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Urteilskopf

150 III 49


5. Auszug aus dem Urteil der II. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. gegen B. und Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde U. (Beschwerde in Zivilsachen)
5A_375/2023 vom 21. November 2023

Regeste

Art. 273 Abs. 2, Art. 275 Abs. 3, Art. 301 Abs. 1, Art. 307 Abs. 1 und 3, Art. 389 Abs. 2 i.V.m. Art. 440 Abs. 3 ZGB; Weisung an die Mutter, den Sohn mit Blick auf eine allfällige Besuchsrechtsregelung durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie "über seinen Vater aufklären zu lassen".
Solange der persönliche Verkehr nicht behördlich geregelt ist, entscheidet darüber nicht die Kindesschutzbehörde, sondern die allein sorge- und obhutsberechtigte Mutter (Art. 275 Abs. 3 ZGB). Zur Frage, ob sich die Weisung anstatt auf Art. 273 Abs. 2 ZGB auf Art. 307 Abs. 3 ZGB stützen lässt, insbesondere zum Tatbestand der Gefährdung des Kindeswohls (Art. 307 Abs. 1 ZGB) und zur Verhältnismässigkeit (Art. 389 Abs. 2 i.V.m. Art. 440 Abs. 3 ZGB) des Eingriffs in die privaten elterlichen Erziehungs- und Entscheidungsrechte (Art. 301 Abs. 1 ZGB) im konkreten Fall (E. 3).

Sachverhalt ab Seite 50

BGE 150 III 49 S. 50

A. C., (geb. 2012) ist der Sohn der nicht miteinander verheirateten und getrennt lebenden Eltern A. und B. Die Mutter hat die alleinige elterliche Sorge inne. Der Vater wurde wegen schwerer Sexualdelikte, unter anderem wegen Vergewaltigung von C.s Halbschwester D. (geb. 2001), verurteilt und befindet sich seit 2015 im Strafvollzug.

B. Gestützt auf ein entsprechendes Gesuch von B. räumte die Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde U. (KESB) dem Vater mit Entscheid vom 13. Januar 2017 ein begleitetes Besuchsrecht ein und errichtete für C. eine Beistandschaft. Den Antrag der Mutter, C. durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) W. im Hinblick auf die Umsetzung des Besuchsrechts einschätzen zu lassen, wies die KESB ab. A. erhob Beschwerde beim Kantonsgericht Basel-Landschaft. Noch vor Abschluss des Beschwerdeverfahrens verzichtete B. auf das Besuchsrecht. Darauf zog die KESB ihren Entscheid in Wiedererwägung und hob das begleitete Besuchsrecht und die Beistandschaft auf (Entscheid vom 8. Mai 2017).

C.

C.a Mit Schreiben an die KESB vom 18. November 2021 beantragte B. erneut eine Kontaktaufnahme mit seinem Sohn. A. erklärte, dass sie sich entschieden gegen jeglichen Kontakt des Vaters mit C. wehre und das Gesuch abzuweisen sei. B. hielt an seinem Antrag fest.

C.b In der Folge teilte die KESB den Eltern mit, dass die Mutter voraussichtlich angewiesen werde, C. durch die KJP W. über seinen Vater aufklären zu lassen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich mit seinem Vater auseinanderzusetzen, und diesem allenfalls ein Besuchsrecht einräumen zu können. Nach Eingang weiterer
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Stellungnahmen der Eltern erteilte die KESB A. mit Entscheid vom 19. Oktober 2022 folgende Weisung (Ziffer 1):
"Zum Wohle und im Interesse von C. ... wird die Kindsmutter gestützt auf Art. 273 Abs. 2 ZGB angewiesen, ihren Sohn durch die Kinder- und Jugendpsychiatrie (KJP) W. über seinen Vater aufklären zu lassen, um ihm die Möglichkeit zu geben, sich mit seinem Vater auseinander zu setzen, damit zu einem späteren Zeitpunkt dem Kindsvater allenfalls ein Kontaktrecht eingeräumt werden kann. Die Kindsmutter wird angewiesen, sich bis am 30.11.2022 bei Dr. E., KJP W., für eine Terminvereinbarung zu melden."
Überdies ersuchte die KESB die KJP W. um Mitteilung, falls die Kindsmutter dieser Weisung nicht Folge leisten sollte (Ziffer 2).

D. A. legte beim Kantonsgericht Basel-Landschaft Beschwerde ein und beantragte, die KESB anzuweisen, von der Anordnung einer Aufklärung von C. über seinen Vater durch die KJP W. abzusehen. B. liess sich nicht vernehmen. Mit Urteil vom 15. März 2023 wies das Kantonsgericht die Beschwerde ab.

E. A. erhebt Beschwerde beim Bundesgericht. Die Beschwerdeführerin beantragt, das Urteil des Kantonsgerichts aufzuheben, und hält in der Sache an ihrem vor der Vorinstanz gestellten Begehren (Bst. D) fest. Das Kantonsgericht verzichtete auf eine Vernehmlassung. Die KESB beantragt, die Beschwerde vollumfänglich abzuweisen. B. (Beschwerdegegner) hat sich nicht vernehmen lassen.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Anlass zur Beschwerde gibt die der Beschwerdeführerin erteilte Weisung, ihren Sohn durch die KJP W. über seinen Vater aufklären zu lassen (s. Sachverhalt Bst. C.b).

3.1 Das Kantonsgericht erinnert daran, dass das Besuchsrecht in erster Linie dem Wohl des Kindes dienen müsse, seine Regelung jedoch nicht allein vom Willen des Kindes abhängen dürfe, sondern im Einzelfall zu klären sei, warum das Kind gegenüber dem nicht sorgeberechtigten Elternteil eine Abwehrhaltung einnimmt und ob die Ausübung des Besuchsrechts das Interesse des Kindes tatsächlich beeinträchtigen könnte. Es sei allgemein anerkannt, dass die Beziehung des Kindes zu beiden Elternteilen wesentlich ist und eine entscheidende Rolle im Prozess der Identitätsfindung spielen kann. Im Lichte dieser Rechtslage betreffend das Verhältnis zwischen
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Kindeswohl und persönlichem Verkehr macht sich das Kantonsgericht daran zu prüfen, ob bereits die Aufklärung von C. über seinen Vater - als Vorstufe zu einem allfälligen späteren begleiteten Besuchsrecht - "eine Kindeswohlgefährdung darstellt".
Als Nächstes stellt das Kantonsgericht klar, dass der (im Urteilszeitpunkt) zehnjährige C. im Hinblick auf die sich stellenden Fragen und insbesondere für die Erfassung der daraus langfristig resultierenden Konsequenzen sowohl für seine Beziehung zu seinem Vater als auch für seine eigene Identitätsfindung und Persönlichkeitsentwicklung nicht urteilsfähig sei. Daran ändere auch sein aktenkundiger eigenhändig geschriebener Brief an die Rechtsvertreterin nichts. Früher oder später werde der Moment kommen, in welchem sich C. im Rahmen seiner Persönlichkeitsentwicklung mit der Tatsache auseinandersetzen muss, dass er einen Vater mit einer sehr schwierigen Vorgeschichte hat. Auch werde C. mit zunehmendem Alter eigene Beziehungen ausserhalb des mütterlichen Haushalts aufbauen. Er werde zwangsläufig auf seine Vergangenheit angesprochen und damit auch mit der Beziehung zu seinem Vater konfrontiert werden. Die unbestrittenermassen schwierige und herausfordernde Auseinandersetzung mit der eigenen Abstammung würde durch einen jetzigen Aufklärungsverzicht "lediglich aufgeschoben aber keinesfalls aufgehoben". Ausserdem sei die "professionelle psychologische Aufklärung" unabhängig vom Ausgang des Besuchsrechtsstreits für C.s "nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung sehr wertvoll".
In weiteren Ausführungen stellt die Vorinstanz klar, dass sich das zu beurteilende Aufklärungsverfahren noch weit weg von der tatsächlichen Anordnung bzw. Umsetzung von persönlichen Kontakten befinde, weshalb die Beurteilung des Kindeswohls anhand anderer Kriterien vorzunehmen sei und eine Kindeswohlgefährdung nur sehr zurückhaltend angenommen werden dürfe. Dies gelte umso mehr, da je nach Ergebnis des Aufklärungsverfahrens nicht zwangsläufig zwischen direkten physischen Kontakten oder gar keinem persönlichen Kontakt entschieden werden müsse und die konkrete Ausgestaltung eines Besuchsrechts zahlreiche Abstufungen und Varianten zulasse, was C. im Rahmen einer professionellen Aufklärung aus neutraler Perspektive erklärt und aufgezeigt werden könne. Die von der Beschwerdeführerin zitierten Bundesgerichtsentscheide hält das Kantonsgericht für nicht einschlägig, da sie Sachverhalte beträfen, die nicht mit den tatsächlichen Gegebenheiten des konkreten Falls verglichen werden können. Die Beurteilung der Rechtmässigkeit und
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Angemessenheit einer professionellen Aufklärung eines urteilsunfähigen Kindes hänge vielmehr von eigenen Kriterien ab und es würden sich andere Fragen stellen als bei der gerichtlichen Überprüfung der Ausgestaltung eines bereits verfügten Besuchsrechts.
Gestützt auf diese Erwägungen kommt die Vorinstanz zum Schluss, dass die professionelle Aufklärung zum jetzigen Zeitpunkt "klar im Interesse von C." liege und der Wahrung des Kindeswohls diene. Anders zu entscheiden bedeute, C. zu verunmöglichen, sich ein eigenes Bild über seinen Vater zu machen, und in seinem Kopf das Vaterbild des "behinderten Psychopat[h]en" zu zementieren. Die KESB habe deshalb zu Recht die professionelle Aufklärung von C. angeordnet. Abschliessend ruft das Kantonsgericht der Beschwerdeführerin ihre elterliche Mitwirkungspflicht in Erinnerung und ermahnt sie, im Interesse ihres Sohnes die notwendigen Abklärungs- und Aufklärungsschritte der KESB zu unterstützen beziehungsweise zumindest zu tolerieren und nicht aktiv dagegen zu arbeiten. Sollte sich dies nicht als möglich erweisen, müsste die KESB zur Durchsetzung der behördlich verfügten Aufklärung weitere Kindesschutzmassnahmen prüfen.

3.2 Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 273 Abs. 2 ZGB. Bei der Interessenabwägung und der Prüfung der Verhältnismässigkeit gehe das Kantonsgericht viel zu wenig auf die individuelle Situation ein und unterschätze die Gefährdung der Entwicklung von C. durch die Konfrontation mit der brutalen Realität bezüglich der schwerwiegenden Delikte seines Vaters gegenüber seiner Familie. Es habe den Sachverhalt nicht sorgfältig erhoben, indem es lediglich die Kriterien für die Beurteilung des Besuchsrechts aufführe und betone, dass es bei Vorstrafen und Inhaftierung eines Elternteils auf den Einzelfall ankomme, bei der konkreten Beurteilung dann aber verkenne, dass die Prüfung aller aufgeführten Kriterien zwingend zu einem anderen Schluss führen müsste, nämlich dazu, dass die Entwicklung von C., seine Identitätsfindung etc. nur gefördert werden können, wenn er noch möglichst lange von der umfassenden Aufklärung über seinen Vater verschont bleibt. Die Ausführungen in ihrer kantonalen Beschwerde, wonach die Aufklärung für C. in seinem jetzigen Alter eine hohe Belastung sei und seine normale Entwicklung weit mehr gefährde als in irgendeiner Weise positiv beeinflusse, würden überhaupt nicht gewürdigt. Das Kantonsgericht interpretiere Art. 273 ZGB dahingehend, dass sie, die Beschwerdeführerin, unabhängig von ihren Erfahrungen mit dem
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Beschwerdegegner und den Geschehnissen in der Vergangenheit auf spätere Besuchskontakte hinarbeiten müsse. Die hohe Gefährdung des Kindes durch den drohenden persönlichen Verkehr mit dem Vater blende die Vorinstanz komplett aus und missachte damit auch Art. 274 Abs. 2 ZGB.
Die Beschwerdeführerin insistiert, dass es dem zehnjährigen C. im heutigen Zeitpunkt nicht helfen könne, wenn er die Details oder auch nur die Umstände der Straftaten seines Vaters kennt, der seine (Halb-)Schwester D. aufs Gröbste missbrauchte. Die kantonalen Instanzen würden verkennen, dass dem sorge- und obhutsberechtigten Elternteil bei der Einschätzung des Kindeswohls ein weiter Ermessensspielraum zusteht. Die "generellen Argumente", mit denen das Kantonsgericht die Aufklärung begründe, möchten in vielen Fällen zutreffen. Im vorliegenden Verfahren sei es aber nicht Sinn und Zweck der Gesetzesbestimmungen zum Kindesschutz und zum Kindeswohl, den Zeitpunkt und den Rahmen bzw. Umfang zu bestimmen, wie innerhalb einer Familie mit einer derartigen dramatischen und traumatischen Situation umgegangen wird. Weshalb es gesetzeskonform sein soll, dass eine Behörde besser als die betroffene Mutter beurteilen kann, wann und ob eine professionelle Aufklärung erfolgen soll, sei nicht nachvollziehbar. Sie, die Beschwerdeführerin, setze alles daran, dass C. so normal und so unbelastet wie möglich aufwachsen kann; der entsprechende Ermessensspielraum werde ihr durch das Gesetz zugestanden und dürfe ihr von der Vorinstanz nicht beschnitten werden.
Weiter argumentiert die Beschwerdeführerin, es sei kein Grund ersichtlich, weshalb eine Auseinandersetzung mit dem Vater bzw. mit dessen Vorgeschichte zu einem Zeitpunkt erfolgen müsse, in welchem C. gemäss Kantonsgericht "nicht urteilsfähig" ist. Allein die vorinstanzliche Überlegung, dass die Beschäftigung mit der eigenen Abstammung im Falle eines Verzichts auf die Aufklärung lediglich aufgeschoben und nicht aufgehoben würde, reiche nicht aus, um die Aufklärung im heutigen Zeitpunkt als verhältnismässig zu erachten, erst recht nicht, da die Aufklärung nur ein erster Schritt sei und die Anordnung eines begleiteten Besuchsrechts die logische Konsequenz wäre. Die Beschwerdeführerin bestreitet "energisch", dass die Aufklärung als Vorstufe zum späteren Besuchsrecht im Wohl und Interesse ihres Sohnes liege. Auch wenn C. ohne seinen Vater aufwachse, wisse er doch, dass dieser im Gefängnis ist und die Inhaftierung grundsätzlich mit der Familie zu tun hat; ihn mit Details zu belasten oder ihm gar einen baldigen Kontakt in Aussicht zu stellen
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und zuzumuten, sei seiner Persönlichkeitsentwicklung "mit Sicherheit nicht förderlich". Erneut verletze die Vorinstanz das Bundesrecht und überschreite ihr Ermessen bei der Sachverhaltsfeststellung. Mit Bezug auf Art. 274 Abs. 2 ZGB argumentiert die Beschwerdeführerin, dass nicht nur die Bestrafung oder Inhaftierung des Besuchsberechtigten wegen eines Delikts gegen das Kind selbst oder gegen den andern Elternteil zur Verweigerung des persönlichen Verkehrs führen müsse. Dasselbe gelte auch im vorliegenden Fall, da der Besuchsberechtigte wegen des wiederholten sexuellen Missbrauchs und der Schändung der Halbschwester des vom Besuchsrecht betroffenen Kindes inhaftiert ist. Die Schlussfolgerung des Kantonsgerichts, dass die professionelle Aufklärung im jetzigen Zeitpunkt gerade wegen dieser Inhaftierung im Interesse von C. sei und dem Kindeswohl diene, tadelt die Beschwerdeführerin als massive Fehleinschätzung und Rechtsverletzung.
Vehement wehrt sich die Beschwerdeführerin schliesslich gegen die im angefochtenen Entscheid enthaltene Drohung, dass sie allenfalls mit weiteren Kindesschutzmassnahmen rechnen müsse. Sie erblickt darin einen Missbrauch und eine Überschreitung des Ermessens sowie eine Verletzung von Art. 273 Abs. 2 ZGB und wehrt sich "mit aller Kraft" dagegen, dass Aussenstehende, selbst wenn es sich um Fachleute handelt, darüber bestimmen, was ihrem Sohn zu welchem Zeitpunkt und in welchem Umfang eröffnet werden soll. Die Frage, wie intensiv sich die KJP W. vorgängig mit dem Vater und dessen Straftaten und Auswirkungen auf ihre Familie auseinandersetzen würde, sei nie angeschnitten oder beantwortet worden. Schon aus diesem Grund würden die angefochtenen Anordnungen weit über die Weisungsbefugnisse gemäss Art. 273 Abs. 2 und Art. 307 Abs. 1 ZGB hinausgehen und seien gänzlich "abzulehnen".

3.3

3.3.1 Gemäss Art. 273 Abs. 2 ZGB kann die Kindesschutzbehörde Eltern ermahnen und ihnen Weisungen erteilen, wenn sich die Ausübung oder Nichtausübung des persönlichen Verkehrs für das Kind nachteilig auswirkt und wenn eine Ermahnung oder eine Weisung aus anderen Gründen geboten ist. Diese Befugnis entspricht Art. 307 Abs. 3 ZGB (Botschaft vom 15. November 1995 über die Änderung des Schweizerischen Zivilgesetzbuches [Personenstand, Eheschliessung, Scheidung, Kindesrecht, Verwandtenunterstützungspflicht, Heimstätten, Vormundschaft und Ehevermittlung], BBl 1996 I 159). Laut dieser Bestimmung kann die Kindesschutzbehörde bei einer
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Gefährdung des Kindeswohls (Art. 307 Abs. 1 ZGB) die Eltern ermahnen, ihnen bestimmte Weisungen für die Pflege, Erziehung oder Ausbildung erteilen und eine geeignete Person oder Stelle bestimmen, der Einblick und Auskunft zu geben ist.

3.3.2 Gestützt auf Art. 273 Abs. 2 ZGB kann dem besuchsberechtigten Elternteil beispielsweise verboten werden, sich dem Kind ausserhalb der Besuchskontakte anzunähern (Urteil 5A_103/2018 / 5A_111/2018 vom 6. November 2018 E. 4). Gegenstand einer Weisung kann auch die Auflage sein, das Kind nur in Gegenwart einer Vertrauensperson zu besuchen (Urteil 5C.209/2005 vom 23. September 2005 E. 2.1). Ebenso kann der obhutsberechtigte Elternteil dazu angehalten werden, sich zur Vermeidung einer Entfremdung vom besuchsberechtigten Elternteil einer Therapie zu unterziehen (Urteil 5A_306/2019 vom 29. Januar 2020 E. 7). Sodann können die Eltern im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht zu Beratungsgesprächen oder zu einer Gesprächstherapie verpflichtet werden, namentlich zur Verbesserung der Kommunikationsfähigkeit (Urteile 5A_723/2019 vom 4. Mai 2020 E. 6.3.2; 5A_887/2017 vom 16. Februar 2018 E. 5; 5A_522/2017 vom 22. November 2017 E. 4.7.3.2; 5A_457/2009 vom 9. Dezember 2009 E. 4.3; je zum Weisungsrecht nach Art. 307 Abs. 3 ZGB). Auch eine psychologische Begleitung des Kindes kann die Kindesschutzbehörde anordnen (Urteil 5A_411/2014 vom 3. Februar 2015 E. 3.3). In Fällen mit Auslandbezug kann dem besuchsberechtigten Elternteil untersagt werden, mit dem Kind die Schweiz zu verlassen (Urteil 5P.323/2001 vom 13. November 2001 E. 2c), oder es kann von ihm verlangt werden, vor dem jeweiligen Besuchskontakt seine eigenen Reisepapiere oder diejenigen des Kindes bei der obhutsberechtigten Person oder bei einer Behörde zu hinterlegen (Urteil 5A_830/2010 vom 30. März 2011 E. 5.5 mit Hinweisen). Auch zur Beschaffung von Visa für die Kinder, um dem besuchsberechtigten Elternteil die Ausübung des persönlichen Verkehrs zu ermöglichen, kann ein Elternteil gestützt auf Art. 273 Abs. 2 ZGB verhalten werden (Urteil 5A_7/2016 vom 15. Juni 2016 E. 4). Wie die aufgeführten Beispiele zeigen, geht es bei den - gegebenenfalls strafbewehrten (vgl. Urteil 5A_764/2013 vom 20. Januar 2014 E. 2) - Weisungen verschiedenster Art immer darum, dass das Kindeswohl eine besondere Ausgestaltung des Besuchsrechts erfordert und hierzu ein konkretes Tun, Unterlassen oder Dulden behördlich verfügt wird (MICHEL/SCHLATTER, in: ZGB, 2. Aufl. 2018, N. 17 und 20 zu Art. 273 ZGB; SIMONE GERBER, Kindesschutzmassnahmen im
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"niederschwelligen" Bereich - Möglichkeiten und Grenzen, ZKE 2019 S. 275 ff., S. 279).

3.3.3 Als staatliche Eingriffe setzen Massnahmen im Zusammenhang mit dem Besuchsrecht nach Art. 273 Abs. 2 ZGB eine Gefährdung des Kindeswohls voraus und müssen insbesondere auch verhältnismässig sein (Urteil 5A_103/2018 / 5A_111/2018 vom 6. November 2018 E. 4.2.2). Das Wohl des Kindes ist nach überkommener Rechtsprechung gefährdet, sobald nach den Umständen die ernstliche Möglichkeit einer Beeinträchtigung des körperlichen, sittlichen oder geistigen Wohls des Kindes vorauszusehen ist. Die Gefährdung kann nur in jedem einzelnen Fall unter Berücksichtigung der Gesamtheit aller Umstände bestimmt werden. Sie muss einigermassen konkret sein, auch wenn regelmässig prognostische Elemente miteinzubeziehen sind. Dabei ist unerheblich, worauf die Gefährdung zurückzuführen ist; auch auf ein Verschulden der Eltern kommt es nicht an. Die für oder gegen eine Gefährdung des Kindeswohls sprechenden Umstände bzw. deren Nachweis sind Tatfragen, bezüglich derer das Bundesgericht an die vorinstanzlichen Feststellungen gebunden ist (nicht publ. E. 2). Eine - in pflichtgemässer Ausübung des Ermessens zu beantwortende - Rechtsfrage ist hingegen, ob auf der Basis dieser Umstände eine Gefährdung des Kindeswohls zu bejahen oder zu verneinen ist (ausführlich zum Ganzen: BGE 146 III 313 E. 6.2.2 mit zahlreichen Hinweisen).
Der Grundsatz der Verhältnismässigkeit verlangt sodann, dass die verfügte Massnahme zur Abwendung der Kindeswohlgefährdung geeignet und erforderlich ist (vgl. Art. 389 Abs. 2 i.V.m. Art. 440 Abs. 3 ZGB). Damit darf der Gefahr insbesondere nicht durch eine weniger einschneidende Massnahme vorgebeugt werden können (BGE 146 III 313 E. 6.2.7 mit Hinweisen). Zur Verhältnismässigkeitsprüfung gehört ausserdem die Zumutbarkeit: Es ist abzuwägen, ob Zweck und Wirkung einer Massnahme in einem angemessenen Verhältnis zueinander stehen, also zu prüfen, welche Folgen der an sich geeignete und erforderliche Eingriff für die betroffene Person haben wird und ob ihm das Dulden dieses Eingriffs abverlangt werden kann (DANIEL ROSCH, Kindes- und Erwachsenenschutz als Teil des Eingriffssozialrechts, in: Handbuch Kindes- und Erwachsenenschutz, Rosch/Fountoulakis/Heck [Hrsg.], 3. Aufl. 2022, Rz. 23; s. auch BGE 147 I 450 E. 3.2.3 mit Hinweisen). Schliesslich sollen behördliche Massnahmen die elterlichen Bemühungen nicht ersetzen, sondern ergänzen (Grundsatz der Komplementarität; s. etwa Urteil 5A_701/2011 vom 12. März 2012 E. 4.2.1). Das Bundesgericht prüft
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die Wahrung des Verhältnismässigkeitsprinzips als Rechtsfrage mit freier Kognition (vgl. BGE 142 I 76 E. 3.3; BGE 140 II 194 E. 5.8.2). Hingegen ist es an die tatsächlichen Feststellungen, welche die Vorinstanz ihrem Entscheid zugrunde gelegt hat, gebunden (Art. 105 Abs. 1 BGG; s. nicht publ. E. 2).

3.4 Angesichts der dargelegten Vorgaben erweckt der angefochtene Entscheid in der Tat Bedenken, und zwar in mancherlei Hinsicht.

3.4.1 Die umstrittene Weisung stützt sich ausdrücklich - auch in der Formulierung des Rechtsspruchs (s. Sachverhalt Bst. C.b) - auf Art. 273 Abs. 2 ZGB. Allein damit verkennen die kantonalen Instanzen die vom Zivilgesetzbuch vorgegebene Ordnung. Art. 273 Abs. 2 ZGB kommt als gesetzliche Grundlage für die Anordnung, C. über seinen Vater aufzuklären, gar nicht in Frage. Wie soeben erläutert, dienen Weisungen nach Art. 273 Abs. 2 ZGB dazu, den persönlichen Verkehr im Interesse des Kindeswohls mit Rücksicht auf (besondere) konkrete Umstände auszugestalten, um tatsächlichen oder befürchteten elterlichen Defiziten bei der Umsetzung der Kontakte entgegenzuwirken. Das in Art. 273 Abs. 2 ZGB vorgesehene Weisungsrecht der Kindesschutzbehörde knüpft mithin an eine behördliche Regelung des persönlichen Verkehrs an. Bestehen hingegen - wie hier - noch gar keine behördlichen Anordnungen über den Anspruch auf persönlichen Verkehr, so entscheidet über dessen Ausübung und Umfang nicht die Kindesschutzbehörde, sondern gemäss Art. 275 Abs. 3 ZGB diejenige Person, der die elterliche Sorge oder Obhut zusteht (MICHEL/SCHLATTER, a.a.O., N. 1 zu Art. 275 ZGB). Das ist hier allein die Beschwerdeführerin (s. Sachverhalt Bst. A).
Ob und gegebenenfalls in welcher Form das Kontaktrecht des Beschwerdegegners dereinst geregelt sein wird, ist - wie auch die Vorinstanz wiederholt betont - noch ungewiss. Als blosse "Vorstufe zu einem allfälligen späteren (begleiteten) Besuchsrecht", als die das Kantonsgericht C.s Aufklärung explizit verstanden wissen will (s. oben E. 3.1), sprengt die Weisung von ihrem Inhalt her den von Art. 273 Abs. 2 ZGB vorgegebenen Rahmen. Gestützt auf diese Vorschrift stand es der Kindesschutzbehörde nicht zu, der Beschwerdeführerin gewissermassen zur Vorbereitung eines erst noch zu regelnden Kontaktrechts oder im Hinblick auf die Prüfung des Anspruchs auf Regelung desselben Weisungen zu erteilen, nachdem die Zuständigkeit und Verantwortung für den persönlichen Verkehr mit dem Beschwerdegegner bei der allein sorgeberechtigten Beschwerdeführerin liegt. In diesem Sinn ist der Beschwerdeführerin
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beizupflichten, wenn sie darauf besteht, dass es allein in ihrem Ermessen liege zu entscheiden, ob und wann ihr Sohn über seinen Vater aufgeklärt werden soll. Das Gesagte gilt umso mehr für die vorinstanzliche (Eventual-)Erwägung, wonach eine professionelle Aufklärung auch unabhängig vom Ausgang der Frage nach einem allfälligen Besuchsrecht für C.s nachhaltige Persönlichkeitsentwicklung "sehr wertvoll" sei. Für eine derart vom persönlichen Verkehr entkoppelte Weisung kommt Art. 273 Abs. 2 ZGB als gesetzliche Grundlage erst recht nicht in Frage. Zu Recht beklagt sich die Beschwerdeführerin darüber, dass sich die Weisung, C. von der KJP W. über seinen Vater aufklären zu lassen, nicht mit Art. 273 Abs. 2 ZGB vertrage. Insofern erweist sich die Beschwerde als begründet.

3.4.2 Zu prüfen bleibt, ob sich die umstrittene Weisung stattdessen auf Art. 307 Abs. 3 ZGB stützen lässt. Wie gesehen, kommt eine Weisung gemäss dieser Vorschrift nur in Frage, wenn das Wohl des Kindes gefährdet ist und die Eltern nicht von sich aus für Abhilfe sorgen oder dazu ausserstande sind (Art. 307 Abs. 1 ZGB; s. oben E. 3.3.1). Bezüglich der Voraussetzung des Kindeswohls schlägt das Kantonsgericht aber schon von Anfang an den falschen Weg ein: Es stellt sich im Ausgangspunkt die Frage, ob C.s Aufklärung über seinen Vater - also die Weisung selbst - eine Kindeswohlgefährdung darstellt, zählt ausführlich die Gründe auf, weshalb die der Beschwerdeführerin befohlene Massnahme für C. sinnvoll und wertvoll sei, und kommt dann zum Schluss, dass die professionelle Aufklärung zum jetzigen Zeitpunkt der Wahrung von C.s Wohl diene (s. oben E. 3.1). Mit dieser Vorgehensweise bringt das Kantonsgericht bundesrechtswidrig die Rechtsfolge - die Massnahme, mit der die Kindesschutzbehörde auf eine Gefährdungslage reagiert - und den Tatbestand - die Gefährdung des Kindeswohls als gesetzliche Voraussetzung für behördliches Einschreiten - durcheinander.
Auf der Strecke bleibt dabei die eigentliche Ausgangsfrage, inwiefern C.s Wohl gefährdet ist, wenn es beim Status quo bleibt, das Kind also (bis auf Weiteres) nichts über seinen Vater und dessen Vorgeschichte weiss. Diesbezüglich sind dem angefochtenen Entscheid kaum konkrete Tatsachenfeststellungen zu entnehmen. Das Kantonsgericht begnügt sich im Wesentlichen mit der Befürchtung, dass sich C. ohne die angeordnete Aufklärung kein eigenes Bild von seinem Vater machen und nicht selbst über den Aufbau einer Beziehung zum Vater entscheiden könne bzw. mangels Hilfe von neutraler Seite daran gehindert werde, sich mit seiner eigenen Identität
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zu beschäftigen. Daraus folgert es, dass eine Zementierung der Vorstellung vom Beschwerdegegner als eines "behinderten Psychopathen" nicht im "langfristigen Kindeswohl" stehe. Woher das Kantonsgericht weiss, welches Bild C. heute von seinem Vater tatsächlich hat, bleibt bei alledem im Dunkeln. Auch tatsächliche Feststellungen zur Frage, weshalb der Bub, der im Urteilszeitpunkt rund zehnjährig war, gerade jetzt die Wahrheit über seinen Vater erfahren muss, lässt der angefochtene Entscheid vermissen. Das Kantonsgericht konstatiert zwar, dass C. "im Hinblick auf die sich stellenden Fragen" nicht urteilsfähig sei, also nicht selbst beurteilen könne, ob er mehr über seinen Vater erfahren will, als er von der Beschwerdeführerin weiss. Diese Feststellung widerspiegelt abermals die falsche Annahme des Kantonsgerichts, dass hier zu prüfen ist, ob die per Weisung befohlene Aufklärung eine Kindeswohlgefährdung darstellt.
Mit Blick auf den Tatbestand der Kindeswohlgefährdung wäre in einem ersten Schritt vielmehr zu prüfen, ob der Knabe überhaupt schon die Reife erreicht hat, die eine Konfrontation mit den Gründen für die Inhaftierung seines Vaters und eine Auseinandersetzung mit diesen Fakten voraussetzt. Solange dies nicht der Fall ist, kann der Verzicht auf die Aufklärung auch nicht als Kindeswohlgefährdung erscheinen. Dies zu thematisieren, hält das Kantonsgericht ungeachtet der entsprechenden Vorbringen in der kantonalen Beschwerde jedoch nicht für erforderlich. Ohne konkrete Erklärungen unterstellt es stillschweigend, dass der richtige Zeitpunkt gekommen sei, um C. die Wahrheit über seinen Vater zu eröffnen. Zur Begründung weist es darauf hin, dass C. früher oder später ohnehin mit seiner Abstammung konfrontiert sein werde und diese Konfrontation mit einem jetzigen Aufklärungsverzicht lediglich aufgeschoben würde. Allein solch abstrakte Überlegungen können konkrete Feststellungen zu C.s persönlicher Situation nicht ersetzen. Zu Recht beklagt sich die Beschwerdeführerin darüber, dass das Kantonsgericht den Sachverhalt unvollständig abkläre und sich über ihre Einwände hinwegsetze, wonach C. zu jung und angesichts seiner gegenwärtigen Situation nicht bereit für eine Aufklärung sei. Nachdem das Bundesgericht selbst kein Beweisverfahren durchführt, sondern gestützt auf den vorinstanzlich festgestellten Sachverhalt entscheidet (Art. 105 Abs. 1 BGG; s. nicht publ. E. 2), wäre die Sache an sich zur Vervollständigung des Sachverhalts und zu neuem Entscheid an das Kantonsgericht oder an die KESB zurückzuweisen. Wie die nachfolgenden Erwägungen zeigen, erübrigt sich ein solches Vorgehen aber im konkreten Fall.
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3.4.3 Selbst wenn in C.s (fortdauernder) Unkenntnis der Geschichte seines Vaters eine Gefährdung des Kindeswohls zu erblicken wäre, stände der umstrittenen Weisung jedenfalls der Grundsatz der Verhältnismässigkeit im Weg. Ausgehend von seiner falschen Vorgehensweise (E. 3.4.2) äussert sich das Kantonsgericht gar nicht erst zur Frage, ob der Eingriff in die privaten elterlichen Erziehungs- und Entscheidungsrechte (Art. 301 Abs. 1 ZGB), den die umstrittene Weisung für die Beschwerdeführerin bedeutet, im beschriebenen Sinn geeignet, erforderlich und zumutbar ist, um der (vermeintlichen) Gefährdung von C.s Wohl zu begegnen. Diesbezüglich ist in Erinnerung zu rufen, dass die Weisung an die Beschwerdeführerin vor dem Hintergrund des Gesuchs des Beschwerdegegners erging, mit seinem Sohn Kontakt aufzunehmen, und dass sich die Beschwerdeführerin diesem Gesuch widersetzt (s. Sachverhalt Bst. C.a). Weshalb die Kindesschutzbehörde in dieser Situation geradezu zwingend darauf angewiesen sein soll, die Aufklärung des Kindes durch die Beschwerdeführerin zu veranlassen, ist dem angefochtenen Entscheid nicht zu entnehmen und auch nicht ersichtlich: Ist die Kindesschutzbehörde - wie hier - mit einem Antrag auf Regelung des persönlichen Verkehrs (Art. 273 Abs. 3 ZGB) befasst, so ist sie kraft ihrer gesetzlichen Pflicht zur Erforschung des Sachverhalts (Art. 275 Abs. 1 i.V.m. Art. 314 Abs. 1 und Art. 446 Abs. 1 ZGB) dafür verantwortlich, mit Blick auf die Beurteilung dieses Begehrens von Amtes wegen in eigener Regie alle erforderlichen Abklärungen zu treffen. Dazu zählt auch die behördliche Pflicht, gegebenenfalls (s. E. 3.4.2) die fachmännische Aufklärung des Kindes durch eine Drittperson oder eine entsprechende Begutachtung zu veranlassen (Art. 275 Abs. 1 i.V.m. Art. 314a Abs. 1 und Art. 446 Abs. 2 ZGB; vgl. nicht publ. E. 1.2). Allein mit der umstrittenen Weisung an die Beschwerdeführerin ist dies hier aber nicht geschehen.
Die Kindesschutzbehörde begnügt sich damit, die Beschwerdeführerin zur Vereinbarung eines Termins aufzufordern und die KJP W. um Mitteilung zu ersuchen, falls die Beschwerdeführerin der Weisung nicht Folge leistet (s. Sachverhalt Bst. C.b). Mit dieser Anordnung übersieht sie indes, dass Ärztinnen und Ärzte genauso wie Psychologinnen und Psychologen aufgrund ihres Berufsgeheimnisses (Art. 321 StGB) ohne Einwilligung des Klienten bzw. dessen gesetzlichen Vertreters - hier der Beschwerdeführerin (Art. 304 Abs. 1 ZGB) - oder behördliche Entbindung vom Berufsgeheimnis Dritten gegenüber nicht einmal die Tatsache erwähnen dürfen, dass ihr Klient
BGE 150 III 49 S. 62
bei ihnen in ärztlicher oder psychologischer Behandlung ist. Dasselbe gilt mit Bezug auf die Frage, wie die angeordnete Aufklärung über den Vater allenfalls verlaufen ist. Ob die Kindesschutzbehörde darüber in Kenntnis gesetzt werden soll, bleibt ungewiss; davon, dass die KJP W. ihr über den Verlauf und das Ergebnis von C.s Konsultationen Auskunft zu geben oder Bericht zu erstatten hätte (und gegebenenfalls gestützt auf welche rechtliche Grundlage), ist im Entscheid vom 19. Oktober 2022 jedenfalls nirgends die Rede. Im Übrigen würde eine Involvierung von C. - in welcher Form auch immer - zunächst voraussetzen, dass die Aufnahme persönlicher Kontakte von der Situation des Vaters her überhaupt in Frage kommt. Solange Letzteres zumindest vom Grundsatz her nicht als gesichert gelten kann, bedarf es mit Blick auf das Kindeswohl keines behördlichen Eingriffs in die Elternrechte der Mutter (vgl. oben E. 3.4.1). In dieser Hinsicht finden sich im angefochtenen Entscheid keinerlei Anhaltspunkte. Auch unter diesem Blickwinkel wäre die umstrittene Weisung an die Beschwerdeführerin jedenfalls nicht erforderlich, um der beschriebenen (mutmasslichen) Gefährdung von C.s Wohl vorzubeugen.
Die elterliche Mitwirkungspflicht, an die das Kantonsgericht die Beschwerdeführerin - wenn auch ohne Hinweis auf eine entsprechende gesetzliche Vorschrift - ermahnt, bedeutet nicht, dass die Kindesschutzbehörde die Erarbeitung von Tatsachen, die sie mit Blick auf die Beurteilung des Gesuchs um Regelung des persönlichen Verkehrs (Art. 273 Abs. 3 ZGB) als erheblich erachtet, an den andern Elternteil delegieren darf, der in der fraglichen Streitsache als Prozessgegner auftritt und im konkreten Fall - angesichts der vom Beschwerdegegner an C.s Halbschwester verübten Sexualstraftaten - gerade bezüglich der fraglichen Weisung in einem gravierenden Interessenkonflikt steht. Unter den gegebenen Umständen geht die behördliche Einmischung in die Ausübung der Elternrechte über das hinaus, was vernünftigerweise von der Beschwerdeführerin zu tolerieren verlangt werden kann. In diesem Sinne erschiene auch die Zumutbarkeit des Eingriffs ernsthaft in Frage gestellt. Nichts anderes gilt für die vorinstanzliche Überlegung, wonach C. auch unabhängig vom Besuchsrechtsstreit von einer professionellen Aufklärung profitieren würde. Wie die vorigen Erwägungen zeigen, erweist sich die Rüge der Beschwerdeführerin, dass der behördliche Eingriff unverhältnismässig sei, als begründet.

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 3

Referenzen

BGE: 146 III 313, 147 I 450, 142 I 76, 140 II 194

Artikel: Art. 273 Abs. 2 ZGB, Art. 307 Abs. 3 ZGB, Art. 440 Abs. 3 ZGB, Art. 307 Abs. 1 ZGB mehr...