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Urteilskopf

149 III 338


40. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A.A. gegen B. und C. (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_41/2023 vom 12. Mai 2023

Regeste

Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG; Art. 189 und 190 Abs. 2 IPRG; internationale Schiedsgerichtsbarkeit; zulässiges Anfechtungsobjekt; bundesgerichtliche Überprüfung.
Der Entscheid eines rabbinischen Schiedsgerichts ist ein zulässiges Anfechtungsobjekt der Beschwerde in Zivilsachen (E. 2.1 und 2.2).
Trotz Anfechtbarkeit eines Schiedsentscheids kann die bundesgerichtliche Überprüfung je nach gewählter Verfahrensordnung de facto ausgeschlossen sein (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 339


A. A.A. (Beklagter, Beschwerdeführer), vertreten durch seine Ehefrau B.A. einerseits und B. und C. (Kläger, Beschwerdegegner) andererseits unterzeichneten am 12. September 2022 eine Vereinbarung zur Klärung eines "Händel[s] mit Geldforderung bezüglich D. Invest" durch ein rabbinisches Schiedsgericht. Sie lautet (in der freien, nicht bestrittenen Übersetzung des Beschwerdeführers vom Hebräischen ins Deutsche):
"Wir, die Parteien [...] haben einen Händel mit Geldforderung bezüglich D. Invest und haben unter uns beschlossen, dass zwischen uns gerichtet werde über alle diese Forderungen durch die folgenden (Schieds)Richter: [...] Und wir verpflichten uns und (unter Verpfändung) unser(es) Vermögen(s) zur Einhaltung all dessen was sie entscheiden (werden), sei dies als (hartes) Urteil oder sei dies als Kompromiss (welcher sich aber an einem harten Urteil anlehnt) und selbst bei einem Irrtum. Wir haben kein Recht, dieses Urteil anzufechten, weder bei (anderen) jüdischen Gerichten noch bei weltlichen Gerichten. All dies geschieht aus freiem Willen und unter den hiefür nach jüdischem Gesetz geregelten Prozeduren, und unter Berücksichtigung der jüdischen und weltlichen Gesetze."

B. Am 7. Dezember 2022 führte das Schiedsgericht eine (rund einstündige) Verhandlung durch.
Mit Datum vom 12. Januar 2023 kam das Schiedsgericht "nach Anhörung und Prüfung aller Argumente beider Parteien" zu folgendem Urteil (hier wiedergegeben in der vom Beschwerdeführer eingereichten beglaubigten Übersetzung vom Hebräischen ins Deutsche, sic:
"1 Die Kläger gelten als Parteien (Partei) in Bezug auf jegliche Handlungen, welche in diesem Gerichtsverfahren behandelt werden, und die Einrede des Beklagten von die Kläger ihm gegenüber als Kläger nicht legitimiert seien gilt hier nicht.
BGE 149 III 338 S. 340
2 a) Das Gericht stellt fest, dass das Geschäftsverhältnis, das zwischen Kläger und Beklagtem respektive seinen Firmen seit dem Hauskauf der Liegenschaft V. in W. eine persönliche Partnerschaft ist, und dass dieses weiterhin andauert, solange nicht beide Seiten durch einen Rechtsgeschäft einer Umwandlung des Partnerschaft in ein Darlehensverhältnis zustimmen oder durch einen Rechtsgeschäft das Partnerschaft auflösen gemäss Vereinbarung beider Parteien.
b) Der Beklagte ist verpflichtet, alle bisher aufgelaufenen Schulden an die Kläger zu bezahlen. Er soll diese unverzüglich an den Bevollmächtigten der Kläger, RA E., überweisen.
c) RA E. soll unverzüglich eine Vollmacht von F. beschaffen, um zu ermöglichen, dass die Zahlungen des Beklagten an Herrn E. adressiert werden können. Falls der Beklagte mit der Bezahlung trotzdem technische oder legale Probleme haben sollte, muss eine schriftliche Begründung diesbezüglich bis spätestens Freitag, 20. Januar 2023 dem Gericht eingereicht werden.
3 Der Beklagte ist verpflichtet, die Kläger vollumfänglich über alle bisherigen Transaktionen, welche irgendwie mit dem Investment in Zusammenhang stehen, zu informieren.
4 Ferner ist es dem Beklagten resp. seinen Firmen untersagt, ohne Zustimmung der Kläger irgendwelche Handlungen vorzunehmen, die denWert des Partnerschaft beeinflussen können, also insbesondere auch einen allfälligen Verkauf, eine zusätzliche Belehnung des Hauses oder die Rückzahlung von Hypothekarschulden.
Die Parteien werden aufgefordert, raschestmöglich die finanziellen Details von Schuld resp. Guthaben miteinander auszuhandeln.
5 Jegliche Forderung wegen Verlusten oder Schaden, welche durch die Geschäftsführung durch den Beklagten in der Vergangenheit seit Beginn des Partnerschaft ohne Genehmigung der Kläger geschehen sind, können nach Vorliegen aller detaillierten Fakten dem Gericht vorgelegt werden, welches auch diesbezüglich einen Urteil (Psak) geben wird."
Unterschrieben "zu Urteil dessen" von den drei Schiedsrichtern. Dieses Urteil enthält keine Begründung, weder Ausführungen zum Sachverhalt noch rechtliche Erwägungen.

C. Der Beschwerdeführer beantragt dem Bundesgericht mit Beschwerde in Zivilsachen, den Entscheid des Schiedsgerichts vom 12. Januar 2023 aufzuheben.
Das Bundesgericht weist die Beschwerde ab, soweit es darauf eintritt.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

BGE 149 III 338 S. 341
Aus den Erwägungen:

2.

2.1 Näherer Betrachtung bedarf hingegen das Anfechtungsobjekt. Der Beschwerde nach Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG unterliegen "Entscheide von Schiedsgerichten" im Sinne von Art. 189 IPRG (SR 291). Das Gesetz definiert nicht, was unter "Schiedsentscheid" zu verstehen ist. Gemäss der bundesgerichtlichen Rechtsprechung ist ein Schiedsentscheid im Sinne von Art. 189 IPRG die gestützt auf eine Schiedsvereinbarung (zum Begriff der Schiedsvereinbarung BGE 147 III 107 E. 3.1.2) getroffene Entscheidung eines nicht staatlichen Gerichts, dem die Parteien die Beurteilung einer vermögensrechtlichen Streitigkeit (Art. 177 Abs. 1 IPRG) mit internationalem Charakter (Art. 176 Abs. 1 IPRG) übertragen haben. Um als eigentlicher Entscheid zu gelten, der einem Urteil eines staatlichen Gerichts gleichgestellt werden kann, muss das Schiedsgericht hinreichende Gewähr seiner Unparteilichkeit und Unabhängigkeit bieten (BGE 148 III 427 E. 5.2.2; BGE 119 II 271 E. 3b).
Angefochten ist die Entscheidfindung eines rabbinischen Schiedsgerichts, mithin eines nicht staatlichen Gerichts. Seine Unabhängigkeit und Unparteilichkeit wird nicht in Frage gestellt.
Dieses urteilte gestützt auf die Schiedsvereinbarung vom 12. September 2022 (zit. oben Bst. A.). Damit übertrugen die Parteien dem Schiedsgericht anstelle des zuständigen staatlichen Gerichts die verbindliche Beurteilung ihrer bestehenden Streitigkeit über Forderungen im Zusammenhang mit einem Immobilieninvestment, mithin über vermögensrechtliche Ansprüche im Sinne von Art. 177 IPRG. Die Willenserklärungen aller am Abschluss der Schiedsvereinbarung beteiligten Parteien müssen der Textform genügen (Art. 178 Abs. 1 IPRG), was mit der eingereichten Schiedsvereinbarung vom 12. September 2022 erfüllt wird.
Auch machen die Parteien nicht ansatzweise geltend, dass sie die Schiedsvereinbarung nicht aus völlig freiem Willen abgeschlossen hätten, und es liegen keinerlei Anhaltspunkte dafür vor, dass sie unter Druck gesetzt worden wären.
Die Streitigkeit weist sodann einen internationalen Charakter auf (Art. 176 Abs. 1 IPRG), da der Beschwerdegegner 2 beim Abschluss der Schiedsvereinbarung seinen Wohnsitz im Ausland (Israel) hatte.
Es liegen somit sämtliche Merkmale eines Schiedsentscheids im Sinne von Art. 189 IPRG vor.
BGE 149 III 338 S. 342

2.2 Sodann greift das Verbot geistlicher Gerichtsbarkeit hier nicht. Die von Art. 58 aBV 1874 abgeschaffte und auch von der geltenden Bundesverfassung untersagte geistliche Gerichtsbarkeit erfasst ein freiwillig vereinbartes kirchliches Schiedsgericht nicht, sofern es in einem schiedsfähigen, d.h. in einem der freien Parteidisposition unterstehenden Bereich entscheidet (Giovanni Biaggini, BV Kommentar, Bundesverfassung der Schweizerischen Eidgenossenschaft, 2. Aufl. 2017, N. 12 zu Art. 30 BV, N. 8 zu Art. 72 BV und N. 6 zu Art. 188 BV; vgl. auch BGE 129 I 91 E. 4.2). Rabbinische Schiedsgerichte sind mithin zulässig, soweit es um schiedsfähige Angelegenheiten geht (ALFRED STRAUSS, Das rabbinische Schiedsgericht im Lichte des schweizerischen Rechts, 2004, S. 72).
Die vorliegende Streitsache ist unbestrittenermassen schiedsfähig, geht es doch um vermögensrechtliche Ansprüche (Art. 177 Abs. 1 IPRG). Das rabbinische Schiedsgericht ist mithin ein zulässiges Schiedsgericht im Sinne von Art. 189 IPRG.
(...)

3.

3.1 Damit ist aber noch nicht gesagt, dass die Beschwerde effektiv greifen kann. Der Entscheid des rabbinischen Schiedsgerichts unterliegt zwar der Beschwerde an das Bundesgericht, indessen kann eine Überprüfung nicht stattfinden:

3.2 Sowohl das Verfahren als auch die Regelung von Form und Inhalt des Schiedsentscheids untersteht in erster Linie der Parteiautonomie (Art. 189 Abs. 1 IPRG). Je nach gewählten Prozessvorschriften kann dies freilich zu Problemen bei der Anfechtung und Vollstreckung des Schiedsentscheids führen. Namentlich wenn das Urteil etwa bloss mündlich eröffnet werden oder nicht begründet sein muss, reduziert sich die Möglichkeit einer effektiven (und erfolgreichen) Beschwerdeführung erheblich. Denn das Bundesgericht kann bei fehlender oder allzu knapper Begründung kaum beurteilen, ob ein angerufener Beschwerdegrund nach Art. 190 Abs. 2 IPRG vorliegt (Martin Aebi, in: Berner Kommentar, Bundesgesetz über das Internationale Privatrecht [IPRG], 2023, N. 36 und 46 zu Art. 189 IPRG; WIRTH/MAGLIANA, in: Basler Kommentar, Internationales Privatrecht, 4. Aufl. 2021, N. 42 zu Art. 189 IPRG; vgl. bereits Urteile 4A_300/ 2018 vom 22. August 2018 E. 3; 4A_198/2012 vom 14. Dezember 2012 E. 2.2).

3.3 Damit das Bundesgericht den angefochtenen Schiedsspruch effektiv überprüfen kann, bedarf es zudem tatsächlicher
BGE 149 III 338 S. 343
Feststellungen zum Verfahrensablauf und zur Streitsache. Denn das Bundesgericht kann die Sachverhaltsfeststellung des Schiedsgerichts weder berichtigen noch ergänzen, selbst wenn diese offensichtlich unrichtig ist oder auf einer Rechtsverletzung im Sinne von Art. 95 BGG beruht (Art. 77 Abs. 2 BGG, der die Anwendbarkeit von Art. 97 BGG und von Art. 105 Abs. 2 BGG ausschliesst). Auch die sehr eingeschränkte Überprüfungsmöglichkeit von Sachverhaltsfeststellungen, wenn diesen gegenüber zulässige Rügen im Sinne von Art. 190 Abs. 2 IPRG vorgebracht oder ausnahmsweise Noven berücksichtigt werden (BGE 144 III 559 E. 4.1; BGE 138 III 29 E. 2.2.1), kann von vornherein nicht greifen, wenn keine Sachverhaltsfeststellungen im angefochtenen Schiedsspruch enthalten sind. Nun ist es aber nicht Sache des Bundesgerichts, bei fehlendem oder allzu knappem Sachverhalt diesen aus den Schiedsakten selbst zusammenzusuchen, geschweige denn, über bestrittene Vorbringen Beweis zu führen. In einem solchen Fall nützt es den Parteien mithin nichts, auf ihre Eingaben, den Verfahrensablauf und Tatsachen, die aus den Schiedsakten hervorgehen, zu verweisen, selbst wenn diese nicht bestritten sein sollten. Das Bundesgericht kann all dies nicht berücksichtigen, soweit es im angefochtenen Schiedsspruch keine Stütze findet.

3.4 Solche Probleme der Anfechtung und allenfalls der Vollstreckung nehmen die Parteien in Kauf, wenn sie sich auf entsprechende Verfahrensbestimmungen einigen. Da sie dies in einem Bereich tun, der in ihrer freien Verfügbarkeit liegt, besteht kein Anlass, durch zwingende Mindestvorschriften korrigierend einzugreifen. Je nach dem von den Parteien gewählten Verfahrensrecht kann sich demnach die Situation einstellen, dass ein Schiedsentscheid zwar grundsätzlich mit Beschwerde an das Bundesgericht anfechtbar, jedoch de facto nicht oder nur sehr beschränkt überprüfbar ist. So verhält es sich im zu beurteilenden Fall:

3.5 Vorliegend enthält die Schiedsvereinbarung folgende Klausel: "All dies geschieht aus freiem Willen (und unter den hiefür nach jüdischem Gesetz geregelten Prozeduren), und unter Berücksichtigung der jüdischen und weltlichen Gesetze." Der Verweis auf die nach jüdischem Gesetz geregelten Prozeduren ist klar und bedeutet, dass das rabbinische Schiedsgericht nach jüdischem Verfahrensrecht verfuhr. Zum Inhalt desselben enthält die Dissertation von STRAUSS ein Kapitel (a.a.O., S. 127 ff.). Darin wird insbesondere der Grundsatz der Mündlichkeit hervorgehoben, das heisst, dass im Verfahren das gesprochene Wort vorherrsche (a.a.O., S. 153).
BGE 149 III 338 S. 344
Entsprechend liegt dem Bundesgericht einzig das nicht begründete Entscheiddispositiv vom 12. Januar 2023 vor. Dieses enthält weder Feststellungen zum Prozesssachverhalt noch solche zur Sache und ebenso wenig rechtliche Erwägungen. Dies erschwert die Anfechtung ganz erheblich, was die Parteien aber mit der freiwilligen und zulässigen Vereinbarung der Anwendung jüdischen Verfahrensrechts in Kauf genommen haben.

3.6 Erst recht kann nicht gesagt werden und wird auch von keiner der Parteien geltend gemacht, der angefochtene Schiedsspruch sei mangels Begründung nichtig. Anders wäre nur bei offensichtlicher Unzuständigkeit des angeblichen Schiedsgerichts zu erkennen, wie dies das Bundesgericht in einem Fall, in dem sich unbefugte Personen schiedsgerichtliche Befugnisse angemasst hatten, befand (Urteil 4A_618/2015 / 4A_634/2015 vom 9. März 2016).

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 2 3

Referenzen

BGE: 147 III 107, 148 III 427, 119 II 271, 129 I 91 mehr...

Artikel: Art. 189 und 190 Abs. 2 IPRG, Art. 77 Abs. 1 lit. a BGG, Art. 177 Abs. 1 IPRG, Art. 176 Abs. 1 IPRG mehr...