Wichtiger Hinweis:
Diese Website wird in älteren Versionen von Netscape ohne graphische Elemente dargestellt. Die Funktionalität der Website ist aber trotzdem gewährleistet. Wenn Sie diese Website regelmässig benutzen, empfehlen wir Ihnen, auf Ihrem Computer einen aktuellen Browser zu installieren.
 
Urteilskopf

149 II 6


2. Auszug aus dem Urteil der II. öffentlich-rechtlichen Abteilung i.S. A. gegen Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern (ABEV) und Kantonales Zwangsmassnahmengericht des Kantons Bern (Beschwerde in öffentlich-rechtlichen Angelegenheiten)
2C_765/2022 vom 13. Oktober 2022

Regeste

Art. 16 Abs. 1 der Richtlinie 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie); Art. 80 Abs. 4 und Art. 81 Abs. 2 AIG (Fassung gemäss Ziff. I des Bundesgesetzes vom 14. Dezember 2018 [Verfahrensregelungen und Informationssysteme], in Kraft seit 1. Juni 2019); Haftbedingungen für ausländerrechtlich festgehaltene Personen; Zugang zum Internet.
Bestätigung der Rechtsprechung (BGE 146 II 201), wonach ausländerrechtliche Festhaltungen grundsätzlich in einer speziellen, nur zu diesem Zweck bestimmten Vollzugsanstalt zu erfolgen haben (E. 4.1).
Die baulichen, organisatorischen und personellen Gegebenheiten der Vollzugsinstitution sollen den administrativen Charakter der Festhaltung zum Ausdruck bringen. Die mit der Festhaltung verbundenen Beschränkungen der Grundrechte dürfen hinsichtlich der Erforderlichkeit - besondere Situationen im Einzelfall vorbehalten - nicht weiter gehen, als dies für den Vollzug der Weg-, Aus- oder Landesverweisung nötig ist (E. 4.2).
Konkrete bauliche, organisatorische und personelle Verhältnisse im Regionalgefängnis Moutier (E. 4.3).
Die Haftbedingungen sind im konkreten Fall anzupassen, soweit der Beschwerdeführer über 18 Stunden in einer Zelle eingeschlossen ist (E. 5.1).
Der Anspruch ausländerrechtlich inhaftierter Personen auf angemessene soziale Kontakte und Kontaktmöglichkeiten nach aussen umfasst eine - allenfalls zeitlich und örtlich beschränkte - Zugriffsmöglichkeit auf das Internet (E. 5.2).
Die Verweigerung des Gebrauchs von privaten Mobiltelefonen ist mit Blick auf die konkrete Regelung im Regionalgefängnis Moutier nicht unverhältnismässig (E. 5.3).

Sachverhalt ab Seite 8

BGE 149 II 6 S. 8

A. A. (geb. 1989) stellte am 16. Januar 2012 unter dem Namen B. (geb. 6. Februar 1989, von Burkina Faso) in der Schweiz erfolglos ein Asylgesuch. Das Regionalgericht Berner Jura-Seeland verurteilte ihn am 6. September 2017 unter anderem wegen qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz zu einer Freiheitsstrafe von 33 Monaten; gleichzeitig verwies es ihn für acht Jahre des Landes. Vom 13. Dezember 2016 bis zum 13. Februar 2021 befand sich A. im Strafvollzug.

B. Ab dem 13. September 2021 galt A. als verschwunden. Er wurde am 17. März 2022 im Rahmen eines Dublin-Verfahrens von Frankreich in die Schweiz rücküberstellt, worauf das Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern (ABEV) ihn am 21. März 2022 in Ausschaffungshaft nahm. Die Festhaltung ist letztmals bis zum 17. November 2022 verlängert worden. Am 22. Juli 2022 ersuchte A. darum, aus der Ausschaffungshaft entlassen zu werden, was die kantonalen Behörden ablehnten.

C. A. beantragt vor Bundesgericht, das entsprechende Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 31. August 2022 aufzuheben und ihn unverzüglich aus der Haft zu entlassen. Eventuell sei die Rechtswidrigkeit der Haft bzw. der Haftbedingungen festzustellen. Er macht geltend, die Haftbedingungen im Regionalgefängnis Moutier widersprächen - insbesondere bezüglich des fehlenden Zugangs zum Internet und zum eigenen Mobiltelefon sowie bezüglich der Dauer der Einschliessung (18 Stunden pro Tag) - den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
BGE 149 II 6 S. 9
Das Bundesgericht heisst die Beschwerde teilweise gut, hebt das Urteil des Verwaltungsgerichts des Kantons Bern vom 31. August 2022 auf und erteilt die Zustimmung zur Ausschaffungshaft lediglich mit der Auflage, dass die Haftbedingungen für A. spätestens innert 5 Tagen ab Zustellung des bundesgerichtlichen Urteils im Sinne der Erwägungen angepasst werden, andernfalls er spätestens auf diesen Zeitpunkt hin aus der Haft zu entlassen ist.
(Zusammenfassung)

Erwägungen

Aus den Erwägungen:

4. Der Beschwerdeführer beanstandet seine Haftbedingungen. Diese und die damit verbundenen Grundrechtseingriffe gingen über das Notwendige hinaus. Die Haftbedingungen im Regionalgefängnis Moutier widersprächen - insbesondere bezüglich des fehlenden Zugangs zum Internet und zum eigenen Mobiltelefon sowie bezüglich der Dauer der Einschliessung (18 Stunden pro Tag) - den rechtlichen Vorgaben. Die Inhaftnahme solle einzig und allein dem Zweck der Sicherung der Rückführung und unter keinen Umständen der Bestrafung dienen, was in den Haftbedingungen geeignet zum Ausdruck kommen und sich dort niederschlagen müsse.

4.1

4.1.1 Nach Art. 81 Abs. 2 AIG (SR 142.20) ist die Administrativhaft - entsprechend Art. 16 Abs. 1 Satz 1 der auch für die Schweiz verbindlichen Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2008 über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger (Rückführungsrichtlinie; ABl. L 348 vom 24. Dezember 2008 S. 98) - in einer speziellen, nur zu diesem Zweck vorgesehenen Anstalt zu vollziehen (Ausschaffungszentrum). Sie kann bloss dann - in Ausnahmefällen - in ordentlichen Haftanstalten vollzogen werden, falls ein administrativ anderweitig nicht bewältigbarer wichtiger Grund für dieses Vorgehen spricht sowie die Trennung von den anderen Häftlingen durch eine eigenständige Abteilung sichergestellt bleibt (BGE 146 II 201 E. 4-6). Es muss sich nach der Rechtsprechung dabei um "absolute Einzelfälle" handeln (vgl. BGE 146 II 201 E. 7 und die Urteile 2C_280/2021 vom 22. April 2021 E. 2.4; 2C_961/2020 vom 24. März 2021 E. 2.4.1; 2C_844/ 2020 vom 30. Oktober 2020 E. 6.1). Der Grund für die vom Grundsatz abweichende Unterbringung ist sachgerecht darzutun und zu
BGE 149 II 6 S. 10
belegen; nur so können der Haftrichter und letztinstanzlich das Bundesgericht die angegebenen Gründe auf eine Verletzung der Vorgaben von Art. 81 Abs. 2 AIG bzw. Art. 16 der Rückführungsrichtlinie hin überprüfen (vgl. Art. 80 Abs. 4 AIG [Berücksichtigung der "Umstände des Haftvollzugs"]; BGE 146 II 201 E. 8; Urteil 2C_662/ 2022 vom 8. September 2022 E. 2.2.1).

4.1.2 Das Bundesgericht hat diese Rechtsprechung inzwischen wiederholt bestätigt (vgl. die Urteile 2C_662/2022 vom 8. September 2022 E. 2.2.2 [JVA Realta/GR]; 2C_280/2021 vom 22. April 2021 E. 2.4 und 2.5 [Untersuchungs- und Strafgefängnis Stans]; 2C_844/ 2020 vom 30. Oktober 2020 E. 6 und 2C_961/2020 vom 24. März 2021 E. 2.4 [Untersuchungsgefängnis Solothurn]). Es hat dabei unter anderem darauf hingewiesen, dass (kleinere) Kantone die Möglichkeit haben, die Festhaltung in einer geeigneten Einrichtung eines anderen Kantons zu organisieren, wenn sie die gesetzlichen Festhaltungsbedingungen (Art. 81 Abs. 2 AIG) selber nicht einhalten können oder wollen (Urteil 2C_280/2021 vom 22. April 2021 E. 2.5.3 unter Hinweis auf BGE 146 II 201 E. 5.2.1; vgl. auch die Urteile des EuGH vom 17. Juli 2014 C-473/13 und C-514/13 Bero/Bouzalmate, Randnr. 31, bzw. vom 10. März 2022 C-519/20 K., Randnrn. 91 ff.). Es hat damit auf die Zusammenarbeit unter den Kantonen verwiesen. Nach Art. 82 Abs. 1 AIG kann der Bund dementsprechend auch den Bau und die Einrichtung kantonaler Haftanstalten, "die ausschliesslich dem Vollzug der Vorbereitungs-, Ausschaffungshaft und Durchsetzungshaft sowie der kurzfristigen Festhaltung dienen" und eine bestimmte Grösse aufweisen, ganz oder teilweise (mit-)finanzieren (vgl. das Urteil 2C_662/2022 vom 8. September 2022 E. 2.2.2).

4.2

4.2.1 Die Haftbedingungen und baulichen Elemente der speziellen, nur zum Vollzug der administrativen Festhaltung vorgesehenen Einrichtung sollen zum Ausdruck bringen, dass die Festhaltung administrativer Natur ist und in keinem Zusammenhang mit einem Strafvollzug oder einer Untersuchungshaft steht. Zweck der ausländerrechtlichen Administrativhaft ist einzig die Sicherung der Durchführung des Wegweisungs-, Ausweisungs- oder strafrechtlichen Landesverweisungsverfahrens und des Vollzugs der entsprechenden Entscheide. Das Vollzugsregime hat diesem Zweck entsprechend freier als in der Untersuchungshaft oder im Strafvollzug zu sein (Gemeinschaftsräumlichkeiten, Besuchsausübung, Freizeitaktivitäten; BGE 123 I 221 E. II.1b; BGE 122 I 222 E. 2a/bb; BGE 122 II 49 E. 5a, BGE 122 II 299 E. 3c;
BGE 149 II 6 S. 11
ANDREAS ZÜND, in: Migrationsrecht, Spescha/Zünd/ Bolzli/Hruschka/de Weck [Hrsg.], 5. Aufl. 2019, N. 3 zu Art. 81 AIG). Grundrechtsbezogene Einschränkungen rechtfertigen sich über den mit der Festhaltung notwendigerweise verbundenen Sicherungszweck hinaus nur aus Erfordernissen des Anstaltsbetriebs oder bei konkreten Sicherheitsbedenken im Einzelfall (vgl. BGE 146 II 201 E. 2.2 und 6.2.2; BGE 123 I 221 E. I.4d; BGE 122 I 222 E. 2a/bb; BGE 122 II 299 E. 3c; THOMAS HUGI YAR, in: Ausländerrecht, Uebersax/Rudin/Hugi Yar/ Geiser/Vetterli [Hrsg.], 3. Aufl. 2022, Rz. 12.175 ff.; ZÜND, a.a.O., N. 3 zu Art. 81 AIG).

4.2.2 Bauliche, organisatorische und personelle Gegebenheiten dürfen dabei nicht als unabänderlich gelten; sie müssen insoweit geschaffen oder angepasst werden, als sich dies für einen verfassungs- und richtlinienkonformen Haftvollzug als nötig erweist (vgl. BGE 122 I 222 E. 2a/bb; BGE 122 II 49 E. 5b/cc, BGE 122 II 299 E. 3c; HUGI YAR, a.a.O., Rz. 12.178). Um die Grundrechtskonformität der Unterbringung von Gefangenen zu beurteilen, sind die konkreten Haftbedingungen insgesamt zu würdigen (BGE 123 I 221 E. II.1c/cc). Es geht bei der Haftprüfung um die hauptsächlichen Haftbedingungen, welche die Zumutbarkeit der Festhaltung als solche beeinflussen; untergeordnete Mängel sind unabhängig vom Haftprüfungsverfahren im dafür vorgesehenen Verwaltungsbeschwerde- bzw. Aufsichtsverfahren geltend zu machen (vgl. HUGI YAR, a.a.O., Rz. 12.191).

4.2.3 Der EuGH hat den Begriff der "speziellen Hafteinrichtung" inzwischen seinerseits schengenrechtlich (Art. 16 Abs. 1 Satz 1 Rückführungsrichtlinie) präzisiert: Danach zeichnet sich eine solche durch eine Gestaltung und Ausstattung ihrer Räumlichkeiten sowie durch Organisations- und Funktionsmodalitäten aus, "die dazu geeignet sind, den dort untergebrachten illegal aufhältigen Drittstaatsangehörigen zu zwingen, sich ständig in einem eingegrenzten, geschlossenen Bereich aufzuhalten", gleichzeitig aber die Zwangsmassnahme auf das beschränken, "was für die wirksame Vorbereitung seiner Abschiebung unbedingt erforderlich ist" (Urteil des EuGH vom 10. März 2022 C-519/20 K., Randnr. 45). Dabei sind gesamthaft die Ausstattung der Räumlichkeiten, die Regelung der Haftbedingungen sowie die besonderen Qualifikationen und Aufgaben des Personals zu berücksichtigen. Entscheidend ist - so der EuGH -, "ob sich der Zwang, dem die betreffenden Staatsangehörigen ausgesetzt sind, in Anbetracht all dieser Umstände auf das
BGE 149 II 6 S. 12
Mass beschränkt, das unbedingt erforderlich ist, um ein wirksames Rückkehrverfahren zu gewährleisten, und es soweit wie möglich vermeidet, dass die Unterbringung einer Inhaftierung in einer Gefängnisumgebung gleichkommt, wie sie für eine Strafhaft kennzeichnend ist" (Urteil des EuGH vom 10. März 2022 C-519/20 K., Randnr. 54; VGL. AUCH EUROPÄISCHES KOMITEE ZUR VERHÜTUNG VON FOLTER UND UNMENSCHLICHER BEHANDLUNG ODER STRAFE[CPT], Fiche thématique "Rétention des migrants", 2017, S. 1 Introduction[Punkt 5],S. 4 3. Structures adaptées [Punkt 3],S. 5 5. Régime ouvert [Punkt 1],www.coe.int/fr/web/cpt/immigration-detention; zur Berücksichtigung des jeweiligen Festhaltungszwecks auch die EGMR-Urteile H.A. und andere gegen Griechenland [Nr. 19951/16] vom 28. Februar2019 § 196; Kanagaratnam und andere gegen Belgien [Nr. 15297/09]vom 13. Dezember 2011 § 84 und Khlaifia und andere gegen Italien [Nr. 16483/12] vom 15. Dezember 2016 § 158 ff. [zu Art. 3 EMRK]).

4.2.4 Inhaltlich hat das Bundesgericht bisher entschieden, dass die Festhaltungsbedingungen so ausgestaltet sein müssen, dass soziale Kontakte innerhalb der Anstalt wie auch nach aussen möglich bleiben (BGE 122 II 299 E. 5a). Ausländerrechtlich Inhaftierte haben Anspruch auf freien Telefonverkehr auf eigene Kosten (BGE 122 II 299 E. 6b), auf unkontrollierten Briefverkehr (BGE 122 I 222 E. 6a) und auf unbeaufsichtigte Besuche (BGE 122 I 22 E. 5b) grundsätzlich ohne Trennscheibe (BGE 122 II 299 E. 6a). Hiervon kann nur bei konkreten Sicherheitsbedenken im Einzelfall abgewichen werden. Den Inhaftierten ist schliesslich mindestens ein Spaziergang von 1 Stunde an der frischen Luft ohne Handschellen zu gewähren (BGE 122 I 222 E. 4b; vgl. zu den Haftbedingungen in der Doktrin: HUGI YAR, a.a.O., Rz. 12.175 ff.; CONSTANTIN HRUSCHKA, XIII Wegweisungsvollzug und Zwangsmassnahmen, in: Handbuch zum Asyl- und Wegweisungsverfahren, Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH [Hrsg.], 3. Aufl. 2021, S. 571 ff.; BAHAR IREM CATAK KANBER, Die ausländerrechtliche Administrativhaft, 2017, S. 253 ff.; CHATTON/ MERZ, in: Code annoté de droit des migrations, Bd. II: Loi sur les étrangers [LEtr], Nguyen/Amarelle [Hrsg.], 2017, N. 6 ff., 16 ff. zu Art. 81 AuG; MARTIN BUSINGER, Ausländerrechtliche Haft, 2015, S. 297 ff.; ZÜND, a.a.O., N. 3 ff. zu Art. 81 AIG; ACHERMANN/KÜNZLI, Die ausländerrechtliche Administrativhaft im Licht der internationalen Rechtsvorgaben, in: Verletzlichkeit und Risiko im Justizvollzug, Queloz und andere [Hrsg.], 2014, S. 83 ff., dort S. 89 f.; TARKAN GÖKSU, in: Bundesgesetz über die Ausländerinnen und Ausländer
BGE 149 II 6 S. 13
[AuG], Caroni/Gächter/Thurnherr [Hrsg.], 2010, N. 5 ff. zu Art. 81 AuG).

4.3

4.3.1 Das Regionalgefängnis Moutier dient seit dem 1. Juli 2018 im Wesentlichen noch dem Vollzug von ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen. Es umfasst 28 Plätze auf zwei Stockwerken für 24 Männer und 4 Frauen in 14 Einzelzellen, einer Zweier- und vier Dreierzellen. Im 3. Obergeschoss befinden sich zwei Spazierhöfe. Einer verfügt über zwei Tischfussballtische, einen Tischtennistisch und eine Bank; der andere ist mit einem Tischtennistisch, einer Bank und einem geschützten Arbeitsbereich ausgestattet. Gemäss dem Bericht der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) vom 28. Juni 2019 bieten beide ausreichend Regen- und Sonnenschutz. Insgesamt wirkten sie - so die NKVF - zwar "eher karg", doch vermittelten sie dank dem "Aussenblick" dennoch ein "Gefühl von Freiheit" (Rz. 17). Auf jedem Stockwerk mit Zimmern befindet sich ein Kontaktraum, in dem sich Mitarbeitende, die im Hinblick auf ihre Aufgabe im Regionalgefängnis (Vollzug von Zwangsmassnahmen) speziell geschult wurden, aufhalten und als direkte Ansprechpersonen zur Verfügung stehen (Rz. 14). Im Übrigen bestehen eine kleine Bibliotheksecke, ein Raum für Besuche (ohne Schutzscheiben), ein gemeinsamer Aufenthaltsraum mit einem Fernseher und ein Fitnessraum. Die Fenster des Aufenthaltsraums lassen - so der verbindlich festgestellte Sachverhalt im angefochtenen Entscheid (Art. 105 Abs. 2 BGG) - "einen uneingeschränkten Blick auf die Umgebung" zu.

4.3.2 Hinsichtlich der Haftbedingungen gilt grundsätzlich die allgemeine Hausordnung der Regionalgefängnisse des Kantons Bern vom 22. Februar/1. März 2019, welche gegenüber der allgemeinen Regelung für Regionalgefängnisse teilweise abweichende bzw. spezielle Regeln für die "freiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen im Ausländerrecht" vorsieht (Besuchsregelung, elektronische Kommunikationsmittel und Geräte, Telefonie, medizinische Betreuung, Arbeit, Arbeitsentgelt und Entlassung). Die Haftbedingungen sind damit - wie das Bundesgericht in seiner Rechtsprechung verlangt (BGE 122 I 222 E. 2b; BGE 99 Ia 262 E. III.4; HUGI YAR, a.a.O., Rz. 12.177; CHATTON/MERZ, a.a.O., N. 14 zu Art. 81 AuG; BUSINGER, a.a.O., S. 298) - generell-abstrakt geregelt und schützen die betroffenen Personen hinreichend vor Willkür. Eine weitere, besondere gesetzliche Grundlage ist entgegen den Einwänden des
BGE 149 II 6 S. 14
Beschwerdeführers nicht erforderlich, auch wenn es wünschbar erscheinen mag, dass für die ausländerrechtliche Haft - der Klarheit, Übersichtlichkeit und Verständlichkeit halber - eine eigenständige Regelung bestehen würde.

4.3.3 Besuche von Privatpersonen sind ohne Voranmeldung jeweils dienstags und donnerstags, zwischen 14.00 und 16.00 Uhr, möglich; ausnahmsweise auch am Wochenende. Den inhaftierten Personen stehen vier Telefonautomaten zur Verfügung, die sie auf eigene Kosten benutzen können, wobei mittellose Personen wöchentlich ein Guthaben von Fr. 5.- zugesprochen erhalten. Daneben bestehen verschiedene bezahlte Beschäftigungsmöglichkeiten (Reinigung, Wäscherei, Produktion von Holzbündeln oder Kartonage für die Uhrenindustrie), welche es dem Einzelnen erlauben, sich weitere Mittel zu beschaffen. Wer arbeitet, kann sich von 09.00 Uhr bis 18.00 Uhr ausserhalb der Zellen aufhalten; für die anderen sind die Zellen zwischen 12 Uhr bis 18 Uhr (an Wochenenden ab 11.00 Uhr) geöffnet. Von 14 Uhr bis 17 Uhr sind die beiden Spazierhöfe und die übrigen Stockwerke, d.h. der Gemeinschaftsbereich der jeweils anderen Etage, sowie im Erdgeschoss die Bibliothek und der Fitnessbereich zugänglich.

5.

5.1 Gesamthaft teilt das Bundesgericht die Ansicht der Vorinstanz, dass sich das Festhaltungsregime im Regionalgefängnis Moutier von anderen Haftarten damit grundsätzlich deutlich genug unterscheidet und dem Eindruck entgegenwirkt, dass es sich dabei um eine Untersuchungshaft oder einen Strafvollzug handelt. Zu diesem Schluss ist auch die NKVF gekommen: Sie stellt in ihrem Bericht vom 28. Juni 2019 ausdrücklich fest, dass sich das Haftregime der Administrativhaft im Regionalgefängnis Moutier vom Haftregime im Straf- und Massnahmenvollzug "klar" unterscheide (Rz. 12). Mit der NKVF geht das Bundesgericht allgemein davon aus, dass der Zelleneinschluss jeweils auf ein Minimum zu reduzieren ist, und wenn immer möglich nur in der Nacht erfolgen soll, wie dies weitgehend offenbar bereits in der Westschweiz geschieht und wie dies - für den Fall, dass ein ordnungsgemässer Betrieb die Einschliessung erfordert - auch in der Doktrin gefordert wird (vgl. Fn. 11 des Berichts der NKVF vom 28. Juni 2019 zu den Ausschaffungszentren "Favra" und "Frambois"; BUSINGER, a.a.O., S. 306 mit Hinweisen). Eine Einschliessung in den Zellen - wie hier - von rund 18
BGE 149 II 6 S. 15
Stunden pro Tag, falls nicht gearbeitet wird, ist im Hinblick auf Sinn und Zweck der ausländerrechtlichen Administrativhaft unnötig und mit dem allgemeinen Sicherungszweck und dem Anspruch auf angemessene soziale Kontakte unvereinbar. Sollten organisatorische oder bauliche Massnahmen diese Beschränkung erforderlich machen, sind sie anzupassen (vgl. vorstehende E. 4.2.2).

5.2

5.2.1 Zu Recht weist der Beschwerdeführer auch darauf hin, dass der Haftzweck keine dauernde Beschränkung des Internetzugangs rechtfertigt: Dieser ermöglicht es, den ausländerrechtlich inhaftierten Personen sich über die Geschehnisse ausserhalb der Mauern zu informieren und den Kontakt zur Aussenwelt und zur Heimat aufrechtzuerhalten, was für ihr Sozialleben in der Festhaltungssituation von grundlegender Bedeutung ist (vgl. BUSINGER, a.a.O., S. 315 f.). Die NKVF hat den Berner Behörden in ihrem Bericht vom 28. Juni 2019 dementsprechend empfohlen, zu prüfen, "wie der freie Internetzugang und die Nutzung von eigenen Mobiltelefonen wenigstens zeitweise ermöglicht werden" könnten (Rz. 41). Gemäss der Praxis und der Empfehlungen des CPT sollten ausländerrechtlich festgehaltene Personen Zugang zu einem Computer haben, der über VoIP-Technologie (Voice over Internet Protocol) oder Skype und einen Internetzugang verfügt (CPT, a.a.O., S. 5 f. 5. Régime ouvert [Punkt 7]).

5.2.2 Der Regierungsrat des Kantons Bern hat sich in seiner Stellungnahme zur Empfehlung der NKVF am 11. März 2020, worauf die Vorinstanz verweist, gegen einen Internetzugang ausgesprochen, da die entsprechenden internationalen Empfehlungen in der Schweiz "nur in wenigen Einzelfällen angewandt" würden (S. 2 der Stellungnahme). Dies rechtfertigt es indessen im Hinblick auf die spezifische Situation ausländerrechtlich festgehaltener Personen nicht, ihnen generell den Zugang zum Internet zu verwehren, zumal die entsprechende Möglichkeit heute in anderen Administrativhaftzentren bereits besteht (vgl. etwa JVA Realta, Bässlergut). Auch in den Bundesasylzentren steht den Gesuchstellern ein WLAN "grundsätzlich ohne Einschränkungen rund um die Uhr zur Verfügung"; einzig die Nutzung von elektronischen Geräten, wie beispielsweise von Mobiltelefonen, Tablets oder Laptops kann zur Sicherstellung der Nachtruhe eingeschränkt oder ganz unterbunden werden (vgl. die Antwort des Bundesrats vom 14. Dezember 2020 auf die Frage von Nationalrätin Marti vom 7. Dezember 2020 zum "Internetzugang in Asylunterkünften" [20.5964]).
BGE 149 II 6 S. 16

5.2.3 Trotz der unterschiedlichen Rechtsstellung von Asylsuchenden und ausländerrechtlich festgehaltenen Personen, die das Land verlassen müssen, ergibt sich daraus doch, dass entsprechende technische Möglichkeiten bestehen und ein Internetzugang auch in kantonalen Ausschaffungszentren installiert werden kann. Es sind keine unüberwindbare Erfordernisse des Anstaltsbetriebs oder Sicherheitsaspekte dargetan oder ersichtlich, welche im Grundsatz gegen einen Internetzugang sprächen und den entsprechenden Eingriff in die Grundrechtspositionen des Beschwerdeführers rechtfertigen würden. Allfällige Missbräuche können im Einzelfall unterbunden und organisatorische Vorgaben in einer angepassten Hausordnung geregelt werden; eine generelle Verweigerung eines Internetzugangs - entgegen den internationalen Empfehlungen - rechtfertigt sich nicht und bildet keine durch den Haftzweck gebotene und verhältnismässige Einschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16 BV und Art. 10 EMRK) von ausländerrechtlich inhaftierten Personen (vgl. KÜNZLI/BISHOP, Ausländerrechtliche Administrativhaft in der Schweiz, Menschenrechtliche Standards und ihre Umsetzung in der Schweiz, 2020, S. 31 ff., 34 Ziff. 3.3, www.skmr.ch unter Themenbereiche/Polizei und Justiz/Publikationen/Ausländerrechtliche Administrativhaft/pdf). Der Anspruch auf angemessene soziale Kontakte und Kontaktmöglichkeiten nach aussen ist heute - der technischen und gesellschaftlichen Entwicklung in diesem Bereich entsprechend - für ausländerrechtlich inhaftierte Personen durch eine allenfalls zeitlich und örtlich beschränkte Zugriffsmöglichkeit auf das Internet zu ergänzen.

5.3

5.3.1 Der Beschwerdeführer beanstandet auch, dass im Regionalgefängnis Moutier keine privaten Mobiltelefone benützt werden dürften. Die Verweigerung des Zugangs zum eigenen Mobiltelefon bilde im Hinblick auf Ziel und Zweck der ausländerrechtlichen Administrativhaft (Sicherstellung des Wegweisungsvollzugs) ebenfalls eine "massive und ungerechtfertigte" Beschränkung der Meinungs- und Informationsfreiheit (Art. 16 BV und Art. 10 EMRK). Die Vorinstanz geht ihrerseits davon aus, dass im Regionalgefängnis Moutier hinreichende Kontaktmöglichkeiten unter den inhaftierten Personen und dank der Möglichkeit, telefonieren zu können, auch nach aussen bestehen.

5.3.2 Die CPT-Empfehlungen sehen vor, dass inhaftierten Migrantinnen und Migranten ein regelmässiger Zugang zu
BGE 149 II 6 S. 17
Telefonapparaten oder zu ihren persönlichen Telefonen gewährt werden soll (CPT, a.a.O., S. 2 f. 2. Garanties pendant la rétention [Punkt 9]).Im Regionalgefängnis Moutier stehen den administrativ festgehaltenen Personen vier Telefonautomaten zur Verfügung, die sie auf eigene Kosten benutzen können, wobei mittellosen Personen wöchentlich ein Guthaben von Fr. 5.- gutgeschrieben wird. Bei einem Arbeitseinsatz können zusätzliche Gelder erwirtschaftet werden, was auch längere Telefonate oder solche ins Ausland ermöglicht. Mit Mobiltelefonen können in der Regel Ton- und Bildaufzeichnungen gemacht werden, was geeignet erscheint, den Anstaltsbetrieb und die Privatsphäre der Mithäftlinge zu beeinträchtigen. Als besondere Bestimmung für die freiheitsentziehenden Zwangsmassnahmen des Ausländerrechts sieht die Hausordnung der Regionalgefängnisse des Kantons Bern dementsprechend vor, dass die Leitung der Vollzugseinrichtung die Benutzung privater elektronischer Geräte gestatten kann, "sofern durch das Gerät keine Bild- und Tonaufnahmen gemacht werden können". Als entsprechendes elektronisches Gerät gilt - unter anderem - auch ein Mobiltelefon (vgl. den Anhang zur Hausordnung der Regionalgefängnisse des Kantons Bern). Im Hinblick hierauf kann nicht gesagt werden, dass die entsprechende Beschränkung über das für den Haftzweck Erforderliche hinausginge und als unverhältnismässig zu gelten hätte. Wie es sich in andern Fällen - ohne diese Möglichkeit - verhält, braucht an dieser Stelle nicht vertieft zu werden. Immerhin verliert die Problematik an Bedeutung, wenn und weil - wie dargelegt (vgl. vorstehende E. 5.2) - ausländerrechtlich inhaftierten Personen ein Internetzugang zu gewähren ist.

5.4 Zusammengefasst ergibt sich, dass die Einschliessung des Beschwerdeführers in seiner Zelle während 18 Stunden sein Recht auf persönliche Freiheit verletzt, da sie über das für ausländerrechtlich festgehaltene Personen im Hinblick auf den Haftzweck Erforderliche hinausgeht und als unverhältnismässig zu gelten hat (Verletzung des Übermassverbots). Dasselbe gilt für die Unmöglichkeit, im Regionalgefängnis Moutier - allenfalls örtlich und zeitlich beschränkt - auf das Internet zugreifen zu können. Die entsprechende Massnahme verletzt die Meinungs- und Informationsfreiheit des Beschwerdeführers und geht über das hinaus, was für den Festhaltungszweck der ausländerrechtlichen Zwangsmassnahmen geboten erscheint. Die genannten Beschränkungen sind weder durch die Erfordernisse des Anstaltsbetriebs noch aus Sicherheitsgründen gerechtfertigt. Im
BGE 149 II 6 S. 18
Hinblick auf die Möglichkeit, das Mobiltelefon behalten zu können, soweit dieses keine Bild- und Tonaufnahmen zulässt, und der Gelegenheit, unbeschränkt auf eigene Kosten telefonieren zu können, verletzt der Umstand, dass das eigene Smartphone nicht bedingungslos gebraucht werden kann, im Regionalgefängnis Moutier weder das Recht auf persönliche Freiheit noch die verfassungsmässigen Kommunikationsrechte des Beschwerdeführers.

6.

6.1 Die Gutheissung der Beschwerde wegen unzulässigen Haftbedingungen führt nach der Praxis nur zu einer Haftentlassung, sofern nicht kurzfristig für Abhilfe gesorgt werden kann (BGE 122 II 299 E. 8a; HRUSCHKA, A.A.O., S. 572; ZÜND, a.a.O., N. 3 zu Art. 81 AIG; HUGI YAR, a.a.O., Rz. 12.190). In der Regel ist es möglich, die Haftbedingungen anzupassen oder die betroffene Person an einen anderen Ort zu verlegen, wo die Haftbedingungen den grundrechtlichen bzw. gesetzlichen Vorgaben genügen. Bloss wenn dies nicht möglich ist, hat eine Haftentlassung zu erfolgen (vgl. das Urteil 2C_662/ 2022 vom 8. September 2022 E. 3.3).

6.2 Die Beschwerde ist demnach teilweise gutzuheissen und der angefochtene Entscheid aufzuheben. Die Haftbedingungen des Beschwerdeführers sind im Sinne der Erwägungen anzupassen. Falls dies im Regionalgefängnis Moutier nicht möglich ist, hat das Amt für Bevölkerungsdienste des Kantons Bern den Beschwerdeführer binnen 5 Tagen ab Eröffnung des vorliegenden Entscheids an einen Ort zu verlegen, welcher den bundesgerichtlichen Vorgaben genügt. Geschieht dies nicht, ist der Beschwerdeführer spätestens auf diesen Zeitpunkt hin aus der Ausschaffungshaft zu entlassen.

6.3 Dem Verfahrensausgang entsprechend sind keine Kosten geschuldet (Art. 64 bzw. 66 Abs. 4 BGG). Der Kanton Bern hat die Rechtsvertreterin des Beschwerdeführers für das vorliegende Verfahren im Rahmen seines Obsiegens angemessen zu entschädigen (Art. 68 Abs. 1 BGG); im Übrigen ist seine Rechtsvertreterin im Rahmen des Gesuchs um unentgeltliche Verbeiständung zu entschädigen (Art. 64 BGG). Zur Regelung der Kosten- und Entschädigungsfrage für die kantonalen Verfahren wird die Sache an die Vorinstanz zurückgewiesen (Art. 67 i.V.m. Art. 68 Abs. 5 BGG).

Inhalt

Ganzes Dokument
Regeste: deutsch französisch italienisch

Sachverhalt

Erwägungen 4 5 6

Referenzen

BGE: 122 II 299, 146 II 201, 122 I 222, 123 I 221 mehr...

Artikel: Art. 81 AIG, Art. 81 Abs. 2 AIG, Art. 80 Abs. 4 und Art. 81 Abs. 2 AIG, Art. 16 BV mehr...