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Urteilskopf

149 II 442


37. Auszug aus dem Urteil der III. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A.A. und B.A. gegen Kantonales Steueramt Zürich (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
9C_233/2023 vom 3. Oktober 2023

Regeste

Art. 9 Abs. 1 und 1bis, Art. 13 Abs. 1 und 2, Art. 113 DBG; zur Zahlungsunfähigkeit eines Ehegatten oder einer Person in eingetragener Partnerschaft, die zur Aufhebung der solidarischen (Mit-)Haftung führt.
Steuerrechtliche Folgen der Ehe in materiellrechtlicher und verfahrensrechtlicher Hinsicht; solidarische (Mit-)Haftung als Regelfall (E. 3).
Zahlungsunfähigkeit im Sinne von Art. 13 Abs. 1 DBG liegt nur vor, wenn der Ehegatte in tatsächlich und rechtlich ungetrennter Ehe bzw. die Person in tatsächlich und rechtlich ungetrennter eingetragener Partnerschaft zumindest auf mittlere Frist über keinerlei pfändbares Einkommen und gleichzeitig über keinerlei versilberbares Vermögen verfügt. Die angebliche Zahlungsunfähigkeit muss bewiesen werden; Glaubhaftmachung genügt nicht (E. 4).

Sachverhalt ab Seite 443

BGE 149 II 442 S. 443
Die Eheleute B.A. und A.A. (geb. 1947 und 1958) haben steuerrechtlichen Wohnsitz in U./ZH. Seit dem 15. November 2002 miteinander verheiratet, leben sie in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe. Zur hier interessierenden Steuerperiode 2018 sind sie für die Zwecke der direkten Bundessteuer sowie der Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich rechtskräftig veranlagt worden. Am 25. Mai 2021 ersuchten sie das Steueramt des Kantons Zürich (KStA/ZH) um Feststellung, dass die solidarische (Mit-)Haftung entfallen sei. Sie machten geltend, die offenen Steuerschulden aus der Steuerperiode 2018 erreichten Fr. 272'741.35. Die Steuerschuld sei im Wesentlichen auf das damalige Einkommen des Ehemannes zurückzuführen. Seine monatlichen Einkünfte beliefen sich heute auf Fr. 8'004.75, sein Vermögen betrage lediglich Fr. 3'709.10. Der Ehemann sei daher ausserstande, die ihn treffenden Steuerschulden zu begleichen, und entsprechend sei die Ehefrau aus der solidarischen (Mit-)Haftung zu entlassen. Das Verwaltungsgericht des Kantons
BGE 149 II 442 S. 444
Zürich wies das Gesuch kantonal letztinstanzlich ab, was das Bundesgericht bestätigt.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3.

3.1 Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe und Personen in rechtlich und tatsächlich ungetrennter eingetragener Partnerschaft (dazu Art. 9 Abs. 1bis DBG [SR 642.11]) werden verfahrensrechtlich als "selbständige" steuerpflichtige Personen behandelt (HUNZIKER/MAYER-KNOBEL, in: Bundesgesetz über die direkte Bundessteuer, Kommentar zum Schweizerischen Steuerrecht [nachfolgend: Komm. DBG], 4. Aufl. 2022 , N. 3 zu Art. 9 DBG; zu den Voraussetzungen einer rechtlich oder tatsächlich getrennten Ehe: Urteil 9C_249/2023 vom 2. August 2023 E. 2.2). Sie begründen - immer beschränkt auf das Verfahrensrecht - ein je eigenes Steuerrechtsverhältnis (THOMAS A. MÜLLER, Die solidarische Mithaftung im Bundessteuerrecht, 1999, S. 205 und 208). Etwas missverständlich spricht das Gesetz von der "gemeinsamen" Ausübung der Verfahrensrechte und Verfahrenspflichten (Art. 113 Abs. 1 DBG), was aber dahingehend zu lesen ist, dass Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe und Personen in rechtlich und tatsächlich ungetrennter eingetragener Partnerschaft in Bezug auf die Steuerfaktoren des anderen Ehegatten bzw. der anderen Person in eingetragener Partnerschaft mitwirkungsberechtigt sind. Die gesetzliche Mitwirkungspflicht erfasst nur die "eigenen" Faktoren (Urteil 2C_826/2019 vom 17. März 2020 E. 2.2.3; ZWEIFEL/HUNZIKER, Komm. DBG, a.a.O., N. 25 zu Art. 113 DBG). Ob es sich um "eigene" oder "fremde" Faktoren handelt, erschliesst sich in allgemeiner Weise aus dem Sachenrecht (Art. 641 ff. ZGB). Näheres ergibt sich, was die Vermögenswerte angeht, aus dem Ehegüterrecht (Art. 181 ff. ZGB), welches das speziellere Recht bildet. Demzufolge ist nach den drei Güterständen zu unterscheiden. Die jeweilige Regelung der Eigentumsverhältnisse findet sich in Art. 196 ff. ZGB (Errungenschaftsbeteiligung), Art. 221 ff. ZGB (Gütergemeinschaft) und Art. 247 f. ZGB (Gütertrennung). Für die Zuweisung der laufenden Einkünfte an die eine oder andere Person ist nach der jeweiligen Quelle (Arbeitsrecht, Versicherungsrecht usw.) zu fragen.

3.2 Da die Faktoren in einer einzigen Steuererklärung deklariert werden (Art. 113 Abs. 1 DBG), haben Ehegatten in rechtlich und tatsächlich
BGE 149 II 442 S. 445
ungetrennter Ehe und Personen in rechtlich und tatsächlich ungetrennter eingetragener Partnerschaft die Steuererklärung gemeinsam zu unterschreiben (Art. 113 Abs. 2 DBG; BGE 141 II 318 E. 2.3.4; Urteil 2C_451/2016 / 2C_452/2016 vom 8. Juli 2016 E. 2.3). Die Veranlagungsbehörde hat gleichermassen sämtliche Mitteilungen an diesen Personenkreis gemeinsam zu richten (Art. 113 Abs. 4 DBG; BGE 122 I 139 E. 1). Denn beide Ehegatten oder Personen in eingetragener Partnerschaft haben ein gleichwertiges rechtlich geschütztes Interesse daran, mit der Veranlagungsverfügung bedient zu werden, ansonsten sie Gefahr laufen könnten, verspätet oder schlimmstenfalls gar nicht Einsprache erheben zu können (Urteil 2C_689/2019 vom 15. August 2019 E. 2.2.8). Dem individuellen Verfahrensverhältnis zufolge sind sie berechtigt, je eigenständig ein Rechtsmittel zu erheben (Art. 113 Abs. 3 DBG). Dies trifft auch auf die Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten an das Bundesgericht zu (Urteil 2C_390/2015 vom 24. Mai 2016 E. 1.2, nicht publ. in: BGE 142 II 283).

3.3 Das geschilderte Verfahrensrecht gemäss Art. 113 DBG geht von der Eigenständigkeit des jeweiligen Ehegatten bzw. der jeweiligen Person in eingetragener Partnerschaft aus (vorne E. 3.1). Im materiellrechtlichen Bereich verhält es sich anders, indem hier das Prinzip der Faktorenaddition herrscht (Art. 9 Abs. 1 DBG). Danach gilt, dass das Einkommen von Ehegatten in rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe, ohne Rücksicht auf den Güterstand, zusammengerechnet wird (BGE 141 II 318 E. 2.2 Ingress; BGE 138 II 300 E. 2.1; BGE 133 II 305 E. 4.1). Dasselbe trifft auf Personen zu, die in rechtlich und tatsächlich ungetrennter eingetragener Partnerschaft leben (Art. 9 Abs. 1bis DBG). Welchem Güterstand die Eheleute unterstehen, ist zwar verfahrensrechtlich bedeutsam (auch dazu vorne E. 3.1), für die Zwecke der materiellrechtlichen Faktorenaddition aber unerheblich. Dieser liegt der Grundsatz der Besteuerung nach der gesamten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit zugrunde (Art. 127 Abs. 2 BV; Urteil 2C_354/2022 vom 20. März 2023 E. 3.1.1).

3.4 Die beiden Ehegatten bzw. die beiden Personen in eingetragener Partnerschaft bilden, solange sie rechtlich und tatsächlich ungetrennt sind, zivilrechtlich und wirtschaftlich "eine Einheit" (BGE 128 I 317 E. 2.2.4) bzw. jedenfalls "eine gewisse Einheit" (BGE 141 II 318 E. 2.2.1). Diese ist als Erwerbs- und Verbrauchergemeinschaft ausgestaltet (BGE 122 I 139 E. 4c/bb). Nicht nur die positiven
BGE 149 II 442 S. 446
Elemente (Einkünfte), auch die negativen Faktoren (Abzüge und, bei selbständiger Erwerbstätigkeit, Verluste) werden zusammengerechnet und fliessen in die gemeinsame Bemessungsgrundlage ein (BGE 141 II 318 E. 2.3.3). Entsprechend weist die Veranlagungsverfügung für die beiden Ehegatten bzw. die beiden Personen in eingetragener Partnerschaft ein einheitliches steuerbares Einkommen und eine einheitliche Steuerschuld aus, ohne dass es von Amtes wegen zu einer betragsmässigen Aufteilung auf die beiden Personen kommt. Die Steuerforderung ist als Globalbetrag ausgestaltet (Urteile 2C_351/2019 vom 26. September 2019 E. 4.1; 2C_498/2016 / 2C_499/2016 vom 3. Juni 2016 E. 6). Bei Verankerung der Faktorenaddition liessen sich die Eidgenössischen Räte - bei aller Berücksichtigung des "neuen" Eherechts vom 5. Oktober 1984, in Kraft getreten am 1. Januar 1988 (Art. 159 ff. ZGB; AS 1986 122, 153) - von den Überlegungen des Bundesrates leiten. Dieser hatte praktische Gründe angeführt und auf das ansonsten gefährdete Steueraufkommen hingewiesen (Botschaft vom 26. Mai 1983 über die Steuerharmonisierung [nachfolgend: Botschaft StHG/DBG 1983], BBl 1983 III 1, insb. 24 ff. zu Ziff. 142.2).

4.

4.1 Streitig und zu prüfen ist, ob der Ehemann als zahlungsunfähig zu gelten habe. Nach der "allgemeinen" Formel, die sich in der bisherigen bundesgerichtlichen Rechtsprechung findet, liegt Zahlungsunfähigkeit im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBG vor, wenn der betreffende Ehegatte auf unbestimmte Zeit (zeitliches Kriterium) über keine ausreichenden Mittel verfügt (betragliches Kriterium), um die fälligen Steuern zu bezahlen. Auf einen kurzfristigen finanziellen Engpass trifft dies - immer nach dieser (Kurz-)Formel - nicht zu. Die Zahlungsunfähigkeit äussert sich namentlich darin, dass (definitive) Verlustscheine vorliegen, der Konkurs eröffnet oder ein Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung abgeschlossen worden ist, was das "dauernde Unvermögen des einen Ehegatten" zum Ausdruck bringen soll (Urteil 2C_142/2020 vom 15. Juni 2020 E. 2.2.4 mit zahlreichen Hinweisen). Die Doktrin hat diese allgemeine Formel weitgehend übernommen (HUNZIKER/MAYER-KNOBEL, Komm. DBG, a.a.O., N. 4 zu Art. 13 DBG; CHRISTINE JAQUES, in: Commentaire romand, LIFD, 2. Aufl. 2017, N. 12 zu Art. 13 DBG; PETER LOCHER, Kommentar zum DBG, I. Teil, 2. Aufl. 2019, N. 16 zu Art. 13 DBG; RICHNER/FREI/KAUFMANN/ROHNER, Handkommentar zum DBG, 4. Aufl. 2023, N. 11 zu Art. 13 DBG).
BGE 149 II 442 S. 447

4.2

4.2.1 In seinem Fallrecht, das sich auf einige wenige Urteile beschränkt, hat das Bundesgericht die Zahlungsunfähigkeit üblicherweise dann bejaht, wenn zu den Steuern der betreffenden Steuerperiode definitive Verlustscheine im Sinne von Art. 115 Abs. 1 SchKG vorlagen. In den jeweiligen Fällen erübrigten sich weitergehende Überlegungen allerdings, nachdem die streitbetroffenen Steuern mittlerweile in Verjährung gefallen und folglich nicht mehr vollstreckbar waren (weitgehend gleichartige Urteile 2C_58/2015 / 2C_59/2015 vom 23. Oktober 2015 E. 5.3; 2C_1098/2014 / 2C_1099/2014 vom 1. Dezember 2015 E. 5.3.1; je betreffend die direkte Bundessteuer und die Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Neuenburg).

4.2.2 Demgegenüber hat das Bundesgericht das Vorliegen einer Zahlungsunfähigkeit etwa mit dem Argument verworfen, dass der Ehemann nicht etwa zahlungsunfähig, sondern bloss "zahlungsunwillig" sei. So habe er zwar "während Jahren ein Vielfaches seiner Frau verdient", dennoch mache das "Vermögen der Gattin seit Beginn der Ehe einen Grossteil des ehelichen Vermögens aus". Angesichts seiner grosszügigen Einkommensverhältnisse wäre "zu erwarten gewesen, dass der Ehemann entweder ein höheres Vermögen geäufnet oder seine Einkünfte zur Rückzahlung der bestehenden Schulden verwendet hätte". Dies habe er unterlassen und zudem auch keine transparente und vollständige Auflistung der Einkommens- bzw. Vermögensverhältnisse beigebracht. Entsprechend sei anzunehmen, dass "der Ehegatte in Wirklichkeit zahlungsunwillig" und nicht zahlungsunfähig sei (Urteil 2C_882/2015 / 2C_884/2015 vom 29. März 2016 E. 3.1.2 betreffend die direkte Bundessteuer und die Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Solothurn). Eine "Haftungsbeschränkung für die Ehefrau" erweise sich "gerade dort als unangemessen, wo der Gatte seine eigene (vermeintliche) Mittellosigkeit zu Gunsten seiner Partnerin herbeigeführt hat" (ebenda E. 3.2.3).
Unter ähnlichen Vorzeichen liess das Bundesgericht das allgemeine Rechtsmissbrauchsverbot (Art. 2 Abs. 2 ZGB) anklingen. Es erwog, die "innerhalb der Familie verschobenen Vermögensgegenstände" könnten bei gutem Willen "ohne weiteres und relativ kurzfristig" an den angeblich zahlungsunfähigen Ehemann zurückgeführt werden. Damit erübrige es sich zu prüfen, "ob das gesamte Vorgehen der gesuchstellenden Ehefrau nicht schlicht rechtsmissbräuchlich ist" (Urteil 2P.67/2003 vom 12. August 2003 E. 3.3 zu den Gemeinde- und Kirchensteuern des Kantons Graubünden). Der Ehemann hatte kurz
BGE 149 II 442 S. 448
zuvor Vermögensgegenstände in zweistelliger Millionenhöhe an seine Ehefrau und die Kinder veräussert bzw. verschenkt.
In einem weiteren Entscheid gingen die Überlegungen dahin, dass offene Schulden (Steuern) von Fr. 1'168'896.- bestünden. Das Vermögen des Ehemannes weise einen erheblichen Passivenüberschuss aus, er verfüge aber über eine "mögliche pfändbare Quote" von Fr. 6'340.- pro Monat und sei Eigentümer eines Miteigentumsanteils an einer Liegenschaft. Die Veranlagungsbehörde habe daher unter Berücksichtigung dieser Vermögensverhältnisse in einer Gesamtwürdigung aller Umstände ohne Willkür auf eine genaue Abklärung der Schuldensituation verzichten und in erster Linie auf die "verfügbare Quote" abstellen dürfen (Urteil 2C_306/2007 vom 13. Dezember 2007 E. 4.3 zu den Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich).
Unter verfahrensrechtlichen Gesichtspunkten hielt das Bundesgericht schliesslich fest, dass es jedenfalls dann vertretbar sei, strenge Anforderungen an den Nachweis der Zahlungsunfähigkeit zu stellen, wenn andernfalls "eine verpönte Gläubigerbevorzugung" eintreten könnte (Urteil 2P.67/2003 vom 12. August 2003 E. 3.3 zu den Gemeinde- und Kirchensteuern des Kantons Graubünden).

4.3

4.3.1 Nach den vorinstanzlichen Feststellungen gilt, dass gegenüber dem Ehemann keinerlei Betreibungen oder Verlustscheine vorliegen bzw. dass er in kein Konkursverfahren und in keinen Nachlassvertrag mit Vermögensabtretung verwickelt ist. Das gesamte eheliche Vermögen beläuft sich auf rund Fr. 450'000.-, wobei das Vermögen des Ehemannes vernachlässigbar zu sein scheint (die Rede ist von Fr. 3'700.-). Der Ehemann erzielt, wie die Vorinstanz festgestellt hat, ein Renteneinkommen von Fr. 8'000.- pro Monat, die Ehefrau ein solches von Fr. 3'320.-. Selbst bei einem gemeinsamen Existenzminimum von Fr. 9'750.-, wie dies der Auffassung der Eheleute entspreche, träte demnach im Bereich des Ehemannes eine Überdeckung ein. Seinem Renteneinkommen von Fr. 8'000.- wäre diesfalls, so das Verwaltungsgericht, ein anteiliges Existenzminimum von Fr. 6'890.- gegenüberzustellen. Festgestellt ist darüber hinaus ein rechtskräftig veranlagtes Steuerbetreffnis aus der Steuerperiode 2018 von rund Fr. 270'000.- (direkte Bundessteuer sowie Staats- und Gemeindesteuern des Kantons Zürich), das weitgehend auf die Einkünfte des Ehemannes zurückzuführen und noch nicht
BGE 149 II 442 S. 449
beglichen ist. Dies alles ist unbestritten geblieben bzw. in keiner Form bestritten worden, mit welcher die Steuerpflichtigen der sie insofern treffenden qualifizierten Rüge- und Begründungsobliegenheit genügen könnten. Die vorinstanzlichen Feststellungen sind damit für das Bundesgericht verbindlich (Art. 105 Abs. 2 in Verbindung mit Art. 106 Abs. 2 BGG; nicht publ. E. 1.3 und 1.4).

4.3.2 Es fragt sich, ob diese Sachlage unter Art. 13 Abs. 1 DBG subsumiert werden kann. Ausgangspunkt jeder Auslegung eines Rechtssatzes bildet der Wortlaut der Bestimmung (grammatikalisches Element). Nur für den Fall, dass der Wortlaut der Bestimmung unklar bzw. nicht restlos klar ist und verschiedene Interpretationen möglich bleiben, muss nach der wahren Tragweite der Bestimmung gesucht werden. Dabei sind alle anerkannten Auslegungselemente zu berücksichtigen (pragmatischer Methodenpluralismus). Von Bedeutung sind insbesondere der Wille des Gesetzgebers, wie er sich namentlich aus den Gesetzesmaterialien ergibt (historisches Element), der Zweck der Regelung und die dem Text zugrunde liegenden Wertungen (teleologisches Element) sowie der Sinnzusammenhang, in dem die Norm steht (systematisches Element; BGE 149 IV 9 E. 6.3.2.1 mit Hinweisen).

4.3.3 Die Rechtsfolge (Wegfall der solidarischen [Mit-]Haftung des einen Ehegatten oder Partners) hängt dem Wortlaut zufolge davon ab, dass der andere Ehegatte oder Partner "zahlungsunfähig", "insolvable" bzw. "insolvibile" ist. Die drei gleichwertigen Sprachfassungen (Art. 14 Abs. 1 des Bundesgesetzes vom 18. Juni 2004 über die Sammlungen des Bundesrechts und das Bundesblatt [PublG; SR 170.512]; BGE 148 II 243 E. 4.2.2; BGE 145 II 130 E. 2.2.1) sind insofern übereinstimmend gehalten und lassen keine aufschlussreichen Unterschiede erkennen. Sodann gilt, dass sich im Recht der direkten Bundessteuer keine nähere Umschreibung des streitigen Ausdrucks findet. Es handelt sich mithin um einen unbestimmten Rechtsbegriff (Urteil 2C_142/2020 vom 15. Juni 2020 E. 2.2.3 in Bezug auf den gleichartig formulierten § 12 Abs. 1 Satz 2 des Steuergesetzes [des Kantons Zürich] vom 8. Juni 1997 [StG/ZH; LS 631.1]). Der Wortlaut ist insofern aus sich selbst heraus nicht "klar"; er muss anderweitig erschlossen werden (vorne E. 4.3.2).

4.3.4

4.3.4.1 Was die Entstehungsgeschichte betrifft, war der Bundesrat ursprünglich der Ansicht gewesen, die Ehegatten in rechtlich und
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tatsächlich ungetrennter Ehe sollten ausschliesslich "für den auf sie entfallenden Anteil an der Gesamtsteuer" haften (Botschaft StHG/ DBG 1983, a.a.O., 160 und 320 zu E-Art. 13). Der Zahlungsunfähigkeit kam in diesem Konzept von vornherein keine Bedeutung zu, nachdem keine solidarische (Mit-)Haftung vorgesehen war. Im Zuge der Beratungen durch die Kommission des Ständerates als Erstrat legte das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement dann allerdings einen Alternativentwurf gegenüber der Fassung des Finanzdepartements vor, der auf einer solidarischen Haftung für die Gesamtsteuer beruhte und dem heutigen Art. 13 Abs. 1 Satz 1 DBG entspricht. Die solidarische (Mit-)Haftung wurde indes umfangmässig begrenzt ("Beträgt das Erwerbseinkommen des einen Ehegatten weniger als einen Drittel des Erwerbseinkommens des andern Ehegatten, so haftet er nur bis zum Betrag des auf sein eigenes Einkommen entfallenden Steueranteils"; Art. 13 Abs. 1 Satz 2 dieser Fassung). Das Plenum des Ständerates schloss sich alsdann seiner Kommission und damit der "Drittels-Regel" an (Voten Binder und BR Stich, AB 1986 I S 174).

4.3.4.2 Der Zweitrat nahm in seinen Beratungen von der "Drittels-Regel" Abstand und fand bezüglich Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBG zur heutigen Lösung (mit leicht abweichender Formulierung; AB 1987 IV N 1733). In der Debatte sprach eine Minderheit von einem "Anschlussgesetz zum Eherecht", das nach einer "widerspruchslosen Regelung im Haftungsbereich" rufe und über die Solidarhaftung gemäss dem "neuen Art. 166 ZGB" nicht hinausgehen dürfe. Über die konzeptionelle Unvereinbarkeit mit dem Eherecht hinaus wurde beanstandet, dass der Begriff "Zahlungsunfähigkeit" wohl "mehr Unklarheiten [schaffen] als Probleme [lösen]" könnte (Votum Nabholz, AB 1987 IV N 1734; mit gleicher Stossrichtung Votum Ulrich, ebenda).
Die Mehrheit warnte ihrerseits vor den "ungeheuren Schwierigkeiten", die eine Abkehr von der Solidarhaftung für die Verwaltung brächte. Die Bedenken bezüglich des Begriffs "zahlungsunfähig" seien unbegründet. Denn "diese Zahlungsunfähigkeit wird natürlich relativ einfach festgestellt: Man stellt dem Steuerpflichtigen die Steuerrechnung; bezahlt er sie nicht oder nur einen Teil davon, wird er betrieben; dadurch wird festgestellt, ob er bezahlen kann oder nicht. Wenn er für die Betreibung der Steuerrechnung nicht bezahlen kann, muss sich die Steuerverwaltung an den anderen Ehegatten
BGE 149 II 442 S. 451
halten, aber nur im Ausmass der Haftung" (zum Ganzen: Votum Reichling, Berichterstatter, AB 1987 IV N 1735). Eine andere Stimme hob zustimmend hervor, dass die vorgeschlagene Lösung "im Interesse des Fiskus" liege (Votum Spoerry, AB 1987 IV N 1735 f.).
Schliesslich versuchte der Vorsteher des Eidg. Finanzdepartements zur Klärung beizutragen. Rund um die "Diskussion um Konkurs und Zahlungsunfähigkeit" sei lediglich bedeutsam, "dass die Haftung bei Zahlungsunfähigkeit zum Spielen kommt. Eine Präzisierung hierzu ist überflüssig; das ist im Konkurs- und Betreibungsrecht hinlänglich definiert" (Votum BR Stich, AB 1987 IV N 1735 f.).

4.3.4.3 In der Differenzbereinigung liess der Ständerat die bislang von ihm favorisierte "Drittels-Regel" fallen und fügte er sich dem Nationalrat, der "die Solidarhaftung auf alle Fälle ausdehnt" (Votum Reichmuth, AB 1988 IV S 811). Damit fand die heutige Formulierung ins Gesetz.

4.3.4.4 Der Blick in die Materialien macht deutlich, dass Bundesrat und Räte der Ansicht waren, die Rechtsfigur der "Zahlungsunfähigkeit" sei gewissermassen selbsterklärend. Die warnenden Worte der nationalrätlichen Minderheit verhallten ungehört, nachdem allem Anschein nach überzeugend vorgebracht worden war, eine etwaige Präzisierung wäre gerade "überflüssig".

4.3.5 Einen Erkenntnisgewinn erlaubt das systematische Auslegungselement. Unstreitig beruht das Institut der "Zahlungsunfähigkeit" auf einem finanziellen und damit wirtschaftlichen Fundament. Betriebswirtschaftlich liegt Zahlungsunfähigkeit vor, wenn ein Betrieb einerseits über keinerlei flüssige Mittel mehr verfügt bzw. auf kurze Sicht durch Darlehensaufnahme keine solchen beschaffen kann (Illiquidität im engeren Sinn) und anderseits keine werthaltigen, nicht betriebsnotwendigen beweglichen oder unbeweglichen Aktiven mehr hält, die sich kurzfristig versilbern liessen (Illiquidität im weiteren Sinn).
Die beiden Teilaspekte verstehen sich kumulativ. Ihnen wohnt eine inhaltliche Strenge inne, indem es zahlenmässig erhärteter, objektiver Anhaltspunkte bedarf, um Zahlungsunfähigkeit annehmen zu dürfen oder zu müssen. Jemand ist entweder zahlungs fähig oder zahlungs unfähig. Ausgehend von der obgenannten Formel ("keinerlei flüssige Mittel" und gleichzeitig "keine versilberbaren Aktiven") hat jemand solange als zahlungsfähig zu gelten, als eine gewisse Restkapazität vorliegt. Nur wenn es auch daran fehlt, wenn
BGE 149 II 442 S. 452
Illiquidität im engeren und im weiteren Sinn herrscht, besteht Zahlungsunfähigkeit.
Die Zahlungsunfähigkeit kann mit einer gleichzeitigen Überschuldung einhergehen, sie muss es aber nicht. Folgerichtig unterscheidet auch das Zivilrecht zwischen Zahlungsunfähigkeit und Überschuldung (so etwa Art. 69d [Verein] und Art. 84a ZGB [Stiftung] bzw. Art. 725 ff. OR [Aktiengesellschaft]). Gewisse Tatbestände erfordern einzig eine Zahlungsunfähigkeit (im Erbrecht: Art. 480, 497, 566, 579, 604 ZGB; im Sachenrecht: Art. 897 ZGB; im Schuldrecht: Art. 171, 173, 264, 293, 685 OR) oder fokussieren auf das eine oder das andere (Art. 725 bzw. 725b OR).

4.3.6 Sinn und Zweck von Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBG bestehen darin, bei rechtlich und tatsächlich ungetrennter Ehe bzw. rechtlich und tatsächlich ungetrennter eingetragener Partnerschaft das Vermögen jenes Ehegatten oder Partners zu bewahren, der auch weiterhin "zahlungsfähig" ("solvable" bzw. "solvibile") ist (Urteile 2C_668/ 2020 vom 22. Januar 2021 E. 5.1; 2A.45/2001 vom 12. Juli 2001 E. 3a; JAQUES, a.a.O., N. 16 zu Art. 13 DBG; MÜLLER, a.a.O., S. 211; DANIELLE YERSIN, Le nouveau droit matrimonial et ses conséquences fiscales, RDAF 1987 S. 317 ff., insb. 334). Die Norm "vise à assurer à chacun des deux époux, et en particulier à la femme, la défense des biens qui lui sont reconnus par le nouveau droit matrimonial" (Votum Salvioni, rapporteur, AB 1987 IV N 1736). Sie regelt die Haftung und damit letztlich, wer das Risiko der Uneinbringlichkeit der Steuer - das Delkredererisiko - zu tragen hat. Im Regelfall hat der solvente Ehegatte oder Partner das Ausfallrisiko zu tragen (Satz 1), nur im Ausnahmefall die Allgemeinheit (Satz 2). Der Übergang des Ausfallrisikos setzt die (vollständige) Illiquidität voraus (vorne E. 4.3.5). Die Berufung auf die Zahlungsunfähigkeit findet ihre Grenze im allgemeinen Rechtsmissbrauchsverbot (vorne E. 4.2.2).

4.3.7 Zusammenfassend liegt Zahlungsunfähigkeit im Sinne von Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBG vor, wenn der Ehegatte in tatsächlich und rechtlich ungetrennter Ehe bzw. die Person in tatsächlich und rechtlich ungetrennter eingetragener Partnerschaft zumindest auf mittlere Frist über keinerlei pfändbares Einkommen und gleichzeitig über keinerlei versilberbares Vermögen verfügt. Die Norm ruft nach einer umfassenden Prüfung der Einkommens- und Vermögensverhältnisse, wobei eine Gesamtwürdigung anzustellen ist (vorne E. 4.2.2). Die blosse Glaubhaftmachung der angeblichen
BGE 149 II 442 S. 453
Zahlungsunfähigkeit reicht nicht. Sie muss bewiesen werden, wobei die Beweisführungs- und Beweislast bei der Person liegt, die um Feststellung der entfallenen Solidarhaftung ersucht. Diese beruft sich auf eine steuermindernde Tatsache (sog. Normentheorie; BGE 149 II 27 E. 4.6; BGE 148 II 285 E. 3.1.3; BGE 144 II 427 E. 8.3.1; BGE 143 II 661 E. 7.2; BGE 142 II 488 E. 3.8.2).

4.4

4.4.1 Vor diesem Hintergrund vermag die Ehefrau nicht überzeugend vorzubringen, der Ehemann sei zahlungsunfähig. Dieser erzielt pfändbare Einkünfte, die monatlich wiederkehrend sind, was es ihm erlaubt, zur Tilgung der offenen Steuern beizutragen. Weiter verfügt er über ein - wenn auch bescheidenes - eigenes Vermögen, das eine Restkapazität zum Ausdruck bringt. Der Ehemann kann weder im engeren noch im weiteren Sinn als illiquid gelten (vorne E. 4.3.5). Die Erwägungen des Verwaltungsgerichts sind daher im Ergebnis nicht zu beanstanden. Insbesondere findet es im Bundesrecht keine Grundlage, wenn das Steuerrekursgericht annimmt, es sei "legitim", die Vorschriften über die Haftungsbeschränkung "grosszügig" auszulegen. Hierfür ergibt sich aufgrund der verschiedenen Auslegungselemente kein Raum.

4.4.2 Im Unterschied zu anderen Bereichen kann auch nicht mit Fug und Recht gesagt werden, die offenen Steuern müssten "in der Regel innert 24 bis 36 Monaten" getilgt werden können. Ein derartiges Kriterium geht aus Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBG nicht hervor und hat als sachfremd zu gelten. Es kann gegebenenfalls im Bereich des Steuererlasses (Art. 167 ff. DBG) oder im Fall von Gesuchen um Gewährung des Rechts zur unentgeltlichen Rechtspflege (Art. 29 Abs. 3 BV) eine Rolle spielen, nicht aber im vorliegenden Zusammenhang. So spricht etwa Art. 2 Abs. 2 der Verordnung des Eidg. Finanzdepartements vom 12. Juni 2015 über die Behandlung von Gesuchen um Erlass der direkten Bundessteuer (SR 642.121) davon, dass die "Steuerschuld trotz zumutbarer Einschränkung der Lebenshaltungskosten nicht in absehbarer Zeit vollumfänglich beglichen werden kann" (Auszeichnung durch das Bundesgericht).

4.4.3 In gleicher Weise ist es von keiner rechtserheblichen Bedeutung, in welcher Weise die Steuerfaktoren auf die beiden Personen verteilt bzw. wie hoch der jeweilige Anteil an der Gesamtsteuer ist. Die beiden Ehegatten bzw. die beiden Personen in eingetragener Partnerschaft bilden, solange sie rechtlich und tatsächlich ungetrennt
BGE 149 II 442 S. 454
sind, zivilrechtlich und wirtschaftlich zumindest "eine gewisse Einheit" (vorne E. 3.4), weshalb der Gesetzgeber die Faktorenaddition für angemessen erachtete (vorne E. 3.3). Dass der "eigene" Anteil am Einkommen bzw. am Steuerbetrag unter Umständen ausserordentlich bescheiden ausfällt, lässt sich - je nach Lebensmodell - nicht vermeiden und vermag das System der solidarischen (Mit-) Haftung nicht zurückzudrängen. Auch hierzu bedürfte es einer entsprechenden gesetzlichen Regelung, die aber im geltenden Recht, das hier einzig anzuwenden ist, fehlt.

4.5 Die Beschwerde erweist sich damit als unbegründet; sie ist abzuweisen.

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Sachverhalt

Erwägungen 3 4

Referenzen

BGE: 141 II 318, 122 I 139, 142 II 283, 138 II 300 mehr...

Artikel: Art. 13 Abs. 1 Satz 2 DBG, Art. 13 DBG, Art. 113 DBG, Art. 13 Abs. 1 DBG mehr...