden Entscheide des Versicherungsgerichts akzep- 
tiert und würden in den nächsten drei Jahren rund 
Fr. 57 000.- an die Ausgleichskasse bezahlen. 
Das Eidg. Versicherungsgericht zieht in Erwägung:  
 
    1.- Da es sich bei der angefochtenen Verfügung nicht 
um die Bewilligung oder Verweigerung von Versicherungsleis- 
tungen handelt, hat das Eidgenössische Versicherungsgericht 
nur zu prüfen, ob das vorinstanzliche Gericht Bundesrecht 
verletzt hat, einschliesslich Überschreitung oder Miss- 
brauch des Ermessens, oder ob der rechtserhebliche Sachver- 
halt offensichtlich unrichtig, unvollständig oder unter 
Verletzung wesentlicher Verfahrensbestimmungen festgestellt 
worden ist (Art. 132 in Verbindung mit Art. 104 lit. a und 
b sowie Art. 105 Abs. 2 OG). 
 
    2.- a) Die im vorliegenden Fall massgebenden rechtli- 
chen Grundlagen (Art. 52 AHVG, Art. 14 Abs. 1 AHVG in Ver- 
bindung mit Art. 34 ff. AHVV) und die zur subsidiären Haft- 
barkeit der Organe (vgl. statt vieler BGE 123 V 15 Erw. 5b) 
sowie zur Haftungsvoraussetzung des zumindest grobfahrläs- 
sigen Verschuldens (BGE 121 V 243, 108 V 186 Erw. 1b, 193 
Erw. 2b; ZAK 1985 S. 576 Erw. 2, 619 Erw. 3a) ergangene 
Rechtsprechung finden sich im kantonalen Entscheid zutref- 
fend wiedergegeben. Darauf kann verwiesen werden. 
 
    b) Wie das kantonale Gericht verbindlich festgestellt 
hat (vgl. Erw. 1 hievor), war die S.________ AG im 
Zeitpunkt, als W.________ am 21. Februar 1996 sämtliche 
Aktien erwarb und fortan (faktisch) einziges Mitglied des 
Verwaltungsrats war, bereits überschuldet. Am 9. April 1996 
entsprach die Beschwerdeführerin einem Gesuch der Aktienge- 
sellschaft um Zahlungsaufschub für verschiedene Beitrags- 
forderungen aus dem Jahr 1995 von insgesamt Fr. 42 071.50. 
Die Gesellschaft hielt sich an den vereinbarten Tilgungs- 
plan und bezahlte von März bis November 1996 monatlich 
Fr. 4000.-. Die letzten beiden Raten von Fr. 4000.- und 
Fr. 2071.50 wären am 31. Dezember 1996 und am 31. Januar 
1997 fällig gewesen. Zuvor am 17. Dezember 1996 war jedoch 
über die Gesellschaft bereits der Konkurs eröffnet worden. 
Die für das Jahr 1996 geschuldeten Sozialversicherungs- 
beiträge hatte sie mit Ausnahme der am 30. Dezember 1996 
fällig gewordenen Beitragsforderung für Dezember 1996 eben- 
falls bezahlt. 
    Gestützt auf diese Sachlage kam das kantonale Gericht 
zum Schluss, dem Beschwerdegegner könne einzig vorgeworfen 
werden, dass er nicht sofort den Konkurs angemeldet habe. 
Es sei jedoch zu beachten, dass er keine weiteren unbezahl- 
ten Sozialversicherungsbeiträge auflaufen liess und mit dem 
Einbringen beträchtlicher privater finanzieller Mittel 
nicht nur einen weiteren Schaden verhindert, sondern zu- 
sätzlich durch die Bezahlung von ausstehenden Beitragsfor- 
derungen aus dem Jahr 1995 gemäss Tilgungsplan den Schaden 
vermindert habe. Die von ihm getroffenen Vorkehren würden 
belegen, dass die konkursite Gesellschaft während der Zeit, 
als er Verwaltungsrat gewesen sei, in keiner Weise beab- 
sichtigt habe, ihren Betrieb auf Kosten der Beschwerdefüh- 
rerin weiterzuführen. Unter den gegebenen Umständen könne 
dem Beschwerdegegner keine haftungsbegründende schwere 
Pflichtverletzung zur Last gelegt werden. Eine Haftung 
entfalle somit mangels qualifiziertem Verschulden. Das 
kantonale Gericht liess ferner offen, ob die Haftung des 
Beschwerdegegners auch wegen fehlendem adäquatem Kausalzu- 
sammenhang zwischen seinem Verhalten und dem vor seinem 
Eintritt in den Verwaltungsrat verursachten Schaden abzu- 
lehnen wäre. 
 
    c) Der Auffassung der Vorinstanz ist beizupflichten. 
Der Beschwerdegegner hat sich nach Übernahme der Aktienge- 
sellschaft mit der Ausgleichskasse in Verbindung gesetzt 
und für die im Zeitpunkt der Übernahme noch ausstehenden 
Sozialversicherungsbeiträge einen Zahlungsaufschub und Til- 
gungsplan vereinbart, den die Gesellschaft in der Folgezeit 
bis zur Konkurseröffnung eingehalten hat. Unter diesen Um- 
ständen entfällt eine haftungsbegründende grobfahrlässige 
Pflichtverletzung (BGE 124 V 253; AHI 1999 S. 26). Die Be- 
schwerdeführerin kann daher nichts aus dem Grundsatz ablei- 
ten, dass ein Verwaltungsrat mit dem Antritt des Mandats 
sowohl in die Verantwortung für die laufenden als auch für 
die verfallenen, von der Gesellschaft vor diesem Zeitpunkt 
schuldig gebliebenen Beiträge eintritt (vgl. BGE 119 V 
401). Der Beschwerdegegner hat auch dafür gesorgt, dass die 
laufenden Beiträge des Jahres 1996 bezahlt werden. Damit 
ist er der Pflicht nachgekommen, in finanziell schwierigen 
Zeiten nur so viel Lohn auszuzahlen, als dass die darauf 
unmittelbar ex lege entstandenen Beitragsforderungen ge- 
deckt sind (SVR 1995 AHV Nr. 70 S. 214 Erw. 5). 
    In der Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird nichts vor- 
gebracht, was die tatsächlichen Feststellungen der Vorin- 
stanz als mangelhaft im Sinne von Art. 105 Abs. 2 OG oder 
die rechtliche Würdigung als bundesrechtswidrig erscheinen 
liesse. Insbesondere übersieht die Beschwerdeführerin, wo- 
rauf das kantonale Gericht in der Vernehmlassung zu Recht 
hinweist, dass die Schadenersatzklage wegen fehlendem Ver- 
schulden abgewiesen worden ist und nicht wegen fehlendem 
Kausalzusammenhang. Selbst wenn von der Sachdarstellung der 
Beschwerdeführerin ausgegangen wird, wonach die Aktienge- 
sellschaft nach September 1996 den Tilgungsplan nicht mehr 
eingehalten habe, so könnte im vorliegenden Fall angesichts 
der kurze Zeit später am 17. Dezember 1996 erfolgten Kon- 
kurseröffnung nicht von einem grobfahrlässigen Verhalten 
gesprochen werden (vgl. BGE 121 V 243). 
 
    3.- Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird die Be- 
schwerdeführerin kosten- und entschädigungspflichtig 
(Art. 134 OG e contrario, Art. 156 und 159 OG). 
Demnach erkennt das Eidg. Versicherungsgericht:  
 
I. Die Verwaltungsgerichtsbeschwerde wird abgewiesen.  
 
II. Die Gerichtskosten von Fr. 3500.- werden der Beschwer-  
    deführerin auferlegt und mit dem geleisteten Kosten- 
    vorschuss verrechnet. 
 
III. Die Ausgleichskasse des Kantons St. Gallen hat dem  
    Beschwerdegegner für das Verfahren vor dem Eidgenössi- 
    schen Versicherungsgericht eine Parteientschädigung 
    von Fr. 2500.- (einschliesslich Mehrwertsteuer) zu 
    bezahlen. 
 
IV. Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungs-  
    gericht des Kantons St. Gallen, dem Bundesamt für 
    Sozialversicherung, A. und B. S.________ und 
    C.________ zugestellt. 
 
 
Luzern, 25. Februar 2000 
 
Im Namen des 
Eidgenössischen Versicherungsgerichts 
Der Präsident der IV. Kammer: 
 
Der Gerichtsschreiber: