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Bundesgericht 
Tribunal fédéral 
Tribunale federale 
Tribunal federal 
 
 
 
 
1B_425/2022  
 
 
Urteil vom 16. Juni 2023  
 
I. öffentlich-rechtliche Abteilung  
 
Besetzung 
Bundesrichter Kneubühler, Präsident, 
Bundesrichter Chaix, Müller, 
Gerichtsschreiberin Kern. 
 
Verfahrensbeteiligte 
A.________, 
Beschwerdeführer, 
 
gegen  
 
Alexander Moses, c/o Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, Poststrasse 14, 7001 Chur, 
Beschwerdegegner. 
 
Gegenstand 
Strafverfahren; Ausstand, 
 
Beschwerde gegen die Verfügung des Kantonsgerichts von Graubünden, I. Strafkammer, vom 15. Juni 2022 (SK1 22 27). 
 
 
Sachverhalt:  
 
A.  
Aufgrund einer Strafanzeige des B.________ verurteilte das Regionalgericht Plessur A.________ am 5. April 2022 wegen Diskriminierung durch Verbreiten von Ideologien aufgrund der Rasse, Ethnie oder Religion gemäss Art. 261bis Abs. 2 StGB zu einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen à 80 Franken, bedingt aufgeschoben auf eine Probezeit von zwei Jahren. Gegen dieses Urteil erklärte A.________ am 3. Mai 2022 Berufung an das Kantonsgericht von Graubünden. 
 
B.  
Am 7. Mai 2022 stellte A.________ beim Kantonsgericht ein Ausstandsgesuch gegen den Vorsitzenden der I. Strafkammer, Kantonsrichter Alexander Moses. Mit Verfügung vom 15. Juni 2022 wies das Kantonsgericht das Begehren ab. 
 
C.  
Am 15. August 2022 hat A.________ Beschwerde an das Bundesgericht erhoben. Er beantragt die Genehmigung seines Ausstandsgesuchs gegen Kantonsrichter Alexander Moses und, als "Zusatzantrag", den Ausstand der ganzen I. Strafkammer, eventualiter bloss des Vorsitzenden der I. Strafkammer, Kantonsrichter Cavegn. 
Das Kantonsgericht beantragt am 22. August 2022 unter Hinweis auf den angefochtenen Entscheid die Abweisung der Beschwerde, soweit auf diese einzutreten ist. Kantonsrichter Alexander Moses hat sich nicht vernehmen lassen. A.________ hat sich auch nicht mehr vernehmen lassen. 
 
 
Erwägungen:  
 
1.  
 
1.1. Gegen den angefochtenen Entscheid ist gemäss Art. 78 Abs. 1 BGG die Beschwerde in Strafsachen gegeben. Ein kantonales Rechtsmittel steht nicht zur Verfügung. Die Vorinstanz hat nach Art. 59 Abs. 1 lit. b i.V.m. Art. 380 StPO als einzige kantonale Instanz entschieden. Die Beschwerde ist somit gemäss Art. 80 BGG zulässig. Der Beschwerdeführer ist nach Art. 81 Abs. 1 lit. a und b Ziff. 1 BGG zur Beschwerde berechtigt. Die angefochtene Verfügung stellt einen selbstständig eröffneten Zwischenentscheid über Ausstandsbegehren dar. Gemäss Art. 92 Abs. 1 BGG ist die Beschwerde auch insoweit zulässig. Die weiteren Sachurteilsvoraussetzungen sind ebenfalls erfüllt, so dass auf die Beschwerde - unter Vorbehalt der nachfolgenden Erwägungen - grundsätzlich einzutreten ist.  
 
1.2. Nicht einzutreten ist auf die Beschwerde, soweit vor Bundesgericht erstmals der Ausstand der I. Strafkammer des Kantonsgerichts bzw. des Vorsitzenden derselben verlangt wird. Das Bundesgericht befindet nicht als erste und einzige Instanz über solche Begehren; vielmehr ist die Beschwerde in Strafsachen nur zulässig gegen Entscheide letzter kantonaler Instanzen (vgl. Art. 80 Abs. 1 BGG).  
 
1.3. Ebenfalls nicht weiter einzugehen ist auf die Beschwerde, soweit sich der Beschwerdeführer über weite Strecken in kaum nachvollziehbaren Spekulationen und Betrachtungen ergeht, welche mit dem Streitgegenstand - der Ablehnung des Beschwerdegegners - in keinem erkennbaren Zusammenhang stehen (vgl. Art. 42 Abs. 2 und 7 BGG).  
 
2.  
 
2.1. Der Beschwerdeführer bringt zunächst vor, der Beschwerdegegner habe sich im Zusammenhang mit einem Akteneinsichtsgesuch des Beschwerdeführers auffällig verhalten. Indes bezieht er sich dabei auf Vorgänge, die sich am 22. Mai 2022 und damit erst nach Einreichung des Ablehnungsgesuchs vor der Vorinstanz ereignet haben sollen und welche nicht Gegenstand des vorinstanzlichen Verfahrens gebildet haben. Da neue Tatsachen und Beweismittel nur so weit vorgebracht werden dürfen, als erst der Entscheid der Vorinstanz dazu Anlass gibt (Art. 99 Abs. 1 BGG; unechte Noven) - was im Übrigen in der Beschwerde näher darzulegen ist (BGE 143 I 344 E. 3; 143 V 19 E. 1.2; 133 III 393 E. 3) -, ist darauf nicht weiter einzugehen.  
 
2.2. Weiter wiederholt der Beschwerdeführer die bereits vor der Vorinstanz angeführten Gründe, wonach der Beschwerdegegner als Jude angesichts der sich im Verfahren vor dem Kantonsgericht stellenden Fragen befangen sei.  
Gemäss Art. 56 lit. f StPO tritt eine in einer Strafbehörde tätige Person in den Ausstand, wenn sie aus anderen Gründen, insbesondere wegen Freundschaft oder Feindschaft mit einer Partei oder deren Rechtsbeistand, befangen sein könnte. Bei dieser Bestimmung handelt es sich um eine Generalklausel, welche alle Ausstandsgründe erfasst, die in Art. 56 lit. a-e StPO nicht ausdrücklich vorgesehen sind. Sie entspricht Art. 30 Abs. 1 BV und Art. 6 Ziff. 1 EMRK. Danach hat jede Person Anspruch darauf, dass ihre Sache von einem unparteiischen, unvoreingenommenen und unbefangenen Richter bzw. einer ebensolchen Richterin ohne Einwirken sachfremder Umstände entschieden wird. Die Rechtsprechung nimmt Voreingenommenheit und Befangenheit an, wenn Umstände vorliegen, die geeignet sind, Misstrauen in die Unparteilichkeit des Richters oder der Richterin zu erwecken. Dabei ist nicht auf das subjektive Empfinden einer Partei abzustellen. Das Misstrauen in die Unvoreingenommenheit muss vielmehr in objektiver Weise begründet erscheinen. Es genügt, wenn Umstände vorliegen, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken. Für die Ablehnung ist nicht erforderlich, dass der Richter bzw. die Richterin tatsächlich befangen ist (BGE 148 IV 137 E. 2.2; 147 I 173 E. 5.1; 143 IV 69 E. 3.2; je mit Hinweisen). 
 
2.3. Die Vorinstanz hat das Ablehnungsgesuch des Beschwerdeführers mit folgender Begründung abgewiesen: Eine persönliche Nähe durch direkte und indirekte Interessen sei nicht ersichtlich. Kantonsrichter Moses stehe in keiner Beziehung mit dem B.________, welcher gegen den Beschwerdeführer am 15. Oktober 2019 Strafanzeige erstattet hatte. Es seien keinerlei sachlich begründete Anhaltspunkte für ein persönliches Interesse im Sinne von Art. 56 lit. a StPO ersichtlich, sofern sich die Geltendmachung eines solchen aus der Eingabe des Beschwerdeführers überhaupt ergebe. Dessen Ausführungen, wonach die von der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP) vorgeschlagene Kandidatur von Alexander Moses als Kantonsrichter als Vorbereitung für eine Klage gegen ihn - den Beschwerdeführer - gedient habe, seien zudem Unterstellungen, welche für einen Ausstand im Sinne von Art. 56 lit. f StPO offensichtlich nicht genügten. Es bestünden keine Umstände, die bei objektiver Betrachtung den Anschein der Befangenheit und Voreingenommenheit erwecken würden.  
 
2.4. Diese Erwägungen sind nicht zu beanstanden. Zwar teilt der Beschwerdeführer die Auffassung der Vorinstanz offensichtlich nicht; er bringt aber nichts vor, was die angefochtene Verfügung als bundesrechtswidrig erscheinen liesse. Soweit seine Einwände überhaupt nachvollziehbar sind (vgl. vorne E. 1.3), sind sie rein appellatorischer Natur und damit ungenügend begründet (vgl. Art. 42 Abs. 2 BGG) oder gehen, wie bereits vor der Vorinstanz, an der Sache vorbei. So ist nicht erkennbar, in welchem Zusammenhang der abgelehnte Richter zum Urheber der Strafanzeige gegen den Beschwerdeführer stehen soll; es ist nicht einmal aktenkundig, ob der Beschwerdegegner dem jüdischen Glauben angehört. Doch wäre dieser Umstand ohnehin unerheblich, weil im Allgemeinen davon ausgegangen wird, dass eine Person, die ein richterliches Amt bekleidet, in der Lage ist, bei ihrer Tätigkeit die notwendige Distanz mit Bezug auf die eigene persönliche, weltanschauliche und soziale Situation einzunehmen und sich mit dem ihr vorgelegten Fall vorurteilsfrei zu befassen. So hat das Bundesgericht ausdrücklich festgehalten, dass ein Richter, der über einen Verstoss gegen Art. 261bis StGB zu entscheiden hat, nicht allein aus dem Grund abgelehnt werden kann, dass er der betreffenden ethnischen oder religiösen Gruppe angehört (Urteil 1P.385/2003 vom 23. Juli 2003 E. 3: vgl. auch Urteil 2C_71/2010 vom 22. September 2010 E. 2.2 mit Hinweisen). Im Übrigen kann auf die zutreffenden Erwägungen der Vorinstanz verwiesen werden (vgl. Art. 109 Abs. 3 BGG).  
 
3. Die Beschwerde erweist sich somit als unbegründet und ist abzuweisen. Dem unterliegenden Beschwerdeführer sind bei diesem Ausgang des Verfahrens die Gerichtskosten aufzuerlegen (Art. 66 Abs. 1 BGG).  
 
 
Demnach erkennt das Bundesgericht:  
 
1.  
Die Beschwerde wird abgewiesen, soweit darauf einzutreten ist. 
 
2.  
Die Gerichtskosten von Fr. 2'000.-- werden dem Beschwerdeführer auferlegt. 
 
3.  
Dieses Urteil wird den Parteien und dem Kantonsgericht von Graubünden, I. Strafkammer, schriftlich mitgeteilt. 
 
 
Lausanne, 16. Juni 2023 
 
Im Namen der I. öffentlich-rechtlichen Abteilung 
des Schweizerischen Bundesgerichts 
 
Der Präsident: Kneubühler 
 
Die Gerichtsschreiberin: Kern