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Urteilskopf

116 Ib 11


3. Urteil der I. öffentlichrechtlichen Abteilung vom 24. Januar 1990 i.S. Staat Zürich gegen P. und Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10 (Verwaltungsgerichtsbeschwerde)

Regeste

Enteignungsentschädigung für Lärmimmissionen aus dem Betrieb von Nationalstrassen.
Zulässigkeit eines Teilurteils (E. 1).
Die Zusprechung einer Enteignungsentschädigung für die Entwertung von Wohnliegenschaften durch übermässige, von Nationalstrassen ausgehende Lärmimmissionen ist de lege lata nur im formellen Enteignungsverfahren möglich; es bestehen keine gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen, die einen Entschädigungsanspruch aus materieller Enteignung zu begründen vermöchten (E. 2). Eigenheiten des formellen Enteignungsverfahrens zur Abgeltung übermässiger Lärmeinwirkungen (E. 2aa-ee).
Welches Ausmass die Lärmeinwirkungen erreichen, insbesondere ob die Alarmwerte überschritten werden oder nicht, ist für die Frage der Voraussehbarkeit der Immissionen unerheblich (E. 3a).
Der Enteignungsrichter ist nicht zuständig, über Ansprüche zu befinden, die sich aus dem Umweltschutzgesetz ergeben (E. 3b).

Sachverhalt ab Seite 12

BGE 116 Ib 11 S. 12
Am 29. November 1972 genehmigte das Eidgenössische Departement des Innern das Ausführungsprojekt für die Nationalstrasse SN 1.4.4 (Teilstrecke Schöneichstrasse-AMAG) auf dem Gebiet der Stadt Zürich. Der Kanton Zürich leitete hierauf das Enteignungsverfahren für den Erwerb der für den Strassenbau benötigten Rechte ein. Beansprucht wurde längs der Überlandstrasse unter anderem der 10 m tiefe Vorgarten des Grundstücks Kat.- Nr. 2762, auf welchem ein Mehrfamilienhaus (Überlandstrasse Nr. 99) steht. Das Wohnhaus grenzt heute - nach dem Bau der Nationalstrasse - seitlich unmittelbar an das Trottoir der verlegten Überlandstrasse an, welche ihrerseits längs der fünfspurigen Nationalstrasse verläuft.
An der Einigungsverhandlung vom 14. März 1974 erklärte sich der Eigentümer der Parzelle Nr. 2762, K. P., mit der vorzeitigen Inbesitznahme des zu enteignenden Bodens einverstanden. Zudem wurde vereinbart, dass über die vom Enteigneten verlangte Entschädigung für Lärm erst nach Inbetriebnahme der Nationalstrasse befunden werden solle. In einem zusätzlichen Teilvergleich vom 25. April 1975 setzten die Parteien die für die Landabtretung geschuldete Entschädigung auf Fr. 450.--/m2 fest und behielten die Zusprechung einer Minderwertsentschädigung für Immissionen weiterhin einem späteren Entscheid vor.
Im Zusammenhang mit dem Nationalstrassenbau erarbeitete die Stadt Zürich ein Immissionsschutzprojekt für die Überlandstrasse bzw. die SN 1.4.4. Der Regierungsrat des Kantons Zürich stimmte dem Projekt, das die Finanzierung der durch die Nationalstrasse bedingten Schutzmassnahmen durch den Kanton
BGE 116 Ib 11 S. 13
vorsah, am 20. Dezember 1978 zu. Gestützt auf dieses Projekt übernahm der Kanton Zürich die Kosten für den Einbau von Schallschutzfenstern am Hause Überlandstrasse Nr. 99 und leistete K. P., der auf die Erstellung einer Lärmschutzwand längs seines Grundstücks verzichtet hatte, zusätzlich für die Aussenrenovation des Hauses einen Beitrag von Fr. 40'000.--.
Auf Anfrage des Präsidenten der Eidgenössischen Schätzungskommission, Kreis 10, bestätigte K. P. im November 1985, dass er an der Minderwertsforderung festhalte. Der Enteignete verlangte an der Einigungs- und Schätzungsverhandlung vom 14. April 1986 eine zusätzliche Entschädigung von rund Fr. 40'000.-- für die Lärmeinwirkungen, die seit Beginn der Bauarbeiten an der Nationalstrasse die Vermietung der Wohnungen erheblich erschwert hätten. Der Vertreter des Kantons Zürich beantragte sinngemäss die Abweisung des Entschädigungsbegehrens.
Die Eidgenössische Schätzungskommission, Kreis 10, entschied am 18. Februar 1987, dass der Entschädigungsanspruch des Enteigneten für übermässige Immissionen ausschliesslich unter dem Gesichtspunkt der Enteignung nachbarlicher Abwehrrechte zu beurteilen sei und dass diese Immissionen aus dem Betrieb der SN 1.4.4 für den Enteigneten nicht voraussehbar gewesen seien. Ob die übrigen Voraussetzungen für die Zusprechung einer Entschädigung erfüllt seien, blieb einer späteren Beurteilung vorbehalten.
Gegen den Entscheid der Eidgenössischen Schätzungskommission hat der Staat Zürich Verwaltungsgerichtsbeschwerde eingereicht. Er stellt die Anträge, der angefochtene Entscheid sei aufzuheben und der geltend gemachte Entschädigungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der materiellen Enteignung zu prüfen; es sei festzustellen, dass die Immissionen aus dem Betrieb der Nationalstrasse SN 1.4.4 für den Enteigneten voraussehbar waren, und dessen Entschädigungsforderung sei demzufolge abzuweisen.

Erwägungen

Das Bundesgericht zieht in Erwägung:

1. Die Schätzungskommission hat keinen Zwischenentscheid erlassen, sondern vorweg eine rechtliche Teilfrage abschliessend beantwortet und damit ein Teilurteil gefällt. Ein solches Vorgehen, das sich aus Gründen der Zweckmässigkeit und der Prozessökonomie aufdrängen kann (vgl. BGE 109 Ib 31 f. E. 1c, BGE 114 Ib 145 nicht
BGE 116 Ib 11 S. 14
publ. E. 2), ist zulässig und vom Beschwerdeführer ausdrücklich befürwortet worden.

2. Der Staat Zürich bringt in seiner Beschwerde zunächst vor, dass in Abänderung der bisherigen Rechtsprechung des Bundesgerichtes die Beeinträchtigungen durch Immissionen aus dem Bau und Betrieb von Strassen nicht mehr nach den Regeln über die formelle Enteignung nachbarlicher Abwehrrechte, sondern unter dem Gesichtspunkt einer allfälligen materiellen Enteignung beurteilt werden sollten. Inwiefern eine solche neue Betrachtungsweise den angefochtenen Entscheid hätte beeinflussen sollen und zu welchem Ergebnis sie hätte führen müssen, wird jedoch nicht dargelegt. Vielmehr geht der Staat Zürich nach seinen weiteren Ausführungen selbst davon aus, dass die im Rahmen der Rechtsprechung über die formelle Enteignung aufgestellten Bedingungen für die Gewährung einer Immissionsentschädigung, insbesondere die Voraussetzung der Unvorhersehbarkeit der Einwirkungen, weiterhin gelten sollten. Es ist daher nicht ersichtlich, welches schutzwürdige Interesse der Beschwerdeführer im vorliegenden Fall an der verlangten Änderung der Rechtsprechung haben könnte. Immerhin ist die vom Staat Zürich aufgeworfene Frage in letzter Zeit auch in der Lehre erneut zur Diskussion gestellt worden (vgl. etwa GEORG MÜLLER, Kommentar zu Art. 22ter BV N. 64, CHRISTOPH BANDLI, Kommentar zum Umweltschutzgesetz N. 17 zu Art. 24 S. 11, DETLEV DICKE, Die materielle Enteignung, Baurechtstagung Freiburg 1983 S. 68, KARL LUDWIG FAHRLÄNDER, Zur Abgeltung von Immissionen aus dem Betrieb öffentlicher Werke, unter Berücksichtigung des Bundesgesetzes über den Umweltschutz, Diss. Bern 1985 S. 85 ff., FELIX SCHÖBI, Zur Unterscheidung von formeller und materieller Enteignung am Beispiel von Immissionsstreitigkeiten, in "recht" 1985 S. 126 ff.), so dass es sich rechtfertigt, ihr einige Bemerkungen zu widmen.
a) Die Bundesverfassung sieht in Artikel 22ter einerseits die Enteignung vor und lässt andererseits weitere, durch das Gesetz begründete Eigentumsbeschränkungen zu, für welche, wenn sie einer Enteignung gleichkommen, ebenfalls volle Entschädigung zu leisten ist (Art. 22ter Abs. 3). Solche Beschränkungen, die sich nicht auf das Enteignungsgesetz stützen, sich aber wie eine Expropriation auswirken und daher eine Entschädigungspflicht auslösen, werden in der bundesgerichtlichen Rechtsprechung seit bald fünfzig Jahren "materielle Enteignungen" genannt (vgl. BGE 113 Ia 375 E. 4a). Ob ein Eingriff in Eigentum als formelle oder als
BGE 116 Ib 11 S. 15
materielle Enteignung zu betrachten und zu behandeln sei, beurteilt sich somit in erster Linie danach, ob das Enteignungsgesetz zur Anwendung komme und die für ein im öffentlichen Interesse liegendes Werk beanspruchten Rechte im formellen Enteignungsverfahren erworben werden müssen oder ob durch gesetzliche Vorschrift oder entsprechende Pläne eine Eigentumsbeschränkung bereits eingetreten sei und nur noch die Entschädigung in Frage stehe.
Nun behauptet der Beschwerdeführer selbst nicht, es gebe - abgesehen von den Vorschriften über die Projektierungszonen und über die Baulinien (Art. 14 ff. und 22 ff. des Bundesgesetzes über die Nationalstrassen) - eine gesetzliche Norm, durch welche das Grundeigentum in der Umgebung der Nationalstrassen in dem Sinne eingeschränkt werde, dass kein Recht auf ungestörte Nutzung bestehe und selbst übermässige Lärmimmissionen hinzunehmen seien. Die Bestimmungen von Art. 22 und 24 des Bundesgesetzes über den Umweltschutz vom 7. Oktober 1983 (USG), welche in zu stark lärmbelasteten Gebieten Neubauten oder die Schaffung neuer Wohnzonen verbieten, die Weiternutzung bestehender Wohnbauten dagegen nicht untersagen oder einschränken, vermögen jedenfalls keine gesetzliche Grundlage für die lärmbedingte Beeinträchtigung dieser bisherigen Nutzungen und den Ersatz des dadurch verursachten Schadens abzugeben. Wie das Bundesgericht in BGE 110 Ib 372 ff. E. 2 zu den Lärmzonenplänen gemäss Luftfahrtgesetzgebung ausgeführt hat, können solche Pläne insoweit zu materiellen Enteignungen führen, als in den entsprechenden Zonenvorschriften der Bau neuer Wohnhäuser oder die Ausscheidung neuer Wohngebiete untersagt wird; solange aber die bisherige Nutzung bestehender Gebäude weiterhin zugelassen wird, fällt die Zusprechung einer Entschädigung aus materieller Enteignung für diese ausser Betracht und muss deren Eigentümer ein anderer Weg zur Geltendmachung ihrer Entschädigungsbegehren eröffnet werden (vgl. insbes. BGE 110 Ib 371 f. E. 2d; Art. 42 Abs. 1 lit. b des Bundesgesetzes über die Luftfahrt vom 21. Dezember 1948 und Art. 62 Abs. 5 der Luftfahrtverordnung vom 14. November 1973).
Bestehen keine speziellen gesetzlichen Eigentumsbeschränkungen hinsichtlich der Duldung von Lärmimmissionen längs von Nationalstrassen, so hat hingegen der Bundesgesetzgeber in Art. 5 des Bundesgesetzes über die Enteignung vom 20. Juni 1930 (EntG; SR 711) alle dinglichen Rechte an Grundstücken, so ausdrücklich
BGE 116 Ib 11 S. 16
auch die aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte, zum möglichen Gegenstand der formellen Enteignung erklärt; hiezu zählen insbesondere die in den Art. 679 und 684 ZGB umschriebenen Abwehransprüche gegen übermässige Einwirkungen, die dem Eigentümer grundsätzlich auch gegenüber dem hoheitlich handelnden Gemeinwesen zustehen. Gemäss Art. 4 lit. a EntG kann denn auch das Enteignungsrecht nicht nur für die Erstellung, die Veränderung, den Unterhalt und die künftige Erweiterung, sondern auch für den Betrieb eines Werkes in Anspruch genommen werden. Dass der Beschwerdeführer die formelle Enteignung von Nachbarrechten für "konstruiert" und gekünstelt hält, vermag nichts daran zu ändern, dass diese "Konstruktion" vom Bundesgesetzgeber selbst stammt und für das Bundesgericht verbindlich ist. Nachdem die Nachbarrechte schon unter der Herrschaft des alten Expropriationsgesetzes vom 1. Mai 1850 in der Praxis als mögliche Enteignungsobjekte anerkannt worden waren, war bei der Schaffung des heute geltenden Gesetzes unbestritten, dass im Gesetzestext selbst klarzustellen sei, dass "jede infolge der Erstellung oder bestimmungsgemässen Benutzung des öffentlichen Werkes notwendig eintretende dauernde oder vorübergehende Überschreitung der nachbarrechtlichen Verpflichtungen" als Inanspruchnahme eines auf dem formellen Enteignungswege zu begründenden Rechtes gelten solle (vgl. HESS/WEIBEL, Das Enteignungsrecht des Bundes, N. 2 zu Art. 5 EntG; Art. 2 des Vorentwurfes und des II. Entwurfes JAEGER vom Oktober 1916, Protokolle der Expertenkommission vom 15. Oktober 1917 S. 14 ff.).
b) Die weiteren Argumente, die der Beschwerdeführer vorbringt, um die Ungeeignetheit des formellen Enteignungsverfahrens für die Abgeltung von übermässigen Lärmeinwirkungen darzulegen, vermögen ebenfalls nicht zu überzeugen:
aa) Der Beschwerdeführer macht geltend, Wesen der formellen Enteignung sei, dass dem Enteigneten ein privates Recht zwangsweise entzogen und auf den Enteigneten übertragen werde; es finde ein Leistungsaustausch, ein Subjektwechsel statt. Bei der Enteignung von Nachbarrechten gehe indessen kein nutzbares Recht auf den Enteigner über und gebe es keinen Leistungsausgleich.
Die Enteignung des nachbarlichen Abwehranspruches ist jedoch, wie bereits in BGE 106 Ib 244 E. 3 dargelegt (s. auch BGE 111 Ib 24, BGE 110 Ib 376 E. 2c), nichts anderes als die zwangsweise Errichtung einer Dienstbarkeit auf dem Grundstück des Enteigneten zugunsten des Werkeigentümers, deren Inhalt in der Pflicht zur
BGE 116 Ib 11 S. 17
Duldung von Immissionen besteht. Durch die Einräumung des ihn begünstigenden Servitutes wird der Rechtsbestand des Enteigners vermehrt, während das Grundeigentum des Enteigneten eingeschränkt wird. Abgesehen davon geht bei der formellen Enteignung nicht stets ein Recht - sei es das abgetretene oder ein neu begründetes - auf den Enteigner über. Aus diesem Grunde ist bei der Schaffung des Enteignungsgesetzes bewusst auf den im alten Expropriationsgesetz von 1850 verwendeten Begriff der "Abtretung" verzichtet und Art. 5 Abs. 2 EntG so formuliert worden, dass die Rechte, die Gegenstand der Enteignung bilden, dauernd oder vorübergehend "entzogen oder beschränkt" werden können. Hiezu wird in der bundesrätlichen Botschaft vom 21. Juni 1926 ausgeführt, der "Entzug" der Rechte brauche nicht immer auch mit einem Übergang auf den Enteigner, mit einer "Abtretung" verbunden zu sein; der Enteigner werde beispielsweise eine ihm im Wege stehende Grunddienstbarkeit oder das auf einer von ihm freihändig erworbenen Liegenschaft lastende Kaufsrecht einfach löschen lassen. Was mit dem einem Enteigneten entzogenen Recht geschehe, sei für diesen nebensächlich (BBl 1926 II 13).
bb) Der Beschwerdeführer macht darauf aufmerksam, dass bei Beeinträchtigungen durch übermässige Einwirkungen der Eingriff des Enteigners der Entschädigungsleistung vorausgehe, was ein typisches Merkmal der materiellen Enteignung sei, während bei der formellen Enteignung erst die Zahlung der Entschädigung den Rechtsentzug bewirke.
Es trifft zu, dass im formellen Enteignungsverfahren der Enteigner das Eigentum oder das auf dem Enteignungswege eingeräumte dingliche Recht erst durch Bezahlung der Entschädigung oder des nach Art. 19bis Abs. 2 EntG festgesetzten Betrages erwirbt (Art. 91 Abs. 1 EntG). Dass Rechte der Eigentümer in Anspruch genommen werden können, bevor eine Vergütung erfolgt, ist jedoch auch dem formellen Enteignungsrecht nicht fremd, kann sich doch der Enteigner gemäss Art. 76 EntG unter bestimmten Voraussetzungen schon vor der Bezahlung der Entschädigung zur Besitzergreifung oder zur Ausübung des Rechts ermächtigen lassen. Dieser vorzeitigen Inbesitznahme im Sinne von Art. 76 EntG sind die Fälle gleichzustellen, in denen Rechte auch ohne Ermächtigung schon vor dem eigentlichen Erwerb durch den Enteigner ausgeübt werden, sei es, weil deren Inanspruchnahme - wie bei allenfalls übermässigen Immissionen - nicht mit Bestimmtheit vorausgesehen werden konnte (vgl. unten lit. cc; BGE 106 Ib 245
BGE 116 Ib 11 S. 18
E. 3, 249, BGE 111 Ib 24), sei es, weil früher für ein Werk eingeräumte, zeitlich beschränkte Rechte vor der Erneuerung abgelaufen sind (vgl. BGE 115 Ib 23 E. 5a).
cc) In der Beschwerde wird weiter vorgebracht, Voraussetzung für eine formelle Enteignung sei, dass ein Verzeichnis der zu enteignenden Rechte erstellt und dem Betroffenen persönlich mitgeteilt werde, was der Enteigner von ihm verlange. Dieser sei aber in der Regel gar nicht in der Lage, anzugeben, welche Nachbarrechte und inwieweit diese durch das zukünftige Werk entzogen oder beschränkt würden.
Dass die für ein öffentliches Werk beanspruchten dinglichen Rechte in der Grunderwerbstabelle und in der persönlichen Anzeige verzeichnet seien, bildet jedoch nach Enteignungsgesetz kein Erfordernis für den Erwerb dieser Rechte durch den Enteigner. Gemäss Art. 27 Abs. 2 EntG sind in der Grunderwerbstabelle nur jene beschränkten dinglichen Rechte anzuführen, die aus dem Grundbuch oder den sonstigen öffentlichen Büchern ersichtlich sind. Alle anderen Rechte, auf die der Enteigner ebenfalls greifen kann - so die Pfandrechte, Nutzniessungsrechte und die nur obligatorischen Rechte der Mieter und Pächter -, müssen nicht im vornherein bezeichnet werden (vgl. HESS/WEIBEL, a.a.O., N. 21 zu Art. 27 EntG). Das gilt auch für die Abwehransprüche, in die erst durch den Betrieb des Werkes eingegriffen wird (BGE 111 Ib 24). Diesem Umstand, dass der Umfang der Enteignung nicht in allen Fällen zum voraus bestimmt und angezeigt werden kann, hat der Gesetzgeber durch Art. 41 Abs. 1 lit. b EntG Rechnung getragen, wonach Entschädigungsforderungen auch nachträglich noch geltend gemacht werden können, "wenn vom Enteigner entgegen dem aufgelegten Plan und Verzeichnis oder der persönlichen Anzeige ein Recht in Anspruch genommen oder geschmälert wird, oder wenn eine im Zeitpunkt der Planauflage oder der persönlichen Anzeige nicht oder nicht nach ihrem Umfang vorherzusehende Schädigung des Enteigneten sich erst beim Bau oder nach Erstellung des Werks oder als Folge seines Gebrauchs einstellt". Auf die Möglichkeit nachträglicher Entschädigungsgesuche ist sowohl in der öffentlichen Bekanntmachung wie auch in den persönlichen Anzeigen ausdrücklich hinzuweisen (Art. 30 Abs. 2 und Art. 34 Abs. 1 lit. f EntG).
dd) Nach Auffassung des Beschwerdeführers spricht auch Art. 19bis Abs. 1 EntG, der die Einigungsverhandlung als Stichtag für die Entschädigungsbemessung bezeichnet, gegen eine Behandlung
BGE 116 Ib 11 S. 19
von Entschädigungsforderungen für Immissionen im formellen Enteignungsverfahren, da im Zeitpunkt der Einigungsverhandlung die Einwirkungen meist noch gar nicht aufgetreten seien. Die Anwendung von Art. 19bis Abs. 1 EntG sollte jedoch in diesem Zusammenhang keine Schwierigkeiten bieten: Ist der in seinen Nachbarrechten Verletzte bereits im Rahmen der Landabtretung ins Enteignungsverfahren einbezogen und die Beurteilung seines Entschädigungsanspruchs auf einen Zeitpunkt nach Inbetriebnahme des Werkes verschoben worden, so führt die Schätzungskommission - wie im vorliegenden Fall - sinnvollerweise bei Wiederaufnahme des Verfahrens eine zweite Einigungsverhandlung durch. Meldet der Betroffene seine Entschädigungsforderung für Immissionen gestützt auf Art. 41 EntG erst nachträglich an oder ersucht den Werkeigentümer, falls noch kein Enteignungsverfahren eröffnet worden ist, überhaupt erst um Verfahrenseinleitung, so ist die Einigungsverhandlung ohnehin nach Inbetriebnahme des Werkes und dem Auftreten der Einwirkungen durchzuführen.
ee) Schliesslich macht der Beschwerdeführer geltend, der von Immissionen Betroffene werde nur entschädigt, wenn er seine Forderung rechtzeitig anmelde, während die Entschädigungsforderung des formell Enteigneten nicht verjähren könne. Nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung unterliegen jedoch grundsätzlich alle öffentlichrechtlichen Ansprüche der Verjährung (vgl. BGE 105 Ib 11 f. E. 3a, BGE 108 Ib 339 E. 5). Wohl sind gemäss Art. 38 EntG die formell enteigneten Rechte, soweit sie sich aus der Grunderwerbstabelle ergeben oder offenkundig sind, von der Schätzungskommission auch ohne Anmeldung zu schätzen. Falls der Enteigner aber nicht in der Grunderwerbstabelle verzeichnete oder nicht offenkundige Rechte in Anspruch nimmt und der Enteignete kein Entschädigungsbegehren stellt, verjähren die entsprechenden Ansprüche aus formeller Enteignung ebenfalls, sofern sie nicht schon gemäss Art. 41 Abs. 2 EntG verwirkt sind (BGE 105 Ib 12 ff., BGE 108 Ib 485 ff.; s. auch BGE 113 Ib 38 E. 3).
c) Es besteht somit kein Anlass, die bundesgerichtliche Rechtsprechung im vom Beschwerdeführer gewünschten Sinne zu ändern. Übrigens ist nicht ersichtlich, welche Vereinfachungen oder Verbesserungen eine Behandlung der Entschädigungsforderungen für übermässige Einwirkungen als Ansprüche aus materieller Enteignung bringen würde. Dass die von Immissionen Betroffenen das formelle Enteignungsverfahren nicht selbst bei der Schätzungskommission eröffnen lassen können, sondern den Werkeigentümer
BGE 116 Ib 11 S. 20
dazu veranlassen müssen, führt in der Regel zu keinerlei Schwierigkeiten, sorgen doch die Schätzungskommissions-Präsidenten, falls sie direkt angegangen werden, üblicherweise für die richtige Verfahrenseinleitung. Wären indessen die Schadenersatzbegehren für übermässige Einwirkungen aus dem Betrieb der Nationalstrassen als Forderungen aus materieller Enteignung zu behandeln, so wären einerseits die Eidgenössischen Schätzungskommissionen mangels einer ausdrücklichen gesetzlichen Bestimmung zu deren Beurteilung gar nicht zuständig (zur Publ. best. Entscheid vom 29. November 1989 i.S. G., E. 2b, BGE 114 Ib 146, 112 Ib 126 E. 2). Andererseits würde durch Anwendung der geltenden Grundsätze über die materielle Enteignung der allgemeine Entschädigungsanspruch der Nachbarn öffentlicher Werke eher verringert als vergrössert, insbesondere wenn - wie offenbar dem Beschwerdeführer vorschwebt - das in der Rechtsprechung über die formelle Enteignung aufgestellte Erfordernis der Unvorhersehbarkeit der Immissionen auch für die materielle Enteignung übernommen würde. Ein solches Ergebnis - die weitere Einschränkung der Entschädigungsansprüche für übermässige Immissionen - stünde aber in Widerspruch zum Willen des Gesetzgebers, der die im Enteignungsgesetz enthaltenen Garantien ausdrücklich auch den in ihren Nachbarrechten Verletzten bieten wollte.
Schliesslich ist daran zu erinnern, dass nach Art. 5 EntG alle aus dem Grundeigentum hervorgehenden Nachbarrechte Gegenstand der Enteignung sein können, somit nicht nur der Anspruch des Eigentümers auf Unterlassung übermässiger Einwirkungen im Sinne von Art. 684 ZGB, sondern auch jener auf Unterlassung von schädlichen Grabungen und Bauten (Art. 685 ZGB) und der Änderung des natürlichen Wasserablaufs (Art. 689 Abs. 2 ZGB) sowie die sich im Sinne von Art. 686 ZGB aus dem kantonalen Recht ergebenden Abwehrrechte (BGE BGE 113 Ib 36 f., BGE 106 Ib 235 f. E. 3, nicht publ. Entscheid vom 14. März 1989 i.S. Odermatt E. 3, s. auch BGE 108 Ib 485; HESS/WEIBEL, a.a.O., N. 7 zu Art. 5 EntG). Wie mit diesen zu verfahren wäre, wird in der Beschwerde nicht dargelegt.

3. Die Schätzungskommission hat im ersten Teil ihres Entscheides übereinstimmend mit der bundesgerichtlichen Praxis ausgeführt, dass eine Entschädigung für die von der Nationalstrasse ausgehenden Immissionen nur geschuldet sei, wenn die Einwirkungen für den Gesuchsteller nicht voraussehbar waren, ihn in spezieller Weise treffen und einen schweren Schaden verursachen
BGE 116 Ib 11 S. 21
(vgl. etwa BGE 110 Ib 48 E. 4, 346 E. 2). In ihren Erwägungen zur Voraussehbarkeit der Immissionen stützt sich die Kommission zunächst ebenfalls auf die Rechtsprechung (vor allem auf BGE 111 Ib 236 und die dort zitierten Entscheide) und gelangt in richtiger Anwendung der vom Bundesgericht aufgestellten Grundsätze zum - vorläufigen - Ergebnis, dass die Strassenlärmimmissionen für K. P. voraussehbar gewesen seien. Sie weist insbesondere darauf hin, dass die Überlandstrasse schon im Jahre 1954, als P. die fragliche Liegenschaft kaufte, eine der meistbefahrenen Hauptstrassen der Schweiz gewesen sei. Der Grundeigentümer habe daher zwar nicht den Nationalstrassenbau als solchen voraussehen, so doch damit rechnen müssen, dass die Strasse in absehbarer Zukunft verbessert oder vergrössert werde, um den anwachsenden Verkehr überhaupt aufnehmen zu können. Selbst wenn keine Autobahn erstellt, sondern nur die Staatsstrasse ausgebaut worden wäre, wäre die Lärmbelastung heute nicht wesentlich geringer.
Die Kommission ist hierauf aber noch einen Schritt weiter gegangen und hat erklärt, obschon eine Zunahme der Lärmbeeinträchtigungen absehbar gewesen sei, sei doch nicht voraussehbar gewesen, dass die Immissionen ein unerträgliches Mass annehmen und sogar die Alarmwerte überschreiten würden. Ein solches Ausmass der Immissionen sei offenbar auch von den Fachleuten nicht vorausgesehen worden, da sonst zweifellos entsprechende Schutzmassnahmen getroffen worden wären; die mangelnde Voraussicht der Strassenbaufachleute dürfe nun aber nicht den betroffenen Grundeigentümern angelastet werden.-- Insoweit ist der Schätzungskommission jedoch nicht zu folgen.
a) Wie das Bundesgericht in BGE 110 Ib 346 ff. E. 2 präzisiert hat, bilden die Unvorhersehbarkeit der vom Schienen- und Strassenverkehr ausgehenden Beeinträchtigungen, die Spezialität der Immissionen und die Schwere des Schadens drei voneinander unabhängige Bedingungen, die grundsätzlich kumulativ gegeben sein müssen, damit die Immissionen als übermässig im Sinne von Art. 684 ZGB gelten können. Von diesen drei Voraussetzungen sei jene der Spezialität insbesondere dann erfüllt, wenn die Immissionen eine Intensität erreichten, die das Mass des Üblichen und Zumutbaren übersteige. Dagegen beziehe sich die Voraussetzung der Schwere auf den durch die Lärmbelastung entstehenden Schaden, wobei sich die immissionsbedingte Entwertung eines Hauses nicht allein anhand der Höhe des Schallpegels bemessen lasse,
BGE 116 Ib 11 S. 22
sondern unter Berücksichtigung der Lage, der Art und der Umgebung der Bauten in jedem Einzelfall gesondert festzulegen sei.
Nun hat die Schätzungskommission im angefochtenen Entscheid aus dem Umstand, dass die Immissionen auf dem Grundstück des Beschwerdeführers die Alarmwerte übersteigen, auf die Unvorhersehbarkeit solcher Beeinträchtigungen geschlossen. Die in der Lärmschutzverordnung vom 15. Dezember 1986 (Anhänge 3-6) festgelegten Alarmwerte sind jedoch Werte, die der Beurteilung der Lärmintensität und insbesondere der Dringlichkeit von Sanierungen dienen (Art. 19 USG). Sie können daher - wenn überhaupt - im Enteignungsverfahren nur im Zusammenhang mit der Voraussetzung der Spezialität und allenfalls bei der Bemessung des Schadens berücksichtigt werden. Für die Voraussehbarkeit im hier massgeblichen Sinne, wie sie von der Schätzungskommission an sich richtig umschrieben worden ist, spielt es dagegen keine Rolle, welches Ausmass die Lärmimmissionen erreichen und ob dieses im einzelnen vorausgeahnt werden konnte (BGE 110 Ib 51 E. 5). Ausschlaggebend ist allein, dass der Betroffene ein an einer Hauptverkehrsader liegendes Grundstück erworben und damit die übliche Verkehrsentwicklung und die sich daraus ergebenden Belästigungen als Nachbar in Kauf genommen hat.
Es ist denn auch - leider - keineswegs so, dass nur in äusserst seltenen und aussergewöhnlichen Situationen die Alarmwerte überschritten würden, so dass sich für diese eine Sonderbehandlung rechtfertigen würde. Wie dem bei den Akten liegenden Untersuchungsbericht entnommen werden kann, werden heute auch in den Dörfern in der Nähe der Stadt Zürich entlang den Hauptstrassen tags durchwegs Lärmpegel im Bereich des Alarmwertes und nachts Pegel zwischen den Immissionsgrenz- und den Alarmwerten gemessen. Auch an der Überlandstrasse selbst erreichte die Lärmbelastung schon vor dem Autobahnbau die Höhe der Alarmwerte.
b) Die Schätzungskommission hat im übrigen erklärt, dass die Bestimmungen des Umweltschutzgesetzes und der Lärmschutzverordnung bei der Inbetriebnahme der SN 1.4.4 noch nicht rechtsverbindlich gewesen seien, es sich aber dennoch rechtfertigen lasse, die darin zum Ausdruck kommenden Grundsätze im vorliegenden Enteignungsverfahren zu berücksichtigen.
Hiezu ist festzuhalten, dass sich das Bundesgericht wohl bei der Auslegung des Begriffes "übermässige Einwirkung" im Sinne von Art. 684 ZGB von den Expertenberichten leiten lässt, welche im
BGE 116 Ib 11 S. 23
Rahmen der Vorbereitung der eidgenössischen Umweltschutzgesetzgebung erstattet wurden und in dieser ihren Niederschlag gefunden haben (vgl. BGE 114 Ib 36 E. 3, BGE 110 Ib 346 ff.). Es darf jedoch nicht aus den Augen verloren werden, dass auch in Verfahren zur Expropriation nachbarlicher Abwehrrechte gegenüber übermässigem Lärm nur die sich auf das Enteignungsgesetz stützenden Begehren zu beurteilen sind. Dagegen kann es nicht Sache des Enteignungsrichters sein, über Ansprüche zu befinden, die sich aus dem Umweltschutzgesetz ableiten lassen (nicht publ. Entscheid vom 12. Juni 1989 i.S. Kanton Basel-Stadt E. 3). Die beiden Bundesgesetze verfolgen denn auch, obschon sie verschiedene Berührungspunkte aufweisen, grundsätzlich unterschiedliche Zwecke: Während das Umweltschutzgesetz die Menschen, Tiere und Pflanzen gegen schädliche oder lästige Einwirkungen schützen will (Art. 1 Abs. 1 USG), dient das Enteignungsgesetz dazu, dem Gemeinwesen zu ermöglichen, sich die zur Erfüllung öffentlicher Aufgaben notwendigen Güter - unter Einhaltung des Verhältnismässigkeitsgebotes und unter voller Entschädigung der Enteigneten - zwangsweise zu beschaffen und allfällige Hindernisse zu beseitigen (Art. 1 EntG; BGE 115 Ib 25, BGE 111 Ib 98 E. 2c).
c) Dem Beschwerdeführer ist somit insofern zuzustimmen, als er geltend macht, die Schätzungskommission habe im vorliegenden Fall die Unvorhersehbarkeit der Lärmimmissionen zu Unrecht bejaht. Dem Enteigneten steht daher für die von der Nationalstrasse ausgehenden Immissionen keine Entschädigung zu. Da kein anders begründetes Minderwertsbegehren mehr im Streite liegt, ist der angefochtene Entscheid in Gutheissung der Beschwerde aufzuheben und festzustellen, dass dem Enteigneten kein Anspruch auf eine Minderwertsentschädigung für die Parzelle Nr. 2762 zusteht. Die Sache ist zum Entscheid über die Kosten und die Parteientschädigung für das vorinstanzliche Verfahren an die Eidgenössische Schätzungskommission zurückzuweisen.

4. Obschon die Beschwerde des Enteigners gutgeheissen wird, ist dieser in Anwendung von Art. 116 EntG zu verpflichten, dem Enteigneten für das bundesgerichtliche Verfahren eine Parteientschädigung auszurichten. Auf die Erhebung von Gerichtskosten kann verzichtet werden.

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