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Urteilskopf

149 III 61


9. Auszug aus dem Urteil der I. zivilrechtlichen Abteilung i.S. A. AG und B. LDA gegen C1. AG, C2. und C3. BV (Beschwerde in Zivilsachen)
4A_398/2022 vom 6. März 2023

Regeste

Art. 120 und 124 Abs. 2 OR; Verrechnung von Forderungen unterschiedlicher Währung; Umrechnungszeitpunkt; Rückwirkungsprinzip.
Bei Verrechnung von Forderungen unterschiedlicher Währung ist für die Währungsumrechnung vorbehältlich abweichender Parteivereinbarung auf jenen Zeitpunkt abzustellen, in dem die Forderungen zur Verrechnung geeignet einander gegenüberstanden (E. 7).

Erwägungen ab Seite 62

BGE 149 III 61 S. 62
Aus den Erwägungen:

7.

7.1 Vor Bundesgericht streitig ist ferner die von der Beschwerdeführerin 2 mit Klagebegehren 1 geltend gemachte Bezahlung von Fr. 547'466.01. Diese Forderung begründete sie mit der Anwendung falscher Umrechnungskurse bei Verrechnungen. Die Beschwerdegegnerin 2 habe zu Unrecht auf den Wechselkurs im Zeitpunkt der Fälligkeit der Verrechnungsforderungen abgestellt. Hätte sie stattdessen jenen im Zeitpunkt des Zugangs der Verrechnungserklärungen angewendet, resultierte ein (unbestrittener) Betrag von Fr. 547'466.01 zu Gunsten der Beschwerdeführerin 2.

7.2 Die Parteien vereinbarten, dass die Beschwerdegegnerinnen ihre Restforderungen des Kaufpreises und andere Forderungen mit den klägerischen Rechnungsforderungen verrechnen können. In der Folge verrechnete die Beschwerdegegnerin 2 Forderungen der Beschwerdeführerin 2 in Schweizer Franken teilweise mit eigenen Ansprüchen in Euro und US-Dollar. Um die Verrechnung vornehmen zu können, rechnete sie ihre Fremdwährungsforderungen in Schweizer Franken um. Dabei stellte sie auf die Wechselkurse zum Zeitpunkt der Fälligkeit der Fremdwährungsforderungen ab.

7.3 Die Vorinstanz schützte die erstinstanzliche Beurteilung, dass für die Umrechnung der Zeitpunkt der Fälligkeit der Verrechnungsforderung massgebend sei. Sie erwog insbesondere, bereits aus dem Wortlaut von Art. 124 Abs. 2 OR ergebe sich, dass die dort vorgesehene Rückwirkung auch das Währungsrisiko umfasse, da Forderung und Gegenforderung bei einer Verrechnung auf den Zeitpunkt als getilgt anzusehen sind, in dem sie zur Verrechnung einander gegenüberstanden.
Die Beschwerdeführerinnen erblicken darin eine Verletzung von Art. 124 OR. Sie postulieren, dass auf den Zeitpunkt des Zugangs
BGE 149 III 61 S. 63
der Verrechnungserklärung abzustellen sei, da ansonsten der Verrechnende risikolos Währungsgewinne erzielen könne.

7.4 Die Verrechnung von Forderungen mit unterschiedlicher Währung ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichts zulässig, ausser wenn eine Effektivleistung vereinbart ist. Eine weitere - hier unstreitig gegebene - Voraussetzung ist die Existenz eines Umrechnungskurses zwischen den jeweiligen Währungen (BGE 130 III 312 E. 6.2; 63 II 383 E. 5b). Das Bundesgericht hat sich bislang nicht zur Frage geäussert, auf welchen Umrechnungszeitpunkt abzustellen ist.

7.5 Vorweg ist klarzustellen: Aus Art. 84 Abs. 2 OR, der nur dem Schuldner ein Wahlrecht einräumt, ist für die vorliegende Fragestellung bei Verrechnung nichts abzuleiten. Insbesondere ergibt sich daraus nicht e contrario, dass der Gläubiger als Verrechnender keine Umrechnungsbefugnis habe. Die genannte Bestimmung hat ausschliesslich den Untergang der Obligation durch Erfüllung, d.h. durch Zahlung im Auge, und bezieht sich nicht auch auf die übrigen Arten des Erlöschens, bei denen, wie gerade bei der Verrechnung, der Schuldner einer Erfüllung enthoben ist (BGE 63 II 383 E. 5 S. 394).

7.6 Art. 124 Abs. 2 OR regelt den Inhalt der Verrechnungswirkung und den Zeitpunkt des Wirkungseintritts: Ist Verrechnung erklärt, so wird angenommen, Forderung und Gegenforderung seien, soweit sie sich ausgleichen, schon im Zeitpunkt getilgt worden, in dem sie zur Verrechnung geeignet einander gegenüberstanden (Art. 124 Abs. 2 OR). Danach erfolgt die Tilgungswirkung der Verrechnungserklärung rückwirkend auf diesen Zeitpunkt (Urteil 4A_17/2013 vom 13. Mai 2013 E. 3.1). Die Verrechnungsbefugnis erlangt der Verrechnende zu dem Zeitpunkt, in dem seine Verrechnungsforderung fällig und die Hauptforderung erfüllbar wird (Urteil 4A_27/2012 vom 16. Juli 2012 E. 5.4.1; ANDREAS MÜLLER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 7. Aufl. 2020, N. 5 zu Art. 124 OR).
Die Rückwirkung auf den Zeitpunkt, in dem sich Forderung und Gegenforderung zur Verrechnung geeignet gegenüberstanden, betrifft auch die Nebenansprüche, namentlich die Verzinsungspflicht, so dass seit diesem Zeitpunkt bereits eingetretene Verzugsfolgen nachträglich entfallen (Urteile 4A_17/2013 vom 13. Mai 2013 E. 3.1; 4A_27/ 2012 vom 16. Juli 2012 E. 5.4.1; 4A_285/2011 vom 1. September 2011 E. 3.1). Ebenso entfallen ab diesem Datum Vertragszinsen (MÜLLER, a.a.O., N. 5 zu Art. 124 OR).
BGE 149 III 61 S. 64

7.7 Mit der Vorinstanz ist aus der Gesetzesbestimmung von Art. 124 Abs. 2 OR abzuleiten, dass die Rückwirkung der Tilgung auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Verrechnungsforderung auch massgebend ist für den Umrechnungskurs.
Die in Art. 124 Abs. 2 OR stipulierte Rückwirkung findet ihre innere Rechtfertigung in der Überlegung, dass der zur Verrechnung Befugte, solange kein Streit besteht zwischen ihm und dem Verrechnungsgegner, keine dringende Veranlassung hat, von seinem Kompensationsrecht Gebrauch zu machen. Das vom Gesetz als entschuldbar betrachtete Zuwarten mit der Verrechnungserklärung soll ihm nicht schaden; er soll daher, wenn er verrechnet, in die Lage kommen, wie wenn er bei erster Möglichkeit verrechnet hätte (VON TUHR/ESCHER, Allgemeiner Teil des Schweizerischen Obligationenrechts, Bd. II, 3. Aufl. 1974, S. 207). Mit dieser Überlegung stimmt überein, dass die Rückwirkung auch für die Umrechnung von Fremdwährungsforderungen gilt. Auch diesbezüglich soll dem Verrechnenden das Zuwarten nicht schaden.

7.8 Gestützt auf dieses Kohärenzargument vertritt auch ein Teil der Lehre die Auffassung, dass bei Verrechnungen auf den Umrechnungskurs im Zeitpunkt der Fälligkeit der Verrechnungsforderung abzustellen ist. So wird dafür gehalten, massgebend für die Kursumrechnung sei "getreu der üblichen Regel jener Zeitpunkt, in dem auch die übrigen Verrechnungswirkungen eintreten", im Moment also, in dem sich die Forderungen verrechenbar gegenüberstehen (CORINNE ZELLWEGER-GUTKNECHT, Berner Kommentar, 2012, N. 218 zu Art. 120 OR; NICOLAS JEANDIN, in: Commentaire romand, Code des obligations, Bd. I, 3. Aufl. 2021, N. 15 zu Art. 120 OR; VIKTOR AEPLI, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 1991, N. 70 zu Art. 120 OR; ULRICH G. SCHROETER, in: Basler Kommentar, Obligationenrecht, Bd. I, 7. Aufl. 2020, N. 44 zu Art. 84 OR).
Daran ändert nichts, dass in der Lehre bisweilen grundsätzliche Kritik am Rückwirkungsprinzip an sich geübt wird und dieses nicht mehr als angemessen und das Abstellen auf den Zeitpunkt der Verrechnungserklärung als die bessere Lösung bezeichnet wird (AEPLI, a.a.O., N. 137 ff. zu Art. 124 OR; ferner etwa PASCAL PICHONNAZ, Einige Gedanken zur Rückwirkung der Verrechnung, in: Festschrift für Heinz Hausheer [...], 2002, S. 69 ff., insb. S. 70 und 85). Auch diese Autoren anerkennen aber, dass ihr Vorschlag eine Gesetzesänderung erforderte. Nachdem Art. 124 Abs. 2 OR die Rückwirkung
BGE 149 III 61 S. 65
klar vorsieht, ist darauf abzustellen und muss die gesetzliche Vorschrift betreffend alle Wirkungen der Verrechnung angewendet werden. Dies gilt aus Kohärenzgründen also namentlich auch für den Zeitpunkt des Umrechnungskurses.

7.9 Was die Beschwerdeführerinnen dagegen einwenden, vermag keine andere Beurteilung zu erheischen: Sie verteidigen ihren Standpunkt, massgebend müsse der Zeitpunkt des Zugangs der Verrechnungserklärung sein, im Wesentlichen mit dem Argument, ansonsten entstehe die Gefahr, dass der Verrechnende in Zeiten grösserer Wechselkursschwankungen beabsichtige, risikolose Währungsgewinne zu erzielen. Der Verrechnende kenne nämlich sowohl den Umrechnungskurs im Zeitpunkt der Fälligkeit als auch jenen im Zeitpunkt der Verrechnung. Sei der Fälligkeitskurs besser, würde er sich für die Verrechnung entscheiden, sei der Kurs im Zeitpunkt der ins Auge gefassten Verrechnung besser, würde er auf die Verrechnung verzichten und stattdessen die Bezahlung der Forderung (auf dem Betreibungsweg) geltend machen. Aus diesen Überlegungen wird auch in der Lehre teilweise vorgeschlagen, auf den Zugang der Verrechnungserklärung abzustellen (so etwa ROLF WEBER, Berner Kommentar, 2. Aufl. 2005, N. 343 zu Art. 84 OR; MARIUS SCHRANER, Zürcher Kommentar, 3. Aufl. 2000, N. 215 zu Art. 84 OR; EUGEN BUCHER, Schweizerisches Obligationenrecht, Allgemeiner Teil ohne Deliktsrecht, 2. Aufl. 1988, S. 439).
Dem wird mit Recht entgegengehalten, dass es dem Verrechnungsgegner frei steht, seine Schuld so rasch als möglich zu begleichen. Mit dem Zuwarten nimmt er selbst an der Währungsspekulation teil. Wenn diese sich zu seinen Ungunsten auswirkt, kann er sich nicht auf den Grundsatz berufen, dass dem Verrechnungsgegner aus der Verrechnung kein Nachteil erwachsen soll (ZELLWEGER-GUTKNECHT, a.a.O., N. 220 zu Art. 120 OR). Dies gilt umso mehr im vorliegenden Fall, in dem die Parteien die Verrechenbarkeit von gegenseitigen Forderungen vertraglich stipulierten (siehe E. 7.10), und also auch die Beschwerdeführerinnen ihrerseits hätten verrechnen können. Jedenfalls kann nicht gesagt werden, der Verrechnungsgegner werde durchwegs benachteiligt, wenn auf den Zeitpunkt der Fälligkeit der Verrechnungsforderung abgestellt wird.

7.10 Zu beachten ist ferner, dass Art. 124 Abs. 2 OR dispositives Recht darstellt (AEPLI, a.a.O., N. 132 zu Art. 124 OR). Für vertragliche Forderungen können die Parteien abweichende Regelungen
BGE 149 III 61 S. 66
vorsehen, wenn sie dies zur Vermeidung der Gefahr, dass der Verrechnende als ungerechtfertigt empfundene Währungsgewinne erzielen könnte, für angezeigt halten. Auch aus diesem Grund besteht kein Anlass, die im Gesetz vorgesehene Rückwirkung der Verrechnung nicht auch auf den Umrechnungszeitpunkt anzuwenden. Der von den Beschwerdeführerinnen beschwörten "Gefahr eines risikolosen Währungsgewinns" kann für vertragliche Forderungen durch entsprechende Parteivereinbarungen begegnet werden, die solches ausschliessen. Ein Abgehen vom Gehalt von Art. 124 Abs. 2 OR ist dazu nicht erforderlich.
Im vorliegenden Fall haben die Parteien ausdrücklich die Verrechenbarkeit bestimmter Forderungen stipuliert. Die Beschwerdeführerinnen wussten demnach, dass die Verrechnung von gegenseitigen Forderungen in unterschiedlicher Währung zulässig war und mussten von Beginn weg damit rechnen, dass die Beschwerdegegnerinnen ihre Fremdwährungsforderungen zur Verrechnung bringen. Dennoch wurde in den Vereinbarungen darauf verzichtet, den Umrechnungszeitpunkt zu regeln. Unter diesem Gesichtspunkt ist es folgerichtig, dass die in der dispositiven Vorschrift von Art. 124 Abs. 2 OR vorgesehene Rückwirkung auch auf den Umrechnungszeitpunkt zum Tragen kommt. Mangels spezieller Regelung mussten die Parteien jedenfalls mit der Anwendung dieser Bestimmung rechnen.

7.11 Ergo erfolgte die Umrechnung zu Recht zum Kurs, der im Zeitpunkt galt, als die Verrechnungsforderungen fällig wurden. Die Rechtsauffassung der Vorinstanz ist nicht zu beanstanden. Die Beschwerde erweist sich in diesem Punkt als unbegründet.
(...)

Inhalt

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Regeste: deutsch französisch italienisch

Erwägungen 7

Referenzen

BGE: 130 III 312

Artikel: Art. 124 Abs. 2 OR, Art. 120 und 124 Abs. 2 OR, Art. 124 OR, Art. 84 OR mehr...