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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_562/2022  
 
 
Urteil vom 25. November 2022  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Bundesrichterin Jametti, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
vertreten durch Rechtsanwalt Kenad Melunovic Marini, 
 
gegen  
 
Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau, 
Bleichemattstrasse 7, 5001 Aarau 1 Fächer. 
 
Gegenstand 
Abweisung des Haftentlassungsgesuch / Verlängerung der Untersuchungshaft, 
 
Beschwerde gegen den Entscheid des Obergerichts des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, vom 13. Oktober 2022 (SBK.2022.310 / cb). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Kantonale Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau führt eine Strafuntersuchung gegen A.________ wegen qualifizierter Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz, qualifizierter Geldwäscherei und mehrfacher Urkundenfälschung. Er wurde am 22. Februar 2022 festgenommen und befindet sich seither in Haft. 
 
B.  
Am 16. August 2022 ersuchte A.________ um Haftentlassung. Das Zwangsmassnahmengericht des Kantons Aargau wies das Gesuch mit Verfügung vom 1. September 2022 ab und hiess gleichzeitig den Antrag der Staatsanwaltschaft auf Verlängerung der Untersuchungshaft gut. Die Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau wies die dagegen erhobene Beschwerde am 13. Oktober 2022 ab, wobei sie weiterhin von Flucht- und Kollusionsgefahr ausging. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Strafsachen vom 3. November 2022 beantragt A.________ vor Bundesgericht, den Entscheid vom 13. Oktober 2022 der Beschwerdekammer in Strafsachen des Obergerichts des Kantons Aargau aufzuheben. Eventualiter sei "der Entscheid an die Vorinstanz zur neuerlichen Prüfung der Sicherheitsleistung im Sinne von Art. 237 Abs. 1 lit. a StPO [recte: Art. 237 Abs. 2 lit. a StPO] und der Möglichkeit technischer Überwachung im Sinne von Art. 237 Abs. 3 StPO zurückzuweisen." Weiter beantragt der Beschwerdeführer, er sei unter der Bedingung, dass eine Sicherheitsleistung in einem vom Gericht zu bestimmenden Betrag geleistet werde, aus der Haft zu entlassen. Eventualiter sei er unter der Anordnung einer Überwachung durch Einsatz von technischen Hilfsmitteln, namentlich Electronic Monitoring, aus der Haft zu entlassen. 
Die Staatsanwaltschaft und Vorinstanz haben auf Vernehmlassung verzichtet. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Entscheid betreffend Haftentlassung. Dagegen steht grundsätzlich die Beschwerde in Strafsachen ans Bundesgericht gemäss Art. 78 ff. BGG offen. Der Beschwerdeführer hat am vorinstanzlichen Verfahren teilgenommen und befindet sich, soweit aus den Akten ersichtlich, nach wie vor in Haft. Er hat folglich ein aktuelles, rechtlich geschütztes Interesse an der Aufhebung des angefochtenen Entscheids und ist somit gemäss Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Da auch die übrigen Sachurteilsvoraussetzungen erfüllt sind, ist auf die Beschwerde grundsätzlich einzutreten. 
 
2.  
Untersuchungs- oder Sicherheitshaft sind gemäss Art. 221 Abs. 1 StPO zulässig, wenn die beschuldigte Person eines Verbrechens oder Vergehens dringend verdächtig ist (sog. allgemeiner Haftgrund) und insbesondere zu befürchten ist, dass sie sich durch Flucht dem Strafverfahren oder der zu erwartenden Sanktion entzieht (sog. Fluchtgefahr; lit. a); oder Personen beeinflusst oder auf Beweismittel einwirkt, um so die Wahrheitsfindung zu beeinträchtigen (sog. Kollusionsgefahr; lit. b). Überdies muss die Haft verhältnismässig sein (vgl. Art. 5 Abs. 2 und Art. 36 Abs. 3 BV, Art. 197 Abs. 1 lit. c und d sowie Art. 212 Abs. 2 lit. c StPO). Strafprozessuale Haft darf nur als "ultima ratio" angeordnet oder aufrechterhalten werden. Wo sie durch mildere Massnahmen ersetzt werden kann, muss von ihrer Anordnung oder Fortdauer abgesehen und an ihrer Stelle eine solche Ersatzmassnahme verfügt werden (Art. 212 Abs. 2 lit. c i.V.m. Art. 237 f. StPO; vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.1; 142 IV 367 E. 2.1; 140 IV 74 E. 2.2). 
Der Beschwerdeführer bestreitet weder den dringenden Tatverdacht noch den besonderen Haftgrund der Kollusionsgefahr. Indem er behauptet, er würde seine Zukunft nicht durch Flucht gefährden wollen, scheint er Fluchtgefahr zu bestreiten. Hauptsächlich macht er geltend, die Haft sei nicht verhältnismässig, da das durch die Haft angestrebte Ziel der Bannung von Flucht- und Kollusionsgefahr auch durch Anordnung von Ersatzmassnahmen erreicht werden könne. 
 
3.  
 
3.1. Betreffend Fluchtgefahr macht der Beschwerdeführer geltend, er sei in der Schweiz geboren und aufgewachsen und habe sein ganzes Leben hier verbracht. Er habe kein Interesse an einer Flucht ins Ausland und würde seine Zukunft nicht durch einen aussichtslosen und unsinnigen Fluchtversuch gefährden. Er wisse um die Möglichkeit der bedingten Entlassung nach zwei Dritteln der erstandenen Haft. Es gäbe für ihn keinen Grund, seine Zukunft in der Schweiz zu gefährden.  
 
3.2. Soweit sich der Beschwerdeführer damit gegen die Annahme von Fluchtgefahr wendet, kann ihm nicht gefolgt werden. Er setzt sich mit seinen Ausführungen in keiner Weise mit der Begründung des angefochtenen Entscheids auseinander und kommt insofern seiner Begründungspflicht (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG) nicht nach. Eine Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 BGG ist auch sonst nicht ersichtlich. Die Vorinstanz hat im angefochtenen Entscheid nachvollziehbar dargelegt, weshalb von Fluchtgefahr auszugehen sei und dabei unter anderem einen Fluchtversuch im Januar 2022 und eine Aussage des Beschwerdeführers, wonach er sich gut vorstellen könne, die Schweiz nach Erledigung einiger Geschäfte zu verlassen, berücksichtigt (vgl. angefochtener Entscheid, E. 4.2.5). Auf die entsprechenden Erwägungen kann in Anwendung von Art. 109 Abs. 3 BGG vollumfänglich verwiesen werden.  
 
4.  
 
4.1.  
 
4.1.1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines rechtlichen Gehörs und von Art. 237 Abs. 1 lit. a StPO. Die Vorinstanz habe nicht geprüft, ob anstelle der Haft Ersatzmassnahmen angeordnet werden könnten. So sei die Vorinstanz nicht auf die Möglichkeit der Zahlung einer Sicherheitsleistung eingegangen, obschon der Beschwerdeführer die Zahlung einer solchen durch seine Eltern angeboten habe. Nach Ansicht des Beschwerdeführers hätte das Haftgericht die für die Bemessung der Sicherheitsleistung notwendigen Abklärungen selbst vornehmen müssen. Dabei hätte sie ihm nach seiner Auffassung zumindest Gelegenheit einräumen müssen, die legale Herkunft der finanziellen Mittel, mit welchen die Kaution geleistet werden sollte, zu belegen.  
 
4.1.2. Gemäss Art. 237 Abs. 1 StPO ordnet das zuständige Gericht an Stelle der Untersuchungs- oder Sicherheitshaft eine oder mehrere mildere Massnahmen an, wenn sie den gleichen Zweck wie die Haft erfüllen. Gemäss Art. 237 Abs. 2 lit a StPO besteht als Ersatzmassnahme insbesondere die Möglichkeit der Zahlung einer Sicherheitsleistung. Eine Haftentlassung kommt nur in Frage, wenn die Kaution tatsächlich tauglich ist, die beschuldigte Person von einer Flucht abzuhalten (Urteil 1B_415/2022 vom 30. August 2022 E. 5.1 mit Hinweisen). Die Höhe der Kaution bemisst sich dabei nach der Schwere der vorgeworfenen Taten und den persönlichen Verhältnissen der beschuldigten Person (Art. 238 Abs. 2 StPO). Das zuständige Gericht hat die für die Bemessung der Kaution notwendigen Abklärungen vorzunehmen (vgl. Urteil 1B_643/2020 vom 21. Januar 2021 E. 3.2 mit Hinweisen). Bei der Prüfung der Herkunft der für die Sicherheitsleistung herangezogenen finanziellen Mittel ist Vorsicht geboten (Urteil 1B_431/2022 vom 2. September 2022 E. 2.3 mit Hinweisen).  
Anstelle der beschuldigten Person können grundsätzlich auch Drittpersonen die Kaution leisten (vgl. Art. 240 Abs. 2 StPO). Diesfalls sind die finanziellen Möglichkeiten der Drittpersonen und die persönliche Beziehung der beschuldigten Person zu diesen Drittpersonen zu prüfen. Die Sicherheitsleistung muss so hoch angesetzt werden, dass sich die beschuldigte Person lieber dem Strafverfahren stellt, als den Drittpersonen den Verlust der Kaution zuzumuten (vgl. Urteile 1B_427/2022 vom 9. September 2022 E. 3.1; 1B_431/2022 vom 2. September 2022 E. 2.3; 1B_415/2022 vom 30. August 2022 E. 5.1; je mit Hinweisen). Das Gericht hat dabei auch zu prüfen, ob die Drittpersonen eine geleistete Kaution überhaupt zurückfordern würden (vgl. Urteil 1B_415/2022 vom 30. August 2022 E. 5.1 mit Hinweisen). Die beschuldigte Person hat ihre Vermögensverhältnisse und jene der Drittpersonen in nachvollziehbarer Weise offenzulegen. Verweigert sie ihre Kooperation und bleiben die finanziellen Verhältnisse undurchsichtig, scheidet eine Sicherheitsleistung aus, da sich deren Wirksamkeit nicht verlässlich beurteilen lässt (vgl. Urteile 1B_427/2022 vom 9. September 2022 E. 3.1; 1B_415/2022 vom 30. August 2022 E. 5.1; je mit Hinweisen). 
 
4.1.3. Entgegen der Auffassung des Beschwerdeführers ist nicht zu beanstanden, dass die Vorinstanz keine Sicherheitsleistung anstelle von Haft angeordnet hat. Wie die Vorinstanz nachvollziehbar dargelegt hat, ist nicht ersichtlich, wie eine solche Kaution die vom Beschwerdeführer ausgehende Kollusionsgefahr bannen würde. Auch der Fluchtgefahr könnte mit einer Sicherheitsleistung nicht begegnet werden. Wie die Vorinstanz zutreffend erwogen hat, könnte der Beschwerdeführer die Kaution verfallen lassen, um derweil an seinen mutmasslich beiseite geschafften Deliktserlös zu gelangen. Da Höhe und Ort des vom Beschwerdeführer vermutlich erzielten Deliktserlöses gegenwärtig offenbar unbekannt sind, würde auch der Nachweis der legalen Herkunft der für die Kaution benötigten finanziellen Mittel hieran nichts ändern. Eine Verletzung von Bundesrecht im Sinne von Art. 95 BGG und insbesondere des rechtlichen Gehörs des Beschwerdeführers ist somit nicht ersichtlich.  
 
4.2.  
 
4.2.1. Der Beschwerdeführer macht schliesslich noch geltend, die Vorinstanz habe die Möglichkeit einer Entlassung aus der Haft unter Anordnung eines elektronisch überwachten "Hausarrests" bei seinen Eltern nicht geprüft. Damit könne seiner Auffassung nach sowohl der Flucht- wie auch der Kollusionsgefahr begegnet werden. Die Vorinstanz habe sein rechtliches Gehör verletzt, indem sie diese Möglichkeit ausser Acht gelassen habe. Sinngemäss rügt der Beschwerdeführer damit auch eine Verletzung von Art. 237 Abs. 1 lit. c sowie Abs. 3 StPO.  
 
4.2.2. Als Ersatzmassnahme fällt nach Art. 237 Abs. 2 lit. c StPO auch die Auflage, sich nur oder sich nicht an einem bestimmten Ort oder in einem bestimmten Haus aufzuhalten, in Betracht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts reicht jedoch die Zuweisung eines Wohnrayons ("Hausarrest") angesichts der fehlenden Personenkontrollen an den Landesgrenzen im Schengenraum regelmässig nicht aus, um einer ausgeprägten Fluchtgefahr zu begegnen (vgl. Urteil 1B_382/2022 vom 11. Oktober 2022 E. 2.5 mit Hinweisen).  
Das Haftgericht kann zwar zur Überwachung von Ersatzmassnahmen den Einsatz technischer Geräte und deren feste Verbindung mit der zu überwachenden Person anordnen (Art. 237 Abs. 3 StPO). Das Electronic Monitoring erlaubt jedenfalls zurzeit jedoch keine Überwachung in Echtzeit (vgl. BGE 145 IV 503 E. 3.3.1; Urteil 1B_271/2022 vom 16. September 2022 E. 4.2) und ist daher grundsätzlich nicht geeignet, die Begehung von Straftaten, eine Flucht oder Kollusionshandlungen zu verhindern und somit einer bestehenden Wiederholungs-, Ausführungs-, Flucht- oder Kollusionsgefahr tatsächlich zu begegnen (Urteil 1B_442/2022 vom 20. September 2022 E. 6.1 mit Hinweis). 
 
4.2.3. Soweit der Beschwerdeführer seiner Begründungspflicht (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG) nachkommt, kann ihm nicht gefolgt werden. Zunächst ist nicht ersichtlich, inwiefern die Anordnung elektronisch überwachten "Hausarrests" der vom Beschwerdeführer ausgehenden Kollusionsgefahr Rechnung tragen würde. Es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer auch vom Wohnort seiner Eltern aus diverse Möglichkeiten hätte, um die Wahrheitsfindung etwa durch Beeinflussung von Zeugen oder Mitbeschuldigten zu beeinträchtigen. Des Weiteren kann beim Beschwerdeführer nicht nur von einer niederschwelligen Fluchtgefahr ausgegangen werden, weshalb nach der bundesgerichtlichen Rechtsprechung die Zuweisung eines Wohnrayons nach Art. 237 Abs. 2 lit. c StPO auch aus diesem Grund ausser Betracht fällt. Die Vorinstanz hat somit kein Bundesrecht im Sinne von Art. 95 BGG verletzt, indem sie keinen elektronisch überwachten "Hausarrest" anstelle von Haft anordnete. Auch eine Verletzung des rechtlichen Gehörs des Beschwerdeführers ist nicht ersichtlich.  
 
4.3. Da keine Ersatzmassnahmen anstelle von Haft in Betracht fallen, erweist sich die Haft als weiterhin verhältnismässig.  
 
5.  
Nach dem Dargelegten ist die Beschwerde abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. 
Bei diesem Ausgang des Verfahrens wird der unterliegende Beschwerdeführer grundsätzlich kostenpflichtig (vgl. Art. 66 Abs. 1 BGG). Er stellt jedoch ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege und Verbeiständung für das bundesgerichtliche Verfahren. Da die gesetzlichen Voraussetzungen erfüllt sind, kann dem Gesuch entsprochen werden (vgl. Art. 64 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird gutgeheissen. 
 
2.1. Es werden keine Gerichtskosten erhoben.  
 
2.2. Rechtsanwalt Kenad Melunovic Marini wird zum unentgeltlichen Rechtsbeistand ernannt und für das bundesgerichtliche Verfahren aus der Bundesgerichtskasse mit Fr. 1'500.-- entschädigt.  
 
3.  
Dieses Urteil wird dem Beschwerdeführer, der Staatsanwaltschaft des Kantons Aargau und dem Obergericht des Kantons Aargau, Beschwerdekammer in Strafsachen, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 25. November 2022 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern