Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
 
Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_968/2022  
 
 
Urteil vom 19. Dezember 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Denys, als präsidierendes Mitglied, 
Bundesrichterin van de Graaf, 
Bundesrichterin Koch, 
Gerichtsschreiber Caprara. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Markus Heer, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau, Maurerstrasse 2, 8510 Frauenfeld, 
2. B.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Benno Lindegger, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Nichtanhandnahme (Amtsgeheimnisverletzung), 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 31. Mai 2022 (SW.2021.147). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ erstattete am 30. November 2021 Strafanzeige gegen B.________ wegen Amtsgeheimnisverletzung, welcher folgender Sachverhalt zugrunde liegt: 
Im Rahmen eines Strafverfahrens gegen A.________ befragte die Staatsanwaltschaft des Kantons Thurgau B.________ als Zeugen. Das Bezirksgericht Arbon wies diese Aussagen im hier nicht verfahrensgegenständlichen erstinstanzlichen Strafverfahren mangels Entbindung vom Amtsgeheimnis aus den Akten. Das erstinstanzliche Strafurteil gegen A.________ erwuchs in Rechtskraft. 
 
B.  
Die Staatsanwaltschaft Bischofszell nahm mit Verfügung vom 8. Dezember 2021 das Verfahren betreffend Amtsgeheimnisverletzung gegen B.________ nicht anhand. 
 
C.  
Auf die dagegen gerichtete Beschwerde von A.________ trat das Obergericht des Kantons Thurgau mit Entscheid vom 31. Mai 2022 nicht ein. Es verpflichtete A.________ zur Bezahlung einer Verfahrensgebühr von Fr. 1'500.--. 
 
D.  
A.________ führt Beschwerde in Strafsachen. Er beantragt, der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 31. Mai 2022 sei aufzuheben und die Sache zur Neubeurteilung an die Vorinstanz zurückzuweisen. Eventualiter sei die Sache durch das Bundesgericht selbst zu entscheiden und die Vorinstanz bzw. die zuständige Staatsanwaltschaft anzuweisen, gegen den Beschwerdeführer [recte: Beschwerdegegner] ein Strafverfahren wegen Amtsgeheimnisverletzung durchzuführen, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen. 
 
E.  
Das Obergericht sowie die Generalstaatsanwaltschaft des Kantons Thurgau verweisen mit Eingabe je vom 24. Oktober 2022 auf die Ausführungen im angefochtenen Entscheid. Das Obergericht beantragt zusätzlich die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. B.________ beantragt mit Vernehmlassung vom 9. November 2022, die Beschwerde sei abzuweisen, soweit darauf einzutreten sei, unter Kosten- und Entschädigungsfolgen zu Lasten von A.________ bzw. des Staates. Dieser replizierte mit Eingabe vom 21. November 2022. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer reicht seine Eingabe als Beschwerde in Strafsachen und als subsidiäre Verfassungsbeschwerde ein. Mit Beschwerde in Strafsachen kann auch die Verletzung von Verfassungsrecht gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). Für die subsidiäre Verfassungsbeschwerde besteht kein Raum (Art. 113 ff. BGG). 
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer führt zur Legitimation für die Beschwerde in Strafsachen aus (Beschwerde S. 3 Ziff. 3), er habe sich als Privatkläger konstituiert und am Verfahren vor Vorinstanz teilgenommen.  
 
2.2. Gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG ist die Privatklägerschaft zur Beschwerde in Strafsachen nur berechtigt, wenn der angefochtene Entscheid sich auf die Beurteilung ihrer Zivilansprüche auswirken kann. Richtet sich die Beschwerde gegen die Einstellung oder Nichtanhandnahme eines Verfahrens, hat die Privatklägerschaft nicht notwendigerweise bereits vor den kantonalen Behörden eine Zivilforderung geltend gemacht. Die Privatklägerschaft muss vor Bundesgericht daher darlegen, aus welchen Gründen sich der angefochtene Entscheid inwiefern auf welche Zivilforderung auswirken kann. Das Bundesgericht stellt an die Begründung der Legitimation strenge Anforderungen. Genügt die Beschwerde diesen Begründungsanforderungen nicht, kann auf sie nur eingetreten werden, wenn aufgrund der Natur der untersuchten Straftat ohne Weiteres ersichtlich ist, um welche Zivilforderungen es geht (BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 4 f.; Urteile 6B_1244/2021 vom 12. April 2022 E. 1.1.1; 6B_700/2020 vom 17. August 2021 E. 2.1.2; je mit Hinweisen).  
 
2.3. Als Zivilansprüche im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG gelten solche, die ihren Grund im Zivilrecht haben und deshalb ordentlicherweise vor dem Zivilgericht durchgesetzt werden müssen. In erster Linie handelt es sich um Ansprüche auf Schadenersatz und Genugtuung nach Art. 41 ff. OR. Nicht in diese Kategorie gehören Ansprüche, die sich aus öffentlichem Recht ergeben. Öffentlich-rechtliche Ansprüche, auch solche aus öffentlichem Staatshaftungsrecht, können nicht adhäsionsweise im Strafprozess geltend gemacht werden und zählen nicht zu den Zivilansprüchen im Sinne von Art. 81 Abs. 1 lit. b Ziff. 5 BGG (BGE 146 IV 76 E. 3.1 S. 82 f.; 131 I 455 E. 1.2.4 S. 461; 128 IV 188 E. 2.2 f. S. 191 f.; Urteile 6B_345/2021 vom 27. April 2022 E. 2.2.1; 6B_1391/2020 vom 1. Dezember 2021 E. 2.1.2; je mit Hinweisen).  
 
2.4. Ungeachtet der fehlenden Legitimation in der Sache selbst kann die Privatklägerschaft vor Bundesgericht die Verletzung von Verfahrensrechten rügen, deren Missachtung eine formelle Rechtsverweigerung darstellt. Zulässig sind Rügen, die formeller Natur sind und von der Prüfung der Sache getrennt werden können. Nicht zu hören sind dabei Rügen, die im Ergebnis auf eine materielle Überprüfung des angefochtenen Entscheids abzielen ("Star-Praxis"; BGE 141 IV 1 E. 1.1 S. 5; Urteil 6B_252/2020 vom 8. September 2020 E. 2.1; je mit Hinweisen). Die Privatklägerschaft kann somit die Verletzung von Prozessvorschriften geltend machen, die ihrem Schutz dienen. Sie kann beispielsweise rügen, dass auf ihre Beschwerde zu Unrecht nicht eingetreten worden sei, dass sie nicht angehört worden sei, dass sie keine Gelegenheit erhalten habe, ihre Beweismittel zu präsentieren oder dass sie das Dossier nicht konsultieren konnte (BGE 121 IV 317 E. 3b S. 324; Urteile 6B_382/2022 vom 12. September 2022 E. 2; 6B_996/2020 vom 2. Februar 2021 E. 2.1).  
 
2.5. Nach Art. 320 StGB wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder Geldstrafe bestraft, wer ein Geheimnis offenbart, das ihm in seiner Eigenschaft als Mitglied einer Behörde oder als Beamter anvertraut worden ist, oder das er in seiner amtlichen oder dienstlichen Stellung wahrgenommen hat. Die Tatbestandsmässigkeit setzt eine Handlung eines Behördenmitglieds voraus. Für durch staatliches Handeln entstandene Schäden sieht der Kanton Thurgau eine ausschliessliche Staatshaftung vor (§ 4 Abs. 1 des Gesetzes vom 14. Februar 1979 über die Verantwortlichkeit; Verantwortlichkeitsgesetz; RB 170.3). Es ist weder ersichtlich noch dargetan, dass dem Beschwerdeführer nebst öffentlich-rechtlichen Forderungen auch Zivilansprüche zustehen sollten. Insoweit ist auf seine Beschwerde nicht einzutreten. Vorbehalten bleiben Rügen, die sich von der materiellen Beurteilung trennen lassen.  
 
3.  
 
3.1. Der Beschwerdeführer rügt eine falsche Anwendung von Bundesrecht. Die Vorinstanz habe ihm die Legitimation zur Beschwerde zu Unrecht abgesprochen. Er verfüge auch ohne das Stellen von privatrechtlichen Ansprüchen über ein rechtlich geschütztes Interesse zur Aufhebung des angefochtenen Entscheides gemäss Art. 382 Abs. 1 StPO. Durch die angezeigte Amtsgeheimnisverletzung sei er unmittelbar - und entgegen der Vorinstanz nicht bloss mittelbar - in seinen Rechten verletzt. Im gegen ihn gerichteten Strafverfahren habe der Beschwerdegegner 2 belastende Zeugenaussagen gemacht. Dadurch seien seine Privatsphäre tangiert und sein Geheimhaltungsinteresse verletzt, zumal die Aussagen Erkenntnisse betreffend sein Domizil, d.h. seinen Privatbereich, betreffen würden. Daran ändere nichts, dass die Aussagen aus dem Recht gewiesen worden seien. Für die Geheimnisverletzung genüge es, dass dieses Dritten offenbart bzw. zur Kenntnis gebracht worden sei. Dies sei mit der gerichtlichen Aussage geschehen.  
 
3.2.  
 
3.2.1. Nach Art. 382 Abs. 1 StPO kann jede Partei, die ein rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung oder Änderung eines Entscheides hat, ein Rechtsmittel ergreifen. Partei des Verfahrens ist namentlich die Privatklägerschaft (Art. 104 Abs. 1 lit. b StPO). Als Privatklägerschaft gilt die geschädigte Person, die ausdrücklich erklärt, sich am Strafverfahren als Straf- oder Zivilklägerin oder -kläger zu beteiligen (Art. 118 Abs. 1 StPO).  
 
3.2.2. Soweit das Amtsgeheimnis eine geheimhaltungsbedürftige Tatsache aus der Privatsphäre des Einzelnen betrifft, schützt Art. 320 StGB nebst den betroffenen öffentlichen Interessen auch dessen Geheimhaltungsinteresse (BGE 142 IV 65 E. 5.1 S. 67 f.; 127 IV 122 E. 1 S. 125; je mit Hinweisen). Betrifft das Geheimnis eine Tatsache aus der Privatsphäre des Einzelnen, ist dieser nach der Rechtsprechung bei Verletzung des Amtsgeheimnisses Geschädigter im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO (Urteile 6B_761/2016 vom 16. Mai 2017 E. 3.4.3; 6B_28/2012 vom 11. Dezember 2012 E. 1.4.3; vgl. auch BGE 120 Ia 220 E. 3b S. 223 f. mit Hinweis auf den Beschluss des Kassationsgerichts des Kantons Zürich vom 9. Oktober 1990, publ. in: ZR 89/1990 Nr. 53 S. 101 f.).  
 
3.2.3. Bei Verletzung des Geheimhaltungsinteresses des Geheimnisherrn ist dessen unmittelbare Verletzung und damit dessen Geschädigtenstellung nach Art. 115 Abs. 1 StPO zu bejahen. Bei Gefährdung des Geheimhaltungsinteresses ist zu unterscheiden: Bestand die konkrete Gefahr, dass der Dritte vom Geheimnis Kenntnis nimmt, war also nach dem gewöhnlichen Lauf der Dinge die Wahrscheinlichkeit oder nahe Möglichkeit der Rechtsgutsverletzung gegeben (BGE 94 IV 60 E. 2 S. 62 mit Hinweisen), ist die Geschädigtenstellung zu bejahen. Bestand dagegen keine konkrete, sondern lediglich die abstrakte Gefahr der Verletzung des Geheimhaltungsinteresses, ist die Geschädigtenstellung zu verneinen (Urteil 1B_29/2018 vom 24. August 2018 E. 2.4 mit Hinweisen).  
 
3.3. Dem vorinstanzlichen Entscheid lässt sich entnehmen, dass die erste Instanz den vom Beschwerdegegner 2 offenbarten Tatsachen im gegen den Beschwerdeführer durchgeführten und abgeschlossenen Strafverfahren Geheimnischarakter zugemessen hat. Dies ergibt sich daraus, dass sie eine Entbindungserklärung der zuständigen Behörde als notwendig erachtet hat. Für die Frage der Rechtsmittellegitimation ist der Geheimnischarakter nicht weiter zu vertiefen, beschlägt er doch die materielle Beurteilung der Frage, ob eine Amtsgeheimnisverletzung vorliegt, welche erst im Falle der Durchführung eines Strafverfahrens gegen den Beschwerdegegner 2 Verfahrensthema bildet. Vielmehr muss es zur Frage der Rechtsmittellegitimation des Beschwerdeführers vor Vorinstanz genügen, dass der Geheimnischarakter zur Diskussion steht. In Bezug auf die weiteren Legitimationsvoraussetzungen ist mit dem Beschwerdeführer festzuhalten, dass das Gericht (d.h. die erste Instanz) die Zeugenaussage des Beschwerdegegners 2 effektiv zur Kenntnis nahm. Damit bestand nicht bloss ein theoretischer Zugang zu Informationen. Vielmehr wurden dem Gericht direkt und unmittelbar Tatsachen preisgegeben, welche der Beschwerdeführer als geheim bezeichnet. Unerheblich ist für die Frage der Kenntnisnahme, dass das Richtergremium selbst dem Amtsgeheimnis unterliegt (vgl. Urteil 6B_572/2018 vom 1. Oktober 2018 E. 3.5.1 und 3.5.2 betr. Amtsgeheimnisverletzung einer Angestellten der Stadt Genf gegenüber dem Verwaltungsgericht). Steht die Verletzung eines Geheimnisses zur Diskussion, so ist das Geheimhaltungsinteresse des Beschwerdeführers tangiert und kommt ihm Geschädigtenstellung im Sinne von Art. 115 Abs. 1 StPO bzw. die Beschwerdelegitimation nach Art. 382 Abs. 1 i.V.m. Art. 118 Abs.1 StPO zu. Der vorinstanzliche Entscheid, der die Beschwerdelegitimation des Beschwerdeführers verneint und auf dessen Beschwerde nicht eintritt, verletzt Bundesrecht. Das angefochtene Urteil ist aufzuheben und die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen.  
 
3.4. Angesichts des Ausgangs des Verfahrens erübrigt es sich, auf die weiteren Rügen des Beschwerdeführers (Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach 29 Abs. 2 BV und § 14 der Verfassung des Kantons Thurgau, Verpflichtung zur Ansetzung einer Nachfrist nach Art. 385 Abs. 2 StPO) einzugehen.  
 
4.  
Bei diesem Ausgang des Verfahrens sind dem zur Hauptsache obsiegenden Beschwerdeführer keine Kosten aufzuerlegen. Den zur Hauptsache unterliegenden Beschwerdegegnern werden die Gerichtskosten anteilsmässig auferlegt, wobei vom unterliegenden Kanton keine Kosten zu erheben sind (Art. 66 Abs. 1 und Abs. 4 BGG). Der Kanton Thurgau und der Beschwerdegegner 2 sind zu verpflichten, dem Beschwerdeführer je eine angemessene Parteientschädigung zu bezahlen (Art. 68 Abs. 2 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird gutgeheissen, soweit darauf einzutreten ist. Der Entscheid des Obergerichts des Kantons Thurgau vom 31. Mai 2022 wird aufgehoben und die Sache zu neuer Entscheidung an die Vorinstanz zurückgewiesen. 
 
2.  
Dem Beschwerdegegner 2 werden Gerichtskosten im Umfang von Fr. 1'500.-- auferlegt. 
 
3.  
Der Kanton Thurgau und der Beschwerdegegner 2 haben dem Beschwerdeführer für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung von je Fr. 1'500.-- zu bezahlen. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Thurgau schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 19. Dezember 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Das präsidierende Mitglied: Denys 
 
Der Gerichtsschreiber: Caprara