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Urteilskopf

148 II 491


37. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. AG, B. GmbH und C. Sàrl gegen Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (BAZG) (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_880/2021 vom 22. September 2022

Regeste

Art. 8 lit. a Anlage C i.V.m. Art. 1 lit. d Anlage C des Übereinkommens vom 26. Juni 1990 über die vorübergehende Verwendung (Übereinkommen von Istanbul); Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ZG; Art. 34 Abs. 1 ZV; Kabotageverbot; Transport leerer Auflieger durch ausländische Sattelzugmaschinen innerhalb der Schweiz.
Rechtliche Grundlagen (E. 3).
Umstritten ist, ob das Aufnehmen eines neuen und leeren, in der Schweiz immatrikulierten und verzollten Aufliegers durch eine ausländische, in der Schweiz nicht verzollte und unversteuerte Sattelzugmaschine, der anschliessende Transport dieses leeren Aufliegers innerhalb der Schweiz und das Absetzen dieses leeren Aufliegers an einem anderen Ort in der Schweiz unter das Kabotageverbot fällt (E. 4).
Dieser Sachverhalt stellt eine verbotene Kabotage dar (E. 5).

Sachverhalt ab Seite 492

BGE 148 II 491 S. 492

A. Die A. AG mit Sitz in der Schweiz, die B. GmbH mit Sitz in Deutschland und die C. Sàrl mit Sitz in Luxemburg sind Teil derselben Unternehmensgruppe. Die A. AG organisiert als Spediteurin Transporte für Kunden. Im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 20. April 2018 beauftragte sie teilweise ausländische Frachtführer mit grenzüberschreitenden Transporten. Dabei handelte es sich um die Gruppengesellschaften B. GmbH und C. Sàrl sowie Drittunternehmen. Diese transportierten mit im Ausland immatrikulierten, in der Schweiz nicht verzollten und unversteuerten Sattelzugmaschinen, denen in der Schweiz immatrikulierte und verzollte Auflieger angehängt waren, Waren vom Ausland in die Schweiz und von der Schweiz ins Ausland. Nachdem die Ware bei der Empfängerin abgeladen war, nahmen die Sattelzugmaschinen dort in einigen Fällen leere, in der Schweiz verzollte Auflieger mit schweizerischem Nummernschild auf und fuhren diese an einen anderen Ort in der Schweiz, wo die Auflieger entweder abgestellt oder für die Fahrt ins Ausland beladen wurden.
BGE 148 II 491 S. 493

B. Im Rahmen einer Untersuchung der Zollkreisdirektion Basel, Sektion Zollfahndung, gelangte diese zum Schluss, dass diverse unverzollte und unversteuerte Sattelzugmaschinen für Inlandtransporte (sogenannte Binnentransporte oder Kabotage) benutzt worden waren. Am 22. November 2018 und 23. November 2018 erliess die Zollkreisdirektion Basel entsprechende Nachforderungsverfügungen. Sie begründete diese damit, dass mit ausländischen Sattelzugmaschinen Binnentransporte durchgeführt worden seien.

B.a Am 6. Dezember 2018 erhoben die A. AG, die B. GmbH und die C. Sàrl je bei der Oberzolldirektion, Hauptabteilung Zollfahndung, Beschwerde gegen die Verfügungen der Zollkreisdirektion Basel vom 22. November 2018 und 23. November 2018. Am 1. Oktober 2020 hiess die Oberzolldirektion die Beschwerden mit drei Verfügungen nur insofern gut, als sie die irrtümlich erhobenen Gebühren für (nicht ausgestellte) Formulare aufhob. Im Übrigen wies sie die Beschwerden ab.

B.b Gegen die Verfügungen der Oberzolldirektion vom 1. Oktober 2020 erhoben die A. AG (Verfahren A-5410/2020), die B. GmbH (Verfahren A-5407/2020) und die C. Sàrl (Verfahren A-5409/2020) am 30. Oktober 2020 je Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht. Mit Urteil vom 28. September 2021 vereinigte das Bundesverwaltungsgericht die drei Verfahren A-5407/2020, A-5409/2020 und A-5410/2020 und wies die Beschwerden ab.

C. Mit Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten vom 4. November 2021 gelangen die A. AG, die B. GmbH und die C. Sàrl an das Bundesgericht. Sie beantragen die Aufhebung des Urteils vom 28. September 2021. Es seien die Verfügungen der Oberzolldirektion vom 1. Oktober 2020 vollumfänglich aufzuheben mit dem Ergebnis, dass weder Zollabgaben noch Mehrwertsteuer/Einfuhrsteuer betreffend die in den Verfügungen genannten Sachverhalte geschuldet seien. Eventualiter sei die Angelegenheit an die Oberzolldirektion zurückzuweisen mit der Anordnung, dass Zollabgaben und Mehrwertsteuer/Einfuhrsteuer nur bezüglich derjenigen ausländischen Zugfahrzeuge erhoben würden, betreffend welchen die Oberzolldirektion nachgewiesen habe, dass sie mit Gütern beladene, in der Schweiz immatrikulierte (Sattel-)Anhänger von einem Ort in der Schweiz zu einem anderen Ort in der Schweiz gezogen hätten.
Während die Vorinstanz auf eine Vernehmlassung verzichtet, beantragt das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit (vormals:
BGE 148 II 491 S. 494
Eidgenössische Zollverwaltung) die Abweisung der Beschwerde. Die Beschwerdeführerinnen replizieren mit Eingabe vom 14. Januar 2022.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

3. Gemäss Art. 7 des Zollgesetzes vom 18. März 2005 (ZG; SR 631.0) sind Waren, die ins Zollgebiet oder aus dem Zollgebiet verbracht werden, zollpflichtig und müssen nach dem Zollgesetz sowie nach dem Zolltarifgesetz vom 9. Oktober 1986 (ZTG; SR 632.10) veranlagt werden. Im Grundsatz unterliegen diese Waren überdies der Einfuhrsteuer (vgl. Art. 50 ff. des Bundesgesetzes vom 12. Juni 2009 über die Mehrwertsteuer [Mehrwertsteuergesetz, MWSTG; SR 641.20]). Vorbehalten bleiben völkerrechtliche Verträge (vgl. Art. 2 Abs. 1 ZG; Art. 8 Abs. 1 lit. a ZG; Art. 1 Abs. 2 ZTG) sowie die innerstaatlichen Bestimmungen zur Zoll- und Steuerbefreiung (vgl. Art. 8 ff. ZG; Art. 1 Abs. 2 ZTG; Art. 53 MWSTG; vgl. auch Art. 5 ff. der Zollverordnung vom 1. November 2006 [ZV; SR 631. 01]).

3.1 Art. 2 Abs. 1 des Übereinkommens vom 26. Juni 1990 über die vorübergehende Verwendung (Übereinkommen von Istanbul; SR 0.631. 24; nachfolgend: Istanbul Übereinkommen) verpflichtet die Schweiz, die in den Anlagen aufgeführten Waren (einschliesslich Beförderungsmittel) nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zur vorübergehenden Verwendung zuzulassen. Als vorübergehende Verwendung gilt gemäss dem Istanbul Übereinkommen das Zollverfahren, nach dem bestimmte Waren (einschliesslich Beförderungsmittel) unter Aussetzung der Eingangsabgaben und frei von Einfuhrverboten und Einfuhrbeschränkungen wirtschaftlicher Art für einen bestimmten Zweck in ein Zollgebiet verbracht werden dürfen, um innerhalb einer bestimmten Frist und, von der normalen Wertminderung der Ware infolge ihrer Verwendung abgesehen, in unverändertem Zustand wieder ausgeführt zu werden (vgl. Art. 1 lit. a des Istanbul Übereinkommens; zur innerstaatlichen Umsetzung vgl. Art. 9 ZG, Art. 58 ZG sowie Art. 53 Abs. 1 lit. k MWSTG).

3.2 Indessen ist die Schweiz berechtigt, für Beförderungsmittel zur gewerblichen Verwendung, die im Binnenverkehr benutzt werden, die vorübergehende Verwendung zu versagen oder die Bewilligung zu widerrufen (vgl. Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens). Als Binnenverkehr definiert die Anlage C des Istanbul
BGE 148 II 491 S. 495
Übereinkommens die Beförderung von Personen oder Waren, die im Gebiet der vorübergehenden Verwendung aufgenommen oder eingeladen und auch innerhalb dieses Gebiets wieder abgesetzt oder ausgeladen werden (vgl. Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens). Gestützt auf Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ZG hat der Bundesrat die zollfreie vorübergehende Verwendung von ausländischen Beförderungsmitteln für Binnentransporte zu gewerblichen Zwecken im Grundsatz untersagt (sogenanntes Kabotageverbot; vgl. Art. 34 Abs. 1 ZV; vgl. auch Art. 14 des Abkommens vom 21. Juni 1999 zwischen der Schweizerischen Eidgenossenschaft und der Europäischen Gemeinschaft über den Güter- und Personenverkehr auf Schiene und Strasse [SR 0.740.72]). Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit kann gemäss Art. 34 Abs. 4 lit. a ZV für Binnentransporte die zollfreie vorübergehende Verwendung von ausländischen Beförderungsmitteln im Zollgebiet bewilligen, namentlich wenn die Gesuchstellerin oder der Gesuchsteller nachweist, dass keine entsprechenden inländischen Beförderungsmittel zur Verfügung stehen und die ausländischen Beförderungsmittel nur für eine kurze Dauer benützt werden sollen.

4. Die vorliegende Angelegenheit betrifft die nachträgliche Veranlagung von Zoll und Einfuhrsteuern für die von den Beschwerdeführerinnen verwendeten, in der Schweiz bisher nicht verzollten und unversteuerten Lastwagen und Sattelzugmaschinen. Es ist zu klären, ob die Beschwerdeführerinnen das Verfahren der vorübergehenden Verwendung im Sinne von Art. 9 ZG, Art. 58 ZG und Art. 53 Abs. 1 lit. k MWSTG in Anspruch nehmen durften, oder ob sie die Lastwagen und Sattelzugmaschinen nachträglich zu verzollen und zu versteuern hatten (vgl. Art. 12 VStrR [SR 313.0]). Im Kern ist der Anwendungsbereich des sogenannten Kabotageverbots umstritten.

4.1 Zunächst ist in tatsächlicher Hinsicht erstellt, dass ausländische, in der Schweiz nicht verzollte und unversteuerte Lastwagen oder Sattelzugmaschinen mit in der Schweiz immatrikulierten und verzollten Anhängern oder Aufliegern Waren vom Ausland in die Schweiz und von der Schweiz ins Ausland transportierten (grenzüberschreitende Transporte). Diese grenzüberschreitenden Transporte sind in der vorliegenden Angelegenheit rechtlich unproblematisch, da die Lastwagen und Sattelzugmaschinen in diesem Kontext im Sinne des Istanbul Übereinkommens vorübergehend auf dem schweizerischen Zollgebiet verwendet wurden (vgl. Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 lit. a
BGE 148 II 491 S. 496
des Istanbul Übereinkommens; vgl. auch Art. 9 ZG, Art. 58 ZG sowie Art. 53 Abs. 1 lit. k MWSTG).

4.2 Alsdann ist sachverhaltlich ebenso erstellt und unter den Verfahrensbeteiligten unbestritten, dass alle vorliegend betroffenen, ausländischen, in der Schweiz nicht verzollten und unversteuerten Lastwagen und Sattelzugmaschinen, nachdem sie die Ware bei der Empfängerin abgeladen hatten, dort gelegentlich neue und leere, in der Schweiz immatrikulierte und verzollte Anhänger oder Auflieger anhängten oder aufnahmen sowie diese an einen anderen Ort in der Schweiz fuhren, wo diese neuen Anhänger oder Auflieger abgehängt oder abgesetzt wurden (vgl. E. 5.2.6 des angefochtenen Urteils).
In rechtlicher Hinsicht werden diese Binnentransporte mit den neu aufgenommenen, leeren Anhängern und Aufliegern beanstandet. Zu beantworten ist im vorliegenden Verfahren damit einzig die Frage, ob (1) das Anhängen eines neuen und leeren, in der Schweiz immatrikulierten und verzollten Anhängers durch einen ausländischen, in der Schweiz nicht verzollten und unversteuerten Lastwagen oder das Aufnehmen eines neuen und leeren, in der Schweiz immatrikulierten und verzollten Aufliegers durch eine ausländische, in der Schweiz nicht verzollte und unversteuerte Sattelzugmaschine, (2) der anschliessende Transport dieses leeren Anhängers oder Aufliegers innerhalb der Schweiz und (3) das Abhängen oder Absetzen dieses leeren Anhängers oder Aufliegers an einem anderen Ort in der Schweiz unter das Kabotageverbot fällt (vgl. E. 5.4 ff. hiernach; Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens i.V.m. Art. 34 Abs. 1 ZV; vgl. auch E. 5.2.1 des angefochtenen Urteils).

4.3 Nicht Gegenstand des Verfahrens ist indes die Beurteilung, ob auch die Weiterfahrt innerhalb der Schweiz mit einem bereits im Ausland aufgenommenen, in der Schweiz immatrikulierten und verzollten Anhänger oder Auflieger, der im Ausland beladen und in der Schweiz entleert wurde, unzulässig wäre.
Ausserdem ist unter den Verfahrensbeteiligten unbestritten, dass es zulässig ist, wenn eine Sendung aus dem Ausland an verschiedene Empfängerinnen im Inland verteilt wird, wenn im Inland bei verschiedenen Versendern Waren aufgenommen und diese allesamt ins Ausland transportiert werden oder wenn ein ausländischer Lastwagen ohne Anhänger oder eine ausländische Sattelzugmaschine ohne Auflieger von einem Ort in der Schweiz an einen anderen Ort in der Schweiz fährt (vgl. E. 5.2 des angefochtenen Urteils).
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Im Gegensatz zum vorinstanzlichen Verfahren nicht mehr umstritten ist auch die Frage, welcher Beschwerdeführerin die Verfügungsmacht über die Sattelzugmaschinen während ihres Einsatzes auf dem schweizerischen Zollgebiet zukam. Die Vorinstanz kam - ohne dass dies vorliegend beanstandet wird - gestützt auf ihre Beweiswürdigung zum Schluss, dass die Verfügungsmacht über die Sattelzugmaschinen bei den ausländischen Unternehmen verblieb (vgl. E. 5.1 des angefochtenen Urteils).

5. Die Beschwerdeführerinnen rügen eine Verletzung von Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens in Verbindung mit Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens.

5.1 Nach Auffassung der Beschwerdeführerinnen stellt das Verschieben eines neu in der Schweiz aufgenommenen, leeren Anhängers oder Aufliegers innerhalb der Schweiz keinen Binnentransport dar. Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens erlaube es der Schweiz zwar, die vorübergehende Verwendung für Beförderungsmittel zur gewerblichen Verwendung zu versagen, die im Binnenverkehr benutzt werden. Laut den Begriffsbestimmungen in Anlage C des Istanbul Übereinkommens bedeutet "Binnenverkehr" indes die Beförderung von Personen oder Waren, die im Gebiet der vorübergehenden Verwendung aufgenommen oder eingeladen und auch innerhalb dieses Gebiets wieder abgesetzt oder ausgeladen werden (vgl. Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens). Anhänger und Auflieger, so die Beschwerdeführerinnen, seien jedoch keine Waren. Vielmehr handle es sich bei den leeren Anhängern und Aufliegern um Beförderungsmittel im Sinne von Art. 1 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens, würden "Anhänger" und "Sattelanhänger" doch ausdrücklich als Beförderungsmittel erwähnt. Damit liege bereits nach dem Wortlaut des Istanbul Übereinkommens kein Binnentransport vor.
Auch der Sinn und Zweck der Regelung, so die Beschwerdeführerinnen weiter, spreche beim Verschieben von leeren Anhängern und Aufliegern gegen eine verbotene Kabotage. Nach der Argumentation der Vorinstanz und den Zollbehörden müsste die ausländische Sattelzugmaschine mit dem beladenen Auflieger vom Ausland zur Empfängerin in die Schweiz fahren, von dort aus ohne Auflieger an einen anderen Ort in der Schweiz weiterfahren, um von dort aus wieder mit einem mit neuen Waren beladenen Auflieger ins Ausland zu fahren. Gleichzeitig müsste ein Schweizer Transporteur beauftragt
BGE 148 II 491 S. 498
werden, den leeren Auflieger mit einer in der Schweiz immatrikulierten und verzollten Sattelzugmaschine parallel innerhalb der Schweiz zu transportieren. In der Realität würde ein Transporteur nie einen anderen Transporteur mit einer solchen Parallel-Rangierfahrt beauftragen. Die vermeintliche Konkurrenzierung einheimischer Transporteure beim Verschieben leerer Anhänger und Auflieger gebe es nicht.

5.2 Das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit macht in seiner bundesgerichtlichen Vernehmlassung geltend, es ergebe sich bereits aus Art. 2 Abs. 1 des Istanbul Übereinkommens zu dessen Geltungsbereich, dass Anhänger und Auflieger im Rahmen des Istanbul Übereinkommens Waren seien. Dieser Bestimmung zufolge würden die beteiligten Staaten verpflichtet, "die in den Anlagen aufgeführten Waren (einschliesslich Beförderungsmittel) nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zur vorübergehenden Verwendung zuzulassen". Die Beförderungsmittel würden für die Zwecke des Istanbul Übereinkommens eine besondere Kategorie von Waren darstellen.
Entgegen der Behauptung der Beschwerdeführerinnen, so das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit weiter, handle es sich vorliegend auch nicht um blosse Rangierfahrten, sondern um das Transportieren unzähliger Auflieger über längere Strecken im Inland. Der Sinn solcher Transportaufträge bestehe darin, an einem bestimmten Ort Ladekapazität zur Verfügung zu stellen, um die Auflieger dort weiter zu verwenden. Solche logistischen Verschiebungen kämen, wie der vorliegende Fall aufzeige, oft vor und fielen ebenso bei inländischen Transportunternehmen an, die im Unterschied zu den Beschwerdeführerinnen in der Schweiz immatrikulierte und verzollte Sattelzugmaschinen mit Schweizer Fahrerinnen und Fahrern einsetzten. Der Einsatz ausländischer Sattelzugmaschinen mit ausländischen Fahrerinnen und Fahrern stelle damit nicht nur eine grosse Kostenersparnis dar, sondern es entstünde dadurch eine direkte Benachteiligung der inländischen Transportunternehmen. Der Sinn und Zweck des Kabotageverbots sei, die Benachteiligung der einheimischen Transportunternehmen zu verhindern, die ihre Sattelzugmaschinen in der Schweiz immatrikulieren und verzollen müssten und damit einen Kostennachteil trügen.

5.3 Beim Istanbul Übereinkommen handelt es sich um einen völkerrechtlichen Vertrag.

5.3.1 Die Auslegung völkerrechtlicher Verträge richtet sich nach den Regeln des Wiener Übereinkommens vom 23. Mai 1969 über das
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Recht der Verträge (VRK; SR 0.111). Nach Art. 31 Abs. 1 VRK haben die Vertragsstaaten eine zwischenstaatliche Übereinkunft nach Treu und Glauben in Übereinstimmung mit der gewöhnlichen, ihren Bestimmungen in ihrem Zusammenhang zukommenden Bedeutung und im Lichte ihres Ziels und Zwecks auszulegen. Neben dem Zusammenhang (vgl. Art. 31 Abs. 2 VRK) sind gemäss Art. 31 Abs. 3 VRK in gleicher Weise jede spätere Übereinkunft zwischen den Vertragsparteien über die Auslegung des Vertrags oder die Anwendung seiner Bestimmungen (lit. a), jede spätere Übung bei der Anwendung des Vertrags, aus der die Übereinstimmung der Vertragsparteien über seine Auslegung hervorgeht (lit. b), sowie jeder in den Beziehungen zwischen den Vertragsparteien anwendbare einschlägige Völkerrechtssatz (lit. c) zu berücksichtigen. Die vorbereitenden Arbeiten und die Umstände des Vertragsabschlusses sind nach Art. 32 VRK ergänzende Auslegungsmittel und können herangezogen werden, um die nach Art. 31 VRK ermittelte Bedeutung zu bestätigen oder die Bedeutung zu bestimmen, wenn die Auslegung nach Art. 31 VRK die Bedeutung mehrdeutig oder dunkel lässt (vgl. Art. 32 lit. a VRK) oder zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt (vgl. Art. 32 lit. b VRK; BGE 147 II 13 E. 3.3; BGE 146 II 150 E. 5.3.2; BGE 144 II 130 E. 8.2.1).

5.3.2 Art. 31 Abs. 1 VRK bestimmt eine Reihenfolge der Berücksichtigung der verschiedenen Auslegungselemente, ohne dabei eine feste Rangordnung unter ihnen festzulegen. Den Ausgangspunkt der Auslegung völkerrechtlicher Verträge bildet jedoch die gewöhnliche Bedeutung ihrer Bestimmungen. Diese gewöhnliche Bedeutung ist nach Treu und Glauben und unter Berücksichtigung ihres Zusammenhangs und des Ziels und Zwecks des Vertrags zu bestimmen (vgl. BGE 147 II 13 E. 3.3; BGE 144 II 130 E. 8.2.1; BGE 143 II 202 E. 6.3.1). Ziel und Zweck des Vertrags ist dabei, was mit dem Vertrag erreicht werden sollte. Zusammen mit der Auslegung nach Treu und Glauben stellt die teleologische Auslegung den "effet utile" des Vertrags sicher. Der auszulegenden Bestimmung eines völkerrechtlichen Vertrags ist unter mehreren möglichen Interpretationen demnach derjenige Sinn beizumessen, welcher ihre effektive Anwendung gewährleistet und nicht zu einem Ergebnis führt, das dem Ziel und Zweck der eingegangenen Verpflichtungen widerspricht (vgl. BGE 147 II 13 E. 3.3; BGE 144 II 130 E. 8.2.1; BGE 143 II 136 E. 5.2.2; BGE 142 II 161 E. 2.1.3). Ausserdem sind die Vertragsstaaten nach Treu und Glauben gehalten, jedes Verhalten und jede Auslegung zu unterlassen, mittels welcher
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sie ihre vertraglichen Pflichten umgehen oder den Vertrag seines Ziels und Zwecks entleeren würden (vgl. BGE 144 II 130 E. 8.2.1; BGE 143 II 202 E. 6.3.1; BGE 142 II 161 E. 2.1.3).

5.4 Unter Anwendung dieser Auslegungsregeln ist im Folgenden zu bestimmen, ob es sich beim Transport von leeren Anhängern oder Aufliegern, die ausländische, in der Schweiz nicht verzollte und unversteuerte Lastwagen oder Sattelzugmaschinen an einem Ort in der Schweiz aufgenommen und an einem anderen Ort in der Schweiz abgeladen haben, um verbotene Binnentransporte (Kabotage) handelt.

5.4.1 Gemäss Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens ist jede Vertragspartei berechtigt, die vorübergehende Verwendung für Beförderungsmittel zur gewerblichen Verwendung zu untersagen, die im Binnenverkehr benutzt werden. Die Schweiz hat von diesem staatsvertraglichen Recht Gebrauch gemacht und das sogenannte Kabotageverbot in Art. 34 Abs. 1 ZV verankert (zur Delegationsnorm vgl. auch Art. 9 Abs. 1 und Abs. 2 ZG). Diese Verordnungsbestimmung untersagt die zollfreie vorübergehende Verwendung von ausländischen Beförderungsmitteln für Binnentransporte zu gewerblichen Zwecken. Da Art. 34 Abs. 1 ZV der innerstaatlichen Umsetzung von Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens dient, ist der innerstaatliche Begriff des Binnentransports mit dem staatsvertraglichen Begriff des Binnenverkehrs gleichzusetzen (vgl. Urteil 2C_677/2021 vom 28. März 2022 E. 3.4; vgl. auch E. 5.3.2 i.f. hiervor). Als Binnenverkehr versteht das Istanbul Übereinkommen die Beförderung von Personen oder Waren, die im Gebiet der vorübergehenden Verwendung aufgenommen oder eingeladen und auch innerhalb dieses Gebiets wieder abgesetzt oder ausgeladen werden (vgl. Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens).

5.4.2 Damit das Kabotageverbot den Transport von leeren Anhängern oder Aufliegern erfasst, die an einem Ort in der Schweiz von ausländischen, in der Schweiz nicht verzollten und unversteuerten Lastwagen oder Sattelzugmaschinen aufgenommen und an einem anderen Ort in der Schweiz abgeladen werden, müssen die leeren Anhänger und Auflieger als Waren im Sinne von Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens gelten. Andernfalls würde kein Binnenverkehr im Sinne von Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens vorliegen.

5.4.2.1 Art. 2 Abs. 1 des Istanbul Übereinkommens bestimmt, dass jede Vertragspartei sich verpflichtet, die in den Anlagen
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aufgeführten Waren (einschliesslich Beförderungsmittel) nach den Bestimmungen dieses Übereinkommens zur vorübergehenden Verwendung zuzulassen. Das Übereinkommen umfasst die Anlagen A bis E, die jeweils verschiedene Kategorien von Waren regeln: Während beispielsweise die Anlage B.1 des Istanbul Übereinkommens Waren betrifft, die auf Ausstellungen, Messen, Kongressen oder ähnlichen Veranstaltungen ausgestellt oder verwendet werden sollen, hat die Anlage B.6 des Istanbul Übereinkommens persönliche Gebrauchsgegenstände der Reisenden und zu Sportzwecken eingeführte Waren zum Gegenstand. Die für die Beurteilung der vorliegenden Angelegenheit massgebende Anlage C des Istanbul Übereinkommens ist als "Anlage über Beförderungsmittel" bezeichnet. Der Wortlaut von Art. 2 Abs. 1 des Istanbul Übereinkommens ("in den Anlagen aufgeführten Waren") und der systematische Aufbau des Übereinkommens mit seinen Anlagen sprechen dafür, dass die Beförderungsmittel eine in den Anlagen aufgeführte Ware darstellt und damit staatsvertraglich als Ware gilt (vgl. auch REGINHARD HENKE, in: Zollkodex der Union [UZK], Peter Witte [Hrsg.], 8. Aufl. 2022, N. 60 zu Art. 250 UZK; STEFFEN HÖLZLE, in: Unionszollkodex, Kommentar, Wolffgang/Jatzke [Hrsg.], 2021, N. 35 zu Art. 250 UZK).

5.4.2.2 Die Beschwerdeführerinnen argumentieren zwar zutreffend, dass Art. 1 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens den Begriff des Beförderungsmittels definiert. Als solche gelten unter anderem und soweit vorliegend relevant Strassenkraftfahrzeuge (einschliesslich Fahrräder mit Motor, Anhänger, Sattelanhänger und Lastzüge). Die Beschwerdeführerinnen lassen jedoch ausser Acht, dass nach bundesgerichtlicher Rechtsprechung für die Auslegung des Begriffs des Binnenverkehrs eine Perspektive einzunehmen ist, die sich am Beförderungsmittel orientiert (vgl. Urteil 2C_677/2021 vom 28. März 2022 E. 4.5). Hängt ein ausländischer Lastwagen in der Schweiz einen leeren Anhänger an oder nimmt eine ausländische Sattelzugmaschine in der Schweiz einen leeren Auflieger auf und lädt diesen anderswo in der Schweiz wieder ab, gilt der Anhänger oder Auflieger gemäss Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens im Gebiet "aufgenommen" und auch innerhalb dieses Gebiets wieder "abgesetzt". Nichts anderes fördert eine Betrachtung der verbindlichen Fassung des Istanbul Übereinkommens in der französischen und englischen Sprache zu Tage ("embarquées", "picked up"; "débarquées", "setting down"; vgl. Urteil 2C_677/2021 vom 28. März 2022 E. 4.1.2 und E. 4.2). Aus der Optik des (ausländischen)
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Lastwagens und der (ausländischen) Sattelzugmaschine als des massgebenden Beförderungsmittels handelt es sich beim leeren Anhänger und Auflieger um eine Ware im Sinne des Istanbul Übereinkommens. Folglich liegt bei diesem Vorgang ein Binnenverkehr ("trafic interne", "internal traffic") im Sinne von Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens vor.

5.4.3 Wie das Bundesamt für Zoll und Grenzsicherheit zutreffend darlegt, steht diese Auslegung, die sich zunächst aus der grammatikalischen und systematischen Auslegung ergeben hat, sodann auch im Einklang mit dem Sinn und Zweck des Kabotageverbots. Das Verbot soll eine Benachteiligung des einheimischen Transportgewerbes verhindern (vgl. BIEBER/MAIANI, Europäisches Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2022, S. 32 f. und S. 95; MAIANI/BIEBER, Droit européen des transports, 3. Aufl. 2020, S. 21). Dessen Lastwagen oder Sattelzugmaschinen sind in der Schweiz verzollt, versteuert und immatrikuliert. Für die im Ausland immatrikulierten Lastwagen oder Sattelzugmaschinen sind diese inländischen Abgaben und Gebühren hingegen nicht bezahlt worden. Darin besteht ein wirtschaftlicher Nachteil für die inländischen Unternehmen, würden Binnentransporte auch für ausländische Lastwagen und Sattelzugmaschinen einschränkungslos erlaubt. Vorbehältlich der Ausnahmen gemäss Art. 34 Abs. 4 und Abs. 5 ZV dürfen daher nur verzollte und versteuerte Lastwagen und Sattelzugmaschinen für Transporte innerhalb des schweizerischen Zollgebiets eingesetzt werden. Dem Vorbringen der Beschwerdeführerinnen, wonach in der Realität ein Transporteur nie einen anderen Transporteur mit einer parallelen Rangierfahrt beauftragen würde und es die vermeintliche Konkurrenzierung einheimischer Transporteure nicht gebe, ist nicht zu folgen. Vorliegend stehen bereits in tatsächlicher Hinsicht keine Rangierfahrten zur Diskussion, sondern der Transport einer Vielzahl von leeren Anhängern und Aufliegern über längere Strecken im Inland. Entsprechend handelt es sich um eine (systematische) Verschiebung von Ladekapazität innerhalb der Schweiz, was die inländischen Transportunternehmen mit in der Schweiz verzollten und versteuerten Lastwagen und Sattelzugmaschinen regelmässig zu weniger vorteilhaften Konditionen erbringen können.

5.5 Insoweit die Beschwerdeführerinnen ferner vortragen, es sei für die Auslegung das Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) C-541/16 vom 12. April 2018 zu berücksichtigen, ist ihnen nicht zu folgen: Zunächst ergibt sich aus dem Urteil des EuGH, dass die
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massgebende unionsrechtliche Norm - Art. 8 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 21. Oktober 2009 über gemeinsame Regeln für den Zugang zum Markt des grenzüberschreitenden Güterkraftverkehrs (ABl. L 300 vom 14. November 2009 S. 72) - die Kabotage nach einer grenzüberschreitenden Beförderung erlaubt, aber auf drei Beförderungen innerhalb von sieben Tagen nach der Entladung der eingeführten Lieferung begrenzt (vgl. Randnrn. 5 und 52 des Urteils des EuGH; vgl. auch BIEBER/MAIANI, a.a.O., S. 102 f.; MAIANI/BIEBER, a.a.O., S. 94). Folglich haben die Staaten der Europäischen Union von der in Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens eingeräumten Möglichkeit nicht in einer mit Art. 34 Abs. 1 ZV vergleichbaren Weise Gebrauch gemacht.
Überdies behandelt das Urteil des EuGH nicht die Frage, ob der Transport von neu aufgenommenen und leeren Anhängern oder Aufliegern einen Binnenverkehr im Sinne von Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens darstellt, sondern, ob die nach Art. 8 Abs. 2 der unter den Mitgliedstaaten geltenden Verordnung (EG) Nr. 1072/2009 erlaubte Kabotage mit einer unbegrenzten Anzahl von Beladeorten und Entladeorten durchgeführt werden darf (vgl. Randnrn. 53 ff. des Urteils des EuGH). Entgegen der Auffassung der Beschwerdeführerinnen ist es nach dem Urteil des EuGH für die Frage des Binnenverkehrs auch nicht massgebend, dass ein Frachtbrief für den fraglichen Inlandtransport vorliegt. Das Urteil des EuGH vom 12. April 2018 kann vor diesem Hintergrund die Auslegung von Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens in Verbindung mit Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens nicht infrage stellen.

5.6 Zusammenfassend ergibt die Auslegung des Istanbul Übereinkommens, dass die vorliegend zu beurteilende Sachverhaltskonstellation einen Binnenverkehr im Sinne von Art. 1 lit. d Anlage C des Istanbul Übereinkommens darstellt. Die zollfreie vorübergehende Verwendung von ausländischen Beförderungsmitteln zur gewerblichen Verwendung im Binnenverkehr hat die Schweiz im Grundsatz untersagt (vgl. Art. 34 Abs. 1 ZV i.V.m. Art. 8 lit. a Anlage C des Istanbul Übereinkommens). Es liegt eine verbotene Kabotage vor.

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Sachverhalt

Erwägungen 3 4 5

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