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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1C_355/2022  
 
 
Urteil vom 14. November 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Haag, Merz, 
Gerichtsschreiberin Hänni. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Rechtsanwalt Stephan Reinhardt, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Verkehrssicherheitszentrum OW/NW, Administrativmassnahmen, 
Kreuzstrasse 2, Postfach, 6371 Stans. 
 
Gegenstand 
Entzug des Führerausweises, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts des Kantons Obwalden 
vom 17. Mai 2022 (B 21/030/RAS). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
A.________ fuhr am 22. Juni 2021, um 22.40 Uhr, mit dem Personenwagen OW xxx mit auffälliger Fahrweise auf der Autostrasse A2 in Fahrtrichtung Süden, sodass ein unbeteiligter Dritter in Stans den Personenwagen der Kantonspolizei Nidwalden meldete. Daraufhin hielt die Polizei A.________ bei der Autobahnausfahrt Beckenried Süd zur Kontrolle an. Dabei stellte sie bei ihm starken Atemalkoholgeruch fest sowie weitere Indizien, welche auf eine Fahrunfähigkeit deuteten. Der anschliessend durchgeführte Alkoholtest ergab eine Atemalkoholkonzentration von 0.78 mg/l. Mit der auf der Polizeistation mittels Messgerät durchgeführten Atemalkoholprobe konnten keine verwertbaren Resultate erzielt werden. In der Folge widersetzte sich A.________ aus religiösen Gründen der durch den Staatsanwalt angeordneten Blutprobe. 
 
B.  
Mit Verfügung vom 20. August 2021 entzog das Verkehrssicherheitszentrum OW/NW (nachfolgend: VSZ OW/NW) A.________ bis zur Abklärung der Fahreignung den Führerausweis auf unbestimmte Zeit, legte eine Sperrfrist von 48 Monaten fest und untersagte ihm das Führen von Motorfahrzeugen aller Kategorien. Die Befürwortung der Fahreignung machte es von der Durchführung einer positiv ausfallenden verkehrspsychologischen Begutachtung und einer verkehrsmedizinischen Fahreignungsuntersuchung, welche die Fahreignung befürwortet, abhängig. 
Mit Entscheid vom 30. November 2021 wies das VSZ OW/NW die durch A.________ erhobene Einsprache gegen die Verfügung vom 20. August 2021 ab. 
 
C.  
Gegen den Einspracheentscheid erhob A.________ am 21. Dezember 2021 Beschwerde beim Verwaltungsgericht Obwalden und beantragte im Hauptpunkt dessen Aufhebung. Ausserdem beantragte er die Sistierung des Verfahrens bis zum Vorliegen eines rechtskräftigen Entscheids im Strafverfahren sowie die Gewährung der aufschiebenden Wirkung. Mit Entscheid vom 4. Februar 2022 wies der Gerichtspräsident des Verwaltungsgerichts Obwalden das Gesuch um Sistierung des Verfahrens und um Gewährung der aufschiebenden Wirkung ab. 
Mit Entscheid vom 17. Mai 2022 hiess das Verwaltungsgericht die Beschwerde im Kostenpunkt gut. Im Übrigen wies es die Beschwerde ab und bestätigte den Einspracheentscheid des VSZ OW/NW. 
 
D.  
Mit Eingabe an das Bundesgericht vom 14. Juni 2022 erhebt A.________ Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten gegen den Entscheid des Verwaltungsgerichts Obwalden und beantragt dessen Aufhebung. Das VSZ OW/NW sei anzuweisen, das Administrativmassnahmeverfahren unter Berücksichtigung des zwischenzeitlich in Rechtskraft erwachsenen Urteils des Kantonsgerichts Nidwalden vom 11. Februar 2022 einer Neubeurteilung zuzuführen, wobei insbesondere von einem Sicherungsentzug einschliesslich der verkehrsmedizinischen und verkehrspsychologischen Begutachtung abzusehen sei. 
Das Verwaltungsgericht beantragt die Abweisung der Beschwerde, soweit darauf einzutreten sei. Das VSZ OW/NW sowie das zur Stellungnahme eingeladene Bundesamt für Strassen ASTRA beantragen die Abweisung der Beschwerde. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend einen Führerausweisentzug. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht offen (Art. 82 lit. a, Art. 86 Abs. 1 lit. d sowie Art. 90 BGG); ein Ausnahmegrund gemäss Art. 83 BGG ist nicht gegeben. Der Beschwerdeführer ist als Inhaber des entzogenen Führerausweises und Adressat des angefochtenen Urteils nach Art. 89 Abs. 1 BGG zur Beschwerde legitimiert. Auf die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist somit grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer macht vor Bundesgericht einzig eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltsfeststellung geltend. Dabei stützt er sich hauptsächlich auf das Strafurteil des Kantonsgerichts Nidwalden, das gegen ihn am 11. Februar 2022 ergangen ist. Er führt aus, er sei in diesem Urteil vom Vorwurf der vorsätzlichen Vereitelung von Massnahmen zur Feststellung der Fahrunfähigkeit als Motorfahrer freigesprochen worden. Damit stehe fest, dass er sich der Blutentnahme nicht widersetzt habe und dieses Argument für die Begründung der Administrativmassnahme entfalle. Da die Vorinstanz aber davon ausgegangen sei, er habe sich der Blutentnahme widersetzt, liege eine offensichtlich unrichtig Sachverhaltsfeststellung vor. 
 
2.1. Es ist zunächst zu prüfen, ob sich der Beschwerdeführer vor Bundesgericht überhaupt auf das Strafurteil des Kantonsgerichts Nidwalden vom 11. Februar 2022 berufen kann. Dieses lag der Vorinstanz unbestrittenermassen nicht vor.  
 
2.2. Neue Tatsachen und Beweismittel dürfen nur so weit vorgebracht werden, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG).  
Art. 99 Abs. 1 BGG zielt auf Tatsachen ab, die erst durch das angefochtene Urteil rechtserheblich werden. Ein solches zulässiges unechtes Novum liegt etwa vor, wenn die beschwerdeführende Partei eine Verletzung des rechtlichen Gehörs durch die Vorinstanz rügt. Die beschwerdeführende Partei kann sich auch auf unechte Noven stützen, wenn die Vorinstanz ein neues rechtliches Argument anführt, mit dem die Partei zuvor nicht konfrontiert worden war (BGE 136 III 123 E. 4.4.3; Urteil 2C_50/2017 vom 22. August 2018 E. 3.2). Keine zulässigen unechten Noven liegen hingegen vor, wenn die beschwerdeführende Partei die Tatsachen ohne Weiteres bereits im kantonalen Verfahren hätte vorbringen können (BGE 136 III 123 E. 4.4.3; Urteil 8C_158/2017 vom 22. August 2017). In diesem Sinne bildet der vorinstanzliche Verfahrensausgang allein kein hinreichender Anlass nach Art. 99 Abs. 1 BGG für die Zulässigkeit von unechten Noven. Daraus folgt, dass die beschwerdeführende Partei auch nicht eine offensichtlich unrichtige Sachverhaltfeststellung rügen kann, wenn sie sich auf unzulässige unechte Noven stützt (BGE 136 III 123 E. 4.4.3). 
Das Vorbringen von Tatsachen, die sich erst nach dem angefochtenen Entscheid ereignet haben oder entstanden sind (echte Noven), ist vor Bundesgericht unzulässig (BGE 143 V 19 E. 1.2 mit Hinweisen). 
 
2.3. Vorliegend beruft sich der Beschwerdeführer auf das unbegründete Strafurteil des Kantonsgerichts Nidwalden vom 11. Februar 2022. Laut letzter Seite dieses Urteils wurde es am 17. Februar 2022 versandt. Weiter ist es gemäss Rechtskraftsbescheinigung des Kantonsgerichts Nidwalden vom 19. Mai 2022 am 17. Februar 2022 in Rechtskraft erwachsen. Der im vorliegenden Verfahren angefochtene Entscheid des Verwaltungsgerichts Obwalden wurde am 17. Mai 2022 gefällt.  
Die strafrechtliche Beurteilung der Ereignisse der Nacht vom 22. Juni 2021 durch das erstinstanzliche Strafgericht waren dem Beschwerdeführer also grundsätzlich ab dem 11. Februar 2022 bekannt und er verfügte spätestens etwas mehr als eine Woche später über die schriftliche Version des Dispositivs des betreffenden Urteils. Der Beschwerdeführer hätte dieses somit ohne Weiteres bereits im Verfahren vor der Vorinstanz vorbringen können, deren Entscheid knapp drei Monate später erging. Ausserdem stützte sich das VSZ OW/NW in ihrem Einspracheentscheid unter anderem auf die Vereitelung der Blutentnahme, um den Führerausweisentzug zu verfügen, und der Beschwerdeführer hatte diese rechtliche Beurteilung bereits in seiner Beschwerde vor der Vorinstanz kritisiert. Ihm war also ohne Weiteres bewusst, dass dieses Sachverhaltselement für den angefochtenen Entscheid von Bedeutung war. In diesem Sinne handelt es sich beim Nidwaldner Strafurteil nicht um eine Tatsache, die erst durch das angefochtene Urteil rechtserheblich geworden ist. Vielmehr stellt es ein unzulässiges unechtes Novum dar. 
Der Beschwerdeführer bemerkt noch, das Nidwaldner Strafurteil sei zum Zeitpunkt des vorinstanzlichen Urteils noch nicht rechtskräftig gewesen, belegt dies aber nicht. Aus der erwähnten Rechtskraftsbescheinigung geht nicht hervor, ob das Urteil aufgrund einer unbenützt abgelaufenen Rechtsmittelfrist oder einer Erklärung des Beschwerdeführers, auf ein Rechtsmittel zu verzichten oder ein ergriffenes Rechtsmittel zurückzuziehen, rechtskräftig geworden ist (vgl. Art. 437 StPO). Mit anderen Worten ist nicht klar, ob der Umstand, dass das Urteil am 17. Februar 2022 in Rechtskraft erwachsen ist, erst am 19. Mai 2022 - d.h. nach dem angefochtenen Entscheid - festgestellt werden konnte oder bereits früher. Letztlich ist dies aber auch nicht entscheidend: trifft die Behauptung des Beschwerdeführers nämlich zu, wäre das Nidwaldner Strafurteil erst nach dem vorinstanzlichen Entscheid "entstanden" und somit als ein von vornherein unzulässiges echtes Novum zu qualifizieren. 
 
2.4. Zusammengefasst ist das Nidwaldner Strafurteil, auf welches sich der Beschwerdeführer beruft, ein unzulässiges Novum und kann vor Bundesgericht nicht berücksichtigt werden.  
Der Beschwerdeführer bringt keine weiteren Argumente vor, um den Vorwurf der offensichtlich unrichtigen Feststellung des Sachverhalts zu begründen. Die Rüge erweist sich daher insgesamt als unbegründet. 
Da der Beschwerdeführer keine anderen Rügen erhebt, ist die Beschwerde abzuweisen. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der Beschwerdeführer kostenpflichtig (Art. 66 Abs. 1 BGG). Eine Parteientschädigung ist nicht geschuldet (Art. 68 Abs. 1 und Abs. 3 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 3'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, dem Verkehrssicherheitszentrum OW/NW, dem Verwaltungsgericht des Kantons Obwalden und dem Bundesamt für Strassen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 14. November 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Hänni