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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_287/2021  
 
 
Urteil vom 11. November 2021  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichter Hurni, 
Gerichtsschreiberin Schär. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Bern, Nordring 8, Postfach, 3001 Bern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Einstellung, Verfahrenskosten, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 29. Januar 2021 (BK 20 539). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Am 5. August 2020 wurde A.________ im Rahmen einer Verkehrskontrolle durch die Kantonspolizei Bern angehalten und einem Drogenschnelltest unterzogen. Dieser fiel positiv bezüglich der Substanz THC aus. A.________ gab an, letztmals am 3. August 2020 CBD-Marihuana konsumiert zu haben. Daraufhin wurde eine forensisch-toxikologische Untersuchung angeordnet. Dabei fiel der Urintest bezüglich Cannabis positiv aus. Die Blutanalyse ergab einen THC-Gehalt, der unter dem Grenzwert gemäss Art. 34 der Verordnung des ASTRA zur Strassenverkehrskontrollverordnung vom 22. Mai 2008 (VSKV-ASTRA; SR 741.013.1) lag. Insgesamt wurde aber ein längere Zeit zurückliegender Cannabiskonsum nachgewiesen. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 9. November 2020 stellte die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren wegen Fahrens in fahrunfähigem Zustand (unter dem Einfluss von Betäubungsmitteln) ein. Die Kosten der Blut- und Urinanalyse von Fr. 818.40 sowie die Gebühren von Fr. 100.-- wurden A.________ auferlegt. Am 20. November 2020 wurde gegen A.________ ein Strafbefehl wegen Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz erlassen. 
 
C.  
A.________ erhob Beschwerde gegen den Kostenpunkt der Einstellungsverfügung vom 9. November 2020. Das Obergericht des Kantons Bern wies die Beschwerde am 29. Januar 2021 ab, soweit es darauf eintrat. 
 
D.  
A.________ erhebt Beschwerde in Strafsachen und beantragt sinngemäss, die Verfügung des Obergerichts vom 29. Januar 2021 sei aufzuheben und er sei von der Kostenpflicht zu befreien. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Der Beschwerdeführer rügt, ihm seien zu Unrecht die Kosten der Blut- und Urinanalyse sowie die Gebühren auferlegt worden. Er macht im Wesentlichen geltend, es gebe keinen Beweis dafür, dass er illegale Substanzen konsumiert habe. Seine Blutprobe sei negativ ausgefallen und er habe sich nicht des Fahrens in fahrunfähigem Zustand schuldig gemacht. Sinngemäss rügt der Beschwerdeführer die Unschuldsvermutung als verletzt.  
 
1.2.  
 
1.2.1. Gemäss Art. 426 Abs. 2 StPO können der beschuldigten Person bei Einstellung des Verfahrens die Verfahrenskosten ganz oder teilweise auferlegt werden, wenn sie rechtswidrig und schuldhaft die Einleitung des Verfahrens bewirkt oder dessen Durchführung erschwert hat.  
Bei der Kostenpflicht im Falle von Freispruch oder Verfahrenseinstellung handelt es sich nicht um eine Haftung für ein strafrechtliches Verschulden, sondern um eine zivilrechtlichen Grundsätzen angenäherte Haftung für ein fehlerhaftes Verhalten, durch das die Einleitung oder Erschwerung eines Strafverfahrens verursacht wurde. In diesem Sinne stellt die Kostenüberbindung eine Haftung prozessualer Natur für die Mehrbeanspruchung der Untersuchungsorgane und die dadurch entstandenen Kosten dar. Das Verletzen bloss moralischer oder ethischer Pflichten genügt für die Auferlegung der Verfahrenskosten nicht (BGE 116 Ia 162 E. 2a, c und d/bb mit Hinweisen; Urteile 6B_665/2020 vom 22. September 2021 E. 2.2.1; 6B_893/2016 vom 13. Januar 2017 E. 3.1). 
 
1.2.2. Gemäss Art. 41 Abs. 1 OR ist zum Ersatz verpflichtet, wer einem andern widerrechtlich Schaden zufügt, sei es mit Absicht, sei es aus Fahrlässigkeit. Widerrechtlich im Sinne der genannten Bestimmung ist ein Verhalten, wenn es gegen Normen verstösst, die direkt oder indirekt Schädigungen untersagen bzw. ein Schädigungen vermeidendes Verhalten vorschreiben. Solche Verhaltensnormen ergeben sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung, unter anderem aus dem Privat-, Verwaltungs- und Strafrecht, gleichgültig, ob es sich um eidgenössisches oder kantonales, geschriebenes oder ungechriebenes Recht handelt. Das Verhalten einer beschuldigten Person ist dann als widerrechtlich zu qualifizieren, wenn es in klarer Weise gegen Normen der Rechtsordnung verstösst, die den Rechtsunterworfenen direkt oder indirekt zu einem bestimmten Tun oder Unterlassen verpflichten (BGE 141 III 527 E. 3.2; 116 Ia 162 E. 2c; Urteil 6B_893/2016 vom 13. Januar 2017 E. 3.2). Dazu gehört auch das Gebot des Handelns nach Treu und Glauben gemäss Art. 2 ZGB, wobei dieses Gebot nicht als allgemeine Vermögensschutznorm herangezogen werden kann. Der Grundsatz von Treu und Glauben kommt nur in eng umgrenzten Ausnahmefällen als Haftungsgrundlage im Sinn von Art. 41 Abs. 1 OR zur Anwendung (BGE 130 II 345 E. 2.2; 124 III 297 E. 5c; 121 III 350 E. 6b; Urteil 1P.126/2005 vom 27. April 2005 E. 3.8). Vorausgesetzt sind sodann regelmässig qualifiziert rechtswidrige, rechtsgenüglich nachgewiesene Verstösse. Die Verfahrenskosten müssen mit dem zivilrechtlich vorwerfbaren Verhalten in einem adäquat-kausalen Zusammenhang stehen (BGE 144 IV 202 E. 2.2; Urteile 6B_290/2018 vom 19. Februar 2019 E. 3.1 und 6B_1038/2019 vom 30. April 2020 E. 4.2; je mit Hinweisen). Das Sachgericht muss darlegen, inwiefern die beschuldigte Person durch ihr Handeln in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise klar gegen eine Verhaltensnorm verstossen hat (Urteile 6B_1247/2015 vom 15. April 2016 E. 1.3; 6B_1126/2014 vom 21. April 2015 E. 1.3 mit Hinweis; 1P.164/2002 vom 25. Juni 2002 [Pra 2002 Nr. 203 S. 1067]; Urteile 6B_665/2020 vom 22. September 2021 E. 2.2.2; 6B_893/2016 vom 13. Januar 2017 E. 3.2).  
 
1.2.3. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst eine Kostenauflage bei Freispruch oder Einstellung des Verfahrens gegen die Unschuldsvermutung (Art. 10 Abs. 1 StPO, Art. 32 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 2 EMRK), wenn der beschuldigten Person in der Begründung des Kostenentscheids direkt oder indirekt vorgeworfen wird, es treffe sie ein strafrechtliches Verschulden. Damit käme die Kostenauflage einer Verdachtsstrafe gleich. Dagegen ist es mit Verfassung und Konvention vereinbar, einer nicht verurteilten beschuldigten Person die Kosten zu überbinden, wenn sie in zivilrechtlich vorwerfbarer Weise, d.h. im Sinne einer analogen Anwendung der sich aus Art. 41 OR ergebenden Grundsätze, eine geschriebene oder ungeschriebene Verhaltensnorm, die sich aus der Gesamtheit der schweizerischen Rechtsordnung ergeben kann, klar verletzt und dadurch das Strafverfahren veranlasst oder dessen Durchführung erschwert hat. In tatsächlicher Hinsicht darf sich die Kostenauflage nur auf unbestrittene oder bereits klar nachgewiesene Umstände stützen (BGE 144 IV 202 E. 2.2; 120 Ia 147 E. 3b; 119 Ia 332 E. 1b; 112 Ia 371 E. 2a; Urteile 6B_665/2020 vom 22. September 2021 E. 2.2.3; 6B_1038/2019 E. 4.2 vom 30. April 2020; je mit Hinweisen).  
 
1.2.4. Nach Art. 55 Abs. 1 SVG können Fahrzeugführer sowie an Unfällen beteiligte Strassenbenützer einer Atemalkoholprobe unterzogen werden. Weist die betroffene Person Anzeichen von Fahrunfähigkeit auf und sind diese nicht oder nicht allein auf Alkoholeinfluss zurückzuführen, so kann sie weiteren Voruntersuchungen, namentlich Urin- und Speichelproben unterzogen werden (Art. 55 Abs. 2 SVG). Eine Blutprobe muss u.a. angeordnet werden, wenn Anzeichen von Fahrunfähigkeit vorliegen, die nicht auf Alkoholeinfluss zurückzuführen sind (vgl. Art. 55 Abs. 3 lit. a SVG).  
 
1.3. Gemäss dem angefochtenen Entscheid stellten die Polizisten beim Beschwerdeführer Anzeichen fest, die auf eine mögliche Fahrunfähigkeit hindeuteten. Insbesondere seien seine Pupillen verengt gewesen und hätten auf Lichteinfall nicht reagiert. Gemäss dem Polizeiprotokoll habe der Beschwerdeführer ausserdem schläfrig und apathisch gewirkt und seine Reaktion sei verlangsamt gewesen. Der Beschwerdeführer habe angegeben, im Vorfeld CBD-Marihuana konsumiert zu haben. Gestützt auf die genannten Feststellungen seien zu Recht ein Drogenschnelltest und nachdem dieser positiv ausgefallen war, eine forensisch-toxikologische Untersuchung angeordnet worden. Dass der ärztliche Befund betreffend Pupillenreaktion anschliessend unauffällig gewesen sei, ändere nichts daran, dass zum Zeitpunkt der Verkehrskontrolle ein Verdacht betreffend Fahrens in fahrunfähigem Zustand bestanden habe und die Untersuchungen zu Recht angeordnet worden seien. Das Strafverfahren sei einzig deshalb eingestellt worden, weil der Grenzwert für den Nachweis von Cannabis im Blut nicht überschritten worden sei. Indem der Beschwerdeführer mit Spuren von Betäubungsmitteln im Urin und Blut ein Fahrzeug gelenkt und dabei Anzeichen von Fahrunfähigkeit aufgewiesen habe, habe er das gegen ihn eingeleitete Strafverfahren rechtswidrig und schuldhaft verursacht, weshalb er hierfür die Kosten zu tragen habe.  
 
1.4. Soweit der Beschwerdeführer geltend macht, seine Aussagen bezüglich des vorgängigen Cannabiskonsums seien in der Einstellungsverfügung unzutreffend wiedergegeben worden, kann auf die Rüge grundsätzlich nicht eingegangen werden. Anfechtungsobjekt bildet einzig die Verfügung des Obergerichts Bern vom 29. Januar 2021 (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG). Darin wurde das fehlerhafte Zitat korrigiert. Inwiefern die Aussage absichtlich fehlerhaft wiedergegeben worden sein sollte oder dies einen Einfluss auf den Ausgang des Verfahrens gezeitigt haben könnte, ist aber ohnehin nicht ersichtlich.  
 
Der Beschwerdeführer macht im Weiteren geltend, er habe seit langer Zeit kein THC-haltiges Cannabis mehr konsumiert und sei unschuldig. Diese Argumentation ist nicht stichhaltig. Das Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer betreffend Fahrens in fahrunfähigem Zustand wurde eingestellt. Nicht weiter einzugehen ist somit auf die beantragte "Löschung" der Strafverfahren und allfälliger Einträge. Nachdem das Strafverfahren eingestellt wurde, ist vorliegend einzig zu prüfen, ob der Beschwerdeführer das Strafverfahren rechtswidrig und schuldhaft verursacht hat. Dies ist zu bejahen. Entgegen den Behauptungen des Beschwerdeführer trifft es nicht zu, dass die Blutuntersuchung negativ ausgefallen ist. Gegenteiliges lässt sich dem vom Beschwerdeführer erwähnten Schreiben des Berner Strassenverkehrsamts vom 28. August 2020 nicht entnehmen, womit sich im Übrigen bereits die Vorinstanz einlässlich auseinandergesetzt hat. Gleiches gilt für die Ausführungen des Beschwerdeführers zu den Gründen der verminderten Pupillenreaktion und für seine Argumentation, wonach sich der Verdacht der Fahrunfähigkeit bei der ärztlichen Untersuchung nicht bestätigt habe. Auch hiermit hat sich die Vorinstanz auseinandergesetzt und aufgezeigt, inwiefern die Einwände entweder unbegründet oder nicht von Relevanz sind. Der Beschwerdeführer zeigt nicht auf, inwiefern die genannten vorinstanzlichen Erwägungen rechtsfehlerhaft sein sollten. Die Beschwerde genügt daher über weite Strecken bereits den allgemeinen Begründungsanforderungen (Art. 42 Abs. 2 BGG) nicht. Ungeachtet dessen fiel die Blutanalyse beim Beschwerdeführer betreffend THC positiv aus. Dabei lag der THC-Gehalt zwar unter dem in der ASTRA-Verordnung festgelegten Grenzwert. Das Führen eines Motorfahrzeugs unter dem Einfluss von THC ist aber unabhängig von der Menge in jedem Fall verboten (Art. 2 Abs. 2 lit. a VRV; SR 741.11). Der erwähnte Grenzwert trägt nur den Messungenauigkeiten Rechnung und verhindert, dass ein länger zurückliegender, für die aktuelle Fahrfähigkeit irrelevanter Rauschgiftkonsum zu einem positiven Resultat führt (vgl. Urteil 1B_180/2012 vom 24. Mai 2012 E. 4.2). Das bedeutet, dass der Beschwerdeführer, der THC-Spuren im Blut aufwies, ein Auto lenkte und dabei Symptome aufwies, die ihn für die Polizisten als möglichen Rauschgiftkonsumenten erscheinen liessen, das gegen ihn eingeleitet Strafverfahren rechtswidrig und schuldhaft verursacht hat. Die Auferlegung der Kosten verstösst unter diesen Umständen nicht gegen die Unschuldsvermutung. Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Bei diesem Ausgang des Verfahrens hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Bern, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 11. November 2021 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Die Gerichtsschreiberin: Schär