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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_204/2023  
 
 
Urteil vom 25. September 2023  
 
I. strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Denys, Rüedi, Muschietti, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Thomas Merz, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Verwendung zu Gunsten des Geschädigten 
(Art. 73 StGB), 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 2. Abteilung, vom 5. Oktober 2022 (4M 22 6). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 3. September 2021 sprach das Kriminalgericht des Kantons Luzern A.________ des Betrugs, der Veruntreuung, der ungetreuen Geschäftsbesorgung und der mehrfachen Urkundenfälschung schuldig. Es ordnete die Einziehung und Verwertung der beschlagnahmten Liegenschaft Nr. zzz, U.________, von A.________ an und verpflichtete diese zu Schadenersatz an B.________ im Umfang von Fr. 1,5 Mio. (Betrug) und Fr. 98'473.45 (Veruntreuung), je zuzüglich Zins. Das Kriminalgericht ordnete an, dass vom Verwertungserlös der Liegenschaft Nr. zzz, U.________, nach Abzug der Verwertungskosten die Schadenersatzforderungen sowie die Parteientschädigung von B.________ zu befriedigen sind, soweit diese die genannten Forderungen an den Kanton abtritt. 
Auf Berufung von A.________ hin bestätigte das Kantonsgericht Luzern am 5. Oktober 2022 zwar die Schadenersatzansprüche von B.________, wobei es hinsichtlich der Veruntreuung eine Kürzung um Fr. 30'000.-- vornahm, nicht aber deren Anspruch auf Befriedigung aus dem Verwertungserlös der Liegenschaft Nr. zzz, U.________. Diesen schlug es dem Staat zu. 
 
B.  
Mit Beschwerde in Strafsachen beantragt B.________, ihre Forderungen auf Schadenersatz und Parteientschädigung gegen A.________ seien aus dem Verwertungserlös der Liegenschaft Nr. zzz, U.________ zu erfüllen, sofern sie ihre Forderungen an den Staat abtritt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Nach Art. 81 Abs. 1 BGG ist zur Beschwerde in Strafsachen berechtigt, wer vor der Vorinstanz am Verfahren teilgenommen hat oder keine Möglichkeit zur Teilnahme erhalten hat (lit. a) und ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung des angefochtenen Entscheids hat (lit. b). Darunter fällt namentlich die Privatklägerschaft, sofern sie im kantonalen Verfahren adhäsionsweise Zivilansprüche geltend gemacht hat und der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung dieser Zivilansprüche auswirken kann (Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG; BGE 143 IV 434 E. 1.2.3). 
Das Bundesgericht prüft seine Zuständigkeit und die weiteren Eintretensvoraussetzungen von Amtes wegen und mit freier Kognition (vgl. Art. 29 Abs. 1 BGG; BGE 146 V 331 E. 1 mit Hinweis). Gemäss Rechtsprechung ist der Geschädigte im Sinne von Art. 73 StGB legitimiert, beim Bundesgericht Beschwerde zu erheben und eine Verletzung dieser Bestimmung geltend zu machen (vgl. BGE 145 IV 237 E. 1.2; 136 IV 29 E. 1.9; Urteil 6B_107/2021 vom 18. Mai 2021 E. 1.2.1 mit Hinweisen). Auf die Beschwerde ist grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
 
2.1. Erleidet jemand durch ein Verbrechen oder ein Vergehen einen Schaden, der nicht durch eine Versicherung gedeckt ist, und ist anzunehmen, dass der Täter den Schaden nicht ersetzen oder eine Genugtuung nicht leisten wird, so spricht das Gericht dem Geschädigten auf dessen Verlangen bis zur Höhe des Schadenersatzes beziehungsweise der Genugtuung, die gerichtlich oder durch Vergleich festgesetzt worden sind, namentlich eingezogene Gegenstände und Vermögenswerte oder deren Verwertungserlös unter Abzug der Verwertungskosten zu (Art. 73 Abs. 1 lit. b StGB). Das Gericht kann die Verwendung zu Gunsten des Geschädigten jedoch nur anordnen, wenn der Geschädigte den entsprechenden Teil seiner Forderung an den Staat abtritt (Art. 73 Abs. 2 StGB).  
Die Bestimmung bezweckt, der geschädigten Person bei der Durchsetzung ihrer Schadenersatzforderung zu helfen, indem der Staat auf einen ihm zustehenden Anspruch verzichtet (Urteil 6B_1353/2019 vom 23. September 2020 E. 3.2 mit Hinweisen). Art. 73 StGB begründet nach der Rechtsprechung einen Anspruch der geschädigten Person gegen den Staat im Strafverfahren. Der Staat soll sich nicht auf deren Kosten bereichern können, sondern vielmehr bei Einziehungen die Rechte der geschädigten Partei in den Vordergrund stellen. Art. 73 StGB gewährt demnach, soweit die darin genannten Voraussetzungen erfüllt sind, ein Recht auf Zusprechung eingezogener Vermögenswerte (Urteil 6B_176/2011 vom 23. Dezember 2011 E. 4.2 mit Hinweisen). 
Der Anspruch der geschädigten Person auf Verwendung zu ihren Gunsten nach Art. 73 StGB beschlägt nur Vermögenswerte, die das Ergebnis einer gegen sie gerichteten Straftat sind (BGE 122 IV 365 E. III.2b; Urteile 6B_1084/2022, 1096/2022 vom 5. April 2023 E. 7.1; 6B_1126/2013 vom 21. Juli 2014 E. 2.3; je mit Hinweisen). Zwischen Schaden, Anlasstat und zuzusprechenden Werten muss ein doppelter Konnex bestehen. Erstens muss der gemäss Art. 73 StGB geltend gemachte Schaden "durch" die Anlasstat entstanden sein, d.h. zwischen Schaden und Anlasstat muss ein Kausalzusammenhang bestehen. Zweitens muss diese Anlasstat dieselbe sein, aus dem auch die zuzusprechenden Werte (Geldstrafe, Busse, eingezogene Gegenstände etc.) stammen. Die gemeinsame Anlasstat ist somit verbindendes Glied zwischen den zuzusprechenden Werten und dem auszugleichenden Schaden. Nicht deliktskonnexe Vermögenswerte können hingegen höchstens indirekt nach Beschlagnahme und SchKG-Vollstreckung der Ersatzforderung zugunsten der geschädigten Person verwendet werden. Art. 73 StGB (und Art. 70 StGB) sind nicht darauf ausgelegt, als Vollstreckungshilfe für Zivilgeschädigte zu wirken und für diese den Anspruch unter Umgehung des SchKG vorwegzunehmen bzw. sicherzustellen (FLORIAN BAUMANN, in: Basler Kommentar, Strafrecht I, 4. Aufl. 2019, N. 11 ff. zu Art. 73 StGB). 
 
2.2. Die Beschwerde ist unbegründet. Der Vorinstanz ist zuzustimmen, dass nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung zu Art. 73 StGB (und dem insofern gleichlautenden Art. 70 StGB) ein Kausalzusammenhang bestehen muss zwischen dem beschlagnahmten Vermögenswert, worauf ein Anspruch erhoben wird, und der gegen den Ansprecher gerichteten Straftat.  
Aus dem von ihr angerufenen Urteil 1B_581/2012 vom 27. November 2012 kann die Beschwerdeführerin nichts zu ihren Gunsten ableiten. Demnach setzt Art. 73 StGB zwar einen direkten Konnex zwischen dem Anlassdelikt und der bei diesem Delikt geschädigten Person, nicht aber zwischen dem Anlassdelikt und dem beschlagnahmten Vermögenswert voraus. Auch aus diesem Entscheid erhellt, dass ein Anspruch nach Art. 73 StGB nur besteht, wenn zwischen dem Anlassdelikt und der bei diesem Delikt geschädigten Person ein direkter Konnex besteht (so auch NIKLAUS SCHMID, Kommentar Einziehung, Organisiertes Verbrechen, Geldwäscherei, Band I, 2. Aufl. 2007, N. 15 zu Art. 73 StGB). Gemäss vorgenanntem Autor unterliegen einer Einziehung zugunsten des Geschädigten "nur Werte, die aus dem Delikt stammen, bei welchem der Ansprüche aus Art. 73 StGB erhebende Geschädigte Verletzter ist" (NIKLAUS SCHMID, a.a.O. N. 24 zu Art. 73 StGB). Der Vermögenswert, auf den Anspruch erhoben wird, muss mithin aus der Tat stammen, weswegen der Ansprecher geschädigt sein soll. Diese Voraussetzung ist vorliegend mit Bezug auf die Beschwerdeführerin unstreitig nicht erfüllt. Es steht fest, dass die nach Art. 70 beschlagnahmte Liegenschaft Nr. zzz, U.________, aus deren Verwertungserlös die Beschwerdeführerin ihre Schadenersatzansprüche und Parteienschädigung erfüllt haben will, nicht aus einer gegen sie gerichteten Straftat - dem der Beschuldigten vorgeworfenen Betrug oder der Veruntreuung - stammt. Die Beschwerdeführerin hat die zu verwertende Liegenschaft vielmehr der Stiftung D.________ geschenkt. Die Beschlagnahme erfolgte aufgrund eines Verbrechens der Beschuldigten gegenüber der Stiftung D.________, nämlich einer ungetreuen Geschäftsbesorgung. Geschädigte im Zusammenhang mit der beschlagnahmten und zu verwertenden Liegenschaft war nur die Stiftung D.________. Damit kann auch nur dieser ein Anspruch auf den Verwertungserlös aus der von der Beschuldigten unrechtmässig erlangten Liegenschaft zustehen.  
Entgegen ihrer Auffassung ist die Beschwerdeführerin auch keine Reflexgeschädigte im Sinne der Erwägungen von BGE 145 IV 237 ff. und unter diesem Titel Anspruchsberechtigte nach Art. 73 StGB. Im vorerwähnten Bundesgerichtsentscheid war eine Versicherung in die Rechte der geschädigten Person eingetreten und daher Reflexgeschädigte, weil sie den Schaden des Direktgeschädigten übernommen hatte (E. 5.1.1 f.; Übersetzung S. 81 und S. 83). Eine derartige Konstellation liegt hier nicht vor. Die Reflexgeschädigte war in jenem Fall - anders als vorliegend - aus demselben Verbrechen geschädigt wie die ursprüngliche Geschädigte. Nur war jene in deren Rechte eingetreten. Der von der Beschwerdeführerin zitierte Entscheid sagt hingegen nichts darüber aus, ob nach Art. 73 StGB zwischen der Anlasstat und den zusprechenden Werten ein Konnex bestehen muss resp. dass dies nicht der Fall wäre. 
Die Beschwerdeführerin kann auch nichts daraus ableiten, dass der Geschädigtenbegriff nach Art. 73 StGB weiter zu verstehen sei als derjenige nach Art. 30 StGB (Strafantragsrecht; BGE 145 IV 237 E. 5.1). Daraus ergibt sich ebenfalls nicht, dass zwischen dem Delikt und dem Anspruch der geschädigten Person auf Verwendung des daraus stammenden Vermögenswerts kein Zusammenhang bestehen müsste. Auch der von der Beschwerdeführerin in diesem Zusammenhang zitierte Autor MARC THOMMEN äussert sich nicht dahingehend. Der Autor erachtet zwar, abweichend von der herrschenden Lehre (NIKLAUS SCHMID, a.a.O., N. 15 zu Art. 73 StGB; RETO WEILENMANN, Drittgeschädigte Personen im Strafverfahren, Luzerner Beiträge zur Rechtswissenschaft, Diss. 2020 Rz. 549 mit Hinweisen) eine "indirekte Schädigung" für ausreichend, verlangt aber ebenfalls einen Kausalzusammenhang zwischen Anlassdelikt und Schaden (MARC THOMMEN, in: Ackermann [Hrsg.], Kommentar, Kriminelles Vermögen - Kriminelle Organisationen, Bd. I, 2018, N. 35 zu Art. 73 StPO). Dies gilt, entgegen der Insinuation der Beschwerdeführerin ebenso für den Gesetzestext von Art. 73 StGB, wonach jemand durch ein Verbrechen oder ein Vergehen einen Schaden erlitten haben muss.  
Auch die von der Beschwerdeführerin angeführte Tatsache, dass zwischen sämtlichen in der vorliegenden Angelegenheit beurteilten Straftaten ein Zusammenhang besteht und dass die Beschuldigte faktisch weitgehend alleine über die Belange der Stiftung D.________ verfügte, ändert an deren rechtlicher Selbständigkeit und alleinigen Geschädigtenstellung nichts. Dies gilt ebenso, soweit die Beschwerdeführerin geltend macht, dass auch sie im Rahmen der Übertragung der Liegenschaft von der Stiftung an die Beschuldigte getäuscht worden sei. Es steht fest und ist unbestritten, dass die Beschwerdeführerin jedenfalls in ihrer Eigenschaft als Stiftungsrätin, nicht als Privatperson, getäuscht worden wäre. Auch, dass die Liegenschaft mit Mitteln der Beschwerdeführerin erworben wurde, macht sie nicht zur Geschädigten hinsichtlich des Anlassdelikts. 
Zu keinem anderen Ergebnis führt, dass die Verwendung des Verwertungserlöses der Liegenschaft zugunsten des Staates im vorliegenden Fall letztlich zu dessen Begünstigung führt, und sich der Staat nach der Konzeption des Gesetzes grundsätzlich nicht auf Kosten der geschädigten Person bereichern soll. Dies ändert nach dem Gesagten nichts daran, dass am Erfordernis des (doppelten) Konnexes zwischen Schaden, Anlasstat und zuzusprechenden Vermögenswert festgehalten werden muss. 
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen. Die Beschwerdeführerin trägt die Kosten des Verfahrens (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Beschwerdeführerin trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 2. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. September 2023 
 
Im Namen der I. strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt