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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
5A_76/2023  
 
 
Urteil vom 17. Juli 2023  
 
II. zivilrechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Herrmann, Präsident, 
Bundesrichter Bovey, Bundesrichterin De Rossa, 
Gerichtsschreiber Möckli. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Christine Nowack, 
Beschwerdeführerin, 
 
gegen  
 
B.A.________, 
vertreten durch Rechtsanwältin Celina Schenkel, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Anordnung eines Gutachtens (Ehescheidung), 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Obergerichts des Kantons Schaffhausen vom 6. Dezember 2022 (10/2022/16 und 10/2022/18). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Die Parteien heirateten am xx.xx.2013 und sind die Eltern des am xx.xx.2015 geborenen C.A.________. Am 27. Oktober 2020 reichte die Mutter beim Kantonsgericht Schaffhausen die Scheidungsklage ein. Mit Urteil vom 11. Juli 2022 schied dieses die Ehe der Parteien, unter Regelung der Nebenfolgen. Am 16. September 2022 erhob die Mutter dagegen Berufung. 
 
B.  
Im Rahmen des Berufungsverfahrens ordnete das Obergericht des Kantons Schaffhausen nach Gewährung des rechtlichen Gehörs an die Parteien mit Verfügung vom 6. Dezember 2022 an, dass bei Dr. Dr. E.________, leitender Arzt beim KJPD W.________, ein interdisziplinäres Doppelgutachten (Abklärung der Bedürfnisse des Kindes im Hinblick auf eine längerfristige Betreuungsregelung sowie der Ressourcen der Eltern, insbesondere der Erziehungsfähigkeit) eingeholt wird, und es formulierte die an den Gutachter gerichteten Fragen zum Kind, zu den Erziehungskompetenzen der Eltern, zur Obhut und zur Mutter. 
 
C.  
Mit Beschwerde in Zivilsachen vom 27. Januar 2023 verlangt die Mutter, dass in der obergerichtlichen Verfügung das Wort "interdisziplinäres" durch "kinderpsychiatrisches" (Gutachten) zu ersetzen sei, dass der Abschnitt "erwachsenenpsychiatrische Fragestellung" zu streichen sowie bei der Psychiatrischen Universitätsklinik Zürich, Klinik für Forensische Psychiatrie, oder einer anderen geeigneten erwachsenenpsychiatrischen Institution ein erwachsenenpsychiatrisches Gutachten einzuholen sei und diesbezüglich neben den drei vom Obergericht formulierten Fragen zum psychischen Gesundheitszustand und den Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit der Mutter drei analoge Fragen zum psychischen Gesundheitszustand und den Auswirkungen auf die Erziehungsfähigkeit des Vaters zu stellen seien. Ferner wird eine Vereinigung mit den Verfahren 5A_906/2022 und 5A_983/2022 verlangt und ein Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege gestellt. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
Es wird eine Vereinigung mit den Verfahren 5A_906/2022 und 5A_983/2022 verlangt. Indes regeln die Anfechtungsobjekte höchst unterschiedliche Fragen und entsprechend betreffen auch die Beschwerden ganz unterschiedliche Themen (Beschwerdeverfahren 5A_906/ 2022: Kindesvertretung im kantonalen Massnahmeverfahren; Beschwerdeverfahren 5A_983/2022: kantonales Massnahmeverfahren, insbesondere die Kindeszuteilung anbelangend; Beschwerdeverfahren 5A_76/2023: Anordnung eines Gutachtens im Rahmen des Scheidungsverfahrens). Eine Verfahrensvereinigung rechtfertigt sich somit nicht. 
 
2.  
Angefochten ist ein kantonal letztinstanzlicher Zwischenentscheid betreffend die Beauftragung von Dr. E.________, leitender Arzt des KJPD W.________, mit der Erstellung eines interdisziplinären dualen Gutachtens sowie betreffend den Fragenkatalog. Soweit es nicht um Ausstandsfragen geht (Art. 92 Abs. 1 BGG), können Zwischenentscheide nur unter den besonderen Voraussetzungen von Art. 93 Abs. 1 BGG mit Beschwerde beim Bundesgericht angefochten werden (ausführlich zum nicht wieder gutzumachenden Nachteil insb. BGE 142 III 798 E. 2.2), wobei diese in der Beschwerde darzutun sind (BGE 137 III 324 E. 1.1; 141 III 80 E. 1.2). 
Die Beschwerdeführerin rügt zum einen fehlende Eignung und Befangenheit der Gutachterpersonen und macht zum anderen geltend, angesichts der zu erwartenden Verfahrensdauer und der Tatsache, dass bei einem mängelbehafteten Gutachten sämtliche Prozessakten zu wiederholen wären und ihr für die vergangene Zeit die Obhut nicht zurückgegeben werden könne, bestehe ein nicht wieder gutzumachender Nachteil. Wie es sich mit dem Nachteil verhält, kann offen bleiben, weil jedenfalls die beschwerdeweise in den Vordergrund gerückten Fragen der fehlenden fachlichen Kompetenz und der dadurch bedingten angeblichen Befangenheit es rechtfertigen, im Grundsatz auf die Beschwerde einzutreten; indes wird im Sachkontext auf die jeweiligen Eintretensvoraussetzungen zurückzukommen sein. 
 
3.  
Das Obergericht hat (soweit vorliegend noch interessierend) erwogen, es sei nicht einsichtig, inwiefern der mit der Gutachtenserstellung beauftragte KJPD W.________ als breit tätige und über die nötige Kompetenz verfügende Fachstelle für familienrechtliche Gutachten in Bezug auf die Begutachtung des Kindes (verlangt wurde von der Beschwerdeführerin eine Begutachtung durch das Institut F.________) oder auf die erwachsenenpsychiatrische Begutachtung (verlangt wurde eine Begutachtung durch eine andere geeignete Institution) nicht geeignet sein sollte. Zur Person des hauptverantwortlichen Gutachters Dr. E.________, leitender Arzt des KJPD, würden keine konkreten Einwände erhoben und es werde nicht substanziiert behauptet, inwiefern er oder sein Team nicht über die notwendigen fachlichen Anforderungen verfügen würden; Dr. E.________ erfülle alle notwendigen fachlichen Voraussetzungen und sei in der Lage, den Auftrag (nötigenfalls unter Beizug einer Hilfsperson) zu übernehmen. 
Zu den verlangten Zusatzfragen in Bezug auf den Beschwerdegegner hat das Obergericht erwogen, es bestünden keine hinreichenden Anhaltspunkte, dass dieser an psychischen Problem leiden würde und das Kindeswohl dadurch gefährdet wäre. Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerin gehe solches auch nicht aus dem im Zusammenhang mit ihrer psychiatrisch-psychotherapeutischen Behandlung erstellten Bericht der Klinik D.________ vom 17. November 2022 hervor. Sodann komme vorliegend nicht das "Prinzip der Waffengleichheit" zum Tragen. Allein der Umstand, dass bezüglich der Beschwerdeführerin erwachsenenpsychiatrische Fragen gestellt würden, rechtfertige für sich genommen keine analoge Fragestellung in Bezug auf den Beschwerdegegner. Mangels konkreter Anhaltspunkte für mögliche Beeinträchtigungen würde eine dahingehende Fragestellung gegen den Verhältnismässigkeitsgrundsatz verstossen. 
 
4.  
Wenn die Beschwerdeführerin zunächst eine willkürliche bzw. willkürlich unterlassene Sachverhaltsdarstellung sowie eine Verletzung des rechtlichen Gehörs im Allgemeinen, der Begründungspflicht im Besonderen und der strengen Untersuchungsmaxime rügt (es sei die Darstellung der jahrelangen häuslichen und sexuellen Gewalt durch den Beschwerdegegner sowie die klaren Indizien für depressive, dissoziale, emotionale und narzisstische Persönlichkeitsstörungen sowie Störungen der Sexualpräferenz und Autismus-Spektrum-Störung unterlassen worden), will sie offenkundig Boden schaffen für ihr Vorbringen, das Obergericht hätte nicht in erster Linie eine erwachsenenpsychiatrische Begutachtung von ihr, sondern eine solche des Beschwerdegegners anordnen müssen. Das Obergericht hat sich zu den diesbezüglichen Anschuldigungen, wie sie von der Beschwerdeführerin nachträglich erhoben worden sind, ausführlich im Massnahmeentscheid geäussert (vgl. die Darstellung im heutigen Urteil 5A_983/2022 E. 3) und im vorliegend angefochtenen Entscheid lediglich festgehalten, dass sich aus den Verweisen der Beschwerdeführerin nichts für ihren Standpunkt ableiten lasse. Es geht darum, dass die Beschwerdeführerin - offensichtlich prozesstaktisch motiviert - begonnen hatte, im Rahmen ihrer eigenen psychotherapeutischen Behandlung sowie gegenüber der Polizei und der Kriseninterventionsstelle Anschuldigungen gegen den Beschwerdegegner zu erheben, welche in zahlreichen (ausschliesslich auf ihren Behauptungen basierenden) Rapporten und Berichten wiedergegeben werden, welche die Beschwerdeführerin nunmehr als genuine Aussagen von Fachpersonen hinstellen will. In diesem Zusammenhang ist weder eine Verletzung des Willkürverbotes noch des rechtlichen Gehörs oder der Untersuchungsmaxime ersichtlich, wenn das Obergericht beweiswürdigend davon ausgegangen ist, es bestünden keine hinreichenden bzw. keine objektivierbaren Anhaltspunkte, dass der Beschwerdegegner an psychischen Problemen leiden würde, und es sei deshalb im Gutachtensauftrag keine dahingehende Fragestellung aufzunehmen. 
 
5.  
Im zweiten Teil ihrer Beschwerde rügt die Beschwerdeführerin, es sei ihr nur zu Dr. E.________ das rechtliche Gehör gewährt worden. Wie sich aus der (als Beschwerdebeilage vorgelegten) Bestätigung des Gutachtensauftrages durch den KJPD W.________ vom 23. Dezember 2022 ergebe, werde die Begutachtung jedoch von Dr. G.________ und Dr. H.________ durchgeführt. Damit werde Art. 183 Abs. 1 ZPO, aber in der Folge auch Art. 183 Abs. 2 ZPO i.V.m. Art. 47 Abs. 1 lit. f ZPO verletzt: Dr. E.________ und Dr. G.________ würden einzig über eine Ausbildung als Fachärzte in Kinder- und Jugendpsychiatrie, nicht aber über Ausbildungen und Erfahrung in der Erwachsenenpsychiatrie verfügen. Dr. H.________ habe nicht einmal eine Facharztausbildung. Mithin gehe allen Gutachtern jegliche Eignung ab und entsprechend müssten sie auch als befangen gelten, umso mehr sie nach Abklärungen in Bezug auf das Kind vorbefasst seien und in Bezug auf die erwachsenenpsychiatrische Begutachtung nicht mehr frei sein könnten. 
Was die Gehörsrüge anbelangt, ist Folgendes festzuhalten: Zunächst entspricht es allgemeiner Praxis und ist es auch zulässig, dass der beauftragte Gutachter (in der Regel der Klinikdirektor oder ein leitender Arzt) zur Exploration und Erstellung des Gutachtens Hilfspersonen beizieht; diese Möglichkeit wird im angefochtenen Entscheid explizit eingeräumt und dies wird vom Grundsatz her auch nicht beanstandet. Was die Bekanntgabe der diesbezüglich von Dr. E.________ ins Auge gefassten Hilfspersonen (eine beim KJPD angestellte Oberärztin für die Federführung sowie eine Assistenzärztin) anbelangt, so handelt es sich bei der Auftragsbestätigung vom 22. Dezember 2022 im Verhältnis zum angefochtenen Entscheid vom 6. Dezember 2022 um ein echtes Novum, welches im bundesgerichtlichen Verfahren von vornherein ausgeschlossen ist (Art. 99 Abs. 1 BGG; BGE 139 III 120 E. 3.1.2; 143 V 19 E. 1.2; 144 V 35 E. 5.2.4). Ohnehin kommt der Auftragsbestätigung keinerlei Verfügungs- oder anderweitig verbindlicher Charakter zu, zumal darin explizit festgehalten wird, dass der Beizug der genannten beiden Ärztinnen das Einverständnis der Parteien voraussetze. Vor diesem Hintergrund könnte der seitens des Gutachters erfolgte Vorschlag für den Beizug von Hilfspersonen unabhängig von der Novenfrage nicht mit einem Rechtsmittel gegen den gutachtensanordnenden Entscheid angefochten werden. 
Was sodann die behauptete fehlende Eignung der genannten Personen anbelangt, hat das Obergericht im angefochtenen Entscheid festgestellt, dass in Bezug auf Dr. E.________ keine konkreten Einwände erhoben worden seien. Wenn die Beschwerdeführerin nunmehr im bundesgerichtlichen Verfahren dessen fachliche Eignung in Frage stellen will, so gebricht es an der Ausschöpfung des Instanzenzuges; es sind alle Vorbringen, die dem Bundesgericht unterbreitet werden, soweit möglich schon im kantonalen Verfahren vorzubringen (BGE 143 III 290 E. 1.1). Die möglichen Hilfspersonen des beauftragten Gutachters stehen nach dem vorstehend Gesagten noch nicht fest und entsprechend geht diesbezüglich die Behauptung, es fehle ihnen an der nötigen Fachkompetenz, von vornherein fehl. 
Vor dem Hintergrund des Gesagten ist der aus der behaupteten fehlenden Fachkompetenz abgeleiteten weiteren Rüge, alle begutachtenden Personen seien befangen, von vornherein der Boden entzogen. Soweit schliesslich in generalisierender Weise eine Befangenheit dahingehend behauptet zu werden scheint, dass ein Gutachter nach der Exploration des Kindes in Bezug auf die Begutachtung der Eltern nicht mehr unvoreingenommen sein könne, fehlt es wiederum an der Ausschöpfung des Instanzenzuges; die Beschwerdeführerin zeigt jedenfalls nicht auf, dass sie entsprechende Vorbringen bereits im kantonalen Verfahren gemacht hätte. Ohnehin wäre eine dahingehende Befangenheit auch nicht ersichtlich und entsprechend ist es entgegen dem Anliegen der Beschwerdeführerin nicht nötig, für den kindes- und den erwachsenenspezifischen Teil des Gutachtens zwei verschiedene Institutionen zu beauftragen; vielmehr scheint eine umfassende Abklärung im Sinn eines dualen Gutachtens vorliegend adäquat. 
 
6.  
Wie die vorstehenden Erwägungen zeigen, konnte der Beschwerde von Anfang an kein Erfolg beschieden sein, weshalb es an den materiellen Voraussetzungen der unentgeltlichen Rechtspflege fehlt (Art. 64 Abs. 1 BGG) und das entsprechende Gesuch abzuweisen ist. 
 
 
7.  
Die Gerichtskosten sind der Beschwerdeführerin aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG). 
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Das Gesuch um unentgeltliche Rechtspflege wird abgewiesen. 
 
3.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden der Beschwerdeführerin auferlegt. 
 
4.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Obergericht des Kantons Schaffhausen schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 17. Juli 2023 
 
Im Namen der II. zivilrechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Herrmann 
 
Der Gerichtsschreiber: Möckli