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Urteilskopf

124 III 266


49. Auszug aus dem Urteil der I. Zivilabteilung vom 13. Januar 1998 i.S. Neue Schauspiel AG gegen Felix Bloch Erben (Direktprozess)

Regeste

Art. 80 Abs. 1 URG; Geltung des neuen Rechts für Werke, die vor dessen Inkrafttreten geschaffen worden sind.
Die in Art. 80 URG angeordnete Rückwirkung des neuen Rechts bezieht sich nicht auf Werke, die nach früherem Recht urheberrechtlich geschützt waren, deren Schutzdauer aber vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts abgelaufen war.

Sachverhalt ab Seite 266

BGE 124 III 266 S. 266

A.- Das von der Neuen Schauspiel AG betriebene Schauspielhaus Zürich hatte die Absicht, das Theaterstück "Der Snob" aufzuführen. Die Premiere sollte am 31. Oktober 1996 stattfinden. Autor dieses Werkes ist der am 3. November 1942 verstorbene Carl Sternheim. Die Felix Bloch Erben, eine Offene Handelsgesellschaft (OHG) nach deutschem Recht mit Sitz in Berlin, ist aufgrund eines Vertrages mit den Erben von Carl Sternheim Inhaberin der Aufführungsrechte am Theaterstück. Nachdem ihr der Spielplan 1996/97 des Schauspielhauses bekannt geworden war, wandte sie sich mit Schreiben vom 14. Mai 1996 an dessen Leitung mit der Aufforderung, ihr für die Aufführung des Werkes die üblichen Tantiemen zu bezahlen. Sie stellte sich auf den Standpunkt, das Werk Sternheims sei seit dem Inkrafttreten des revidierten schweizerischen Urheberrechtsgesetzes
BGE 124 III 266 S. 267
am 1. Juli 1993 von neuem geschützt, weil damit die Schutzdauer von bisher fünfzig auf siebzig Jahre nach dem Tod des Urhebers erstreckt worden sei. Die Neue Schauspiel AG vertrat dagegen die Auffassung, der urheberrechtliche Schutz sei nach fünfzigjähriger Dauer im Jahre 1992 endgültig abgelaufen.
Am 22. Oktober 1996 vereinbarten die Neue Schauspiel AG und die Felix Bloch Erben schriftlich, dem Bundesgericht im Sinne von Art. 41 Abs. 1 lit. c OG die Frage zu unterbreiten, ob das Werk "Der Snob" von Carl Sternheim gemäss Art. 80 URG in Verbindung mit Art. 29 ff. URG urheberrechtlich geschützt sei. Sie erklärten sich bereit, die Verfahrenskosten zu teilen und die Parteikosten wettzuschlagen.

B.- Mit Eingabe vom 5. Februar 1997 reichte die Neue Schauspiel AG beim Bundesgericht Klage gegen die Felix Bloch Erben ein. Sie stellte die Rechtsbegehren, es sei festzustellen, dass die urheberrechtliche Schutzfrist für das Werk des am 3. November 1942 verstorbenen Carl Sternheim am 31. Dezember 1992 abgelaufen sei und dieses Werk zum Domaine public gehöre; zudem seien entsprechend der Vereinbarung vom 22. Oktober 1996 die ordentlichen Kosten des Verfahrens den Parteien je zur Hälfte aufzuerlegen und die Anwaltskosten wettzuschlagen.
Mit Klageantwort und Widerklage vom 3. Juni 1997 stellte die Beklagte die Anträge, die Klage sei abzuweisen und es sei in Gutheissung ihrer Widerklage festzustellen, dass das Werk des am 3. November 1942 verstorbenen Carl Sternheim seit dem 1. Juli 1993 bis zum 31. Dezember 2012 wieder urheberrechtlich geschützt sei. Die Beklagte schloss sich ferner den Anträgen der Klägerin hinsichtlich der Verteilung der Gerichts- und Parteikosten an.
In ihrer Widerklageantwort vom 20. August 1997 schloss die Klägerin auf Abweisung der Widerklage.
Das Bundesgericht heisst die Klage gut und weist die Widerklage ab.

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Gemäss dem Bundesgesetz betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst vom 7. Dezember 1922, das vom 1. Juli 1923 bis 30. Juni 1993 in Kraft stand, endete der urheberrechtliche Schutz von zu Lebzeiten des Urhebers unter dessen Namen veröffentlichten Werken mit dem Ablauf von fünfzig Jahren seit dem Tod des Urhebers (Art. 36 in der Fassung gemäss Ziff. I des Bundesgesetzes vom 24. Juni 1955 zur Änderung des Bundesgesetzes
BGE 124 III 266 S. 268
betreffend das Urheberrecht an Werken der Literatur und Kunst; AS 1955, 855). Der Urheberrechtsschutz am Theaterstück "Der Snob" lief gemäss diesem Gesetz Ende 1992 aus, was von beiden Parteien anerkannt wird. Ebenfalls einig sind sie sich, dass der Schutz bis Ende 2012 dauern würde, falls das jetzt geltende URG (SR 231.1) zur Anwendung käme, mit welchem die Schutzdauer auf siebzig Jahre post mortem auctoris verlängert wurde (Art. 29 Abs. 2 lit. b). Streitig ist dagegen, ob nach der Übergangsregelung (Art. 80 URG) die längere Schutzdauer auch für jene Werke gilt, die nach dem früheren Recht wegen Ablaufs der fünfzigjährigen Frist nicht mehr geschützt waren, für die aber im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Rechts am 1. Juli 1993 die siebzigjährige Frist noch nicht abgelaufen war. Über diese Auslegungsfrage ist im Folgenden zu entscheiden.

4. Nach der Praxis des Bundesgerichts ist die rechtsanwendende Behörde in der Regel an den klaren und unzweideutigen Wortlaut einer Bestimmung gebunden (BGE 121 III 214 E. 3b; BGE 119 Ia 241 E. 7a), doch sind Abweichungen von einem klaren Wortlaut zulässig oder sogar geboten, wenn triftige Gründe zur Annahme bestehen, dass dieser nicht den wahren Sinn der Bestimmung wiedergibt. Solche Gründe können sich aus der Entstehungsgeschichte der Bestimmung, aus ihrem Sinn und Zweck oder aus dem Zusammenhang mit anderen Vorschriften ergeben (BGE 123 III 89 E. 3a; BGE 122 V 412 E. 3; BGE 118 Ib 187 E. 5a; BGE 113 Ia 12 E. 3c, 437 E. 3). Vom Wortlaut kann ferner abgewichen werden, wenn die wörtliche Auslegung zu einem Ergebnis führt, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann (BGE 113 V 74 E. 3b; BGE 109 Ia 19 E. 5d; BGE 103 Ia 225 E. 3c). Im übrigen sind bei der Auslegung alle herkömmlichen Auslegungselemente zu berücksichtigen (systematische, teleologische und historische: BGE 124 III 126 E. 1a/aa; auch rechtsvergleichende: BGE 123 III 473 E. 5c), wobei das Bundesgericht einen pragmatischen Methodenpluralismus befolgt und es ablehnt, die einzelnen Auslegungselemente einer Prioritätsordnung zu unterstellen (BGE 123 III 24 E. 2a).
a) In der Literatur wird im allgemeinen die Auffassung vertreten, der Wortlaut von Art. 80 Abs. 1 URG sei in dem Sinne klar, dass er als Grundsatz die Rückwirkung des neuen Rechts auf vor dessen Inkrafttreten geschaffene Werke anordne. Daraus leitet ein Teil der Lehre das Wiederaufleben des urheberrechtlichen Schutzes von Werken ab, für die am 1. Juli 1993 die fünfzigjährige, nicht aber die siebzigjährige Schutzdauer abgelaufen war (BARRELET/EGLOFF, Das
BGE 124 III 266 S. 269
neue Urheberrecht, Bern 1994, S. 307 f. Rz. 3 zu Art. 80 URG; von Büren, Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, ZSR 112/1993, Bd. I, S. 222; REHBINDER, Schweizerisches Urheberrecht, 2. Auflage, Bern 1996, S. 122; ebenso Massnahmeentscheid des Einzelrichters im summarischen Verfahren am Obergericht des Kantons Zürich vom 31. März 1995, E. 5, abgedruckt in SMI 1996, S. 61 ff.). Diese Meinung wird von anderen Autoren mit der Begründung abgelehnt, ein Wiederaufleben des Schutzes sei vom Gesetzgeber nicht gewollt, weiche von der üblichen intertemporalrechtlichen Regelung ab und widerspreche dem allgemeinen Grundsatz des Vertrauensschutzes (HILTY, Die Behandlung gemeinfrei gewordener Werke angesichts der Schutzfristverlängerung im neuen Urheberrecht, AJP 1993, S. 594 ff.; CHERPILLOD, Le droit transitoire de la nouvelle loi sur le droit d'auteur, SMI 1994, S. 11 ff., S. 15 ff.; derselbe, in: Schweizerisches Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, Bd. II/1, Urheberrecht und verwandte Schutzrechte, Geltungsbereich, S. 45 ff.; AUF DER MAUR, Schmale Brücke zwischen Geld und Geist, Das neue Urheberrechtsgesetz im Überblick, AJP 1993, S. 554 ff., S. 555).
b) Absatz 1 von Art. 80 URG mit dem Randtitel "Bestehende Schutzobjekte", "Objets protégés sous l'empire de l'ancien droit" und "Oggetti protetti esistenti" lautet in den drei Sprachfassungen wie folgt:
"Dieses Gesetz gilt auch für Werke, Darbietungen, Ton- und Tonbildträger sowie Sendungen, die vor seinem Inkrafttreten geschaffen waren."
"La présente loi s'applique également aux oeuvres, prestations, phonogrammes, vidéogrammes ainsi qu'aux émissions créés avant son entrée en vigueur."
"La presente legge si applica anche a opere, prestazioni, supporti audio e audiovisivi nonché ad emissioni creati prima della sua entrata in vigore."
Der für die Auslegung bedeutsame Randtitel (vgl. MEIER-HAYOZ, Berner Kommentar, N. 97 zu Art. 1 ZGB) von Art. 80 URG enthält in allen drei Fassungen eine Aussage, die jene des Absatzes 1 einzuschränken scheint. Während dieser das neue Urheberrecht allgemein auch für Werke anwendbar erklärt, die vor dessen Inkrafttreten erschaffen wurden, könnte aus der Formulierung des Randtitels abgeleitet werden, dass die Regelung nur Werke betrifft, die nicht nur vorher erschaffen, sondern auch nach früherem Recht urheberrechtlich geschützt waren. Das kommt besonders deutlich im französischen Wortlaut des Randtitels zum Ausdruck. Eine solche Lesart würde allerdings zu Ungereimtheiten in Bezug auf den zweiten Absatz von Art. 80 URG führen, mit welchem die Fälle geregelt werden
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sollen, in denen die früher erlaubte Verwendung eines Werkes mit dem Inkrafttreten des neuen Rechts gesetzeswidrig wird. Denn Gegenstand dieser Regelung bilden gerade Handlungen, denen nach früherem Recht kein urheberrechtlicher Schutz entgegenstand (Schutzausnahmen und verwandte Schutzrechte: vgl. BBl 1989 III 571). Jedenfalls kann festgehalten werden, dass der Wortlaut von Art. 80 Abs. 1 URG nur dann eine klare Antwort auf die hier zu beurteilende Frage gibt - nämlich Anordnung der Rückwirkung auch für Werke mit abgelaufener Schutzdauer -, wenn Absatz 1 für sich allein, das heisst ohne Berücksichtigung des Randtitels gelesen wird.
c) Aus der Entstehungsgeschichte von Art. 80 URG geht hervor, dass sich der Gesetzgeber mit der hier interessierenden Frage nicht befasst hat. Der Text von Art. 80 URG entspricht dem Entwurf des Bundesrates vom 19. Juni 1989, der mit Art. 75 eine sowohl hinsichtlich des Randtitels wie auch der beiden Absätze wörtlich gleiche Bestimmung vorgeschlagen hatte (BBl 1989 III 634). Im Entwurf war jedoch eine Verlängerung der Schutzdauer von fünfzig auf siebzig Jahre nicht vorgesehen (vgl. Art. 29 Abs. 2), weil das im Vernehmlassungsverfahren mehrheitlich abgelehnt worden war (BBl 1989 III 494 und 547). Dennoch wurde im Laufe der parlamentarischen Beratungen die Verlängerung beschlossen (vgl. unten E. 4g/aa). Der Übergangsregelung des Entwurfs 1989 (Art. 75-77 Entwurf URG = Art. 80-82 URG) stimmten aber beide Räte diskussionslos zu (AB 1991 S 296; AB 1992 N 50; vgl. dazu CHERPILLOD, Schweiz. Immaterialgüter- und Wettbewerbsrecht, a.a.O., S. 46; MELICHAR, Übergangsregelungen bei Veränderungen der Schutzdauer, in: Beiträge zum Urheberrecht II, Harmonisierung der Schutzfristen in der EG - Freie Werknutzungen an musikalischen Werken im Bereich des Aufführungsrechts, Wien 1993, S. 25 ff., S. 30; HILTY, a.a.O., S. 594).
d) Die historische Entwicklung der schweizerischen Gesetzgebung auf dem Gebiet des Urheberrechts zeigt, dass die mit der Verlängerung der Schutzdauer verbundene intertemporalrechtliche Problematik im Zeitpunkt der letzten Revision des URG bekannt war. Art. 62 Abs. 1 des Urheberrechtsgesetzes vom 7. Dezember 1922 (Randtitel: "Verhältnis des neuen Gesetzes zum bisherigen Recht. Rückwirkung als Regel") bestimmte, das Gesetz sei auf alle vor seinem Inkrafttreten entstandenen Werke anwendbar; insbesondere geniesse ein Werk seinen Schutz auch wenn oder soweit es bei seinem Inkrafttreten nicht geschützt gewesen sei (BBl 1922 III 960). In der Botschaft des Bundesrates wurde dazu festgehalten, die
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Rückwirkung gelte auch für Werke, für welche die frühere, nicht aber die sich aus dem neuen Gesetz ergebende Schutzfrist abgelaufen sei (BBl 1918 III 655). Erneut aktuell wurde die Frage, als die bisherige Schutzdauer von dreissig Jahren im Rahmen der Teilrevision von 1955 auf fünfzig Jahre erhöht wurde. Dieses Mal entschied sich der Gesetzgeber gegen eine Rückwirkung. Nach Art. 66bis (Randtitel: "Verhältnis des Gesetzes vom 24. Juni 1955 zum Gesetz vom 7. Dezember 1922: Keine Rückwirkung") war die Verlängerung der Schutzdauer auf bestehende Werke nur anwendbar, wenn sie im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verlängerung noch geschützt waren (Abs. 1). Die im Gesetz klar zum Ausdruck kommende Stellungnahme gegen ein Wiederaufleben erloschener Urheberrechte wurde in der Botschaft damit begründet, dass sich die gegenteilige Regelung im wesentlichen nur mit finanziellen Erwägungen rechtfertigen liesse, die an ganz bestimmte Tatbestände anknüpften; der Gesetzgeber habe indes die Regel nicht nach der Ausnahme zu richten (BBl 1954 II 667). Art. 66bis wurde von beiden Räten diskussionslos angenommen (Sten.Bull. 1955 NR 96 und SR 82).
Die gleiche übergangsrechtliche Lösung hat der schweizerische Gesetzgeber bei der seit 1978 geltenden Verlängerung der patentrechtlichen Schutzfrist von achtzehn auf zwanzig Jahre gewählt (Art. 142 Abs. 1 des Bundesgesetzes über die Erfindungspatente vom 25. Juni 1954 [PatG]; SR 232.14). Die Verlängerung war nötig, um das schweizerische Recht an die Schutzdauer des europäischen Patentes anzupassen (Botschaft des Bundesrates an die Bundesversammlung über drei Patentübereinkommen und die Änderung des Patentgesetzes vom 24. März 1976, BBl 1976 II 72). Die Botschaft enthält den Hinweis, dass damit die bewährte Übergangsregelung des geltenden Patentgesetzes übernommen werde (BBl 1976 II 115).
e) Nach den allgemeinen intertemporalrechtlichen Grundsätzen, die für den Bereich des Privatrechts in den Art. 1-4 SchlT ZGB normiert sind, wird der zeitliche Geltungsbereich der Gesetzesregeln vom Prinzip der Nichtrückwirkung beherrscht. Eine eigentliche oder echte Rückwirkung liegt vor, wenn bei der Anwendung neuen Rechts an ein Ereignis angeknüpft wird, das sich vor dessen Inkrafttreten ereignet hat und das im Zeitpunkt des Inkrafttretens der neuen Norm abgeschlossen ist (BGE 122 V 405 E. 3b/aa; BGE 122 II 113 E. 3b/dd; vgl. auch MARKUS VISCHER, Die allgemeinen Bestimmungen des schweizerischen intertemporalen Privatrechts, Diss. Zürich 1986, S. 33 ff.). Von dieser eigentlichen Rückwirkung, die verfassungsrechtlich nur ausnahmsweise zulässig ist (BGE 122 V 405 E. 3b/aa),
BGE 124 III 266 S. 272
muss nach der Praxis des Bundesgerichts die unechte Rückwirkung unterschieden werden. Bei der unechten Rückwirkung wird auf Verhältnisse abgestellt, die zwar unter der Herrschaft des alten Rechts entstanden sind, beim Inkrafttreten des neuen Rechts aber noch andauern. Diese Rückwirkung wird als verfassungsrechtlich unbedenklich betrachtet, soweit ihr nicht wohlerworbene Rechte entgegenstehen (BGE 122 II 113 E. 3b/dd; BGE 122 V 6 E. 3a, 408 E. 3b/aa).
Der urheberrechtliche Schutz knüpft sowohl altrechtlich wie neurechtlich an den Realakt der Schöpfung des Werkes an (Art. 29 Abs. 1 URG; BGE 116 II 351 E. 2b mit Zitaten). Wird durch eine Gesetzesänderung ein Urheberrechtsschutz für Werke eingeführt, die bereits vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes wegen Ablaufs der Schutzdauer gemeinfrei geworden waren, ist darin eine eigentliche Rückwirkung zu sehen. Denn die massgebliche Tatsache, an welche der urheberrechtliche Schutz anknüpft, die Schaffung des Werkes, ist in diesen Fällen vor Inkrafttreten abgeschlossen worden. Die immateriellen Rechte der Urheberinnen und Urheber werden für deren künstlerische und geistige Leistung verliehen und haften nicht an der Materialisierung des Werkes und damit auch nicht an einem Zustand, der als zeitlich offener Dauersachverhalt aufgefasst werden könnte. Bei der Rechtsbeziehung des Urhebers oder der Urheberin sowie deren Nachfolger zum Werk handelt es sich nicht um einen tatsächlichen, mit der Erschaffung beginnenden Dauerzustand. Die Beziehung wird vielmehr erst durch die gesetzliche Regelung hergestellt und beendet. Ein neues Gesetz, welches das Wiederaufleben des Schutzes für Werke anordnet, die nach Ablauf der bisher geltenden Schutzdauer zum Gemeingut geworden waren, wirkt daher zurück. Verfassungsrechtlich ist diese Rückwirkung insoweit unproblematisch, als sie die Rechtsnachfolger des Urhebers oder der Urheberin nicht belastet, sondern begünstigt. Schwierigkeiten und verfassungsrechtliche Bedenken ergeben sich dagegen hinsichtlich Dritter, denen durch die Gesetzesänderung die Nutzung und Verwertung von Werken erschwert oder verboten wird, die vor dem Inkrafttreten des neuen Gesetzes bereits geschaffen und veröffentlicht worden sind, aber nicht mehr geschützt waren. In solchen Fällen besteht ein Konflikt zwischen den Interessen der Dritten, die im Vertrauen auf den fehlenden Urheberrechtsschutz gehandelt haben, und jenen Personen, denen mit der Gesetzesänderung wieder ein Urheberrecht an den Werken zugesprochen wird.
f) Diese Schwierigkeiten haben dazu geführt, dass in der Vergangenheit neben dem schweizerischen (vgl. vorn E. 4d) auch andere
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nationale und internationale Gesetzgeber die Übergangsregelung vorgezogen haben, welche die Verlängerung der Schutzfrist nur für solche Werke anordnet, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens des neuen Gesetzes nach bisherigem Recht geschützt waren (MELICHAR, a.a.O., S. 26 f.; vgl. dort auch den Hinweis auf die kriegsbedingten Schutzfristverlängerungen in Frankreich, Italien und Österreich). So hat Deutschland bei der Revision im Jahre 1965, als die Schutzfrist von fünfzig auf siebzig Jahre verlängert wurde, in § 129 des Urheberrechtsgesetzes vom 9. September 1965 bestimmt, dass die Vorschriften dieses Gesetzes auch auf die vor seinem Inkrafttreten geschaffenen Werke anzuwenden sind, es sei denn, dass sie zu diesem Zeitpunkt urheberrechtlich nicht geschützt sind (vgl. dazu FROMM/NORDEMANN, Urheberrecht, 8. Auflage, Stuttgart 1994, N. 7 zu § 129; SCHRICKER/KATZENBERGER, Urheberrecht, München 1987, N. 10 f. zu § 129). In Österreich ist die Rückwirkung für nicht mehr geschützte Werke sowohl bei der Verlängerung der Schutzfrist von dreissig auf fünfzig Jahre wie auch bei jener von fünfzig auf siebzig Jahre abgelehnt worden (MELICHAR, a.a.O., S. 27; DITTRICH, Österreichisches und internationales Urheberrecht, S. 99, 109 und 111). Nach der in Paris am 24. Juli 1971 revidierten Berner Übereinkunft zum Schutz von Werken der Literatur und Kunst (RBÜ; SR 0.231.15 [für die Schweiz in Kraft seit 25. September 1993; für Deutschland seit 22. Januar 1974 bzw. 10. Oktober 1974]) gilt schliesslich die Regelung, dass deren Bestimmungen auf alle Werke anwendbar sind, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens noch nicht infolge Ablaufs der Schutzdauer im Ursprungsland Gemeingut geworden sind (Art. 18 Abs. 1). Nach Absatz 2 dieser Bestimmung erlangt sodann ein Werk auch dann keinen neuen Schutz, wenn es wegen Ablaufs der Schutzfrist im Land, in dem der Schutz beansprucht wird, Gemeingut geworden ist (vgl. dazu HILTY, a.a.O., S. 596).
g) Zu prüfen bleibt, ob sich aus den Äusserungen im Parlament hinsichtlich der Gründe für die Verlängerung der Schutzdauer Anhaltspunkte für die Auslegung von Art. 80 Abs. 1 URG ergeben.
aa) Die Verlängerung der Schutzdauer für alle Werke ausser den Computerprogrammen (Art. 29 Abs. 2 lit. b bzw. Art. 30 Abs. 1 und 2 sowie Art. 31 URG) wurde im Ständerat, der sich zuerst mit der Sache befasste, von der Berichterstatterin der vorberatenden Kommission einerseits mit der internationalen Entwicklung begründet, die in diese Richtung gehe, und mit dem Interesse, sich dieser Entwicklung und insbesondere der geplanten europäischen Harmonisierung anzupassen. Anderseits wurde auf das Interesse der
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schweizerischen Verleger an der Schutzdauer von siebzig Jahren hingewiesen, weil sie nach bisherigem Recht gegenüber jenen Ländern benachteiligt seien, in welchen bereits die längere Schutzdauer gelte (AB 1991 S 115: Votum Meier; vgl. auch Votum Bundesrat Koller, S. 116). Eine Minderheit der Kommission, der in der Abstimmung nicht gefolgt wurde, wollte an der bisherigen Schutzdauer von fünfzig Jahren festhalten. Der Sprecher der Minderheit wies darauf hin, dass die Verlängerung in der Botschaft des Bundesrates abgelehnt worden sei, weil die direkt interessierten Kreise sich mehrheitlich für die Beibehaltung der fünfzigjährigen Schutzfrist ausgesprochen hätten. Zudem bezweifelte er, dass ein schweizerischer Urheber nur wegen der längeren Schutzdauer einem Verleger in Deutschland den Vorzug gebe. Schliesslich machte er darauf aufmerksam, dass es nicht mehr um die Rechte des Urhebers und seiner Kinder gehe, sondern um Rechte von entfernten Nachkommen; eine zu lange Schutzdauer kollidiere mit dem allgemeinen Interesse an der möglichst breiten und freien Kenntnis des Werkes eines Urhebers (AB 1991 S 116: Votum Masoni). Auch im Nationalrat setzte sich eine bei der Abstimmung ebenfalls unterliegende Minderheit für die Beibehaltung der fünfzigjährigen Schutzdauer ein. Von ihr wie auch von der Gegenseite wurden im wesentlichen die gleichen Argumente vorgebracht, die bereits im Ständerat verwendet worden waren (AB 1992 N 43 f.: Voten Scherrer, Couchepin, Fischer und Bundesrat Koller).
bb) Die Meinungsäusserungen im Parlament zeigen auf, dass die Verlängerung der Schutzdauer von fünfzig auf siebzig Jahre nicht mit inhaltlichen, auf das Wesen des Urheberrechts als Immaterialgut bezüglichen Überlegungen begründet wurde. Im Vordergrund stand vielmehr die Angleichung einerseits an die Länder, die bereits seit längerer Zeit die siebzigjährige Schutzfrist eingeführt hatten (Deutschland und Österreich), und anderseits an die damals noch nicht verwirklichte, sondern von den Europäischen Gemeinschaften erst geplante Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts. In Bezug auf die hier massgebende Frage, ob der Gesetzgeber ein Wiederaufleben des Schutzes gemeinfrei gewordener Werke tendenziell befürwortet hat oder nicht, gibt der Gesichtspunkt der Anpassung an die erwähnten Regelungen einen bestimmten - allerdings nicht zweifelsfreien - Aufschluss. Festzuhalten ist zunächst, dass die Angleichung an die nationalen Vorschriften Deutschlands und Österreichs dazu führen müsste, ein Wiederaufleben des Schutzes auszuschliessen (vgl. vorn E. 4f). Gleich verhält es sich
BGE 124 III 266 S. 275
aber auch in Bezug auf die Europäischen Gemeinschaften, wenn auf die bis November 1992 bestehenden Verhältnisse abgestellt wird. Denn in dem am 23. März 1992 vorgelegten Vorschlag der Kommission war eine Übergangsregelung vorgesehen, welche die Rückwirkung für wegen Zeitablaufs erloschene Urheberrechte ausschloss (Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften [Abl.] Nr. C 92/9 vom 11. April 1992, Art. 6 Abs. 1). Da diese Regelung dazu geführt hätte, dass die Schutzdauer in den einzelnen Mitgliedstaaten während Jahrzehnten nur unvollständig vereinheitlicht worden wäre, wurde sie später dahingehend geändert, dass die längste nationale Schutzdauer übergangsrechtlich für alle Staaten massgebend sein sollte (Abl. Nr. C 27/12 und 13 vom 30. Januar 1993, Art. 6a Abs. 2; vgl. zum Ganzen MELICHAR, a.a.O., S. 30). Die Vorschrift wurde in dieser Form in die Richtlinie 93/98 vom 29. Oktober 1993 aufgenommen, mit welcher die Mitgliedstaaten zur Harmonisierung der Schutzdauer des Urheberrechts und bestimmter verwandter Schutzrechte verpflichtet wurden (Abl. Nr. L 290/9 vom 24. November 1993, Art. 10 Abs. 2; einheitliche Schutzdauer von siebzig Jahren: Art. 1 Abs. 1). Unter dem Gesichtspunkt des historischen Willens des Gesetzgebers kann die letztlich in die Richtlinie aufgenommene Übergangsregel aber vernachlässigt werden, da die geschilderte Entwicklung in der Zeit, als die parlamentarischen Beratungen stattfanden, nicht voraussehbar war. Im übrigen erfüllt die Übergangsregelung der Richtlinie wie erwähnt den spezifischen Zweck einer möglichst schnellen Harmonisierung der Schutzdauer in mehreren Staaten, nach deren bisherigem nationalen Recht unterschiedliche Schutzfristen galten. Dieser Zweck entfällt indes für eine Übergangsvorschrift wie Art. 80 Abs. 1 URG, deren Gegenstand auf eine einzige nationale Rechtsordnung beschränkt ist.
h) Wird auf das Auslegungselement des Willens des historischen Gesetzgebers abgestellt, ergibt sich somit als wesentliches Motiv die Angleichung an die nationale deutsche sowie an die geplante Regelung der Europäischen Gemeinschaften, wie sie im Zeitpunkt der Beratungen (6. März 1991 bzw. 28. Januar 1992) den Eidgenössischen Räten bekannt sein konnte. Das spricht für eine Auslegung, welche die Rückwirkung für Werke ausschliesst, die nach früherem Recht wegen Ablaufs der Schutzdauer zum Gemeingut geworden waren. Im übrigen ist bereits festgehalten worden, dass der Gesetzeswortlaut unter Berücksichtigung des Randtitels keine klare Antwort gibt und keine Stellungnahme des Gesetzgebers zu der seit langem als regelungsbedürftig erkannten Frage feststellbar ist, wobei
BGE 124 III 266 S. 276
aber aufgrund der historischen Rechtsentwicklung angenommen werden kann, dass er sich für die damals nach schweizerischem und ausländischem Recht übliche Übergangsregelung entschieden hätte. Diese Regelung hat nicht nur den Vorteil der Einfachheit, sondern sie ist in Übereinstimmung mit dem Grundsatz des Verbotes echter Rückwirkung auch Ausdruck des Wandels der Anschauungen in Bezug auf die angemessene Dauer des Urheberrechtsschutzes. Diese Anschauungen haben sich im Laufe des zwanzigsten Jahrhunderts und insbesondere in den letzten Jahrzehnten wesentlich geändert, ist doch die Schutzdauer schrittweise von dreissig auf fünfzig (1955) und mit der Revision von 1993 auf siebzig Jahre seit dem Tod des Urhebers oder der Urheberin angehoben worden. Die Relativität und zeitliche Bedingtheit der Anschauungen über die angemessene Dauer des Schutzes vermag indes auch die Übergangsregelung zu rechtfertigen, wonach der einmal wegen Ablaufs der Schutzdauer erloschene Urheberrechtsschutz nicht wieder auflebt, obwohl vom Gesetzgeber, unter Umständen Jahrzehnte später, eine Verlängerung der Schutzdauer angeordnet wird.
Schliesslich ist darauf hinzuweisen, dass eine auf den blossen Wortlaut von Art. 80 Abs. 1 URG - unter Ausklammerung des Randtitels - abgestützte Auslegung in Einzelfällen zu einem Ergebnis führen würde, das der Gesetzgeber nicht gewollt haben kann. Eine Rückwirkung für gemeinfrei gewordene Werke hätte nämlich zur Folge, dass der urheberrechtliche Schutz auch für jene Werke wiederaufleben würde, die bereits in den Jahren 1954 und 1955 wegen Ablaufs der damals geltenden dreissigjährigen Schutzfrist Gemeingut geworden waren (vgl. vorn E. 4d). Hier zeigt sich aber ein derart krasses Missverhältnis zwischen den Interessen der Allgemeinheit und jenen der Inhaber der Urheberrechte, dass der Entscheid des Gesetzgebers zweifellos zugunsten der Allgemeinheit ausfallen müsste.
i) Aus all diesen Gründen ist Art. 80 Abs. 1 URG dahingehend auszulegen, dass sich die Rückwirkung des neuen Rechts nicht auf Werke bezieht, die nach früherem Recht zwar urheberrechtlich geschützt waren, deren Schutzdauer aber vor dem Inkrafttreten des neuen Rechts abgelaufen war. Dieses Ergebnis lässt sich in Anlehnung an Art. 66bis Abs. 1 aURG auch so formulieren, dass die Verlängerung der Schutzdauer von fünfzig auf siebzig Jahre nach dem Tode des Urhebers oder der Urheberin nur auf jene bereits bestehenden Werke anwendbar ist, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verlängerung noch geschützt waren.

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Erwägungen 3 4

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