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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
9C_171/2022  
 
 
Urteil vom 1. Februar 2023  
 
III. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Parrino, Präsident, 
Bundesrichter Stadelmann, 
Bundesrichterin Moser-Szeless, 
Gerichtsschreiberin Nünlist. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Dr. Ueli Kieser, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
1. CSS Kranken-Versicherung AG, Recht & 
Compliance, Tribschenstrasse 21, 6005 Luzern, 
2. Aquilana Versicherungen, 
Bruggerstrasse 46, 5400 Baden, 
3. PROVITA Gesundheitsversicherung AG, 
c/o SWICA Krankenversicherung AG, 
Römerstrasse 38, 8400 Winterthur, 
4. CONCORDIA Versicherungen AG, 
Bundesplatz 15, 6002 Luzern, 
5. Atupri Gesundheitsversicherung, 
Zieglerstrasse 29, 3000 Bern, 
6. Avenir Assurance Maladie SA, 
Rue des Cèdres 5, 1920 Martigny, 
7. KPT Krankenkasse AG, Wankdorfallee 3, 3014 Bern, 
8. Vivao Sympany AG, Rechtsdienst, 
Peter Merian-Weg 4, 4052 Basel, 
9. Kolping Krankenkasse AG, c/o Sympany 
Services AG, Peter Merian-Weg 4, 4052 Basel, 
10. Easy Sana Assurance Maladie SA, 
Rue des Cèdres 5, 1920 Martigny, 
11. EGK Grundversicherungen AG, 
Birspark 1, 4242 Laufen, 
12. Krankenkasse Birchmeier, 
Hauptstrasse 22, 5444 Künten, 
13. Galenos AG, Weltpoststrasse 19, 3015 Bern, 
14. Sanitas Grundversicherungen AG, Rechtsdienst, 
Jägergasse 3, 8004 Zürich, 
15. Philos Assurance Maladie SA, 
Rue des Cèdres 5, 1920 Martigny, 
16. Assura-Basis SA, 
Avenue Charles-Ferdinand-Ramuz 70, 1009 Pully, 
17. Visana Versicherungen AG, 
Weltpoststrasse 19, 3015 Bern, 
18. Agrisano Krankenkasse AG, 
Laurstrasse 10, 5200 Brugg, 
19. Helsana Versicherungen AG, 
Zürichstrasse 130, 8600 Dübendorf, 
20. sana24 AG, Weltpoststrasse 19, 3015 Bern, 
21. SWICA Gesundheitsorganisation, Rechtsdienst, 
Römerstrasse 38, 8400 Winterthur, 
alle handelnd durch santésuisse, 
Römerstrasse 20, 4500 Solothurn, 
und diese vertreten durch Rechtsanwalt Felix Weber, 
Beschwerdegegnerinnen. 
 
Gegenstand 
Krankenversicherung, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Versicherungsgerichts des Kantons Aargau, Schiedsgericht in Sozialversicherungssachen, vom 11. März 2022 (VSG.2017.5). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
 
A.a. Mit Urteil 9C_28/2017 vom 15. Mai 2017 wies das Bundesgericht das Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Schiedsgericht in Sozialversicherungssachen, zu weiteren Abklärungen hinsichtlich der Beurteilung der Wirtschaftlichkeit der Praxistätigkeit von Dr. med. A.________, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin speziell Kardiologie, im Abrechnungsjahr 2012 an. Es erwog, dass nicht auszuräumende Zweifel an der Zuverlässigkeit des dem angefochtenen Entscheid zugrunde liegenden Durchschnittskostenvergleichs bestünden. Unter den gegebenen Umständen erscheine es angezeigt, die statistische Methode mit der analytischen Methode zu kombinieren. Nach entsprechenden Abklärungen werde das Schiedsgericht über die streitige Rückerstattungspflicht wegen unwirtschaftlicher Leistungserbringung neu zu entscheiden haben (E. 4.4 S. 10 f. des Urteils).  
 
A.b. Das kantonale Schiedsgericht beauftragte daraufhin Prof. em. Dr. med. B.________, Facharzt für Allgemeine Innere Medizin speziell Kardiologie, mit einer Expertise. Dabei wies das Gericht darauf hin, dass der Experte den Fragenkatalog anhand einer repräsentativen Fallauswahl zu beantworten habe. Die Auswahl und Anzahl der von ihm zu überprüfenden Fälle stehe in seinem freien Ermessen. Er habe die Ermessensausübung zu begründen (Verfügung vom 10. Juni 2020, S. 6). Die Expertise wurde im Oktober 2020 erstattet.  
Am 22. Juli 2021 ersuchte das Gericht den Sachverständigen um Ergänzung seines Gutachtens, wozu sich dieser bereit erklärte. Das Schiedsgericht forderte daraufhin von A.________ eine Liste der Namen der 309 Erkrankten gemäss der Rechnungssteller-Statistik für das Jahr 2012 ein. Dieser liess dem Gericht am 7. Oktober 2021 eine Liste mit Patientennummern zukommen, woraus das Gericht in der Folge 30 Patientendossiers einverlangte. Am 9. Dezember 2021 bat A.________ um Akteneinsicht. 
 
B.  
Am 22. Dezember 2021 stellte A.________ ein Ausstandsbegehren gegen Prof. em. Dr. med. B.________. Das kantonale Schiedsgericht beurteilte das Gesuch mit Verfügung vom 11. März 2022 abschlägig. 
 
 
C.  
A.________ führt Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten und subsidiäre Verfassungsbeschwerde. Er beantragt, es sei Ziffer 1 der Verfügung vom 11. März 2022 aufzuheben und es sei der Ausstand des Gutachters Prof. em. Dr. med. B.________ festzulegen. Eventualiter sei die Sache an die Vorinstanz zurückzuweisen, damit diese in ordnungsgemässer Zusammensetzung das Ausstandsbegehren beurteile. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Mit der Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten kann namentlich die Verletzung von Bundesrecht (einschliesslich der verfassungsmässigen Rechte) gerügt werden (Art. 95 lit. a BGG). 
Die Verletzung von kantonalrechtlichen Bestimmungen stellt demgegenüber - vorbehältlich kantonaler verfassungsmässiger Rechte (Art. 95 lit. c BGG) oder politische Rechte umschreibender Normen (Art. 95 lit. d BGG) - keinen eigenständigen Beschwerdegrund dar. Sie kann nur insoweit angerufen werden, als damit zugleich Bundesrecht oder Völkerrecht verletzt wird. Im Vordergrund steht diesfalls die Verletzung verfassungsmässiger Rechte, insbesondere des Willkürverbots (Art. 9 BV). Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts verstösst ein Entscheid gegen dieses Verbot, wenn er im Ergebnis offensichtlich unhaltbar ist, weil er zum Beispiel eine Norm oder einen unumstrittenen Rechtsgrundsatz krass verletzt. Dass eine andere Lösung ebenfalls als vertretbar erscheint, genügt nicht. 
Für die Verletzung von Grundrechten und kantonalem Recht gilt eine qualifizierte Rügepflicht (Art. 106 Abs. 2 BGG). Das Bundesgericht untersucht nicht von sich aus, ob der angefochtene kantonale Entscheid die Grundrechte oder kantonales Recht verletzt, sondern prüft nur rechtsgenügend vorgebrachte, klar erhobene und, soweit möglich, belegte Rügen. Auf ungenügend begründete Rügen und bloss allgemein gehaltene, appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid geht es nicht ein (Art. 42 Abs. 1 und 2 BGG; zum Ganzen: Urteil 8C_165/2022 vom 23. Mai 2022 E. 2 mit Hinweisen). 
 
2.  
Der Beschwerdeführer rügt betreffend die angefochtene Verfügung vom 11. März 2022 eine Verletzung von Art. 30 (Abs. 1) BV. Er bringt vor, dass einzelrichterlich entschieden worden sei, obwohl dies gemäss kantonalem Verfahrensrecht (Einführungsgesetz zur Schweizerischen Zivilprozessordnung des Kantons Aargau vom 23. März 2010, EG ZPO/AG; SAR 221.200) nicht vorgesehen sei. 
 
2.1. Nachdem die Verletzung von Bundes (-verfassungs-) recht gerügt wird, ist die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten zulässig (E. 1 hiervor) und die subsidiäre Verfassungsbeschwerde (Art. 113 ff. BGG) damit obsolet.  
 
2.2. Der Beschwerdeführer macht eine Verletzung von § 15 EG ZPO/ AG geltend, wonach ein hauptamtliches Mitglied des Versicherungsgerichts als Einzelrichterin oder Einzelrichter über die im summarischen Verfahren zu entscheidenden Angelegenheiten und Streitigkeiten befindet. Er bringt vor, über die Frage des Ausstands sei nicht im summarischen Verfahren zu urteilen. Damit könne darüber nicht einzelrichterlich entschieden werden. Der Beschwerdeführer begründet seine Ansicht nicht. Seine Rüge genügt daher im Lichte von Art. 106 Abs. 2 BGG nicht (E. 1 hiervor).  
 
3.  
 
3.1. Die Vorinstanz hat über den Ausstand von Prof. em. Dr. med. B.________ in Anwendung von § 16 Abs. 1 VRPG/AG entschieden.  
Rechtsprechungsgemäss ergeben sich die formellen Ablehnungsgründe eines Sachverständigen aus den allgemeinen Verfahrensgarantien gemäss Art. 29 Abs. 1 BV, die in dieser Hinsicht einen gleichwertigen Schutz wie Art. 30 Abs. 1 BV gewährleisten (vgl. Urteil 8C_592/2021 vom 4. Mai 2022 E. 6.1.1 mit Hinweisen). Ob die darin enthaltene Minimalgarantie eines unabhängig und unparteiisch erstellten Gutachtens ohne Einwirken sachfremder Umstände gewährleistet ist, ist vom Bundesgericht frei zu überprüfen (vgl. Urteil 9C_535/2021 vom 13. Mai 2022 E. 2.1 f. mit Hinweisen, insbesondere auf BGE 129 V 335 E. 1.3.2). 
 
3.2. Indem Prof. em. Dr. med. B.________ seine erste Einschätzung vom Oktober 2020 aufgrund der bereits vorliegenden Akten - ohne die vom Schiedsgericht aufgetragene Einholung einer repräsentativen Fallauswahl (Verfügung vom 10. Juni 2020) - vorgenommen hat, ist er seinem Auftrag nicht genügend nachgekommen, was die Beweiskraft seines Gutachtens beschlägt. Dies hat das Gericht erkannt und daher am 22. Juli 2021 um eine Ergänzung der Expertise gebeten. Inwiefern der Sachverständige befangen sein soll, erhellt indessen nicht. So ist er in seiner ersten Expertise unbestritten sowohl zu Schlüssen gelangt, die für den Beschwerdeführer sprechen, als auch zu solchen, die gegen ihn sprechen. Es sind keine Anhaltspunkte ersichtlich, weshalb er dies nicht auch im Rahmen der Berücksichtigung weiterer Patientendossiers so handhaben wird. Weder der Umstand, dass er bereits einmal ein "vollständiges und abgeschlossenes Gutachten vorgelegt" hat, noch, dass er sich (lediglich) zu einer "Ergänzung" bereit erklärt hat, lassen auf eine verfestigte Meinungsbildung und damit eine Voreingenommenheit schliessen. So war es die Pflicht des Experten, eine vollständige, abgeschlossene Expertise vorzulegen und sich gestützt auf die erhobenen Grundlagen eine endgültige Meinung zu bilden. Dies schliesst nicht aus, dass zusätzliche Erkenntnisse im Rahmen der Würdigung weiterer Daten seine Meinungsbildung beeinflussen können.  
Dass die Vorinstanz die Fälle schliesslich selbst vom Beschwerdeführer einverlangt hat, entspricht dem Wunsch des Sachverständigen (vgl. Stellungnahme vom 26. Juli 2021) und hat nichts mit der Einschätzung der Befangenheit des Experten durch das Gericht zu tun. Die Beschwerde ist unbegründet. 
 
4.  
Dem Ausgang des Verfahrens entsprechend hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Auf die subsidiäre Verfassungsbeschwerde wird nicht eingetreten. 
 
2.  
Die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 500.- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien, dem Versicherungsgericht des Kantons Aargau, Schiedsgericht in Sozialversicherungssachen, und dem Bundesamt für Gesundheit schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Luzern, 1. Februar 2023 
 
Im Namen der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Parrino 
 
Die Gerichtsschreiberin: Nünlist