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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
6B_896/2022  
 
 
Urteil vom 5. Oktober 2022  
 
Strafrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichterin Jacquemoud-Rossari, Präsidentin, 
Bundesrichter Rüedi, 
Bundesrichter Muschietti, 
Gerichtsschreiber Matt. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
vertreten durch Fürsprecher Daniel Buchser, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Luzern, Postfach 3439, 6002 Luzern, 
Beschwerdegegnerin. 
 
Gegenstand 
Widerhandlungen gegen das Strassenverkehrsgesetz, 
 
Beschwerde gegen das Urteil des Kantonsgerichts Luzern, 1. Abteilung, vom 23. Juni 2022 (2M 21 17). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Das Kantonsgericht des Kantons Luzern verurteilte A.________ am 23. Juni 2022 zweitinstanzlich wegen Vereitelung einer Blutprobe, pflichtwidrigen Nichtbeherrschens des Fahrzeugs und pflichtwidrigen Verhaltens nach Unfall mit Fremdschaden zu einer bedingten Geldstrafe von 80 Tagessätzen zu Fr. 90.-- und einer Busse von Fr. 1'100.--. 
 
B.  
A.________ beantragt mit Beschwerde in Strafsachen, dass das kantonsgerichtliche Urteil aufgehoben und er freigesprochen wird. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Der Beschwerdeführer verweist auf seine Ausführungen an der Hauptverhandlung, in der Berufungsbegründung und der Berufungsreplik. Dies ist nicht zulässig. Die Begründung muss in der Beschwerde selbst enthalten sein. Verweise auf andere Rechtsschriften oder auf die Akten reichen nicht aus (BGE 143 II 283 E. 1.2.3). 
 
2.  
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung. 
 
2.1. Das Bundesgericht legt seinem Urteil den Sachverhalt zugrunde, den die Vorinstanz festgestellt hat (Art. 105 Abs. 1 BGG). Die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung kann vor Bundesgericht nur gerügt werden, wenn sie offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht und wenn die Behebung des Mangels für den Ausgang des Verfahrens entscheidend sein kann (Art. 97 Abs. 1 BGG; vgl. auch Art. 105 Abs. 1 und 2 BGG). Offensichtlich unrichtig im Sinne von Art. 97 Abs. 1 BGG ist die Sachverhaltsfeststellung, wenn sie willkürlich ist (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; 143 I 310 E. 2.2; je mit Hinweisen). Willkür liegt nach ständiger Rechtsprechung nur vor, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist, das heisst wenn das Gericht in seinem Entscheid von Tatsachen ausgeht, die mit der tatsächlichen Situation in klarem Widerspruch stehen oder auf einem offenkundigen Fehler beruhen. Dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint oder gar vorzuziehen wäre, genügt nicht (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 143 IV 500 E. 1.1; 241 E. 2.3.1; je mit Hinweisen).  
Die Rüge der Verletzung von Grundrechten (einschliesslich Willkür bei der Sachverhaltsfeststellung) muss in der Beschwerde explizit vorgebracht und substanziiert begründet werden (Art. 106 Abs. 2 BGG). Demnach ist anhand der Erwägungen des angefochtenen Entscheids klar und detailliert aufzuzeigen, inwiefern die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung willkürlich sein soll (BGE 141 IV 369 E. 6.3). Auf ungenügend begründete Rügen oder allgemeine appellatorische Kritik am angefochtenen Entscheid tritt das Bundesgericht nicht ein (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 144 V 50 E. 4.2; 143 IV 500 E. 1.1; je mit Hinweisen). 
Das Sachgericht würdigt die Beweise frei nach seiner aus dem gesamten Verfahren gewonnenen Überzeugung (Art. 10 Abs. 2 StPO). Ihm steht dabei von Gesetzes wegen ein weites Ermessen zu (BGE 143 IV 347 E. 4.4). Das Bundesgericht greift erst dann ein, wenn das Sachgericht Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hat, wenn es ohne sachlichen Grund ein wichtiges und entscheidwesentliches Beweismittel unberücksichtigt gelassen oder wenn es auf der Grundlage der festgestellten Tatsachen unhaltbare Schlussfolgerungen gezogen hat (BGE 140 III 264 E. 2.3). Willkür ist nicht schon dann zu bejahen, wenn die Beweiswürdigung nicht mit der Darstellung der beschwerdeführenden Partei übereinstimmt, sondern bloss, wenn sie offensichtlich unhaltbar ist (BGE 135 II 356 E. 4.2.1; 129 I 8 E. 2.1). 
Als Beweiswürdigungsregel besagt der Grundsatz "in dubio pro reo", dass sich das Strafgericht nicht von der Existenz eines für die beschuldigte Person ungünstigen Sachverhalts überzeugt erklären darf, wenn bei objektiver Betrachtung erhebliche und nicht zu unterdrückende Zweifel bestehen, ob sich der Sachverhalt so verwirklicht hat (BGE 127 I 38 E. 2a mit Hinweisen). Verurteilt das Strafgericht die beschuldigte Person, obwohl bei objektiver Betrachtung des gesamten Beweisergebnisses unüberwindliche, schlechterdings nicht zu unterdrückende Zweifel an deren Schuld bestehen, liegt auch immer Willkür vor. Dem Grundsatz "in dubio pro reo" kommt in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zu (BGE 146 IV 88 E. 1.3.1; 145 IV 154 E. 1.1; 143 IV 500 E. 1.1; 127 I 38 E. 2a; je mit Hinweisen). 
Der Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 29 Abs. 2 BV; Art. 3 Abs. 2 lit. c StPO, Art. 107 StPO) umfasst unter anderem das Recht des Betroffenen, mit erheblichen Beweisanträgen gehört zu werden. Dem entspricht die Pflicht der Behörden, die Verfahrensanträge der Parteien entgegenzunehmen und zu prüfen, sowie die ihr rechtzeitig und formrichtig angebotenen Beweismittel abzunehmen. Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs und des Untersuchungsgrundsatzes im Sinne von Art. 6 StPO liegt nicht vor, wenn eine Behörde auf die Abnahme beantragter Beweismittel verzichtet, weil sie aufgrund der bereits abgenommenen Beweise ihre Überzeugung gebildet hat und ohne Willkür in vorweggenommener (antizipierter) Beweiswürdigung annehmen kann, dass ihre Überzeugung durch weitere Beweiserhebungen nicht geändert würde (BGE 143 III 297 E. 9.3.2; 141 I 60 E. 3.3 mit Hinweis). 
 
2.2.  
 
2.2.1. Die Vorinstanz stellt fest, dass der Beschwerdeführer am 1. August 2020 um ca. 4:20 Uhr sein Fahrzeug auf einem Besucherparkplatz parkieren wollte, weil sein eigener Parkplatz besetzt gewesen sei. Beim Rückwärtsfahren sei er mit dem Heck seines Fahrzeugs gegen das Heck eines parkierten Fahrzeugs gestossen. Dadurch sei an der linken Heckstossstange des parkierten Fahrzeugs ein Sachschaden von Fr. 500.-- entstanden.  
 
2.2.2. Der Beschwerdeführer trug bereits im Berufungsverfahren vor, gemäss Polizeibericht und Aussage der Zeugen sei der Schaden auf der Höhe des Auspuffs seines Fahrzeugs entstanden.  
Dem entgegnet die Vorinstanz, die Polizei habe eine leichte Beschädigung an der linken Heckstossstange des parkierten Fahrzeugs festgestellt und fotografisch festgehalten. Erläuternd werde im Polizeirapport ausgeführt, dieser Schaden dürfte durch den Auspuff des Fahrzeugs des Beschwerdeführers verursacht worden sein. Die Höhe des am parkierten Fahrzeug entstandenen Schadens stimme mit der Höhe des Auspuffs des Fahrzeugs des Beschwerdeführers überein. Gemäss Vorinstanz belegen diese polizeilichen Feststellungen zuverlässig, dass der Schaden am parkierten Fahrzeug durch die Kollision mit dem Fahrzeug des Beschwerdeführers verursacht wurde. Gemäss Aussagen der Zeugen sei der Beschwerdeführer rückwärts in das Heck des parkierten Fahrzeugs gefahren. Die Vorinstanz verwirft die Behauptung des Beschwerdeführers, wonach sein Auspuff hätte abgerissen werden müssen. Denn am parkierten Fahrzeug seien nur Kratzer verursacht worden. Der festgestellte Farbabrieb könne auch durch ein rundes Auspuffrohr verursacht worden sein. Die Vorinstanz legt dar, dass nicht auf die Messungen des Beschwerdeführers abgestellt werden kann, weil die Auspuffhöhe offensichtlich mit einem schräg gehaltenen Massstab bestimmt worden sei. Aufgrund dieses Beweisergebnisses verzichtete die Vorinstanz auf die Abnahme weiterer Beweismittel. Sie führt aus, weder ein verkehrstechnisches Gutachten noch weitere Zeugenbefragungen könnten etwas an der Feststellung ändern, dass der Beschwerdeführer den Schaden am parkierten Fahrzeug verursachte. Der präsentierte Zeuge sei beim Vorfall in der fraglichen Nacht überhaupt nicht vor Ort gewesen und könne zum Kerngeschehen keine Aussagen machen. 
 
2.2.3. Die Vorinstanz setzt sich mit der Behauptung des Beschwerdeführers auseinander, wonach die Zeugen bei der Polizei andere Aussagen gemacht hätten als bei der Staatsanwaltschaft. Sie führt aus, der eine Zeuge habe bei der Staatsanwaltschaft und im erstinstanzlichen Verfahren übereinstimmend ausgesagt, er habe gesehen, wie der Beschwerdeführer rückwärts in das parkierte Fahrzeug gefahren sei. Auch beschreibe er seinen Aufenthaltsort im Moment der Beobachtungen, das Heranfahren des Beschwerdeführers und dessen Verhalten nach der Kollision ausführlich, übereinstimmend, zusammenhängend und beständig. Die Vorinstanz wertet seine Aussagen daher als glaubhaft. Was den anderen Zeugen betrifft, gelangt die Vorinstanz zur selben Einschätzung. Zudem hält sie fest, dass dieser die Kollision nicht mit eigenen Augen gesehen habe und dass der Polizeirapport die Schilderungen der beiden Zeugen zusammengefasst wiedergebe.  
 
2.2.4. Der Beschwerdeführer trägt vor, er könne "sich absolut nicht auf Deutsch verständigen und insbesondere auch nicht Deutsch lesen". Bereits im Berufungsverfahren machte der Beschwerdeführer geltend, seine Aussagen vom 2. August 2020 seien nicht verwertbar, weil er keinen Übersetzer hatte.  
Diesen Einwand verwirft die Vorinstanz überzeugend. Sie erwägt, die Polizei habe den Beschwerdeführer am 2. August 2020 gemäss Art. 158 Abs. 1 StPO darauf hingewiesen, dass er eine Übersetzung verlangen könne. Als Muttersprache sei im Protokoll "Türkisch" und als Sprache "gebrochen Deutsch" angegeben. Eine Übersetzung sei als "nicht benötigt" erachtet worden. Die Vorinstanz trägt diesem Umstand Rechnung, indem sie bei der Würdigung der Aussagen berücksichtigt, dass der Beschwerdeführer nur gebrochen Deutsch spricht. Sie gibt zu bedenken, dass die zentralen Fragen zur Kollision keinen komplizierten Sachverhalt betreffen und leicht verständlich sind. Der Beschwerdeführer habe die Frage bejaht, ob er die Kollision mit dem parkierten Fahrzeug bemerkt habe. Auf die Anschlussfrage, wieso er den Fahrzeughalter nicht kontaktiert habe, habe der Beschwerdeführer geantwortet, er habe keinen Schlag gespürt und sei davon ausgegangen, dass es keinen Schaden gegeben habe. Schliesslich hält die Vorinstanz fest, dass der Beschwerdeführer unterschriftlich bestätigt habe, das Protokoll selbst gelesen zu haben. Diese Erwägungen sind nachvollziehbar und nicht zu beanstanden. 
 
2.2.5. Der Beschwerdeführer macht geltend, die Zeugen hätten widersprüchlich ausgesagt. Bereits im Berufungsverfahren behauptete er, die Zeugen hätten gegenüber der Polizei ausgesagt, das beschädigte Fahrzeug sei auf dem Parkplatz Nr. 3 gestanden, während sie gegenüber der Staatsanwaltschaft angegeben hätten, der Beschwerdeführer sei in das Fahrzeug auf dem Parkplatz Nr. 5 geprallt.  
Dem hält die Vorinstanz entgegen, dass die Zeugen weder bei der Polizei noch bei der Staatsanwaltschaft Parkplatznummern genannt hätten. Auf Ergänzungsfrage des Verteidigers des Beschwerdeführers habe ein Zeuge angegeben, er kenne die Parkplatznummern nicht. Auch der andere Zeuge habe sich nicht mehr daran erinnern können, wie die Fahrzeuge in der fraglichen Nacht parkiert gewesen seien. Hingegen macht die Vorinstanz in den Aussagen der Zeugen insofern eine Diskrepanz aus, als vor der Staatsanwaltschaft auf einem Plan der Kollisionspunkt verschieden eingezeichnet wurde. Doch hier stellt die Vorinstanz schlüssig auf die Darstellung desjenigen Zeugen ab, welcher die Kollision mit eigenen Augen beobachtet hat. 
 
2.3. Was der Beschwerdeführer im Übrigen gegen die vorinstanzliche Sachverhaltsfeststellung vorträgt, erschöpft sich in einer unzulässigen appellatorischen Kritik am angefochtenen Urteil. Im Wesentlichen stellt er der vorinstanzlichen Beweiswürdigung bloss seine eigene Sicht der Dinge gegenüber. Darauf ist nicht einzutreten.  
Insbesondere übersieht der Beschwerdeführer, dass Willkür nur dann vorliegt, wenn die vorinstanzliche Beweiswürdigung schlechterdings unhaltbar ist. Dies kann von der sorgfältigen Beweiswürdigung der Vorinstanz nicht gesagt werden. Ausserdem verliert der Beschwerdeführer aus den Augen, dass es für Willkür nicht einmal ausreichen würde, dass eine andere Lösung ebenfalls möglich erscheint oder gar vorzuziehen wäre. 
Der Beschwerdeführer legt nicht dar, dass die Vorinstanz Sinn und Tragweite eines Beweismittels offensichtlich verkannt hätte. Im Gegenteil berücksichtigt die Vorinstanz alle wichtigen und entscheidwesentlichen Beweismittel. Zudem begründet sie überzeugend, weshalb sie kein verkehrstechnisches Gutachten in Auftrag gab und keinen weiteren Zeugen befragte. Auch der Grundsatz "in dubio pro reo" ist nicht verletzt. Der Beschwerdeführer lässt ausser Acht, dass diesem Grundsatz in seiner Funktion als Beweiswürdigungsregel im Verfahren vor Bundesgericht keine über das Willkürverbot von Art. 9 BV hinausgehende Bedeutung zukommt. 
 
2.4. Die vorinstanzlichen Erwägungen zur Vereitelung einer Blutprobe, zum pflichtwidrigen Nichtbeherrschen des Fahrzeugs (angefochtenes Urteil E. 3.3) und zum pflichtwidrigen Verhalten nach Unfall mit Fremdschaden ficht der Beschwerdeführer nicht an. Auch die Strafzumessung beanstandet er nicht. Damit hat es sein Bewenden.  
 
3.  
Die Beschwerde ist abzuweisen, soweit darauf eingetreten werden kann. Ausgangsgemäss hat der Beschwerdeführer die Gerichtskosten zu tragen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Der Beschwerdeführer trägt die Gerichtskosten von Fr. 3'000.--. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht Luzern, 1. Abteilung, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 5. Oktober 2022 
 
Im Namen der Strafrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Die Präsidentin: Jacquemoud-Rossari 
 
Der Gerichtsschreiber: Matt